Rund 300 Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik hatte das GMD-For- schungszentrum Informati- onstechnik GmbH Ende Sep- tember zu einer Fachtagung in das Schloß Birlinghoven eingeladen. Zwei Tage lang diskutierten die Teilnehmer über die zunehmende Bedeu- tung der Informationstechnik für die naturwissenschaftli- chen Disziplinen, vor allem für die Medizin.
Prof. Dr. Jens Reich vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin, Berlin- Buch, sah in seinem Gastvor- trag eine Informationslawine heranrollen, die durch die Entschlüsselung des mensch- lichen Genoms ausgelöst würde: „Das humane Genom ist so schlampig organisiert und enthält so viel krauses Zeug, daß es schwerfällt, die wichtige Information heraus- zufiltern.“ Erst mit moderner Datenverarbeitung ließe sich die Informationsflut beherr- schen. Für Prof. Dr. Jean- Raoul Scherrer von der Uni- versitätsklinik Genf ist der Patient die unerschöpfliche Quelle für Informationen.
Die Menge der Daten ei- nes Patienten, die aufgenom- men werden, wachse ständig.
Für Scherrer stellt sich die Frage, wie sich diese Daten sinnvoll darstellen lassen, um dem Arzt die Entscheidungs- findung zu erleichtern. Doch bei dem Stichwort Telemedi- zin klinge noch vieles nach Zukunftsmusik, und der Ne- bel um die Kommunikations- werkzeuge müsse sich noch lichten.
Wer sich die Präsentation von mehr als 20 Projekten zu diesem Thema ansah, bekam einen Vorgeschmack davon, wie die Informations- und Kommunikationstechnik in den kommenden Jahren die Medizin verändern kann.
Im „Behandlungsraum der Zukunft“ wird die gan- ze Multimedia-Palette einge-
setzt, um Arzt und Patient während der Behandlung zu unterstützen. Der Behand- lungsraum wird zu einer Büh- ne, deren Wände als riesige Anzeigetafel dienen. Daten- projektoren erzeugen Wand- bilder, die die Kommunikati- on zwischen Arzt und Patient unterstützen sollen: die wich- tigen Fakten aus der Patien- tenakte, Bildaufnahmen von Röntgen- und Ultraschallun- tersuchungen zusammen mit erläuternden, dreidimensio- nalen Modellen.
Trotz aller High-Tech soll bei diesem Szenario der Pati- ent den Mittelpunkt des Ge- schehens bilden. Der Raum wird als erweiterte Realität betrachtet, die der Kommu- nikation dient. Der Arzt er- hält die notwendigen Hinter- grundinformationen für die Diagnose, gleichzeitig helfen die Bilder, den Patienten auf- zuklären.
Das ganze System soll mit Online-Diensten in Verbin- dung stehen, über die zusätz- liche Informationen abgeru- fen oder über die zur Tele- konsultation weitere Ärzte hinzugeschaltet werden kön- nen. Der Behandlungsraum der Zukunft zeigt eine Reihe
von Perspektiven, die die Zu- sammenarbeit von Arzt und Patient durch die neuen In- formationstechniken erleich- tern könnten.
Wie das Puzzlespiel aus- sieht, aus dem sich der Be- handlungsraum der Zukunft zusammensetzen läßt, zeigen weitere GMD-Projekte. Mit CardiAssist, das die Europäi- sche Gemeinschaft im Rah- men des Programms Gesund- heitstelematik fördert, ent- wickelt die GMD, zusam- men mit verschiedenen For- schungspartnern, ein Unter- stützungssystem für die kar- diologische Diagnose und Te- lekooperation.
Simulation für die Fortbildung
Um die Orientierung in der Echokardiographie zu er- leichtern, soll das dreidi- mensionale Ultraschallsystem von CardiAssist Bilder lie- fern, die der Computer in ein grafisches Herzmodell um- setzt. Der Betrachter kann das farbige Herzmodell von allen Seiten anschauen, näher herangehen, Teile transpa-
rent machen oder wegblen- den und dann das Innere er- forschen. Weitere Projekte in diesem Bereich befassen sich mit interaktiven Simulations- systemen. EchoSim ermög- licht virtuelle Ultraschallun- tersuchungen. An einem Mo- dellkörper kann die räumli- che Positionierung des Ultra- schallkopfes trainiert wer- den. Der Computer simuliert dabei die Schallschnittebe- nen im dreidimensionalen, animierten Herzmodell. Ein anderes System, CardiACE, verbildlicht die Wirkungswei- se von Herz-Kreislauf-Medi- kamenten mit Hilfe des Herz- modells. Erste Anwendun- gen dieser Systeme zielen auf den Lehr- und Fortbildungs- bereich sowie die Patien- teninformation.
Grafische Modelle wer- den für die Telediagnose, Operationsplanung und Tele- konsultation an Bedeutung gewinnen. Als Highlight der grafischen Darstellung prä- sentierte die GMD erstmals die sogenannte „Cave“. Auf einer Grundfläche von drei mal drei Metern erzeugen Grafik-Hochleistungsrechner über Stereoprojektionen auf Boden und Wänden einen virtuellen Raum. Mit 3-D- Brille, 3-D-Pointer und 3-D- Joystick bewaffnet, wird der Betrachter zum aktiven Teil- nehmer der Szene, und die Reise durch den virtuellen Raum kann beginnen. Bei vi- brierendem Akustikboden und Vier-Kanal-Raumklang wird die Illusion perfekt. Per Laserstrahl klickt sich der vir- tuell Reisende in den OP 2000, die virtuelle Bühne ei- nes Operationssaales. Rund um den OP-Tisch kann der Benutzer Geräte handhaben.
Zusammen mit dem virtuel- len Patienten könnte die „Ca- ve“ später einmal die Ausbil- dung unterstützen, die Pla- nung von chirurgischen Ein- griffen erleichtern oder di- rekt eine Operation unter- stützen.
Was heute noch eine Spielwiese für Computer- freaks ist, scheint morgen schon „virtuelle Realität“ zu sein. Dr. rer. nat. Lisa Kempe A-179 Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 4, 24. Januar 1997 (55)
V A R I A TECHNIK FÜR DEN ARZT
Informationstechnik zeigt Medizin von morgen
Archivierung digital
Carl Zeiss bietet den Au- genärzten noch bessere Mög- lichkeiten der Befunddoku- mentation bei Untersuchun- gen des Augenhintergrundes an. Das gelingt mit dem digi- talen Bildarchivierungssy- stem BAS 320 in Verbindung mit der Funduskamera RC 310. Während mit der Funduskamera allein die tra- ditionelle Fotografie mit Bildwinkeln von 600, 400, und 200 Grad möglich ist, können nun mit dem System BAS 320 die aufgenommenen Bilder sofort betrachtet, be- wertet und archiviert wer- den. Hersteller: Carl Zeiss, 07740 Jena
Dr. med. Heinz Orbach Digitales Bildarchivierungssystem Werkfoto