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Archiv "Tod eines Famulus: Ein heroischer Selbstversuch vor hundert Jahren" (02.10.1985)

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Daniel A. Carriön, Medizinstudent, Lima, 1857 bis 1885 Foto: Archiv

ruanische Botschafter in Bonn eine Reihe von deutschen Ge- lehrten zu einer kleinen Erinne- rungsstunde in seine Residenz eingeladen und dort bekannt- gegeben, daß dem Medizinhi- storischen Institut der Universi- tät Bonn aus Anlaß dieses Da- tums eine Carriön-Büste über- reicht werden würde.

Die Krankheit

der Eisenbahnarbeiter

Aber wer war der Student Car- riön und was waren die Gründe, die ihn zu diesem, sein Leben vorzeitig beendenden Selbst-

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Kulturmagazin

Ein heroischer Selbstversuch vor hundert Jahren

Am 5. Oktober 1885 starb im Krankenhaus „Dos de Mayo"

in Lima der peruanische Me- dizinstudent Daniel Alcides Carriön (1857-1885), nach dem heute in aller Welt eine merkwürdige, vorwiegend in den peruanischen Andenge- bieten vorkommende Krank-

Tod eines Famulus

heit als „Carrionsche Krank- heit" bezeichnet wird. Er war das Opfer eines heroischen Selbstversuches, den der junge, am 13. August 1857 in der kleinen Stadt Cerro de Pasco geborene Kandidat der Medizin im sechsten Stu- dienjahr 39 Tage vorher im Hospital unternommen hatte.

V

or dem Krankenhaus erin- nert heute ein Denkmal an den jungen peruanischen Wissenschaftler, der sich in bewußter Inkaufnahme lebens- gefährlicher Folgeerscheinun- gen das Blut eines an der Ver- ruga peruviana leidenden 14jäh- rigen Jungen einimpfen ließ.

Durch seinen frühen Märtyrer- tod konnte Carriön beweisen, daß zwei bisher in ihrer Ätiolo- gie ungeklärte Krankheiten, die Peruanische Warze und das so- genannte Oroyafieber, Sympto- me ein und derselben Infek- tionskrankheit waren. Aus Anlaß der hundertjährigen Wiederkehr des Todesjahres hatte der pe-

versuch veranlaßt haben? Nach dem Besuch der öffentlichen Schulen in seinem Geburtsort und später in Tarma in der Nähe der Stadt La Oroya begann Car- riön sein Medizinstudium an der 1808 von dem berühmten perua- nischen Mediziner Hipolito Un- anue (1755-1833), einem Freun- de Alexander von Humboldts, gegründeten Medizinschule von San Fernando. Dort hörte er zum ersten Mal von einer merk- würdigen, im Zusammenhang mit dem Eisenbahnbau zwi- schen Lima und La Oroya ab 1870 auftretenden Erkrankung, dem sogenannten Oroyafieber;

es ging mit schwerer Anämie so- wie hohem Fieber einher und besaß eine hohe Letalität, der vor allem die Eisenbahnarbeiter zum Opfer fielen. Auf der ande- ren Seite wurden ihm im Kolleg die schon seit der vorkolumbia- nischen Epoche als „Sirki" der Inkas bekannten eigenartigen, mit Fieber und schweren Allge- meinerscheinungen einherge- henden Warzeneruptionen ge- zeigt, die man von der gewöhn- lichen Warze, der „Kcceppo", deutlich abgrenzte.

Die Kenntnis dieser eigenarti- gen Erkrankung hatten auch die frühen spanischen Eroberer weiter überliefert, aber offen- sichtlich geriet die Erkrankung später bis in die Mitte des 19.

Jahrhunderts wieder in Verges- senheit, da relativ wenig im eu- ropäischen Schrifttum dann dar- über zu lesen war, zumal sie sich nur auf bestimmte südame- rikanische Gebirgsgegenden der Andenregion beschränkte und in Europa niemals auftrat.

Als jedoch ein Mitstudent Car- riöns an dem Oroyafieber unter Ausgabe A 82. Jahrgang Heft 40 vom 2. Oktober 1985 (75) 2915

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Daniel Alcides Carriön

den der Verruga peruviana äh- nelnden Hauterscheinungen verstarb, begann sich der junge Student Carriön 1881 mit diesen Krankheitsbildern auseinander- zusetzen, zumal der Dekan Er- nesto Odriozola sich in jenen Jahren ebenfalls mit dieser Krankheit beschäftigte. In jener Zeit (1879) kam es zum soge- nannten „Salpeterkrieg" Perus gegen Chile, der erst 1883 been- det wurde und zur Abtretung der sogenannten Salpeterprovinzen Perus an Chile führte. An diesen kriegerischen Auseinanderset- zungen nahm als Hilfsarzt auch Carriön teil, der dabei wiederum mit diesen beiden merkwürdi- gen Krankheiten konfrontiert wurde. Dies führte bei Carriön zu dem Entschluß, seine Disser- tation dem Thema des Oroyafie- bers zu widmen, an dem vor al- lem viele Weiße verstarben, so zum Beispiel vor allem Inge- nieure, die sich beim Bau der Ei- senbahn in der Oroyagegend aufhielten, und vierzig englische Matrosen, die von einem engli- schen Schiff desertiert waren und sich an dem Bahnbau betei- ligten.

Inzwischen hatten sich neben peruanischen Forschern auch französische mit dieser Krank- heit beschäftigt, und es entstan- den Diskussionen darüber, ob es sich etwa um eine auf die gleichen Ursachen zurückge- hende, gegebenenfalls infektiö- se Erkrankung oder zwei völ- lig verschiedene Krankheiten handle. Um diese Fragen zu klä- ren, entschied sich Carriön trotz

der Warnung verschiedener Kommilitonen zu dem heroi- schen Selbstversuch, wobei er sich den Inhalt von Verrugama- terial und Blut eines Kranken in seine beiden Oberarme einrieb.

Ein Tagebuch

bis zum letzten Lebenstag Dieser Selbstversuch erfolgte am 27. August 1885 unter der As- sistenz der beiden Ärzte Leonar- do Villar und Evaristo Chavez.

Carriön selbst war in diesem Krankenhaus Famulus. Am 17.

September zeigten sich die er- sten leichten Krankheitserschei- nungen, die in einem gewissen Unwohlsein und Schmerzen in der linken Extremität bestan- den. Der sorgfältig alle Erschei- nungen registrierende Student notierte, daß damit die Übertrag- barkeit der Verruga erwiesen sei und wohl eine Inkubationszeit von fünfzehn Tagen angenom- men werden müsse. Zwei Tage später stellte sich hohes Fieber und Schüttelfrost ein, ein Ikterus trat auf und petechiale Blutun- gen des Gesichts und der Au- genlider. Später kamen Krämp- fe, erschwerte Atmung und Schlaflosigkeit hinzu. Neun Ta- ge später war er so geschwächt, daß er sein Tagebuch nicht ei- genhändig weiterführen konnte, sondern Kollegen bat, dies für ihn zu tun. Inzwischen hatte sich die beim Oroyafieber so ge- fürchtete „Bleichsucht" einge- stellt; Appetitlosigkeit und Er- schöpfungserscheinungen nah- men zu, aber seine geistigen Fä-

higkeiten waren ungebrochen.

Am fünfzehnten Tag nach der In- okulation waren die Erscheinun- gen so auffällig geworden, daß Carriön nunmehr davon über- zeugt war, nicht nur an den Fol- gen einer Verruga peruana, son- dern auch am Oroyafieber zu lei- den, und damit war für ihn die Identität der beiden Sympto- mengruppen klar. Am siebzehn- ten Tag waren die Krankheitser- scheinungen so bedrohlich ge- worden, daß seine Freunde ihn

in das Krankenhaus beförder- ten, wo sie hofften, ihn durch ei- ne Bluttransfusion retten zu können. Dies war aber nicht möglich, und so kam der 5. Ok- tober heran, sein letzter Lebens- tag. Carrion erkannte klar, daß sein Ende bevorstand, und er verstarb kurz vor Mitternacht des 5. Oktober 1885.

Mit seinem Tode war bewiesen, daß es sich bei der Verruga pe- ruana um eine Infektionskrank- heit handeln mußte und daß die- se in zweierlei Erscheinungsfor- men als lokal begrenzte Warze und als allgemeine schwere, mit hoher Letalität einhergehender Oroyafieberkrankheit auftreten konnte. Ein Jahr später erschien unter dem Titel „Daniel A. Car- riön y la Verruga peruana" die erste Monographie, die auf den Tagebuchnotizen und den Be- obachtungen seiner Freunde fußte. Obwohl die Beisetzung des an seinem Selbstversuch ver- storbenen Studenten einem Triumphzug durch die Haupt- stadt Lima glich, machten sich da und dort Stimmen bemerkbar, die diesen heroischen Selbstver- such als ein leichtfertiges Unter- nehmen tadelten. Sogar die Poli- zei wurde aufgefordert, die Bei- hilfe zu diesem lebensgefähr- lichen Versuch durch die beiden Ärzte des Hospitals „Dos de Mayo" gerichtlich zu untersu- chen. Eine forensische Sektion ergab außer einer auffälligen Blässe der meisten Organe, einer vergrößerten Leber sowie auffäl- ligen mesenterischen Lymph- knoten nichts Wesentliches.

Hier das Zitat aus Hölderlins Hymne in seinem „Tod des Em- pedokles" , mit dem mein unvergessener verstorbener Mitarbei- ter Theodor Olbert seine Würdigung Carriöns beendete:

... es würde Nacht und kalt

auf Erden und die Not verzerrte sich die Seele, sendeten zuzeiten nicht die guten Götter solche Jünglinge,

der Menschen welkend Leben zu erfrischen.

2916 (76) Heft 40 vom 2. Oktober 1985 82. Jahrgang Ausgabe A

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Daniel Alcides Carriön

Zum Krankenhaus, in dem Daniel A.

Carriön vor hun- dert Jahren als Famulus gearbei- tet hat, gelangt man heute nur

„auf eigene Gefahr": Es steht in einem der Slums von Lima, die stets politi- schen Zündstoff für Peru bieten;

das Foto zeigt eines dieser

„Barriadas" am Stadtrand von Lima mit armse- ligen Hütten ohne Wasser, ohne Toiletten oder gar Elektrizität

Foto: dpa

Neuer Terminus:

Carriönsche Krankheit

1889 hat einer von Carriöns ehe- maligen Kollegen eine Arbeit veröffentlicht, die unter dem Ti- tel „Fiebre de la Oroya" das er- ste Mal den Terminus „Carriön- sche Krankheit" enthielt. Zehn Jahre später, 1898, publizierte dann Carriöns Dekan Odriozola in französischer Sprache in Pa- ris ein Werk „La maladie de Car- rion" und machte damit, weil dieser neue Name schon im Ti- tel in einer der auch in Europa gängigen Sprachen erschien, diese Bezeichnung international geläufig. Er hat damit der heroi- schen Tat des jungen Studenten seine endgültige Anerkennung verschafft, aber es dauerte noch bis 1905, als ein anderer perua- nischer berühmter Arzt, Alberto Barton (1871-1950), im Blut von Oroyafieberkranken einen Erre- ger, den er für den Überträger dieser Erkrankung hielt, ent- deckte. 1909 erschien die erste Veröffentlichung in spanischer Sprache darüber in der in Lima publizierten „Cronica Medical", wobei Barton intraglobuläre Ein- schlüsse bei der Verruga perua-

na und beim Oroyafieber be- schrieb, und wenige Jahre spä- ter (1911) wurde von einer ame- rikanischen Kommission dieser Erreger als „Bartonella bacilli- formis" benannt.

Inzwischen war auch deutschen Forschern die Übertragung der Verruga auf Affen 1910 geglückt, und für die weitere Aufklärung haben die Arbeiten zweier ame- rikanischer, von der Harvard- Universität nach Peru ausge- sandter Expeditionen in den Jahren 1913 bis 1937 Entschei- dendes beigetragen.

Als vielfältige Übertragungsver- suche zeigten, daß weder das Wasser noch die direkte Über- tragung der wahrscheinliche In- fektionsweg waren, wandte man sich etwaigen Vektoren zu, aber es gelang dann erst, obwohl be- reits 1913 als Überträger ver- dächtigt, ab 1929, bestimmte Phlebotomen, das heißt, in den Andenregionen heimische Mük- kenarten, als Überträger nach- zuweisen. Dies erklärte dann auch die auffällige regionale Be- grenzung der beiden Carriön- schen Krankheitsformen.

Ihrem heroischen Entdecker Carriön sind in seinem Hei- matland mehrere Denkmäler ge- setzt worden. Sein Geburtshaus in Cerro de Pasco schmückt ei- ne Gedenkplakette, ebenso wie den Raum im Limaer Hospital, in dem er sich das lebensgefährl liche Blut überimpfen ließ. Sta- tuen existieren in Lima, seinem Geburtsort Cerro de Pasco und in manchen anderen peruani- schen Städten.

Nun wird in Kürze auch in der Bundeshauptstadt Bonn eine Büste an diesen bedeutenden Arzt erinnern, der durch seinen Opfergang die Zuordnung zwei- er gefährlicher Krankheitsbilder ermöglichte.

Literaturangaben beim Sonderdruck

Anschrift des Verfassers:

Professor

Dr. med. Hans Schadewaldt Direktor des Instituts für Geschichte der Medizin der Universität Düsseldorf Moorenstraße 5 4000 Düsseldorf 1

Ausgabe A 82. Jahrgang Heft 40 vom 2. Oktober 1985 (77) 2917

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