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Archiv "Von einem, der auszog, sich mit dem Tod anzulegen" (10.10.1991)

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DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT

KULTURNOTIZEN

önnen Sie etwas über die 11.Anfänge Ihrer Maschinen er- zählen?

Natürlich. Zunächst malte ich, normales Verhalten. Dann geriet ich mit meiner Malerei in eine Sackgasse. Ich konnte nicht mehr aussteigen, weil ich nie wußte, wann ein Bild fertig war, egal ob es einen surrealen oder einen expressiven Charak- ter hatte. Da ich die Bilder an- fangs nicht verkaufen konnte, hatte ich auch keinen formalen Grund, mit dem Malen aufzu- hören. Zudem ist das Verkau- fen eines Bildes auch eine Form des Zerstörens eines Bil- des. Bei mir ging das Bild durch ständiges Herummalen immer wieder kaputt. Das war keine Lösung, das war zu autode- struktiv. Und dann gab es einen Wegweiser, nämlich Alexander Calder, der amerikanische Bildhauer, der mit Bewegung hantierte. Und plötzlich war diese Öffnung da, und ich ging diesen Weg, weil ich entdeckte, daß ich mit Bewegung etwas er- reichen kann, etwas, das sich permanent erneuert, insofern eine Bewegung eine andere auslöst. Ein größeres kann ein kleineres Rad beschleunigen und ein größeres ein kleineres verlangsamen. Es gibt so etwas wie eine Verteilung von Bewe- gungsmöglichkeiten.

Ihre Skulpturen verkörpern an Motoren angeschlossene To- tenschädel, eingebaut in aus ro- stigem Fundeisen gebauten Ge- stellen. Sind die Maschine und der Tod Ihr Thema?

Ich kann viel dazu sagen.

Wichtig ist mir, daß meine Skulpturen demokratisch sind, zudem fundamental wirken.

Mein „Basler Brunnen" mit den zehn Maschinen liefert ein gutes Beispiel. Da habe ich ein Maximum an Nicht-Skulptur, an Nicht-Monumentalität er- reicht. Mir ist wichtig, daß ich da ein klares Beispiel von einer starken, kräftigen, eindringli- chen, kinderleichten und un- scharf arbeitenden Bewegungs- plastik liefere, bei allem, was da problematisch ist.

Sie vermeiden als Künstler Themen mit Jetztzeitbezug?

Programmatisches wie bei Beuys lehne ich für mich ab, obgleich ich sein Werk schätze.

Warum greifen Sie für Ihre Skulpturen vor allem zu Tier- schädeln?

Mit Menschenschädeln bin ich sehr vorsichtig. In meinem Werk „Quelle des Todes", das Hans Mayer in seinen Galerie- räumen im Düsseldorfer Hafen ausstellt, habe ich einen einge- setzt, aber der befindet sich in dieser künstlichen Atmosphäre mit fließendem Wasser und den bunten Lampen. Das ist bewußt kitschig. Tierschädel sind mir lieber, vor allem ganz bestimmte. Als ich mir vor kur- zem in Glaskow in einem Mu- seum ein gigantisches Arsenal an gesammelten Tierschädeln anschaute, spürte ich, wie ich

mich von bestimmten angezo- gen, von anderen abgestoßen fühlte. Also es fällt mir auf, daß ich Tierschädel bevorzuge, aber warum, kann ich nicht sa- gen.

Geht es Ihnen um die Aus- oder die Eintreibung des Schrek- kens?

Es ist der Tod, aber der soll nicht direkt wirken. Das heißt, er soll nicht nur auf den Men- schen bezogen sein.

Der Tod verliert bei Ihnen an Ernsthaftigkeit. Es scheint, als wollten Sie sich mit ihm anlegen.

Ziehen Sie da nicht naturgemäß den Kürzeren?

Es ist meine Revolte, mag sie auch absurd sein.

Die gleichzeitige Verwendung von rostigem Eisen, also von ster- bendem, sich auflösendem Mate- rial und Schädeln ist sicherlich kein Zufall, eher Notwendigkeit, um etwas über die Ästhetik der Agonie auszusagen?

Das geht zusammen, ja.

Bei Ihrer Arbeit „La Fontaine de la Mori", also „Quelle des To- des", die den Kitsch als Entlar- vungsverstärker einführt, kulmi- nieren Eisen und Totenschädel in eine Harmonie, die zwischen Organischem und Unorgani- schem vermittelt, als gäbe es da gar keinen Unterschied.

Wobei die Indienstnahme von Kitsch ebenso nötig ist wie dessen Beziehung zum schwar-

zen Humor. Aber die Bewe- gung ist da nicht sehr humori- stisch, dafür ist das Wasser da, das vor sich hinplätschert. Die Zusatzkomik rührt von der bunten Beleuchtung her. Ei- genartig ist auch die Atmo- sphäre, die sich aus der Mi- schung von Pflanzen und Schä- deln zusammensetzt. Mit dem Menschenschädel, dem einzi- gen, den ich hier verwende, verbindet sich eine Geschichte.

Er, der von einer Insel, auf der Menschenfresser hausten, stammt, hing fünfzig Jahre in einem Basler Kaffeehaus. Die

Finsternis dieses Schädels hebt sich dort auf, wo sie mit flie- ßendem Wasser zusammen- trifft. Die Tragik des Todes löst sich in Luft auf.

Beim Sehen der Skulpturen stellt sich der Eindruck ein, daß Sie mittels der klappernden Ma- schinen gegen die Ewigkeit des Todes aufbegehren. Der Tod soll wohl, mit den allerletzten Mitteln, zum Leben gezwungen werden.

Besteht darin die Skurrilität der Skulpturen?

Das kommt dem entgegen, was die Mexikaner machen.

Die beschäftigen sich mit Tod, um ihn zu bekämpfen, um ihn lächerlich zu machen. Was mir im Moment wichtig ist, ist das Zusammenwirken mit Milena Palakarkina, mit der ich seit einiger Zeit zusammenarbeite.

Sie ist für mich der Ausdruck von Gesundsein. Daran habe ich Freude. Sich an ihrer Male- rei zu messen, indem ich mich ihr als Bildhauer stelle, verän- dert auch den Blickwinkel auf meine Arbeit.

Bei der Bulgarin Milena Pa- lakarkina verbreitet der auf Klar- heit setzende Realismus die At- mosphäre des Ungeheuren. Es ist grell, finster und kalt. Oft gibt ein

Giftgrün neben einem Blutrot oder einem kalten Gelb den Ton an. Körperlichkeit ist Thema.

Augen starren uns an. Kahle Köpfe, frostige Räume. Hier und

da ragen Kreuze aus dem Durch- einander der ineinander Ver- strickten. An christliche Mytholo- gie wird erinnert. Leiber schieben sich in- und übereinander. Blut quillt aus Mündern und anderen Körperöffnungen, das ewige Mar- tyrium der Körper. Thematisch schließen sich Malerei und Skulptur kurz. Was reizte Sie grundsätzlich an dieser direkten Form der Zusammenarbeit?

Ich habe, was andere nie machen, oft mit anderen Künstlern zusammengearbei- tet, zum Beispiel mit Yves Klein. Wir wollten das weiter ausbauen, aber dann ist er ge- storben, was ziemlich blöd von ihm ist. Es beleidigt immer den, der zurückbleibt, wenn der an- dere stirbt.

Kennen Sie keine Konkur- renzgefühle gegenüber anderen Kollegen?

Ich liebe Künstler, ich kann ohne sie nicht leben.

In Ihrer großen Pariser Aus- stellung im Centre Pompidou, wo vor allem Kinder sich vor Sehlust an dem Geschepper der schlei- fenden Totenschädel weideten, welche Rolle spielte da die Ver- dunkelung der Räume?

Sie entmaterialisiert das Material und kehrt die Werke ins Phantastische. Zudem fällt es schwerer, das Material zu identifizieren, weil es sehr leicht mit Schatten verwechselt werden kann. Licht hebt die von mir beabsichtigte Wirkung der Skulpturen auf.

Zurück zum Thema des To- des. Sie beleben ihn; was ein Wi- derspruch an sich ist.

Der Tod ist das Antileben.

Er gehört zum Leben, und die Bewegung, die die Motoren auslösen, ist das Symbol des Lebens. Ein in Bewegung ver- setzter Totenschädel ist mir lie- ber als ein Schädel, der dem Licht in der Wüste ausgesetzt ist. Die Darstellung des Todes braucht das Burleske, das Lä- cherliche und das Unvernünfti- ge. Der Schädel hat die Funkti- on, bewegt zu werden. Den Menschenschädel dagegen set- ze ich nicht in Bewegung, nur das Wasser spritzt aus ihm her- aus.

Das Prinzip Präzision liegt Ih- nen am Herzen?

Um etwas lächerlich zu ma- chen, ist die Präzision Voraus- setzung, wegen der Effizienz der Effekte, wobei meine Be-

Von einem, der auszog,

sich mit dem Tod anzulegen

Gespräch mit dem Schweizer Klassiker Jean Tinguely t

Dt. Ärztebl. 88, Heft 41, 10. Oktober 1991 (93) A-3441

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Am 30. August ist der Schweizer Ob- jektemacher Jean Tinguely in Bem gestorben; wir brin- gen zu seinem Tod einen Auszug aus einem Gespräch, das Heinz-Norbert Jocks vor drei Mo- naten mit dem Künstler geführt hat

Foto: Heinz-Norbert Jocks sessenheit, der Bewegung ge-

genüber, sehr stark ist. Drum benutze ich modernste Tech- nik, um schlechteste Wirkung zu erzielen.

In dem Sinne, daß sie keine reibungslose, sondern reibungs- volle Bewegungen auch hörbar machen wollen?

So, ja.

Die Lust am Gespenstischen ist bei Ihnen buchstäblich hör- bar.

Mein Makabrismus ist ein Muß.

Gleichzeitig geht es Ihnen um so etwas wie Todesaustreibung?

Ja wunderbar, das gefällt mir.

Was lesen Sie?

Zur Zeit lese ich den Brief- wechsel zwischen Dubzek und Havel. Diese Briefe sind über- wältigend, zumal sie zu einer Zeit der Hoffnungslosigkeit, der stalinistischen Schlechtig- keit geschrieben wurden. Kein Mensch konnte sich vorstellen, daß den Kommunisten die Bu- de zusammenkrachen würde.

Der Havel ist großartig. Ge- messen an diesen hochintelli- genten Sachen, die er sagt, kann ich meine eigene Dumm- heit messen.

Und genießen?

Ja, weil ich sie kultivieren will. Ich möchte frisch aufste- hen, ich möchte nicht denken.

Ich existiere wie eine Kartoffel, bin einfach nicht da. Ich bin nix. Am Abend. Ich bin tot.

Und am Morgen bin ich wieder von neuem fähig, loszulegen.

Auf den Morgen, in den ich so reinsteige, freue ich mich. Ich bin tapfer, ich habe keine Angst, weil ich keine Angst vor dem Raum habe. Ich steige in den Tag, ohne Anstrengung.

Mein Arbeitssystem ist einfach:

Assemblage und Collage. Ich arbeite ja vor allem mit „objets trouves", wie Marcel Du- champ.

Sie kommen vom Dadaismus her?

Ja, Richard Hülsenbeck, Max Ernst oder Hans Arp, die haben sich alle mit mir vor drei- ßig Jahren befreundet und sind alle zu meinen Ausstellungen gekommen. Ich habe bei Hül- senbeck gewohnt, als er 1960 in New York war. Profitiert habe ich von meinen Begegnungen mit den alten Dadaisten.

Warum?

Weil der Dadaismus eine

hoffnungsvolle Sache war. Da war der große, der schrecklich dumme Krieg, wo sich beide Seiten ihre Jugend kaputt- schossen. Millionen von jungen Leuten wurden einfach ins Grab gehetzt, in die Qualen ge- jagt. Es war schrecklich, eine Todesmühle. Mitten in diesem Schrecken entstand der Dada- ismus mit Hugo Ball und Tzara in Zürich, von daher gesehen ist der Dadaismus heilig, weil er eine Friedensbewegung war, weil er eine Weigerung war, das Etablierte hinzunehmen.

Diese Antihaltung war und ist mir wichtig. Während des Zweiten Weltkrieges zog eine große Scheiße über Europa, der Kommunismus, dann der Stalinismus und schließlich der Faschismus in Italien, der Francoismus in Spanien oder der Hitlerismus in Deutsch- land. In diesem Weltmist war Dada ein Lichtblick, ein Hoff- nungsschimmer für mich.

Mir fällt eine Parallele zu Dali ein, bei dem ja Holzkrücken die Schubladenfiguren halten, und bei Ihnen ist es Eisen, dem eine Trägerfunktion zukommt.

Dali hat mit mir nichts zu tun. Ich mag Dali als Person, weil seine Fantasie so großartig war. Er marschierte in seinem Kopf. Haben Sie seine Auto- biographie gelesen? Ich nicht.

Es muß ein tolles Buch sein.

Dali, nee. Dem eilten die Be- schimpfungen von Andre Bre-

ton voraus, was mich blockier- te. Ohne Duchamp hätte ich nie mit Dali verkehrt. Erst, als er kam und Dali, humanistisch, wie er war, als großen Künstler und wunderbaren Menschen würdigte, verloren sich meine Aversionen. Was die künstleri- sche Seite angeht, waren mir Geister wie Kurt Schwitters wichtiger als Dali. Bauhaus, die Russischen Konstruktivisten oder Malewitsch waren mir nä- her. Dali war für mich zu ver- flügelt, und diese weichen Uh- ren waren zwar wunderbar, klar, aber dabei blieb es dann.

Wann begegneten Sie Du- champ zum ersten Mal?

Lange bevor ich ihn kann- te, bin ich seinen Werken be- gegnet. Getroffen habe ich ihn dann 1958 auf einem Boule- vard in Paris. Er aß gerade sein Eisbein, als ich an ihm vorbeiging. Als ich ihn sah, bremste ich ab und sagte:

„Guten Tag, lieber Meister", und er: „Bonjour Tinguely, komm, Jean, setz dich hin."

Er kannte mich also schon.

Duchamp war ein künstlerlie- bender Künstler, eine Eigen- schaft, die ich von ihm geerbt habe. Ich habe es nicht nötig, andere Künstler zu hassen.

Bin ich eifersüchtig, dann be- wundere ich sie eher.

Was halten Sie von Du- champ?

Er ist von derart komplizier- ten Kunsthistorikern umgeben,

daß ich diese Deutungen mied.

Er war ein feiner Kerl, der et- was gemacht hat, was ganz ein- fach war. Wenn man mit ihm darüber sprach, sagte er: „Es ist ganz einfach, viel unreflek- tierter, als andere annehmen."

Während er das formulierte, stopfte er seine Pfeife. Er war nie prätentiös, hat nie angege- ben. Damals gab es keine Fern- sehsendungen über Künstler, damals war gar nichts los. Es gab einen kleinen Artikel in der Zeitung, das war alles recht bescheiden. Die Medien waren nicht wie heute in Aktion.

Sie verwenden Materialien, die peripher sind?

Ja, wertlosen Plunder. Oh- ne Bewegung ist er nichts. Neh- men Sie den Motor weg, dann können Sie alles wegwerfen.

Das Lächerliche, das Unnütze, das Unwichtige, das Nicht-zu- Ernst-Nehmende, das ist mir an den Materialien wichtig. Je verlotterter das Material, um so größer ist die Freude. Lieb wä- re es mir, wenn meine Maschi- nen eines Tages zusammenbre- chen würden. Leider fertige ich sie so an, daß der Wunsch nicht in Erfüllung gehen kann. Die Motoren sind gut. Sie arbeiten fast nicht, verglichen mit dem, was die in der Industrie Einge- setzten leisten müssen, haben wir es hier mit einem Freizeit- betrieb zu tun. Sie drehen sich ein bißchen, und schon ge- schieht was. Aber was ge- schieht, ist ja immer nur nichts.

Sind Sie ein unverbesserlicher Komiker, der Unnützliches nütz- lich macht?

Ob es nützlich ist, weiß ich nicht. Das müßte untersucht werden. Wenn es nützlich ist, dann nur seelisch nützlich. Es produziert nichts, also nützlich ist es nicht. Wenn es Poesie ist, ist es Poesie. Ist Eisen ein Stück des Lebens, ist es sicher- lich poetisch. Aber es kann nur poetisch in den Köpfen der Be- trachter sein.

Und was ist Ihre Kunst für Sie?

Für mich ist sie poetisch.

Meine Zeugen sind die Kinder, deren offene Reaktionen, denn sie haben noch die ersten Ge- fühle. Bei den Erwachsenen bist du nie sicher, ob sie mei- nen, was sie sagen.

(Das Gespräch mit Jean Tin- guely führte Heinz-Norbert Jocks)

A-3442 (94) Dt. Ärztebl. 88, Heft 41, 10. Oktober 1991

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