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Der stumme Friedrich

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50 DIE PTA IN DER APOTHEKE | September 2015 | www.pta-aktuell.de

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riedrichs Kranken- geschichte begann im Januar 1887, 55 Jahre alt und immer noch Kronprinz. Das Bewusst- sein, dass seine Zeit bereits abgelaufen ist, bevor sie ei- gentlich begonnen hat, über- schattet auch seine Kaiser- und Regierungszeit.

Keine schlichte Erkältung Ab Januar 1887 litt der preu- ßische Thronfolger Friedrich Wilhelm von Hohenzollern an Heiserkeit. Da diese jedoch zwei Monate später immer noch nicht verflogen war, nahm Pro- fessor Carl Gerhardt, Berliner Kehlkopfspezialist und Che- farzt an der Berliner Charité, am 6. März eine Kehlkopfspie- gelung vor. Er entdeckte neben geröteten Stimmbändern ein längliches, blass-rotes-flaches Knötchen. Diese als primär gutartige Veränderung wahr- genommene Geschwulst wurde mittels der Operationsmethode

„Galvanokaustik“ entfernt, indem der Rachen mit Kokain betäubt und die Wucherung mithilfe einer glühenden Pla- tindrahtschlinge abgebrannt wurde. Da die Geschwulst je- doch sehr schnell nachwuchs und zu Bewegungseinschrän- kungen des linken Stimmban- des führte, zog Prof. Gerhardt nach vierzehn „galvanokaus- tischen Sitzungen“ schließlich den Chirurgen Ernst von Berg- mann hinzu, der am 16. Mai

ohne histologischen Befund die Diagnose Kehlkopfkrebs stellte.

Direkt für den 21. Mai wurde eine halbseitige Kehlkopfent- fernung (Laryngofissur) vorge- sehen, doch Kaiser Wilhelm I.

verbot nach Intervention Bism- arcks den Eingriff. Stattdessen wurde der bekannte englische Laryngologe Dr. Morell Ma- ckenzie hinzugezogen.

Untersuchungsversäum- nisse, Fehldiagnosen, Be- handlungsfehler Dieser

„Promi-Arzt“ galt als Koryphäe in Kehlkopfangelegenheiten.

Er hielt das Kehlkopfgeschwür des Kronprinzen bei seiner Un- tersuchung am 20. Mai jedoch offiziell – wider Erwartung der deutschen Kollegen – für gutar- tig, empfahl jedoch eine Gewe- beprobe, also die histologische Befunderhebung. Die von Ma- ckenzie entnommene Gewebe- probe wurde vom legendären deutschen Pathologen Prof.

Rudolf Virchow in der Berliner Charité untersucht. Sein Ergeb- nis: Kein Krebs, sondern eine warzige Wucherung auf den Stimmbändern, bezeichnet als Pachydermia verrucosa laryn- gis. Der Kronprinz wurde statt operiert zu einem Kuraufent- halt an die Südküste Englands geschickt, bereiste, angelei- tet von Mackenzie, weiter das südliche Europa, um durch die milde Seeluft Linderung zu erfahren: Venedig, Lago Mag- giore, San Remo … Heiserkeit

PRAXIS KRANKHEITEN BERÜHMTER PERSÖNLICHKEITEN

Der stumme Friedrich

© Georgios Kollidas / 123rf.com

Behandlungsfehler, Fehldiagnosen und Grabenkämpfe unter den behandelnden

Ärzten: Der deutsche Kronprinz Friedrich Wilhelm, letztlich 99-Tage-Kaiser, hatte nicht

nur unter seiner schweren Krebserkrankung zu leiden.

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DIE PTA IN DER APOTHEKE | September 2015 | www.pta-aktuell.de

und Schluckbeschwerden wur- den jedoch nur schlimmer, Ende Oktober verlor der Thron- folger endgültig seine Stimme, konnte sich nur noch schrift- lich oder flüsternd verständ- lich machen. Der Hals schwoll an, der zuvor aufrechte, kräf- tige Mann magerte zusehends ab. Nach einer neuerlichen Untersuchung im November 1887 äußerte Dr. Macken- zie erstmals gegenüber dem Kronprinzen den Verdacht, es könne sich doch um Krebs handeln. Da viele deutsche Zei- tungen kritisierten, dass der deutsche Thronfolger primär von einem Engländer behan-

delt wurde, berief Mackenzie Mitte November ein Komitee deutscher Ärzte ein, die Fried- rich Wilhelm in der Folge täglich mehrmals untersuch- ten. Diese stritten sich jedoch fortwährend über Ursache der Erkrankung, deren Folgen und Therapiemöglichkeiten, waren vielfach mehr mit internen Rangkämpfen als dereigentli- chen Erkrankung beschäftigt.

Für sinnvolle Therapien war es schon längst zu spät. Letzt- lich wurde dem Kronprinzen als einzige Möglichkeit die damals noch ausgespro- chen riskante Kehlkopftota- lentfernung vorgeschlagen, deren Überlebensrate ge- rade einmal zehn Prozent betrug. Zudem hätte sie die

unwiderrufliche „Stummschal- tung“ des kommenden Kaisers bedeutet. Kronprinz Friedrich wusste dies, lehnte ab, erlaubte aber – falls der Tumor ihm nicht mehr genügend Luft zum Atmen ließe – einen Luftröhren- schnitt. Diese Tracheotomie er- folgte am 9. Februar 1888 in San Remo. Dabei stritten sich die Ärzte aberwitziger Weise noch darüber, ob eine Silberkanüle eines deutschen oder englischen Herstellers in die Luftröhre geschoben werden sollte,wes- halb extra ein Lungenspezialist aus Straßburg geholt wurde.

Als Friedrichs Vater, der ro- buste Hohenzollern-Kaiser Wil-

helm I. am 9. März 1888 mit fast 91 Jahren starb, trat Friedrich noch das Thronerbe seines Vaters an – als erster und ein- ziger stummer deutscher Kaiser und preußischer König. Auf-

grund seiner liberalen Haltung waren aus dieser politischen Richtung große Hoffnungen in ihn gesetzt worden. Ihm blieben jedoch nur 99 Tage, keine Zeit, dem Kurs des Landes eine wirkliche Wende zugeben.

Friedrichs letzter Tagebuch- eintrag am 15. Juni 1888 stammt nicht mehr von ihm selbst. Es ist die Kaiserin Fried- rich, wie sich seine Witwe bald nannte, die notierte: „Um 11.– ein halb – hörte er auf zu athmen! Ach – wie konnte so furchtbares geschehen!

Wehe mir, daß ich es über- dauern muß!! – Armes Vater- land!“

Die Schuldfrage Die Haupt- schuld am Tod Friedrichs III.

wird von deutscher Seite gerne dem englischen Arzt Mackenzie – und seiner Gutartigkeitshy- pothese – zugeschrieben. Wo- möglich hat dieser den Krebs jedoch erkannt und zunächst bewusst „vertuscht“, denn in Mackenzies Standardwerk steht geschrieben: Bei Kehlkopfkrebs kann man nichts tun als das Lebensende möglichst hinaus- zuzögern und wenn es unver- meidlich da sei, dem Kranken möglichst erleichtern. Chirurgi- sche Eingriffe seien als zwecklos zu unterlassen. Genau so hat er gehandelt! Umgekehrt ist aus heutiger Sicht nicht erklär- bar, warum der deutsche Prof.

Gerhardt, erst als der Tumor

deutlich gewachsen war, einen weiteren Spezialisten zur Be- handlung hinzuzog. Ebenso wenig erklärbar ist, warum die deutschen Ärzte allein aufgrund klinischem Erscheinungsbild Schlüsse zogen und nicht sofort und so früh wie möglich eine histologische Befundsicherung stattfand. So konnten wertvolle Wochen verstreichen. Und die von Virchow vorgenommene histologische Untersuchung fand an einer Biopsie, genom- men nach mehrfacher „Galva- nokaustik“, statt. Dies ist noch dazu vor dem Hintergrund zu sehen, dass es sich um den Thronfolger des Deutschen Rei-

ches handelte und somit weder ökonomische noch logistische Hindernisse als Entschuldigung für die Versäumnisse herhalten können. Die Autopsie ergab je- denfalls zweifelsfrei, dass Fried- rich Wilhelm am Kehlkopfkrebs gestorben war. Eine frühere Operation hätte ihn allerdings auch nicht gerettet, nur womög- lich sein Leben etwas verlängert.

Und die berechtigte Frage ist:

Zu welchen Lebensqualitätsbe- dingungen? Den Thron bestieg anschließend sein Sohn, Wil- helm II. Auch er ein kranker Mann. ■

Dr. Eva-Maria Stoya, Apothekerin / Fachjournalistin VORSCHAU

In unserer Serie „Krank- heiten berühmter Persön- lichkeiten“ stellen wir Ihnen demnächst folgende Menschen vor:

+ Winston Churchill + Franz Kafka

»Das Bewusstsein, dass seine Zeit bereits abgelaufen ist,

bevor sie eigentlich begonnen hat, überschattet auch

seine Kaiser- und Regierungszeit.«

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