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Psychotherapie in Psychiatrie und Psychosomatik. Herausgegeben von Gerhard Dammann Isa Sammet Bernhard Grimmer

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Academic year: 2022

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Psychotherapie in Psychiatrie und Psychosomatik Herausgegeben von

Gerhard Dammann Isa Sammet

Bernhard Grimmer

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Bernhard Grimmer, Till Af fl erbach, Gerhard Dammann (Hrsg.)

Psychoandrologie

Psychische Störungen des Mannes und ihre Behandlung

Verlag W. Kohlhammer

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Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverlmun- gen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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1. Auflage 2016 Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart Print:

ISBN 978-3-17-028489-0 E-Book-Formate:

pdf: ISBN 978-3-17-028490-6 epub: ISBN 978-3-17-028491-3 mobi: ISBN 978-3-17-028492-0

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Die Reihe

»Psychotherapie in Psychiatrie und Psychosomatik«

Der psychotherapeutische Ansatz gewinnt gegenwärtig in der Psychiatrie und Psychosomatik neben dem dominierenden neurobiologischen und psychophar- makologischen Modell (»Biologische Psychiatrie«) wieder zunehmend an Bedeu- tung. Trotz dieser Renaissance gibt es noch vergleichsweise wenig aktuelle Litera- tur, die psychiatrische und psychosomatische Störungsbilder unter vorwiegend psychotherapeutischem Fokus beleuchtet.

Die Bände dieser neuen Reihe sollen dabei aktuelle Entwicklungen dokumen- tieren:

l die starke Beachtung der Evidenzbasierung in der Psychotherapie

l die Entwicklung integrativer Therapieansätze, die Aspekte von kognitiv- behavioralen und von psychodynamischen Verfahren umfassen

l neue theoretische Paradigmata (etwa die Epigenetik oder die Bindungstheorie und die Theorie komplexer Systeme in der Psychotherapie)

l aktuelle Möglichkeiten, mit biologischen Verfahren psychotherapeutische Ver- änderungen messbar zu machen

l die Entwicklung einer stärker individuellen, subgruppen- und altersorientierten Perspektive (»personalisierte Psychiatrie«)

l neu entstehende Brücken zwischen den bisher stärker getrennten Fachdiszipli- nen »Psychiatrie und Psychotherapie« sowie »Psychosomatische Medizin« und

»Klinische Psychologie«

l eine Wiederentdeckung wichtiger psychoanalytischer Perspektiven (Beziehung, Übertragung, Beachtung der konflikthaften Biografie etc.) auch in anderen Psychotherapie-Schulen.

Die Bücher sind eng verbunden mit einer Tagungsreihe, die wir in Münsterlingen am Bodensee durchführen. Die 1839 gegründete Psychiatrische Klinik Münster- lingen, die heute akademisches Lehrkrankenhaus ist, hat, in der schweizerischen psychiatrischen Tradition stehend, eine starke psychotherapeutische Ausrichtung und in den letzten Jahren auch eine störungsspezifische Akzentuierung erfahren.

Hier entwickelten und entdeckten der Psychoanalytiker Hermann Rorschach um 1913 den Formdeutversuch und der phänomenologische Psychiater Roland Kuhn im Jahr 1956 das erste Antidepressivum Imipramin.

Die Bände der Reihe »Psychotherapie in Psychiatrie und Psychosomatik« sollen jedoch mehr als reine Tagungsbände sein. Aktuelle Felder aus dem Gebiet der gesamten Psychiatrie und Psychosomatik sollen praxisnah dargestellt werden. Es wird keine theoretische Vollständigkeit wie bei Lehrbüchern angestrebt, der 5

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Schwerpunkt liegt weniger auf Ätiologie oder Diagnostik als klar auf den psy- chotherapeutischen Zugängen in schulenübergreifender und störungsspezifischer Sicht.

Gerhard Dammann, Bernhard Grimmer und Isa Sammet

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Die Reihe »Psychotherapie in Psychiatrie und Psychosomatik«

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Vorwort

Im soziologischen und psychologischen Diskurs der vergangenen Jahre entsteht der Anschein, dass dem Mann und der Männlichkeit in deren spezifischer Entwicklung, Identität, Funktion, Psychodynamik und Rolle zunehmend etwas Pathologisches zugeschrieben wird: Sind nicht die Männer verantwortlich für Krieg, Machtexzesse und sexualisierte Gewalt in unserer Welt? Immer mehr Störungsbilder werden mit dem männlichen Geschlecht in Verbindung gebracht: ADHS, Autismus-Spekt- rums-Störungen, narzisstische und antisoziale Persönlichkeitsstörungen, frühe und schwere Verläufe der Schizophrenie. In der politischen Soziologie spricht man von den »radikalen Verlierern«: Schon die Jungen gelten zunehmend als unflexibler und schwieriger als Mädchen.

Dabei ist weitgehend unklar, ob es sich in diesen Bereichen um höhere psy- chologische Vulnerabilitäten handelt und welche Faktoren dafür verantwortlich sein könnten oder ob, zumindest partiell, männliche Eigenschaften an sich zu- nehmend pathologisiert werden.

Aber was ist das spezifisch Männliche, das Väterliche–wie ist sein Blick auf die Welt? Aus welchen Gründen kommen sie oder kommen sie gerade nicht in psy- chiatrische oder psychotherapeutische Behandlungen und welche Herausforde- rungen ergeben sich dabei für Therapeutinnen und Therapeuten? Sich diesen Fragen in der nachpatriarchalischen Gesellschaft zu nähern ist nicht ohne Tücken, setzt man sich doch allzu leicht dem Verdacht aus, alten Klischees, Geschlechter- rollenstereotypien und Determinismen nachzuhängen.

Wir sind überzeugt, dass echte Emanzipation in Gesellschaft und Therapie des kritischen Diskurses und der Betrachtung aller Geschlechter bedarf. Dabei entsteht der Eindruck, dass der Mann hinsichtlich einer konstruktiven Betrachtungsweise seiner Besonderheiten und Bedürfnisse in Psychiatrie, Psychologie und Psycho- therapie traditionell etwas im Abseits steht. Entgegen diverser elaborierter Be- trachtungsweisen zu frauenspezifischen Störungen und Bedürfnissen ist der Mann, vom Jungen bis zum Greis, zumindest in genderspezifischer Betrachtungsweise noch weitgehendterra incognita. Erst in den letzten Jahren beginnt hier eine ver- tiefte Auseinandersetzung, die sich auch an aktuell verschiedenen Tagungen zum Thema oder einer Häufung populärwissenschaftlicher Ratgeberliteratur ablesen lässt.

Freuds berühmte Frage: »Was will das Weib?«, müsste heute fast paraphrasiert werden: »Was ist mit dem Mann?«. In dem vorliegenden Band geben renommierte Autorinnen und Autoren verschiedene Antworten auf diese Frage aus soziologi- scher und zeitgeschichtlicher, medizinischer, psychiatrischer, psychoanalytischer, entwicklungspsychologischer und paartherapeutischer Sicht. Es geht um junge und 7

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alte Männer, um Väter und Söhne, um beheimatete und emigrierte Männer, um Männer in Beziehung zu Frauen, um ihre Beziehung zum eigenen Körper, zu den unbelebten Dingen und um ihre Sexualität. Es geht um »typisch« männliche psy- chische wie somatische Leidensformen und um Männer in der Psychotherapie.

Bernhard Grimmer Münsterlingen, im Oktober 2015

Till Afflerbach Gerhard Dammann

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Vorwort

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Inhalt

Die Reihe »Psychotherapie in Psychiatrie und Psychosomatik« . . . 5 Vorwort . . . 7

1 Zwischen Erwerbsarbeit und Familie – Zum Wandel männlicher

Lebenslagen . . . 11 Michael Meuser

2 Betrachtungen zur Männergesundheit . . . 23 Theodor Klotz

3 Männliche Jugendliche – Körper, Identität und Beziehungen . . . 32 Inge Seiffge-Krenke

4 Ältere Männer und Psychotherapie – Von der Geschichte eines

Ressentiments . . . 51 Meinold Peters

5 Macht und Ohnmacht – Migranten mit somatoformen

Schmerzstörungen . . . 62 Thomas Maier

6 Impulsivität bei Jugendlichen . . . 74 Dieter Bürgin

7 Fluchtdrang– Externalisierung, Internet und Männlichkeit . . . 90 Till Afflerbach

8 Männliche Perversionen . . . 102 Sophinette Becker

9 Der Mann in der psychodynamischen Psychotherapie–

Geschlechtsspezifische Übertragungs- und

Gegenübertragungsprozesse . . . 120 Bernhard Grimmer

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10 Funktionen des Vaters und mögliche Folgen ihrer Zerstörung . . . . 131 Gerhard Dammann

11 »Typisch Mann!« – Nur ein Klischee oder steckt mehr

dahinter? . . . 151 Astrid Riehl-Emde

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren . . . 164 Stichwortverzeichnis . . . 167

Inhalt

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1 Zwischen Erwerbsarbeit und Familie – Zum Wandel männlicher Lebenslagen

Michael Meuser

Seit Beginn des 21. Jahrhunderts ist die gesellschaftliche Situation von Männern, sind männliche Lebenslagen vermehrt in den Blick der medialen Öffentlichkeit geraten. Der Grundtenor der Berichterstattung ist von einem Krisennarrativ be- stimmt. Wenn vom »Ende der Männer«–und dem »Aufstieg der Frauen« (Rosin 2013)–oder von der »Not am Mann« (Die Zeit, Nr.2/2014) die Rede ist, scheint der Niedergang des männlichen Geschlechts nicht mehr fern zu sein. Die Männer scheinen sich auf der Seite der Verlierer gegenwärtiger gesellschaftlicher Entwick- lungen zu befinden –Verlierer im Geschlechterkonflikt, wenn nicht Modernisie- rungsverlierer schlechthin. Solche Dramatisierungen mögen einer medialen Auf- merksamkeitsökonomie geschuldet sein. Unabhängig von den Aufgeregtheiten, die mit dem Krisendiskurs erzeugt werden, ist allerdings festzuhalten, dass tradierte männliche Lebenslagen im Zuge des Wandels von Geschlechter-, Familien- und Erwerbsverhältnissen in vielfacher Weise herausgefordert sind. Männer sind ge- fordert, sich neu zu positionieren.

Lothar Böhnisch (2003, S. 25) identifiziert mit Blick auf die gesellschaftliche Position des Mannes »zwei Argumentationsfiguren zur Krise des Mannseins«; die eine bezieht sich auf den »gesellschaftlichen Aufstieg der Frau«, die andere auf die Verstrickung des Mannseins »in die Logik der Ökonomie«. Angesichts der »Be- rufsbezogenheit des Mannes« sei dessen Krise »auch immer mit der Krise der Berufs- und Arbeitsgesellschaft verbunden« (ebd., S. 198). Die mit den beiden Argumentationsfiguren angesprochenen Verhältnisse sind eng aufeinander bezo- gen und schließen ein drittes ein: das der Familie. Veränderungen in einem Bereich tangieren die anderen. Der seit den 1960er Jahren sich vollziehende Bildungsauf- stieg der Frauen verändert deren Position auf dem Arbeitsmarkt, sie werden zu potenziellen Konkurrentinnen der Männer. Die gestiegene und weiterhin steigende Erwerbsquote der Frauen macht das Problem der Vereinbarkeit von Beruf und Familie der Tendenz nach zu einer beide, Mann und Frau, betreffenden Frage, lässt mithin die Position des Mannes in der Familie nicht unberührt. Der Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft geht mit einem Abbau von Arbeitsplätzen in der Industrieproduktion, in der männliche Arbeitskräfte in der Überzahl sind, und einem Zuwachs von Arbeitsplätzen im Dienstleistungsbereich einher, in dem weibliche Arbeitskräfte überwiegen.

Diese Entwicklungen implizieren nicht zwangsläufig, dass tradierte Hierarchien im Geschlechterverhältnis in ihr Gegenteil verkehrt werden, wie es von Teilen des Krisendiskurses vermittelt wird. Sie haben aber zur Folge, »dass sich die männliche Herrschaft nicht mehr mit der Evidenz des Selbstverständlichen durchsetzt«

(Bourdieu 1997, S. 226). Sie muss in wachsendem Maße begründet und legitimiert 11

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werden. Hohe Führungspositionen in der Wirtschaft z. B. sind nach wie vor nahezu ausschließlich mit Männern besetzt. Wie die andauernde Debatte über Quotenre- gelungen zeigt, wird dies aber nicht mehr als eine Selbstverständlichkeit wahrge- nommen. Die Quotendiskussion ist ein typisches Beispiel für die Herausforderung einer tradierten Männlichkeitsposition.

1.1 Industriegesellschaftliche Männlichkeitskonstruktion

Die Tragweite der Herausforderungen ergibt sich vor dem Hintergrund einer fortbestehenden Wirkmächtigkeit der industriegesellschaftlichen Männlichkeits- konstruktion. Auch wenn das Zeitalter der Industriegesellschaft an sein Ende ge- kommen sein mag, weisen in diesem Zeitalter entstandene symbolische Ordnungen und kulturelle Deutungsmuster eine beachtliche Persistenz auf. Das kulturelle Verständnis von Männlichkeit und Weiblichkeit ist weiterhin in erheblichem Maße von den Deutungsmustern bestimmt, die den Geschlechterdiskurs der bürgerlichen Gesellschaft prägen, die in einem engen zeitlichen und ideellen Bezug zur Indust- riegesellschaft steht. Dieser Diskurs ist bekanntlich von einem Denken in Ge- schlechterpolaritäten und einer geschlechtsexklusiv konzipierten Trennung der Sphären von Produktion und Reproduktion bestimmt, die den Mann der öffent- lichen Sphäre von Beruf und Politik zuordnet, die Frau der privaten der Familie. Vor diesem Hintergrund hat sich eine Männlichkeitskonstruktion entwickelt, die um den Beruf und–im Falle desbürgerlichenmännlichen Individuums–die berufliche Karriere zentriert ist.

Wie die historische Geschlechterforschung zeigt, hat sich diese Männlichkeits- konstruktion ab Mitte des 19. Jahrhunderts durchgesetzt. In der frühbürgerlichen Epoche war der Mann durchaus noch in das Geschehen in der Familie involviert.

Er, und nicht die Frau, war der primäre Adressat der Erziehungsempfehlungen der Aufklärung. Der Mann war als fürsorglicher Vater in der Familie präsent (Francis 2002; Martschukat und Stieglitz 2005; Trepp 1996). Im Zuge einer wachsenden Geschlechterpolarisierung entwickelte sich die mit der Figur des abwesenden Va- ters bezeichnete Konstellation, in welcher der Mann zunehmend eine randständige Positioninder Familie einnimmt und seine familienbezogene Position durch das definiert ist, was er im Beruffürdie Familie leistet: als Ernährer der Familie. In der Familiensoziologie haben Parsons und Bales diese Positionszuweisung Mitte des 20.

Jahrhunderts als das Bestimmungsmerkmal der erwachsenen männlichen Ge- schlechtsrolle definiert. Diese sei fundiert »in his job and through it by his status- giving and income-earning functions for the family« (Parsons und Bales 1955, S. 14 f.).

Die hier zum Ausdruck kommende Berufszentriertheit bestimmt bis in die Gegenwart Erwartungen an Männer wie auch deren Selbstverständnis. Dies zeigt sich in unterschiedlicher Weise. Aus der Biografieforschung ist bekannt, dass 12

1 Zwischen Erwerbsarbeit und FamilieZum Wandel männlicher Lebenslagen

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Männer ihre Biografie typischerweise entlang ihres Berufslebens erzählen und dies auch dann noch tun, wenn dieses diskontinuierlich verlaufen ist (Scholz 2004, 2005; Gildemeister und Robert 2008, S. 268 ff.). Im Rahmen der industriegesell- schaftlichen Männlichkeitskonstruktion kann Männlichkeit nicht anders als vom Beruf her konzipiert werden. Ein anderes legitimes Vokabular ist gleichsam nicht zuhanden (Meuser 2005). Ein weiterer Indikator ist, dass Männer den Entschluss zu einer Familiengründung häufiger als Frauen an eine gesicherte berufliche Pers- pektive knüpfen (Schmitt 2005).

»Für einen Großteil der Männer wird die Familiengründung antizipatorisch mit der Übernahme der Ernährerposition verknüpft. Dementsprechend ist eine biograsche Fa- milienplanung und der Übergang in die Elternschaft in der Regel erst möglich, wenn die berufliche Entwicklung so weit fortgeschritten ist, dass vergleichsweise sichere Perspekti- ven bestehen« (Kühn 2005, S. 137).

Mit welcher Fraglosigkeit die Berufszentriertheit männliche Selbstentwürfe be- stimmt, zeigt sich nicht zuletzt bei jungen Männern in prekären sozialen Lagen, die über nur geringe Bildungsqualifikationen bzw. keinen Schulabschluss verfügen.

Auch unter diesen jungen Männern, denen der Zugang zu einem Normalarbeits- verhältnis hochgradig erschwert, wenn nicht völlig verbaut ist, sind »eine arbeitsgesellschaftliche Normalorientierung« (Kreher 2007, S. 161) und eine

»starke Fixierung […] auf die Erwerbsarbeitssphäre« (ebd., S. 94) zu beobachten.

Dies impliziert eine Orientierung an der Figur des Mannes als Ernährer der Familie.

Klaus Dörre zeigt, dass »die ungebrochene Ausstrahlungskraft des Normal- arbeitsverhältnisses […] bis in die›Zone der Entkopplung‹hineinreicht« (2007, S. 293). Zu den »Entkoppelten« zählt Dörre »Gruppen–Langzeitarbeitslose, So- zialhilfebezieher oder (illegale) Migranten– ohne realistische Chance auf eine Integration in reguläre Erwerbsarbeit« (2007, S. 292).

1.2 Transformationen I: Erwerbsarbeit

Die zentrale Stütze des tradierten industriegesellschaftlichen Männlichkeitskonst- rukts ist das sog. Normalarbeitsverhältnis. Als normal gilt dasjenige Arbeitsver- hältnis, das die Mehrzahl der Beschäftigungsverhältnisse in Zeiten wirtschaftlicher Prosperität kennzeichnet(e), wie sie insbesondere in der zweiten Hälfte des 20.

Jahrhunderts vorherrschte. Die zentralen Merkmale sind eine geregelte, abhängige Vollzeitbeschäftigung, Arbeitsplatzkontinuität und sozialstaatliche Absicherung.

Zwar sind in der EU die meisten Männer weiterhin in einem Normalarbeitsver- hältnis beschäftigt, gleichwohl sind Tendenzen zu dessen Erosion deutlich sichtbar (Lengersdorf und Meuser 2010, S. 92 ff.).

»Insgesamtwird die traditionelle Form der Arbeit auf der Grundlage von Vollzeitbe- schäftigung, klaren beruichen Aufgabenstellungen und eines für den gesamten Lebens- zyklus gültigen Karrieremusters langsam aber sicher untergraben und aufgelöst« (Castells 2001, S. 307).

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1.2 Transformationen I: Erwerbsarbeit

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Entwicklungen, die einer Auflösung des Normalarbeitsverhältnisses Vorschub leisten, sind die Zunahme atypischer, prekärer und diskontinuierlicher Beschäfti- gungsverhältnisse, neue Formen projektförmiger Arbeitsorganisation, Prozesse unternehmensinterner Kommodifizierung und der Rückbau sozialstaatlicher Sicherungssysteme. In Deutschland ist nahezu die Hälfte der neu abgeschlossenen Arbeitsverträge befristet. Eine wachsende Zahl männlicher Erwerbsbiografien weist Diskontinuitäten auf. Angesichts der fortbestehenden Berufszentriertheit männlicher Lebensentwürfe beinhalten diese Entwicklungen das Potenzial der Verunsicherung. Dass die Berufszentriertheit bruchlos zu realisieren ist, erweist sich für eine wachsende Zahl von Männern als Illusion.

Auf der anderen Seite spielt Berufstätigkeit eine immer größere Rolle in weibli- chen Biografien. Die Erwerbsquoten von Männern und Frauen haben sich in den letzten 50 Jahren kontinuierlich einander angenähert. Lag die Differenz der Er- werbsquoten vor 50 Jahren noch bei über 40 %, so liegt sie heute nur noch bei 10 % (Jurczyk und Lange 2014, S. 41). Frauen sind zu Konkurrentinnen der Männer auf dem Arbeitsmarkt geworden. Birger Priddat zufolge gibt es eine Leitbildverschie- bung »von einem hierarchisch-komplementären, Frauen subordinierenden Leitbild zu einem, in dem Frauen und Männer sowohl um gleichrangige Positionen kon- kurrieren als auch in gleichrangigen Teams kooperieren müssen« (2004, S. 165).

Dies dürfte in besonderem Maße für den tertiären Sektor der Dienstleistungs- und Wissensberufe gelten, in denen die Mehrzahl der Frauen beschäftigt ist. Allerdings ist die Teilzeitquote der Frauen erheblich höher als die der Männer; in Deutschland beträgt die Relation bei den abhängig Beschäftigten im Jahr 2013 47,9 zu 10,3 % (WSI GenderDatenPortal:http://www.boeckler.de/51985.htm, Zugriff am 18.08.

2015). Diese Differenz verweist auf die fortbestehende (Haupt-)Zuständigkeit der Frauen für die Familienarbeit (Hausarbeit und Kinderbetreuung), sodass sich das Problem der Vereinbarkeit von Beruf und Familie ihnen ungleich stärker als den Männern stellt. Es ist aber auch festzustellen, dass eine wachsende Zahl von (oft kinderlosen) hoch qualifizierten Frauen »sich in Abgrenzung zu traditionellen Zuschreibungen zunehmend über das Muster der zunächst Männern vorbehalte- nen›Arbeitsmarktindividualisierung‹, das heißt primär über Erwerbsarbeit« defi- niert (Nickel 2009, S. 217).

Vor dem Hintergrund beider Entwicklungen ist zu konstatieren, dass der Er- werbsarbeit ihre Bedeutung als Differenzierungskriterium zwischen männlichen und weiblichen Lebensentwürfen zumindest ein Stück weit abhandenkommt.

Diskontinuität und Prekarität, Merkmale, die für viele typische Frauenarbeits- plätze charakteristisch sind, kennzeichnen mehr und mehr auch Beschäftigungs- verhältnisse von Männern. Der Beruf wird zumindest für hochqualifizierte Frauen, deren Zahl im Zuge der Bildungsexpansion der vergangenen 50 Jahre stark angestiegen ist, in einem Maße zum Strukturgeber des Lebenslaufs, wie dies tra- ditionell bei Männern der Fall ist.

Ingrid Kurz-Scherf zufolge ist die Krise der Arbeit »nicht zuletzt auch eine Krise der androzentrischen Strukturen moderner Arbeitsgesellschaften« (2005, S. 18).

»Generell folgen die mit dem Wandel der Arbeit verbundenen Risiken und Chancen zumindest nicht per se und durchgängig dem tradierten Geschlechter-Code der Privilegierung von Männern und der Diskriminierung von Frauen« (ebd.). In die- 14

1 Zwischen Erwerbsarbeit und FamilieZum Wandel männlicher Lebenslagen

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sem Sinne enthalten die skizzierten Entwicklungen das Potenzial, die tradierte, die gesellschaftliche Dominanz des männlichen Geschlechts garantierende Ge- schlechterordnung wenn nicht aufzulösen, so doch zu gefährden. Dies stellt Männer vermehrt vor die Herausforderung, sich neu zu positionieren.

1.3 Transformationen II: Familie

Im Rahmen der tradierten Geschlechterordnung sind die Sphären von Beruf und Familie für den Mann durch die Rolle des Ernährers der Familie verknüpft. Diese Verknüpfung wird zum einen durch die bezeichneten Transformationen im Feld der Erwerbsarbeit gelockert. Die Ernährerrolle ist an die Berufsrolle gebunden. Wenn diese gefährdet ist, wird jene schnell zur Fiktion. Zum anderen hat die männliche Ernährerposition infolge des Strukturwandels der Familie sowohl ihre Fraglosigkeit verloren – das Modell des männlichen Familienernährers hat einen deutlichen Legitimationsverlust erfahren–als auch ist der Anteil der Haushalte mit einem männlichen Alleinernährer zurückgegangen. Bereits Ende der 1990er Jahre hielten in einer Befragung »etwa 71 Prozent der Männer und 75 Prozent der Frauen die Erzieherfunktion des Vaters für wichtiger als seine Ernährerfunktion« (Fthenakis und Minsel 2002, S. 66). Diese Daten verweisen darauf, dass zumindest eine allei- nige oder prioritäre Definition von Vaterschaft über die Ernährerfunktion nur noch bei einem Viertel der deutschen Bevölkerung anschlussfähig ist. Väter, die sich der Erzieherfunktion verweigern, laufen einer Untersuchung des Allensbach-Instituts zufolge Gefahr, als »Rabenväter« stigmatisiert zu werden. 33 % der im Rahmen der

»Vorwerk Familienstudie 2007« befragten Männer und Frauen hielten den Begriff

»Rabenvater« für passend, um solche Männer zu bezeichnen, die die Erziehung der Kinder der Mutter überlassen (Institut für Demoskopie 2007, S. 29). Die ge- schlechtliche Umschrift eines Begriffs, der – als ›Rabenmutter‹ – zunächst für Erziehungspersonen weiblichen Geschlechts reserviert war, verweist darauf, dass die Kinderbetreuung Teil des Anforderungsprofils eines›modernen‹Vaters gewor- den ist. Vaterschaft unterliegt einer neuen, das Engagement in der Familie einbe- ziehenden Normierung. Sowohl in der EU als auch in Deutschlandfindet dies seinen Niederschlag in der Familienpolitik, die seit ca. einem Jahrzehnt begonnen hat, mit ihren Programmen nicht mehr nur Mütter, sondern auch Väter zu adressieren (Ehnis und Beckmannn 2010; Hofäcker 2007). In der deutschen Familienpolitik geschieht dies in sichtbarster Weise in Gestalt der 2007 erfolgten Novellierung des Bundes- elternzeitgesetzes, das die Zahlung von Elterngeld für 14 statt nur für 12 Monate vorsieht, wenn beide Partner in Elternzeit gehen, mit einer Mindestdauer pro Person von zwei Monaten. Die zusätzlichen zwei Monate werden mit Blick darauf, dass die große Mehrheit der Väter (ca. 78 %), die in Elternzeit gehen, dies für zwei Monate tut, in der medialen Berichterstattung häufig als »Vätermonate« bezeichnet.

Im Jahr 2011 gab es in Deutschland in knapp einem Viertel (24 %) der Paar- gemeinschaften mit minderjährigen Kindern einen männlichen Alleinernährer. Elf 15

1.3 Transformationen II: Familie

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Jahre zuvor war dies noch bei knapp einem Drittel (31 %) der Fall. Die mit 45 % am stärksten verbreitete und in diesem Zeitraum am stärksten angestiegene Konstel- lation (von 33 auf 45 %) ist der Vollzeit arbeitende Mann und die Teilzeit arbei- tende Frau. Die Konstellation, in der beide Partner Vollzeit erwerbstätig sind, ist mit 18 % vertreten (gegenüber 24 % im Jahr 2000) (BMAS 2013, S. 127). Diese Daten zeigen zum einen, dass das traditionelle bürgerliche Familienmodell in seiner Reinform einer strikten geschlechtlichen Sphärentrennung an Verbreitung verloren hat, mit 24 % allerdings noch nicht zu einer Randerscheinung geworden ist. Sie zeigen zum anderen, dass die Sphärentrennung nicht aufgelöst ist, sondern in modifizierter Form fortbesteht. Der Vater ist in der verbreitetsten Konstellation zwar nicht mehr der Allein-, aber immer noch der Haupternährer. Matzner (2004, S. 339 ff.) hat in einer Typologie von Vaterschaftskonzepten u. a. zwischen dem

»traditionellen« und dem »modernen« Ernährer unterschieden. Während jener an einer klaren geschlechtlichen Arbeitsteilung in der Familie festhält und die Erzie- hung der Kinder an die Mutter delegiert, handhabt dieser die Arbeitsteilung weniger strikt und agiert als »Assistent« (ebd., S. 368) der familienzentrierten Mutter, dem an einer engen emotionalen Beziehung zu den Kindern gelegen und der in Maßen an ihrer Erziehung beteiligt ist. Diese modifizierte oder, wenn man so will, modernisierte Form der geschlechtlichen Arbeitsteilung in der Familie dürfte für die am stärksten verbreitete Konstellation des Vollzeit arbeitenden Mannes und der Teilzeit arbeitenden Frau charakteristisch sein.

1.4 Ambivalente Suchbewegungen

Trotz der skizzierten Transformationen im Feld der Erwerbsarbeit ist diese wei- terhin ein zentraler normativer Bezugspunkt für Männlichkeitskonstruktionen, und trotz des Strukturwandels der Familie bleibt die Figur des männlichen Fami- lienernährers Teil des gegenwärtigen väterlichen Anforderungsprofils. Männer unterliegen weiterhin stärker als Frauen der Erwartung einer generellen, durch Familienpflichten nicht begrenzten »Arbeitsmarktverfügbarkeit« (Born und Krü- ger 2002, S. 138). Das Ansinnen eines Vaters, die Arbeitszeit zu reduzieren, um mehr Zeit für die Kinderbetreuung zu haben, erzeugt in der Regel Irritationen bei Vorgesetzten und Kollegen wie Kolleginnen und wird nicht selten zurückgewiesen, während es als›natürliches Recht‹der Mutter gilt, dies zu tun (Döge und Behnke 2005; Oberndorfer und Rost 2004). In Bewerbungsgesprächen werden Väter selten mit der Frage konfrontiert, wie sie berufliche Anforderungen und elterliche Pflichten miteinander zu vereinbaren gedenken, während dies bei Müttern häufig geschieht (Behnke und Meuser 2003). Das »Vereinbarkeitsmanagement« wird den Müttern institutionell zugerechnet. Es wird von diesen allerdings auch meistens als ihre Aufgabe angenommen, selbst dann, wenn sie voll erwerbstätig sind und eine berufliche Karriere verfolgen (Behnke und Meuser 2005).

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1 Zwischen Erwerbsarbeit und FamilieZum Wandel männlicher Lebenslagen

Referenzen

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