Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 111|
Heft 25|
20. Juni 2014 A 1145 sein könnte. Basiskohorte ist die ab1986 laufende Health Professio- nal’s Follow-up Study mit 51 529 Männern (40–75 Jahre). Für die pri- märe Analyse wurden die Daten von 25 848 Männern (durchschnitt- lich 64,8 Jahre) ausgewertet. Sie durften zum Zeitpunkt der Befra- gung im Jahr 2000 keine Maligno- me haben. Gefragt wurde, ob sie aktuell Sildenafil einnahmen oder in der Vergangenheit angewandt hatten. Dies bestätigten 6,3 %. Im weiteren Verlauf wurde jährlich nach Tumordiagnosen gefragt.
Im Verlauf von 10 Jahren traten 142 Melanome auf, 580 Plattenepi- thel- und 3 030 Basalzellkarzino- me. Die Sildenafil-Einnahme (zu ir- gendeinem Zeitpunkt) war mit ei- nem erhöhten Melanomrisiko asso- ziiert (nach Multivariaten-Analyse
adjustierte Hazard Ratio [HR] 1,92;
95-%-Konfidenzintervall [KI]
1,14–3,22), nicht aber mit einem er- höhten Risiko für Plattenepithelkar- zinome (HR 0,84; 95-%-KI 0,59–1,20) oder für Basaliome (HR 1,08; 95-%-KI 0,93–1,25). Blieben Patienten mit schweren chroni- schen Erkrankungen unberücksich- tigt, betrug die HR für eine Mela- nomdiagnose bei Sildenafil-An- wendern 2,77 (95-%-KI 1,32–5,85) im Vergleich zu Nicht-Anwendern.
Fazit: Die Anwendung von Sildena- fil ist mit einem erhöhten Mela- nomrisiko assoziiert. Aus der Ko- hortenstudie lässt sich allerdings die Frage nach einem kausalen Zu- sammenhang nicht beantworten.
Außerdem basierten Analysen zur Fragestellung auf Selbstauskünften,
die ungenau sein können. „Auch wenn die Analyse auf der Basis von 142 Melanomen nicht ausreicht, um generelle Schlussfolgerungen auf die Verwendung von Sildenafil zu ziehen, sollte der Verdacht bei einer Verordnung von Lifestyle-Medika- menten Anlass sein, Patienten zu informieren und auf regelmäßige dermatologische Untersuchungen hinzuweisen“, kommentiert Prof.
Dr. med. Thomas Otto, Chefarzt der Urologischen Klinik am Lukas- krankenhaus in Neuss. „Auch legt die Studie nahe, dass es sich um ein Substanzklassenproblem von PDE- 5-Hemmern handeln könnte.“
Dr. rer. nat. Nicola Siegmund-Schultze
Li WQ, Qureshi AA, Robinson KC, Han J:
Sildenafil use and increased risk of incident melanoma in US men: A prospective cohort study, JAMA Intern Med 2014, 174: 964–70.
Multiple endokrine Neoplasien vom Typ 2 (MEN2) sind seltene, autosomal dominant vererbte Syn- drome, zu deren Merkmalen ein ho- hes Risiko für medulläre Schilddrü- senkarzinome und Phäochromozy- tome zählen. Gentests ermöglichen bei Hochrisiko-Konstellationen die lebensrettende prophylaktische Thyreoidektomie. Auch zur Phäo- chromozytom-Prophylaxe werden häufig noch beide Nebennieren ent- fernt. Aber es gibt inzwischen or- gansparende, teilweise auch endo- skopische Operationsmethoden, von deren Zuverlässigkeit viele On- kologen überzeugt sind. Da bei die- sem seltenen Krankheitsbild rando-
misierte Studien kaum zu realisie- ren sind, wurden in einer weltwei- ten retrospektiven Untersuchung an 30 universitären Zentren die Daten von 1 210 Patienten mit MEN Typ 2 gesammelt, von denen 563 ein Phäochromozytom aufge- wiesen hatten. Bei 79 % der 552 Pa- tienten, die deswegen operiert wur- den, wurde komplett adrenalekto- miert, bei den übrigen eine organ- sparende Methodik angewendet.
In vier von 153 organsparend operierten Nebennieren (3 %) wur- de im Verlauf von 6–13 Jahren ein Rezidiv gefunden, ebenso in 11 von 717 radikal operierten Organen (2 %); der Unterschied war nicht
signifikant (p = 0,57). Dafür litten 292 von 339 Patienten mit bilatera- lem Phäochromozytom, die kon- ventionell operiert worden waren (86 %), postoperativ an einer Ne- benniereninsuffizienz oder einer Steroidabhängigkeit, aber nur 35 von 82 Patienten (43 %), die wegen ebenfalls bilateraler Tumoren or- gansparend operiert worden waren.
Fazit: Obwohl die bekannten Ad- dison-artigen Komplikationen fast unausweichlich sind und eine le- benslange Steroidsubstitution erfor- dern, werden in vielen Zentren beidseitig die Nebennieren entfernt, wenn Patienten mit MEN vom Typ 2 ein Phäochromozytom entwi- ckeln. Das Ergebnis der aktuellen großen Fallserie ist, dass organspa- rende Operationen durch erfahrene Chirurgen erfolgreich und sicher sind und vielen Patienten die endo- krinen Komplikationen der radika- len Operation ersparen könnten. Sie sollten deshalb die Methode der Wahl sein, wenn Lage und Größe des Tumors es gestatten. Josef Gulden
Castinetti F, et al.: Outcomes of adrenal- sparing surgery or total adrenalectomy in phaeochromocytoma associated with multiple endocrine neoplasia type 2: an international retrospective population-based study. Lancet Oncol 2014; 15: 648–55.
PHÄOCHROMOZYTOM
Die Neoplasie sollte organsparend operiert werden
GRAFIK
Krankheitsfreies Überleben von Patienten mit Phäochromozytom nach organsparender Tumorresektion und kompletter Adrenalektomie (p = 0,27)
100 90 20 10 0
0 5 10 15 20 25 30 Ereignisfreies Überleben der Patienten (in %)
Follow-up nach Operation (in Jahre) Organsparende Tumorresektion komplette Adrenalektomie
modifiziert nach: Lancet Oncol 2014; 15: 648–55.