DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
AUSSPRACHE
In dem sehr interessanten Aufsatz ist ein Zitat besonders hervorzu- heben: „Bemerkenswerterweise wird im übrigen der Kontakt eher aufrechterhalten, wenn die Mutter der nichtsorgeberechtigte, also der zu besuchende Elternteil ist, und nicht der Vater."
Wenn die Ergebnisse von E.
Schön in seiner Dissertation:
„Katamnestische Untersuchun- gen bei Scheidungskindern nach Gutachten zur Umgangsbefugnis gern. § 1634 BGB" richtig sind, dann muß der größte Teil der Empfehlungen, die die psycholo- gischen Gutachter den Familien- richtern geben, falsch sein. Auf Grund solcher Gutachten wird doch in über 98 Prozent aller Fälle den Müttern das Sorgerecht über- tragen. Wer aber das Wohl eines Kindes wirklich will, der sollte ei- nem Kind nach Möglichkeit beide Elternteile erhalten. Wenn die Verhetzung des Kindes durch die sorgeberechtigte Mutter angeb- lich schon nicht auszuschließen ist, dann sollten die Gutachter we- nigstens den Charakter der Eltern dahingehend untersuchen, bei wem am ehesten die Gewähr da- für geboten ist, daß der Kontakt zum anderen Elternteil aufrecht- erhalten bleibt.
Den Arzt kann man für den klein- sten Kunstfehler verantwortlich machen, der Psychologe aber gibt sein Gutachten völlig unverbind- lich nur nach „bestem Wissen und Gewissen" ab. Schließlich geht es um das Schicksal von Kindern, aber auch um den Schmerz und
das Leid, der oft unschuldigen El- ternteilen durch den Verlust des Kindes zugefügt wird. Vielleicht bietet sich als automatisches Re- gelsystem an, daß das nicht uner- hebliche Honorar für ein psycho- logisches Gutachten erst dann fäl- lig wird, wenn die Empfehlungen an das Gericht so gut waren, daß der Kontakt über längere Zeit, z. B. fünf Jahre in der vereinbar- ten Form nicht abreißt.
Nur auf diese Weise läßt sich die Willkür solcher Gutachten weitge- hend ausschließen.
Dr. rer. nat. Gerhard Kruse Hans-Sailer-Straße 27 8011 Neukeferloh
Es ist ein gut gefügter Zufall, daß dem Beitrag von Lempp der Auf- satz von Jan Murken über Gregor Mendel unmittelbar folgt. Denn in der deutschen Rechtsprechung zum Kindeswohl wird eine Ten- denz deutlich, die in fataler Weise an den „Mendel-Lyssenko-Streit"
in kommunistischen Ländern während der Stalin-Ära erinnert.
Professor Lempp macht — wie vor ihm schon andere Autoren — deut- lich, daß sich die medizinisch-wis- senschaftlichen Erkenntnisse zum Begriff des Kindeswohls in zerbrochenen Ehen immer mehr von den vorwissenschaftlichen Prämissen entfernen, unter denen der Gesetzgeber Ende der siebzi- ger Jahre das Scheidungsfolgen- recht reformiert hat und auf de- nen — zum Teil über den Willen
des Gesetzgebers hinaus — in der Bundesrepublik ganz verbreitet die Rechtsprechung beruht.
Damit aber machen die deutschen Familienrichter eine inzwischen längst als falsch erkannte Lehr- meinung zur herrschenden — zum Teil durch hohe Gerichtsinstan- zen abgesicherten — Staatsdok- trin, zu einem Recht wider besse- re Erkenntnis, die mit den Macht- mitteln des Staatsapparats durch- gesetzt wird und der die Betroffe- nen ohnmächtig gegenüberste- hen.
Dr. phil. Christian Ullmann Schieggstraße 12 c 8000 München 71
Schlußwort
Den beiden Leserbriefen, die ja tendenziell meinem Beitrag zu- stimmen, müssen, um undifferen- zierte Aussagen zu vermeiden, folgende kurze Erwiderungen an- gefügt werden:
Durch die letzten Gesetzesände- rungen sind auch im Bereich der Rechtsprechung der Familien- richter Fortschritte zu verzeich- nen. Es wird dort den Erkenntnis- sen der Humanwissenschaften zu- nehmend Rechnung getragen.
Unter den Kriterien, welchem El- ternteil das Recht der elterlichen Sorge übertragen werden soll, wird auch durchaus berücksich- tigt, welcher Elternteil eher Ge- währ bietet, daß der Kontakt zum nichtsorgeberechtigten Elternteil aufrechterhalten bleibt. Aller- dings kann dieses Kriterium ge- genüber der Bindung des Kindes und seiner emotionalen Tendenz zu einem Elternteil nicht vorran- gig sein.
Professor Dr. Reinhart Lempp Ärztlicher Direktor der
Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie Osianderstraße 14 7400 Tübingen
Ärztliche Aufgaben
gegenüber Kindern und Eltern bei Ehescheidung
Zu dem Beitrag von Professor Dr. med. Reinhart Lempp in Heft 1/2, 1984
Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 11 vom 16. März 1984 (111) 819