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Diskussion statt Konfrontation

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Nr. 5 Oktober/November 2015 Nr. 5 Oktober/November 2015

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Schweizerische Vereinigung für Standortmanagement l SVSM SVSM l Schweizerische Vereinigung für Standortmanagement

Der Schweizerischen Vereinigung für Standortma- nagement SVSM gehören über 70 Mitglieder aus den Bereichen Standortmanagement, Regionen- marketing und Siedlungsentwicklung an. Sie för- dert den Erfahrungsaustausch und das Networking an Veranstaltungen mit Referenten zu aktuellen Themen aus der Branche.

SVSM Geschäftsstelle, Wengistrasse 7, 8004 Zürich, Tel. 044 455 56 61 info@svsm-standortmanagement.ch www.svsm-standortmanagement.ch

Diskussion statt Konfrontation

In Debatten über die Zukunft der Gemeinde, das Ortsbild oder die Standortentwicklung prallen oft scheinbar unversöhnliche Standpunkte aufeinander. Die «rationale Problemlösungsmethodik» zeigt ein Vorgehen auf, um Ratsdiskussionen zu versachlichen und vernünftige Entscheide zu fällen.

Von Claude Wagner und Ruedi Käch*

Standortmanager und -politiker kennen die Situa- tion bestens: Sie wollen ein neues Projekt im Ge- meinde- oder Stadtrat durchbringen, verfügen über eine reiche Anzahl guter Argumente; dennoch wird aus der Diskussion schnell eine polemische De- batte, mit persönlichen Angriffen versetzt, und am Schluss wird das Projekt abgelehnt oder sistiert, und das mit fadenscheinigen Begründungen.

Einen vielversprechenden Ansatz, um solche Debakel zu vermeiden, stellt die von Rupert Lay («Kommunikation für Manager») entwickelte rati- onale Problemlösungsmethodik dar. Sie eignet sich hervorragend im Standortmanagement, wo viele Akteure und Anspruchsgruppen Einfluss auf Ent- scheidungsträger nehmen. Mit ihr können Debat- ten, die nur Sieger und Verlierer hervorrufen, ver- mieden werden. Diese Methode schont also auch die Beziehungsebene.

Grundlage von Lays Methodik ist die Erkennt- nis, dass grundsätzlich jede Haltung – ob positiv oder negativ – immer an Bedingungen geknüpft ist. Diese bilden die Grundlage für das Befürwor- ten oder Ablehnen eines Antrags.

Sehen wir die für uns notwendigen Bedingun- gen als gegeben (erfüllt oder erfüllbar), stimmen wir einem Antrag in aller Regel zu. Andernfalls fehlen uns die notwendigen Voraussetzungen und wir lehnen ab. An Gemeinderats-Sitzungen werden üblicherweise nicht die gegebenen oder fehlenden Bedingungen aufgelistet, sondern die Begrün- dungen (Pro oder Contra). Die Bedingungen, auf welche sich die Begründungen letztlich abstützen, werden damit oft nicht oder nur teilweise trans- parent. Wir argumentieren mit «weil» und lassen es dabei bewenden …

Fallbeispiel 1: Tempo 30

Eine Gemeinderätin stellt den Antrag, in einem Quartier, in dem viele Familien mit Kindern leben, die Geschwindigkeit für Motorfahrzeuge von bis- her 50 auf 30 Kilometer pro Stunde zu reduzieren.

Wie nicht anders zu erwarten, gehen die Meinun- gen zu diesem Anliegen diametral auseinander.

Übliche Standpunkte sind:

Ja, weil das die Anzahl Unfälle reduziert (a),

Nein, weil das ja doch niemand kontrolliert (b),

Nein, weil das meine individuelle Freiheit einschränkt (c),

Nein, weil das nur zu mehr Stau führt (d) Es entstehen in solchen Fällen sofort zwei Lager, welche sich gegenseitig die Köpfe heiss reden.

Wenn es zur Abstimmung kommt, fällt das Re- sultat oft knapp aus – und ist mehr oder weniger zufällig. Wo es darum geht, unterschiedliche Mei- nungen in einen Konsens zu überführen, weil vom Resultat alle Einwohner betroffen sind, sind solche Mehrheitsentscheide äusserst gefährlich.

Die Methodik der rationalen Problemlösung geht einen effizienteren und effektiveren Weg: Sie fragt, unter welchen Bedingungen die Ratsmitglieder einem bestimmten Sachverhalt zustimmen könn- ten. Das heisst in diesem Fall:

Tempo 30 im Quartier nur dann,

wenn damit die Anzahl Unfälle vermindert wird (a)

wenn die Reduktion der Geschwindigkeit kontrolliert wird (b)

wenn die individuelle Freiheit nicht eingeschränkt wird (c)

wenn diese Reduktion nicht zu mehr Stau führt (d).

Nun gibt es kein Pro und Kontra mehr, die Begrün- dungen wurden in Bedingungen umgewandelt.

Eine Bedingung ist entweder erfüllt, erfüllbar oder nicht entscheidbar. Die Ausgangsfrage lautet also neu: Unter welchen Bedingungen könnte man Tempo 30 zustimmen? Der Gemeinderat kann nun jede einzelne Bedingung diskutieren und kommt zum Beispiel zu folgendem Resultat:

Die Bedingung (a), Reduktion der Unfälle, ist erfüllt, sie kann von der Antragstellerin statistisch belegt werden (da herrscht Konsens).

Die Bedingung (b), Geschwindigkeitskontrol- len, ist erfüllbar, wenn man das will, dazu braucht es eine Kontaktaufnahme mit der Polizei (da gibt es ebenfalls Konsens).

Bei der Bedingung (c) ist die Mehrheit des Gemeinderats der Meinung, die «individuelle Frei- heit» könne nicht über Anliegen der Allgemeinheit gestellt werden, das gelte in andern Lebensberei- chen wie zum Beispiel der Nachtruhe ebenso. Die- se Bedingung findet also keine Zustimmung und muss deshalb aus dem Katalog gestrichen werden.

Es wäre auch paradox, unerfüllbare Bedingungen in den Bedingungskatalog aufzunehmen.

Die Bedingung (d), weniger Stau, ist nicht ent- scheidbar. Unentscheidbarkeit bedeutet immer auch, dass eine Bedingung mit einem Risiko ver- bunden ist. Die Methodik der rationalen Problem- lösung kann dieses Risiko zwar nicht eliminieren, aber sie macht es immerhin transparent.

So kann der Gemeinderat zum Schluss kommen, dass es zwar ein gewisses Risiko für eine Stauent- wicklung gibt, kann sich aber auf den Standpunkt stellen, dass dieses angesichts der Vorteile von Tempo 30 eingegangen werden und der Antrag befürwortet werden kann.

Jede Bedingung, die im Katalog bleibt, ist ver- bindlich. So ist zum Beispiel die Kontaktaufnahme mit der Polizei ein Muss. Man setzt damit die ge- wünschten Leitplanken und stimmt somit einem Sachverhalt nicht einfach bedingungslos zu.

Lays Methodik deckt auch schwach abgestütz- te Meinungen auf, wie die Bedingung (c), indivi- duelle Freiheit, zeigt. Wer die Methodik anwenden will, muss damit überhaupt nicht voraussetzen, dass die Beteiligten diese kennen. Man schlägt einfach vor, die Pros und Contras einmal aufzuneh-

men und zeigt dann auf, wie man weiterfährt.

Meist sind Entscheidungsträger froh darüber, wenn jemand die Moderation übernimmt, insbesondere bei emotional behafteten Anträgen, wie das fol- gende Beispiel zeigt.

Fallbeispiel 2: Gemeindefusion

Im Gemeinderat XY herrschten seit Monaten verhärtete Fronten wegen einer möglichen Ge- meindefusion. Der Gemeinderat hatte einem Treu- handbüro eine Studie in Auftrag gegeben, um die finanziellen Auswirkungen einer Fusion mit einer kleineren Nachbargemeinde abzuschätzen. Diese kam zum Schluss, dass langfristig eine Steuer- erhöhung nötig würde. Aufgrund der verhärteten Fronten entschied sich der Gemeinderat, die Be- völkerung zu befragen. Diese stimmte einem Zu- sammenschluss mit 62 Prozent Ja-Stimmen grund- sätzlich klar zu. Im Fall einer nachträglichen Steu- ererhöhung waren hingegen 56 Prozent dagegen.

Die Frage nach der Steuererhöhung entpuppte sich als Killerkriterium. Der Gemeinderat liess ei- nen Fusions-Workshop durchführen, in dem Chan- cen und Risiken einer Fusion nach der Artenglie- derung des Budgets aufgelistet wurden. Um die Bedingungen für eine Fusion eingehender zu diskutieren, wurde danach ausschliesslich auf die Risiken fokussiert. Die Bedingung, den Steuerfuss bei einer Fusion nicht zu erhöhen, war zentral – man musste sie nun konsensfähig machen. Eine eingehende Diskussion kam zu folgendem Ergeb- nis: Fusion nur dann,

wenn der Steuerfuss unter den heutigen Vor- aussetzungen bis 2021 nicht erhöht werden muss.

Diese Bedingung konnte unter anderem mit dem Zurückstellen eines Neubaus für den Werkhof er- reicht werden, sie war also erfüllbar.

wenn die Altlasten der Nachbarsgemeinde (Müll-Deponie, Strassenreparaturen etc.) analysiert

und finanziell beurteilt sind. Auch diese Bedingung war erfüllbar: Man entschied sich, mit der Nach- barsgemeinde Kontakt aufzunehmen, um ge- meinsam eine entsprechende Studie in Auftrag zu geben.

wenn eine Eingemeindung stattfindet. Auch diese Bedingung wurde als erfüllbar bewertet, der Gemeinderat der Nachbarsgemeinde hatte bereits zustimmende Signale, etwa für die Aufgabe der Postleitzahl, gesendet.

wenn die neue Gemeindeverwaltung, das Schul- sekretariat und die Schulleitung in die bestehen- den Räumlichkeiten integriert werden.

Auch diese Bedingungen wurden mit erfüllbar be- wertet, denn so konnten beide Gemeinden Syner- gien nutzen und Kosten abbauen.

wenn die aktuellen Vorteile einer Fusion auch in zehn Jahren noch wirksam sein würden, wurde als nicht entscheidbar bewertet. Befürworter und Gegner kamen zum Schluss, das vorhandene Risi- ko sei in Kauf zu nehmen, die Vorteile beziehungs- weise Chancen würden überwiegen.

Mit diesen Bedingungen konnte der Rahmen für die kommenden Fusionsverhandlungen mit der Nachbargemeinde präzis abgesteckt werden. Da- durch wurde es möglich, innert eines halten Tages bei einem Thema Konsens zu erzielen, über das zuvor monatelang debattiert worden war. Das ist etwas ganz anderes als der übliche «Kompromiss».

Die Überführung von Begründungen (ich bin dagegen, weil…) in notwendige Bedingungen löst keineswegs die Tendenz aus, der Ausgangsfrage systematisch zuzustimmen. Eine einzelne Risiko- bedingung, die als beträchtlich oder zu hoch ein- gestuft wird, kann zu einer Ablehnung führen.

Das wäre im erwähnten Beispiel wohl der Fall gewesen, wenn die Steuererhöhung sofort und in beträchtlicher Höhe erfolgt wäre.

Weil wir in unseren Entscheidungen vielfach auch emotional und irrational beeinflusst sind, sind wir uns selbst bei Themen wie einer Gemeinde- fusion nicht immer im Klaren darüber, welche Bedin gungen dazu geführt haben, diese zu be- fürworten oder abzulehnen. Die rationale Pro- blemlösungsme thodik ermöglicht einen gemein- samen Erkenntnisfortschritt, bei dem das «Wir», und somit indirekt das Wohlergehen der ganzen Bevölkerung, im Zentrum steht.

* Claude Wagner ist Dozent für Kommunikation und Standortmar- keting an der Hochschule für Wirtschaft FHNW. Er ist Kursleiter des zweitätigen Fachkurses «Standortmarketing», Zielpublikum sind Mitglieder der öffentlichen Verwaltung und des Gemeinderats.

Der nächste Kurs findet am 27. / 28. November 2015 in Olten statt. Auch ist der Co-Studienleiter des CAS Standortmanagement, dieser startet am 29. Oktober ebenfalls in Olten.

Ruedi Käch ist Dozent für Kommunikation und Verhandlungs- technik an der Hochschule für Wirtschaft FHNW. Er ist Kursleiter des Fachkurses «Verhandlungstechnik».

Weitere Informationen unter:

www.fhnw.ch/wirtschaft/weiterbildung

Dafür oder dagegen? – Die Einführung von Tempo- 30-Zonen gehört zu jenen Traktanden, bei denen sich die Fronten leicht verhärten. Bild: Zvg

Jede Haltung zu einer bestimmten Sachfrage ist an gewisse Bedingungen geknüpft: Um einen Konsens zu finden, müssen diese Bedingungen identifiziert werden. Bild: Zvg

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