Kollaboration mit der WHO
Zehn Jahre Institut für
Gesundheits-System-Forschung
DEUTSCHES
ÄRZTEBLATT
TAGUNGSBERICHT
G
roße Hoffnungen setzt das Regionalbüro der Weltge- sundheitsorganisation (WHO) in die von ihr pro- pagierte „europäische Strategie Ge- sundheit für alle". Der Direktor des europäischen Büros in Kopenhagen, Dr. Jo Eirik Asvall, glaubt, in den 32 europäischen Mitgliedsländern inzwischen auf Akzeptanz gestoßen zu sein. Asvall gründet seinen Opti- mismus vor allem auf die modifizier- te Strategie seiner eigenen Organisa- tion: man ist weg vom allgemeinen Ziel „Gesundheit für alle bis zum Jahre 2000", sondern hat für die eu- ropäische Region 38 Einzelziele de- finiert. Darunter sind 65 Gesund- heitsindikatoren aufgeführt, deren Stand periodisch kontrolliert werden kann. Jene europäische Strategie richtet sich, laut Asvall:• auf die gegenseitige Abhän- gigkeit von Gesundheit und Lebens- stil. Falsche Lebensweisen (Alko- hol, Rauchen, Überernährung, Be- wegungsmangel, Streß) seien Ursa- chen von Herzerkrankungen, Krebs, Unfällen und psychischen Proble- men. Den falschen Lebensweisen gelte es vorzubeugen.
• auf die Reduktion von Risi- kofaktoren aus der Umwelt. Dabei trete gleichgewichtig neben den Kampf gegen Schadstoffe die Ver- wirklichung gesundheitsbedingter Forderungen an Stadtplanung, Hausbau oder Freizeiteinrichtun- gen.
• auf die Änderung von Ein- richtungen und Dienstleistungen des Gesundheitswesens. Dabei gehe es zum einen darum, vor ihrer Einfüh- rung die wirkliche Bedeutung neuer Medizintechnologien für die Ge- sundheit zu erkennen. Zum anderen müsse, was allgemein als notwendig erkannt sei, die primäre Gesund- heitsversorgung zum Beispiel durch Hausärzte gestärkt werden, um so auch die wachsende Zahl älterer Menschen besser zu versorgen und eine enge Zusammenarbeit zwischen den Gesundheitsberufen und der Bevölkerung zu erreichen.
Asvall sprach auf einer Veran- staltung des Instituts für Gesund- heits-System-Forschung im Februar in Kiel; das Institut ist Collaboration Center der WHO für Forschung im
öffentlichen Gesundheitswesen. Be- merkenswert an den optimistischen (siehe oben), aber auch selbstkriti- schen („Gesundheit für alle — ist das nicht eine verrückte Idee?") Aus- führungen des WHO-Direktors wa- ren die lobenden und werbenden Worte, die Asvall an die Ärzteorga- nisation richtete. Gerade auch die deutschen Ärzteorganisationen hat- ten das frühere, ins Utopische ge- hende WHO-Programm der „Ge- sundheit 2000" kritisiert. Asvall glaubt dank der konkreteren Ziel- setzung und dank einer beruhigen- den Konferenz mit den Ärzteorgani- sationen im Oktober 1986 in Wien seien die Beziehungen zwischen Re-
gionalbüro und Ärzteschaft merk- lich verbessert worden. Dr. Asvall anerkannte bei der Kieler Veranstal- tung mehrfach den Pluralismus im Gesundheitswesen der Bundesrepu- blik Deutschland. Das ist besonders bemerkenswert, weil die WHO an- sonsten stark von ein planbares, staatlich gelenktes Gesundheitswe- sen setzt. Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang daran, daß zur Re- gion Europa der WHO auch die Ost- blockländer gehören. Asvall, der aus Norwegen stammt und beruflich vom öffentlichen Gesundheitswesen geprägt ist, schien anfangs ebenfalls eher den Vorstellungen von einem zentral geplanten Gesundheitswesen zuzuneigen. In seinem Kieler Vor- trag blieben davon, bezogen auch auf die Bundesrepublik Deutsch- land, lediglich die unverkennbar ho- hen Erwartungen an den öffent- lichen Gesundheitsdienst.
Das Institut für Gesundheits-Sy- stem-Forschung, das von Professor Dr. med. Fritz Beske, früher Staats- sekretär im schleswig-holsteinischen Sozialministerium, vor rund zehn Jahren gegründet wurde und bis
heute geleitet wird, betreibt Auf- tragsforschung. Es dürfte in der Bundesrepublik das einzige Gesund- heitsforschungs-Institut sein, das sich privat finanziert und sich aus- schließlich auf dem freien Markt be- wegt. Die Arbeit der vergangenen Jahre, geleistet für öffentliche und private Auftraggeber, hat sich in 29 Buch- und Broschüren-Veröffentli- chungen sowie einer kaum noch er- faßbaren Zahl von Aufsätzen nie- dergeschlagen.
Beske sieht die Arbeitsschwer- punkte der nächsten Jahre auf sie- ben Gebiete:
O Die Erarbeitung von Szena- rien, in denen sich das Gesundheits- system langfristig entwickeln wird.
O Strukturfragen der gesetzli- chen Krankenversicherung.
• Arzneimittelepidemiologie.
(Beske: „Unser Thema sind Kosten- Nutzen-Analysen und Kosten-Wirk- samkeits-Analysen von Arzneimit- teln, wobei zunächst die Erarbeitung einer wissenschaftlich einwandfreien Methodik im Vordergrund unseres Interesses steht. Daneben entwik- keln wir mit dem Bundesgesund- heitsamt ein neues Verfahren zur Erfassung unerwünschter Arznei- mittelnebenwirkungen in der ambu- lanten ärztlichen Praxis" .)
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Kosten-Wirksamkeits-Ana- lysen sind auch für andere Bereiche des Gesundheitswesens erforderlich.Das Hauptinteresse liegt im Kran- kenhausbereich. Laut Beske will das Institut „Transparenz im Kranken- hausgeschehen" ermitteln.
O Berichterstattung im Ge- sundheitswesen auch im Hinblick auf die Verpflichtungen der Bundes- republik zur Weitergabe von Daten zum Beispiel an die Weltgesund- heitsorganisation.
O Internationale Tagungen, vor allem zusammen mit dem Euro- päischen Büro der Weltgesundheits- organisation.
o Qualitätssicherung und be- sonders Qualitätssicherung im Kran- kenhaus sei von zunehmender Be- deutung. Das Institut arbeitet hier mit der Gesellschaft für Systemfor- schung und Dienstleistungen im Ge- sundheitswesen Berlin zusammen, Ziel: eine staatsfreie Form der Qua- litätssicherung im Krankenhaus. NJ Dt. Ärztebl. 84, Heft 10, 5. März 1987 (21) A-545