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Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland

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VG München, Urteil v. 08.05.2018 – M 4 K 17.4371 Titel:

Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland Normenketten:

FreizügG § 2, § 6, § 7 AEUV Art. 83 Abs. 1, Abs. 2 Leitsatz:

§ 6 Abs. 5 FreizügG/EU ist dahin auszulegen, dass der Aufenthalt in den letzten zehn Jahren rechtmäßig gewesen sein muss, d.h. der Familienangehörige muss während eines zusammenhängenden Zeitraums von zehn Jahren freizügigkeitsberechtigt gewesen sein. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)

Schlagworte:

Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt, Straftaten (BtMG), Dominikanische Staatsangehörige, Gefährdung der öffentlichen Ordnung, Unionsbürger, Familienangehörige, Betäubungsmittelstraftat, Wiederholungsgefahr, Verlustfeststellung, drittstaatsangehöriger Elternteil

Fundstelle:

BeckRS 2018, 10672  

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand 1

Die 1978 geborene Klägerin ist dominikanische Staatsangehörige. Sie wendet sich gegen die Feststellung der Beklagten, dass sie ihr Recht auf Einreise und Aufenthalt in die bzw. in der Bundesrepublik Deutschland verloren hat.

2

Die Klägerin heiratete am … März 2000 in ihrer Heimat einen österreichischen Staatsangehörigen und reiste zusammen mit ihrer Tochter mit einem Visum der Deutschen Botschaft ... am … Juli 2000 in das Bundesgebiet ein. Die Tochter stammt aus der Verbindung mit dem österreichischen Staatsangehörigen und wurde am … Dezember 1998 in ... geboren. Aufgrund der Eheschließung mit einem EU-

Staatsangehörigen stellte ihr die Ausländerbehörde eine EU-Karte aus.

3

Bis zur Trennung von ihrem Ehemann im Jahr 2006 ging die Klägerin keiner Beschäftigung nach, sondern führte den Haushalt. Sie arbeitete dann teilweise in Supermärkten und in einem Bad. In dieser Zeit begann sie mit dem Konsum von Cannabis und später auch mit Kokain. Zuletzt lebte sie mit ihrer Lebensgefährtin im Haus eines Bekannten, dem sie auch sexuell gefällig war. Ab 2011 ging sie keiner Arbeit mehr nach. Seit ... April 2010 ist die Ehe mit dem österreichischen Staatsangehörigen geschieden. Die Tochter lebte

teilweise beim Vater, bis sie am … März 2015 in behördliche Obhut genommen und in einer

Wohngemeinschaft untergebracht wurde. Der Ex-Mann lebt seit dem Jahr 2012 wieder in Österreich.

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Strafrechtlich trat die Klägerin in der Bundesrepublik Deutschland wie folgt in Erscheinung:

– Rechtskräftiger Strafbefehl des Amtsgerichts Ebersberg vom 20. Juli 2006 wegen falscher Verdächtigung zur Zahlung einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen.

(2)

– Wegen Erschleichens von Leistungen erging durch das Amtsgericht Ebersberg eine Verurteilung zu einer weiteren Geldstrafe von 15 Tagessätzen.

– Ab dem 26. Mai 2015 befand sich die Klägerin erstmals wegen einer Betäubungsmittelstraftat bis zum 12.

August 2015 in Haft.

5

Das Verfahren endete mit einer Einstellung nach § 154 Abs. 1 StPO.

– Das Landgericht München I verurteilte die Klägerin am 21. Februar 2017 (3 KLs 367 Js 210179/16) wegen Handeltreibens mit Betäubungsmittel in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Monaten.

6

Die Klägerin wurde am 1. Februar 2016 festgenommen und befindet sich seitdem in Haft. Das Haftende ist für den … März 2019 vorgesehen.

7

Mit Bescheid vom 22. August 2017 stellte die Beklagte nach vorheriger Anhörung fest, dass die Klägerin ihr Recht auf Einreise und Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland verloren habe (1.). Sie untersagte der Klägerin die Wiedereinreise und den Aufenthalt in die Bundesrepublik Deutschland für acht Jahre ab Ausreise und drohte der Klägerin die Abschiebung in die Dominikanische Republik oder in einen anderen Staat an, in den sie einreisen dürfe oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet sei (2.).

8

In Ihrer Begründung führte die Beklagte im Wesentlichen aus:

„Nach § 2 Abs. 1 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern

(Freizügigkeitsgesetz/EU - FreizügG/EU) haben freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und deren

Familienangehörige das Recht auf Einreise und Aufenthalt. Der Verlust dieses Rechtes kann aber nach § 6 Abs. 1 dieses Gesetzes aus Gründen der öffentlichen Sicherheit, Ordnung und Gesundheit festgestellt werden (Art. 39 Abs. 3, Art. 46 Abs. 1 des Vertrages über die Europäische Gemeinschaft).

Gemäß § 6 Abs. 2 FreizügG/EU darf die in Abs. 1 genannte Feststellung nur getroffen werden, wenn ein Ausländer durch sein persönliches Verhalten dazu Anlass gibt. Die Tatsache einer strafrechtlichen Verurteilung allein genügt nicht. Erforderlich ist vielmehr das Hinzutreten einer konkreten Gefahr neuer Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Über das Vorliegen einer derartigen

Wiederholungsgefahr ist aufgrund aller wesentlichen Umstände des Einzelfalls zu entscheiden; es muss eine tatsächliche und hinreichende Gefährdung vorliegen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.

Familienangehöriger ist nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 FreizügG/EU der Ehegatte der in § 2 Abs. 2 Nrn. 1 - 5 und 7 FreizügG/EU genannten Personen. Nach § 3 Abs. 5 FreizügG/EU behalten Ehegatten bei Scheidung der Ehe ein Aufenthaltsrecht, wenn sie die für Unionsbürger geltenden Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 Nrn. 1 - 3 oder Nr. 5 FreizügG/EU erfüllen und wenn die Ehe bis zur Scheidung mindestens 3 Jahre bestanden hat, davon mindestens 1 Jahr im Bundesgebiet.

Sie heirateten in der Dominikanischen Republik im Jahr 2000 den österreichischen Staatsangehörigen ...

und reisten noch im selben Jahr zusammen mit der gemeinsamen Tochter im Familiennachzug in das Bundesgebiet ein. Nach den der Ausländerbehörde München vorliegenden Unterlagen ist die Ehe seit dem ... April 2010 rechtskräftig geschieden. Gemäß § 4a Satz 2 FreizügG/EU haben Sie somit ein

Daueraufenthaltsrecht erworben.

Nach § 6 Abs. 5 FreizügG/EU darf eine Feststellung des Verlustes des Rechts auf Einreise und Aufenthalt bei Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen, die ihren Aufenthalt in den letzten 10 Jahren im Bundesgebiet hatten, jedoch nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit getroffen werden.

Sie sind jedoch seit der Scheidung nicht mehr Familienangehöriger (§ 3 Abs. 2 FreizügG/EU i.V.m. Hoppe, HTK-AuslR / § 3 FreizügG/EU / zu Abs. 2, VG Augsburg v. 5.5.2009 - Au 1 K 08.449) eines Unionsbürgers.

Sie gelten auch nicht als Familienangehöriger ihrer Tochter N., die die österreichische Staatsangehörigkeit besitzt. Sie sind zwar als Mutter eine Verwandte in aufsteigender Linie und fallen damit grundsätzlich unter den Begriff der Familienangehörigen des Kindes; Voraussetzung nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU ist

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aber, dass der Unionsbürger oder dessen Ehegatte den Familienangehörigen Unterhalt gewährt. Der stammberechtigte Unionsbürger (oder dessen Ehegatte oder Lebenspartner) muss den

Familienangehörigen tatsächlich Unterhalt gewähren. Die Existenzmittel dürfen nicht aus anderer Quelle (z.B. eigner Erwerbstätigkeit) stammen. Eine Unterhaltsgewährung liegt vor, wenn dem Verwandten tatsächliche Leistungen zukommen, die vom Ansatz her als Mittel der Bestreitung des Lebensunterhalts angesehen werden können. Dazu gehört eine fortgesetzte regelmäßige Unterstützung in einem Umfang, der es ermöglich, zumindest einen Teil des Lebensunterhalts regelmäßig zu decken. Maßstab ist dabei das Lebenshaltungsniveau in dem EU-Mitgliedsstaat, in dem sich der Familienangehörige ständig aufhält. Es ist nicht erforderlich, dass derjenige, dem Unterhalt gewährt wird, einen Anspruch auf Unterhaltsgewährung hat oder seinen Unterhalt nicht selbst bestreiten könnte (Punkt 3.2.2.1 der AVwV zum Freizügigkeitsgesetz/EU und Hoppe, HTKAuslR, § 3 FreizügG/EU zu Abs. 2 09/12 Nr. 2.3).

Ihre Tochter … wurde am … März 2015 in behördliche Obhut genommen und in einer Wohngemeinschaft untergebracht. Die Kosten hierfür trägt die öffentliche Hand. Wie Sie dem Landgericht München I in der Hauptverhandlung angaben, befindet sich Ihre Tochter noch in der Ausbildung zur Frisörin. Aufgrund dieser Umstände ist es ihr offensichtlich nicht möglich, Ihnen Unterhalt zu gewähren, sodass die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU bei Ihnen nicht vorliegen.

Ausnahmsweise kann aus § 3 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU auch dann ein Aufenthaltsrecht abgeleitet werden, wenn nicht der EU-Bürger seinem Verwandten den Unterhalt gewährt, sondern es sich umgekehrt verhält.

Dies ist der Fall, wenn es sich bei dem EU-Bürger um einen freizügigkeitsberechtigten Minderjährigen handelt, der von einem drittstaatsangehörigen Elternteil tatsächlich betreut wird, diese Betreuung erforderlich ist und keine öffentlichen Mittel in Anspruch genommen werden. Würde dem

drittstaatsangehörigen Elternteil des minderjährigen Unionsbürgers, der tatsächlich für das Kind sorgt, der Aufenthalt nicht erlaubt, so würde dem Aufenthaltsrecht des Kindes praktisch jede Wirksamkeit genommen (Pkt. 3.2.2.2 der AVwV zum FreizügG/EU und EuGH, U.v. 19.10.2014- Rs. C 200/02-Zu/Chen. Rn. 42 ff.).

Dies trifft in Ihrem Fall nicht zu, da seit dem ... März 2015 kein gemeinsamer Wohnsitz mehr besteht und Ihre Tochter zwischenzeitlich auch volljährig ist.

Die Anwendbarkeit von § 6 Abs. 5 FreizügG/EU und damit die Schutzwirkung bei einem über 10-jährigen Aufenthalt im Bundesgebiet scheidet bei Ihnen somit aus.

Nachdem Sie sich seit aber 5 Jahren mit Ihrem österreichischen Ehemann ständig rechtmäßig in

Deutschland aufgehalten haben, haben Sie ein Daueraufenthaltsrecht erworben. Somit darf nach § 6 Abs. 4 FreizügG/EU die Feststellung nur aus schwerwiegenden Gründen getroffen werden.

Ob die begangenen Straftaten den Tatbestand eines schwerwiegenden Grundes im Sinne des § 6 Abs. 4 FreizügG/EU erfüllen, ist im Wesentlichen eine Frage des Einzelfalls. Solche Gründe liegen in ihrem Fall vor:

Die anderweitig Verurteilten M., Y. und G. schlossen sich zu einem nicht mehr genau bestimmbaren Zeitpunkt vor dem 20. September 2015 zu einer Bande zusammen und kamen überein, im Stadtgebiet München den schwunghaften Handel mit Kokain zu betreiben. Der Y. stellte sodann den Kontakt zu M. her, der zwischen dem 3. September 2015 und dem 20. September 2015 mindestens 660,38 g Kokain zu einem Preis von 40.000,- EUR in Spanien vom anderweitigen so genannten „Ch.“ organisierte. Der anderweitig verurteilte V. schluckte in Madrid das in 70 Plomben verpackte Kokain und begab sich am 20. September 2015 mit dem Flugzeug nach München, wo er absprachegemäß von den anderweitig Verurteilten P. und M.

in Empfang genommen und in die Wohnung des P. in der ... gebracht wurde. Dort sollte er die

Betäubungsmittel wieder ausscheiden. Dieser hatte jedoch unerwartet Schwierigkeiten, die 70 Plomben auszuscheiden, so dass Sie sich in die Wohnung ... begaben, wo Sie den V. beim Ausscheiden des Kokains unterstützen sollten. Sie beabsichtigten, von dem gelieferten Kokain eine Menge von mindestens 200 g zu erwerben und gewinnbringend im Stadtgebiet München zu verkaufen. Zusammen mit G. kauften Sie in einer Apotheke Medikamente gegen Verstopfung, mit deren Hilfe V. die Drogen auszuscheiden versuchte. Am 22. September 2015 kehrten Sie in die Wohnung ... zurück, nachdem es dem V. immer noch nicht gelungen war, alle 70 Plomben auszuscheiden. Zu diesem Zeitpunkt waren außer Ihnen nur noch V. und M. in der Wohnung. … Das Gericht hat den toxikologischen Sachverständigen Herrn Prof. ... und die

Sachverständige ... beigezogen. Dabei ergaben sich anhand der von ... vermittelten Sachkunde keine durchgreifenden Anhaltspunkte dafür, dass bei Ihnen eine Persönlichkeitsstörung (oder auch ein sonstiges

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psychisches Störungsbild) vorliegt, dass dem Eingangsmerkmal des § 20 StGB subsumiert werden könnte.

… Die Kammer sah einen minder schweren Fall im Sinne des § 29 a Abs. 2 BtMG nicht begründet. Im Wesentlichen wertete die Kammer zu Ihren Gunsten, dass

– es sich um ein polizeilich überwachtes Geschäft handelte, – die Drogen nahezu vollständig sichergestellt werden konnten,

– die Möglichkeit eine größere Menge Kokain zum Verkauf zu erwerben aufgrund Ihrer prekären Lebenssituation eine besondere Verführungskraft hatte und

– auch in der Zusammenschau die Sache vom Feld der Gesetzgebung bei der Schaffung des Regelstrafrahmens gesehen und als typische bewertete Fallgestaltung sich nicht so weit nach unten absetzt, dass die Heranziehung des Regelstrafrahmens als unangemessen erscheint.

Bei der Strafzumessung im engeren Sinn ging die Kammer von der Menge und dem Wirkstoffgehalt des Kokains, das Ihrem Handeltreiben unterlag, aus und hat im Übrigen zu Ihren Gunsten die oben erwähnten Umstände gewürdigt.

Zu Ihren Lasten hat die Kammer die Vorahndungen gewertet, die nur in einem geringen Umfang eine Warnwirkung hatten.

In Abwägung aller für und gegen Sie sprechenden Umstände hielt die Kammer eine Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 2 Monaten für ausreichend aber auch erforderlich. … Strafrechtlichen Entscheidungen liegen unter anderem spezialpräventive Überlegungen zu Grunde. In die Strafzumessung fließt deshalb auch eine Prognose über die Gefährlichkeit des Täters ein. Eine strafgerichtete Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 2 Monaten wegen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln ist deshalb auch hinreichender Gradmesser des im Rahmen des Verwaltungsrechts bestehenden Bedürfnisses vorbeugender

Schutzmaßnahmen.

Kokain gehört neben Heroin zu den gefährlichsten Drogen. Es bewirkt eine Erhöhung der Atembzw. der Pulsfrequenz evtl. Atemunregelmäßigkeiten und gleichzeitig eine Verengung der Blutgefäße und damit eine Erhöhung des Blutdrucks. Dies kann unter anderem Herzrhythmusstörungen bis hin zum Herzanfall zur Folge haben. Beim Rauchkonsum erhöht sich zudem das Risiko eines Primär ischämischen Hirninfarkts, da durch den erhöhten Blutdruck und die Verengung der Blutgefäße das Platzen einer Arterie im Gehirn wahrscheinlicher wird. … Daneben haben Sie eine massive Gleichgültigkeit der körperlichen Unversehrtheit und dem Leben des V. an den Tag gelegt. Dieser reiste mit einer Menge von 660,38 g Kokain, verpackt in 70 Plomben, im Magen-Darm-Trakt am 20. September 2015 in das Bundesgebiet ein. Bei einem Platzen nur einer dieser Plomben hätte dies zum Tod des V. geführt. Trotz der massiven Probleme, die V. beim Ausscheiden der Drogen hatte, haben Sie keine Konsequenzen daraus gezogen und V. in ein Krankenhaus gebracht. Stattdessen versuchten Sie es 2 Tage mit Hilfe von Abführmitteln, dass V. die noch verbleibenden Plomben ausscheiden konnte. Erst durch den Eingriff der Polizeibeamten, die durch die polizeiliche

Überwachung der Telekommunikation auf die mittlerweile schlechte gesundheitliche Lage aufmerksam wurden, erfolgte die Wohnungsdurchsuchung und die Einlieferung des V. in ein Krankenhaus.

Angesichts Ihrer offensichtlichen kriminellen Energie, Ihrer schlechten Einkommenssituation und der derzeit noch untherapierten Betäubungsmittelabhängigkeit kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Zeit der Strafhaft Sie von weiteren Straftaten abschrecken wird. Sie haben im Drogenhandel eine

Einkunftsquelle gesehen, um damit Ihre eigene Sucht und ihren Lebensunterhalt zu finanzieren.

Aus der Eigenart der Straftaten mit denen Sie auf möglichst bequeme Art reich werden wollten, ergibt sich eine konkrete Wiederholungsgefahr. Sie haben eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass Sie sich außerhalb der Geltung der Rechtsordnung stellen und die Werte der Rechtsordnung für sich nicht annehmen wollen.

Es ist nicht zu erwarten, dass Sie Ihre Einstellung zur Rechtsordnung ändern werden. Zudem verfügen sie weder über einen im Bundesgebiet anerkannten Schulabschluss noch über eine abgeschlossene

Ausbildung, so dass nach Entlassung aus der Strafhaft befürchtet werden muss, dass Sie erneut in den Drogenhandel einsteigen werden, bzw. Sie Ihren Lebensunterhalt aus öffentlichen Mitteln bestreiten werden. … Die Ausländerbehörde ist bei der Gesamtwürdigung Ihres Verhaltens zu dem Ergebnis

gekommen, dass in Ihrem Fall schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorliegen.

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Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die von Ihnen begangenen schwerwiegenden Straftaten ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung darstellt. Es liegt eine tatsächliche und hinreichende Gefährdung vor, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Die Feststellung des Verlustes des Rechts auf Einreise und Aufenthalts ist zum Schutz der hier lebenden Bevölkerung unumgänglich. Schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne von § 6 Abs. 4 FreizügG/EU liegen daher vor. Die Feststellung des Verlustes des Rechts auf Einreise und Aufenthalt gemäß § 6 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 und 2 FreizügG/EU ist zum Schutz der hier lebenden Bevölkerung unumgänglich.

Ermessensausübung Es war nach pflichtgemäßem Ermessen und unter Beachtung der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes zu prüfen, ob die Feststellung des Rechtsverlustes geboten ist. Hierzu war eine Güter- und Interessenabwägung vorzunehmen, für die folgende

Gesichtspunkte in Betracht kamen:

Die Ausländerbehörde geht bei der Güter- und Interessenabwägung von dem vom Strafgericht festgestellten Tathergang aus. Eigene Ermittlungen waren in dieser Hinsicht nicht erforderlich.

Sie haben eine Betäubungsmittelstraftat begangen, die das Strafgericht zum Anlass nahm, eine

Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 2 Monaten zu verhängen. Die von Ihnen begangene Straftat ist im Bereich der Schwerkriminalität anzusiedeln.

Strafrechtlichen Entscheidungen liegen auch spezialpräventive Überlegungen zu Grunde. In die Strafzumessung fließt deshalb auch eine Prognose über die Gefährlichkeit des Täters ein.

Eine strafgerichtliche Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 2 Monaten ist deshalb auch hinreichender Gradmesser des im Rahmen des Verwaltungsrechts bestehenden Bedürfnisses

vorbeugender Schutzmaßnahmen. Aus der Eigenart der Straftaten ergibt sich eine konkrete Wiederholungsgefahr.

Es liegt in Ihrem Fall eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vor, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Zudem besteht eine konkrete Gefahr weiterer schwerer Straftaten. Eine

Aufenthaltsbeendigung ist somit trotz der Rechte, die Ihnen als Familienangehöriger eines EU- Staatsangehörigen zustehen, gerechtfertigt.

Um Wiederholungen zu vermeiden, wird bezüglich der Schwere der von Ihnen begangenen Straftaten und der Wiederholungsgefahr auf die oben gemachten Ausführungen verwiesen.

Soweit die Interessen der Allgemeinheit in Betracht kommen, vor allem die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, ist Ihr Aufenthalt durch die Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt zu beenden. Dies ist das geeignete, aber auch erforderliche Mittel der

Gefahrenabwehr.

Schutzwürdige Interessen

… Beachtet wurden § 6 Abs. 3 FreizügG/EU sowie Art. 6 GG und Art. 8 EMRK. Hierzu ist Folgendes auszuführen:

Ein Ausländer kann sich grundsätzlich auf die Regelung des Art. 8 Abs. 2 EMRK berufen, wenn er aufgrund seiner gesamten Entwicklung faktisch zu einem Inländer geworden ist und ihm wegen der Besonderheit des Falles ein Leben im Staat seiner Staatsangehörigkeit, zu dem er keinen Bezug (mehr) hat, nicht zugemutet werden kann (vgl. BVerwG v. 29.9.1998, InfAuslR 1999, 54).

Der Status des „faktischen Inländers“ kann Ihnen aufgrund der späten Einreise im Erwachsenenalter nicht zuerkannt werden. In Ihrem Fall ist zu sehen, dass Sie im Jahre 2000 zusammen mit Ihrer Tochter … im Rahmen des Familiennachzugs zu Ihrem hier lebenden Ehemann und Vater eingereist sind. In Ihrer Heimat haben Sie bis zum 22. Lebensjahr gewohnt, sodass Sie Ihre Muttersprache in Wort und Schrift

beherrschen. Dies hat auch die Sichtung der Strafakte bestätigt.

Bis zu Ihrer Inhaftierung haben Sie hier 15 Jahre auf freiem Fuß gelebt. Die Ehe wurde im Jahr 2010 rechtskräftig geschieden. Ihre Tochter hat neben der dominikanischen auch die österreichische

Staatsbürgerschaft. Mit ihr leben Sie seit dem Jahr 2015 nicht in familiärer Lebensgemeinschaft. Bereits während der Trennung von Ihrem Ehemann im Jahr 2006 lebte … teilweise beim Vater. Im Jahr 2015 war

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es notwendig, dass diese in behördliche Obhut gegeben und dann im betreuten Wohnen untergebracht wurde.

Bis zur Trennung von Ihrem Ehemann waren Sie Hausfrau und gingen keiner Arbeit nach. Gerichtlichen Angaben des Landgerichts München I vom … Februar 2017 haben Sie bis zur Festnahme am ... Februar 206 lediglich für kurze Zeit. Dann zogen Sie zu einem Bekannten und waren diesem sexuell gefällig.

Eine wie auch immer geartete Integration hat lediglich bis zur Trennung von Ihrem Ehemann stattgefunden.

Danach haben Sie immer mehr den Halt verloren und gingen dazu über, Drogen zu konsumieren und mit dem Drogenhandel den Lebensunterhalt und den Drogenkonsum zu finanzieren.

Von Ihrer Tochter, die zwischenzeitlich auch volljährig ist, leben Sie seit dem Jahr 2015 getrennt. Allerdings hatte … ebenfalls Probleme mit dem Gesetz. Es scheint eher unwahrscheinlich, dass Ihnen Ihre Tochter nach der Entlassung aus der Strafhaft eine moralische Stütze sein wird.

Weder Art. 6 GG noch Art. 8 EMRK stehen somit der im öffentlichen Interesse gelegenen Beendigung Ihres Aufenthalts in Deutschland entgegen.

Ihre persönlichen Interessen wurden berücksichtigt. Den gewichtigen öffentlichen Belangen stehen keine gleichgewichtigen persönlichen Interessen entgegen.

Ausreisepflicht und Wiedereinreiseverbot Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU sind Sie ausreispflichtig, da die Ausländerbehörde festgestellt hat, dass das Recht auf Einreise und Aufenthalt nicht besteht.

Außer der gesetzlichen Ausreisepflicht hat der Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt ein

Wiedereinreise- und Aufenthaltsverbot zur Folge (§ 7 Abs. 2 Satz 1 FreiügG/EU). Diese Folgen werden auf 8 Jahre befristet. Die Frist beginnt mit Ihrer Ausreise (§ 7 Abs. 2 Satz 7 FreizügG/EU).

Bei der Bestimmung der Länge der Frist ist das Gewicht des Grundes für die Aufenthaltsbeendigung und der mit der Verfügung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Es bedarf der prognostischen Einschätzung im jeweiligen Einzelfall, wie lange Ihr Verhalten, das dieser zu spezialpräventiven Zwecken verfügten

Feststellung des Rechtsverlustes zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr mit Blick auf die im vorliegenden Fall bedeutsame Gefahrenschwelle des § 6 Abs. 1 FreizügG/EU zu tragen vermag.

Die sich an der Erreichung des Zwecks der Aufenthaltsbeendigung orientierende Höchstfrist muss sich aber an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 5 GG) und den Vorgaben aus Art. 8 EMRK messen und gegebenfalls relativieren lassen. Dieses normative Korrektiv bietet uns ein rechtsstaatliches Mittel, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbotes zu begrenzen. Dabei sind insbesondere die in § 6 Abs. 3 FreizügG/EU genannten schutzwürdigen Belange in den Blick zu nehmen.

Wegen des Gewichts der gefährdeten Rechtsgüter (öffentliche Sicherheit und Ordnung durch

Betäubungsmittelstraftaten) und der festgestellten Wiederholungsgefahr erachten wir auch im Hinblick auf Ihre Bindungen im Bundesgebiet (Tochter) einen Zeitraum von 8 Jahren für erforderlich, um dem hohen Gefahrenpotential Rechnung tragen zu können. Vor dem Hintergrund der Rückfallgefahr bei den von Ihnen verübten Straften ist nicht zu erwarten, dass Sie die hier maßgebliche Gefahrenschwelle des § 6 Abs. 1 FreizügG/EU vor Ablauf der festgesetzten Frist unterschreiten.

Besondere Härten, die sich durch die Sperrwirkung der Feststellung des Rechtsverlustes ergeben, können durch Ausnahmegenehmigungen nach § 11 Abs. 8 AufenthG gemildert werden.“

9

Mit Schriftsatz vom 13. September 2017 erhob die Bevollmächtigte der Klägerin Klage und beantragte, den Bescheid der Beklagten aufzuheben.

10

Zur Begründung führte die Bevollmächtigte der Klägerin im Wesentlichen aus:

11

Es bestünden eine enge Verbindung der Klägerin mit ihrer Tochter sowie zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse.

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Mit Schreiben vom 2. Oktober 2017 beantragte die Beklagte, die Klage abzuweisen.

13

Zur Begründung verwies die Beklagte im Wesentlichen auf den streitgegenständlichen Bescheid.

14

Am 10. April 2018 stellte die Klägerin einen Asylantrag, über den noch nicht entschieden ist.

15

In einem Führungsbericht der Justizvollzugsanstalt München vom 26. April 2018 wird mitgeteilt, dass die Klägerin wegen der Bedrohung einer Mitgefangenen disziplinarisch belangt wurde.

16

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtssowie die beigezogene Behördenakte und auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe 17

Die zulässige Klage ist unbegründet, da der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das Gericht verweist zunächst auf die zutreffenden Ausführungen im angegriffenen Bescheid und sieht von der Darstellung eigener Entscheidungsgründe ab (§ 117 Abs. 5 VwGO).

18

Lediglich ergänzend wird ausgeführt:

I.

19

Die Feststellung, dass die Klägerin ihr Recht auf Einreise und Aufenthalt verloren hat, ist rechtmäßig im Sinne von § 6 FreizügG/EU. Maßgeblicher Zeitpunkt der Sach- und Rechtslage ist dabei der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. der Entscheidung des Tatsachengerichts (BayVGH, B.v. 10.10.2013 - 10 ZB 11.607 - juris; BVerwG, U.v. 3.8.2004 - 1 C 30/02 - juris).

20

Nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU kann der Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt unbeschadet des § 2 Abs. 7 FreizügG/EU und des § 5 Abs. 4 FreizügG/EU nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit festgestellt werden; die Tatsache einer strafrechtlichen Verurteilung genügt dafür nach § 6 Abs. 2 FreizügG/EU für sich allein nicht. Es dürfen nur im Bundeszentralregister noch nicht getilgte

strafrechtliche Verurteilungen und diese nur insoweit berücksichtigt werden, als die ihnen zugrunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt (§ 6 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU). Nach § 6 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU muss eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Das Erfordernis einer gegenwärtigen Gefährdung der öffentlichen Ordnung verlangt eine

hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der Ausländer künftig die öffentliche Ordnung beeinträchtigen wird (vgl. BayVGH, B.v. 18.3.2015 - 10 C 14.2655; B.v. 10.10.2013 - 10 ZB 11.607 - juris).

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1. Auf den Schutz nach § 6 Abs. 5 FreizügG/EU kann sich die Klägerin nicht berufen.

22

Nach § 6 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU darf eine Feststellung nach Abs. 1 bei Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen, die ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit getroffen werden.

23

Die Voraussetzung eines zehnjährigen Aufenthalts erfüllt die Klägerin vorliegend jedoch nicht.

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(8)

Ausgehend von der aktuellen Rechtsprechung des EuGH (U.v. 16.1.2014 - C-400/12, NVwZ-RR 2014, 245

= BeckRS 2014, 80039) wird der zehnjährige Aufenthalt rückwirkend ab dem Zeitpunkt der

Verlustfeststellung betrachtet. Zwar muss er nicht unterbrechungsfrei gewesen sein (EuGH, NJW 2011, 1201). Aufenthaltsunterbrechungen, die einer Bewertung im Einzelfall unterliegen, sollen jedenfalls dann für die Anwendung des § 6 Abs. 5 unschädlich sein, wenn sie den Integrationszusammenhang mit der

Bundesrepublik nicht unterbrechen (EuGH, NVwZ RR 2014, 245 = BeckRS 2014, 80039). Z.T. wird in diesem Zusammenhang die analoge Anwendung von § 4a Abs. 6 FreizügG/EU befürwortet (so etwa Bergmann/ Dienelt AuslR, § 6 FreizügG/EU Rn. 59). Zeiten von Strafhaft führen jedoch regelmäßig zur Unterbrechung des Zehnjahreszeitraums und rechnen für die Bestimmung des „Ausweisungsschutzes“

regelmäßig nicht mit (EuGH, NVwZ-RR 2014, 245 = BeckRS 2014, 80039; BayVGH, BeckRS 2015, 44240, VG München, BeckRS 2016, 52457).

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Außerdem setzt der erhöhte Schutz nach § 6 Abs. 5 FreizügG/EU voraus, dass ein Daueraufenthaltsrecht nach § 6 Abs. 4 FreizügG/EU, § 4a FreizügG/EU (BayVGH, B.v. 18.3.2015 - 10 C 14.2655 - juris) vorher erworben wurde.

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Das Gericht verweist auch insoweit zunächst auf die zutreffenden Ausführungen im angegriffenen Bescheid.

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Die Klägerin ist seit ihrer Scheidung im Jahr 2010 nicht mehr Familienangehörige im Sinne von § 3 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU (VG Augsburg, U.v. 5.5.2009 - Au 1 K 08.449). Sie kann daher seit dieser Zeit von ihrem Ehemann kein Freizügigkeitsrecht mehr ableiten. Die Klägerin ist zum Zeitpunkt der Verlustfeststellung auch nicht mehr Familienangehörige im Sinne von § 3 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU, da die Tochter der Klägerin keinen Unterhalt gewährt bzw. gewährt hat. Auch der umgekehrte Fall, dass aus § 3 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU in bestimmten Fällen ein freizügigkeitsrechtliches Aufenthaltsrecht abgeleitet werden kann, wenn nicht der EU-Bürger seinem Verwandten den Unterhalt gewährt, sondern es sich umgekehrt verhält, liegt nicht vor. Dies ist nur der Fall, wenn es sich bei dem EU-Bürger um einen freizügigkeitsberechtigten Minderjährigen handelt, der von einem drittstaatsangehörigen Elternteil tatsächlich betreut wird, diese Betreuung erforderlich ist und keine öffentlichen Mittel in Anspruch genommen werden (Ziff. 3.2.2.2 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum FreizügG/EU v. 3.2.2016; EuGH, U.v. 19.10.2004 - C-200/02 - juris).

28

Dies ist nicht der Fall.

29

Das Gericht legt § 6 Abs. 5 FreizügG/EU so aus, dass der Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Bundesgebiet rechtmäßig gewesen sein muss und dies bedeutet, dass der Familienangehörige während eines zusammenhängenden Zeitraums von zehn Jahren freizügigkeitsberechtigt gewesen sein muss (BVerwG, U.v. 31.5.2012 - 10 C 8/12 - juris; BayVGH, B.v. 18.3.2015 - 10 C 14.2655). Aus der Ehe mit dem österreichischen Staatsangehörigen kann die Klägerin schon deshalb keinen zehnjährigen rechtmäßigen Aufenthalt ableiten, weil die Ehe als eheliche Lebensgemeinschaft nur sechs Jahre und - auch wenn man zugunsten der Klägerin davon ausgeht, dass es nur auf das formale Band einer Ehe ankommt - keine zehn Jahre im Bundesgebiet bestanden hat.

30

Auch von ihrer österreichischen Tochter kann die Klägerin keinen durchgehend rechtmäßigen Aufenthalt in den letzten zehn Jahren vor der Verlustfeststellung ableiten. Dabei ist schon fraglich, ob und wie lange die Tochter selbst als nichterwerbstätige Unionsbürgerin freizügigkeitsberechtigt war (§§ 3 Abs. 1, 2 Abs. 2 Nr.

4, 4 FreizügG/EU). Die Klägerin hat nämlich nach ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung bereits kurze Zeit nach ihrer Scheidung für sich und ihre Tochter Sozialleistungen in Anspruch genommen. Darüber hinaus hat die Klägerin in den letzten zehn Jahren nicht durchgehend ihre Tochter tatsächlich betreut. Die Tochter war nach Aktenlage und den Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung längere Zeit in einem Internat bzw. in einer Wohngruppe der Landeshauptstadt München untergebracht. Auch lebte die Tochter seit dem … März 2015 wieder in einer Sozialeinrichtung der Landeshauptstadt … bzw. lebt seit März 2018 in … Außerdem hat zur Überzeugung des Gerichts sowohl die Untersuchungshaft im Jahr 2015 als auch die Inhaftierung seit Februar 2016 die Integration der Klägerin und damit den zehnjährigen rechtmäßigen Aufenthalt unterbrochen.

(9)

31

2. Auf den Schutz nach § 6 Abs. 4 FreizügG/EU kann sich die Klägerin hingegen berufen.

32

a) Nach § 6 Abs. 4 FreizügG/EU können Feststellungen nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU nach dem Erwerb des Daueraufenthaltsrechts nur aus schwerwiegenden Gründen getroffen werden. Nach § 4a Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU steht einem Unionsbürger das Recht auf Einreise und Aufenthalt unabhängig von den Voraussetzungen nach § 2 Abs. 2 FreizügG/EU zu (Daueraufenthaltsrecht), wenn er sich seit fünf Jahren ständig rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat. Familienangehörige, die nicht Unionsbürger sind, haben dieses Recht, wenn sie sich seit fünf Jahren mit dem Unionsbürger ständig rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten haben. Dies bedeutet, dass der Unionsbürger/Familienangehörige während eines zusammenhängenden Zeitraums von fünf Jahren freizügigkeitsberechtigt gewesen sein muss (BVerwG, U.v. 31.5.2012 - 10 C 8/12 - NVwZ-RR 2012, 821).

33

Das Gericht geht davon aus, dass sich die Klägerin fünf Jahre ständig rechtmäßig mit einem Unionsbürger im Bundesgebiet aufgehalten hat. Die Klägerin hat diesen 5-jährigen Aufenthalt entweder in der

Ehebestandszeit der Ehe mit dem österreichischen Staatsangehörigen oder durch ihre tatsächliche Sorge für ihre österreichische Tochter erreicht. Anders als für den zehnjährigen Bestand nach § 6 Abs. 5 FreizügG/EU reicht es aus, dass dieser fünfjährige Zeitraum irgendwann während des Aufenthalts des Ausländers erreicht wurde.

34

3. Die Feststellung des Verlustes des Rechts auf Einreise und Aufenthalt er-weist sich vorliegend als rechtmäßig, da eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, vgl. § 6 Abs. 1, Abs. 2 FreizügG/EU; schwerwiegende Gründe i.S.v. § 6 Abs. 4 FreizügG/EU liegen vor.

35

Die Klägerin ist in der Bundesrepublik wiederholt strafrechtlich in Erscheinung getreten. Zwar können eine Vielzahl kleinerer Straftaten, die für sich allein genommen nicht geeignet sind, eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung eines Grundinteresses der Gesellschaft zu begründen, eine Feststellung nach § 6 FreizügG/EU nicht rechtfertigen (EuGH, U.v. 4.10.2007 - C-349/06 - NVwZ 2008, 59;

Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, FreizügG/EU § 6 Rn.16) Die Schwelle von leichten Delikten (Ziff.

6.2.2.1.2 VV-FreizügG/EU) bzw. Kleinkriminalität (vgl. Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, § 6

FreizügG/EU Rn. 12) hat die Klägerin vorliegend jedoch durch ihr Drogendelikt mit einer Verurteilung zu drei Jahren und zwei Monaten erheblich überschritten.

36

Es besteht auch eine Wiederholungsgefahr. Die Klägerin hat es in der Vergangenheit seit ihrer Einreise nicht geschafft, sich ihren Unterhalt auf Dauer oder zumindest über einen längeren Zeitraum durch eigene Arbeit zu finanzieren. Die Beziehung zu ihrer Tochter hat sie nicht vom Drogenhandel abgehalten. Nach der Haftentlassung besteht nach derzeitiger Aktenlage kein positiver Empfangsraum.

37

4. Die Beklagte hat die persönlichen Interessen der Klägerin zutreffend berücksichtigt und zutreffend gewichtet. Das Gericht kann die Ermessensentscheidung der Beklagten gemäß § 114 Satz 1 VwGO lediglich daraufhin überprüfen, ob der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht

entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Gemessen an diesen Vorgaben ist die Entscheidung der Beklagten nicht zu beanstanden.

38

a) Nach § 6 Abs. 3 FreizügG/EU sind bei der Verlustfeststellung insbesondere Dauer des Aufenthalts des Betroffenen in Deutschland, sein Alter, sein Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration in Deutschland und das Ausmaß seiner Bindungen zum

Herkunftsstaat zu berücksichtigen. Daneben spielen die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bedrohten Rechtsguts, sowie die Entwicklung und die Lebensumstände der Klägerin eine wichtige Rolle (vgl. BayVGH, B.v. 23.11.2010 - 19

(10)

ZB 10.584 - juris). In dem streitgegenständlichen Bescheid hat die Beklagte alle für die Klägerin maßgeblichen Umstände berücksichtigt. Insbesondere hat sie zutreffend festgestellt, dass die Klägerin familiäre und soziale Bindungen im Bundesgebiet hat. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die erwachsene Tochter bereits seit 2015 in einer eigenen Wohnung lebte und jetzt in … lebt; die Klägerin ist erst 39 Jahre alt und spricht durch ihren langen Aufenthalt im Bundesgebiet zumindest soweit Deutsch, dass ihre Berufschancen in der Dominikanischen Republik z.B. im Tourismusbereich, nicht schlecht sind.

39

b) Die Verlustfeststellung ist aus den von der Beklagten im Bescheid genannten Gründen auch im Hinblick auf § 6 Abs. 4 FreizügG/EU ermessensgerecht; schwerwiegende Gründe liegen aufgrund der Drogendelikte vor. Die betroffenen Schutzgüter des Lebens und der Gesundheit nehmen in der Hierarchie der in den Grundrechten enthaltenen Wertordnung einen hohen Rang ein (EuGH, U.v. 23.11.2010 - Tsakouridis, C- 145/9 - juris Rn. 45 ff.; BayVGH, B.v. 6.5.2015 -10 ZB 15.231 - juris Rn. 4). Sogar Gründe i.S.d § 6 Abs. 5 FreizügG liegen vor, wenn die Ausweisungsmaßnahme in Bezug auf einen Unionsbürger, der den

Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Aufnahmemitgliedstaat gehabt hat, die mit dem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln verbundene Kriminalität bekämpfen soll. Es steht den Mitgliedstaaten frei, Straftaten wie die in Art. 83 Abs. 1 und Abs. 2 AEUV angeführten als besonders schwere Beeinträchtigung eines

grundlegenden gesellschaftlichen Interesses anzusehen, die geeignet sind, die Ruhe und die physische Sicherheit der Bevölkerung unmittelbar zu bedrohen, und die damit unter den Begriff der zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit fallen und eine Ausweisungsverfügung rechtfertigten können, sofern die Art und Weise der Begehung solcher Straftaten besonders schwerwiegende Merkmale aufweist (EuGH, U.v. 22.5.2012 - C-348/09 - juris Leitsatz. 1; vgl. BayVGH, B.v. 10.12.2014 - 19 ZB 13.2013 - juris Rn. 7 m.w.N.). Illegaler Drogenhandel gehört zu den in Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV angeführten Straftaten im Bereich der besonders schweren Kriminalität (vgl. BayVGH, B.v. 17.12.2015 - 10 ZB 15.1394).

II.

40

Die in Ziff. 2 des angegriffenen Bescheides verfügte Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots auf acht Jahre begegnet ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken. Sie findet ihre

Rechtsgrundlage in § 7 Abs. 2 FreizügG/EU. Die festgesetzte Frist von acht Jahren erscheint angemessen, um dem bei der Klägerin bestehenden hohen Gefahrenpotential Rechnung zu tragen. Die Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU liegen vor. Die Länge der gesetzten Frist ist aufgrund der massiven Drogendelinquenz noch angemessen.

III.

41

Daher war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.

42

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m.

§§ 708 ff. ZPO.

IV.

43

Gründe für die Zulassung der Berufung nach § 124a Abs. 1 Satz 1, § 124 Abs. 2 Nrn. 3 oder 4 VwGO liegen nicht vor.

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