Siegert, Michael T.
Neo-religiöse Bewegungen unter Jugendlichen. Eine Kränkung des
herrschenden wissenschaftlichen Weltbilds?
Zeitschrift für Pädagogik 27 (1981) 3, S. 403-419
Empfohlene Zitierung/ Suggested Citation:
Siegert, Michael T.: Neo-religiöse Bewegungen unter Jugendlichen. Eine Kränkung des herrschenden wissenschaftlichen Weltbilds? - In: Zeitschrift für Pädagogik 27 (1981) 3, S. 403-419 - URN: urn:nbn:de:0111-pedocs-141594 - http://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0111-pedocs-141594
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DOCSDIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation Informationszentrum (IZ) Bildung
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Jahrgang
27
-Heft 3
-Juni 1981
I. Thema:
Jugend
AlfredBietau/Wilfried Zur Selbstkrise
Jugendlicher
in Schule und Subkultur Breyvogel/WernerHelsper 339Horst Scarbath/Hans-Joachim
Selbstthematisierung
vonKindern imTagesheim
ange-Plewig/ThomasWegner sichts drohender Devianz. Ein Werkstattbericht 363
KarlErnstNipkow
MichaelT.Siegert
Neue
Religiosität, gesellschaftlicher
Wandel und die SituationderJugendlichen
379Neo-religiöse
Bewegungen
unterJugendlichen.
EineKränkung
des herrschenden wissenschaftlichen Welt¬bilds? 403
IL Literaturberichte
zumThema
Jürgen Zinnecker
Hartmut M.Griese
Jugendliche
Subkulturen. Ansichten einerkünftigen
Jugendforschung
421Jugendliche
Gastarbeiterkinder: Situation und Proble¬ matik. Eine Literatur- undForschungsdiskussion
441III.
Besprechungen
Yvonne Schütze
Hans Füchtner
HorstScarbath
KurtGerhardFischer
Joachim Kersten/Christian von Wolffersdorff-Ehlert:
Jugendstrafe.
InnenansichtenausdemKnast 457Helmut Dahmer
(Hrsg.):
Analytische
Sozialpsycholo¬
gie
462Manfred Machold/Peter Posch/Josef
Thonhauser(Hrsg.):
österreichische
Beiträge
zurBildungsforschung
464ViktorvonBlumenthal: Die Reform der Sekundarstufe
RudolfLennert Hellmut
Becker/Ludwig Liegle:
Israel-Erziehung
und Gesellschaft 471IV.
Dokumentation
DissertationenundHabilitationsschriften in
Pädagogik
1980 473Pädagogische
Neuerscheinungen
493Amchriften
der MitarbeiterdiesesHeftes:
Alfred Bietau,
Dipl.-Päd.,
Saarbrücker Straße, 4300 Essen 1; Dr.WilfriedBreyvogel,
Pelmanstraße 81, 4300 Essen 1; Prof. Dr. Kurt Gerhard Fischer, Fachbereich 3, Karl-Glöckner-Straße 2IE,6300 Gießen; Dr. HansFüchtner,
c/o Oceanira de Sousa Nasci-mento, rua Dois de Decembro, 62Apto.
704,Zc-01-Flamengo,
Rio de Janeiro R.J., Brasil;Dr.Hartmut M.Griese,Univ.Hannover,FachbereichErziehungswissenschaften,
Bismarckstraße2,3000 Hannover 1;WernerHelsper,
Dipl.-Päd.,
KaldenhoferBaum7, 4300 Essen 11;Prof. Dr.RudolfLennert, Weitlstraße 66, 8000München45; Prof. Dr. Karl ErnstNipkow,
Weiherstraße49,7400Tübingen
9; Hans-JoachimPlewig,
Ass.-jur.,
Univ.Hamburg,
FachbereichErziehungswissenschaft,
Sedanstraße 19, 2000Hamburg
13; Prof. Dr. HorstScarbath,
Univ.Hamburg,
FachbereichErziehungswissenschaft,
Sedanstraße 19, 2000Hamburg
13; Dr. Yvonne Schütze, MPI fürBildungsforschung,
Lentzeallee 94, 1000 Berlin 33; Dr. Michael T.Siegert,
MPI fürBildungsforschung,
Lentzeallee 94, 1000 Berlin 33; Dr. ThomasWegner,
Univ.Hamburg,
FachbereichErziehungswissenschaft,
Sedanstraße 19, 2000Hamburg
13; Dr.Jürgen
Zinnecker, Berliner Straße 16,6238Hofheim/Taunus.Beltz
Verlag
Weinheim und Basel
Anschriften
derRedaktion:Dr.ReinhardFatke,Brahmsweg
19, 7400Tübingen
1;Prof.Dr.AndreasFlitner,ImRotbad43,7400
Tübingen
1;Prof.Dr.WalterHornstein,Pippin-straße27,8035
Gauting.
Manuskripte
indoppelter Ausfertigung
an dieSchriftleitung
erbeten. Hinweise zuräußeren Form der
Manuskripte
finden sicham Schluß von Heft 1/1981, S. 165f., undkönnen bei der
Schriftleitung angefordert
werden.Besprechungsexemplare
bitte an die AnschriftenderRedaktionsenden.Die„ZeitschriftfürPädagogik"
erscheint zweimonat¬ lich(zusätzlich jährlich
1Beiheft)
imVerlag
Julius Beltz GmbH & Co.KG,Weinheim undVerlag
Beltz & Co.Basel.Bibliographische Abkürzung:
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Mehrporto. Ermäßigter
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zuerfragen
sind.ISSN 0044-3247
Michael T. Siegert
Neo-religiöse
Bewegungen
unterJugendlichen
Eine
Kränkung
des herrschendenwbsenschaftlichen
Weltbilds?*1.
Jugend
ab Problem?Die in der
jugendsoziologischen Forschung
gern bemühteFormulierung,
daß dieIntegra¬
tionJugendhcher
inunsereGeseUschaft zunehmend schwererwerde,
istsozutreffend wieunscharf. Mit dieser
Trendaussage
verbinden sich nichtnurdivergierende
Prognosen
über diezukünftige geseUschafthche Entwicklung,
sondernzugleich
eine VielzahlvonVorstel¬lungen
undBemühungen,
dievordemHintergrund
vonAussagen
über diepsychische
Lage
derJugend
auftherapeutisch
gerichtete Steuerungsmaßnahmen
abzielen. DiePro¬gnosen und Interventionsmaßnahmen lassenerkennen,welche
Bedeutung
in modernen Gesellschaften demJugendalter beigemessen
wird. Esgeht
umdieFunktionalitätinsti-tutioneUer und außerinstitutioneller
Sozialisationsprozesse
im Hinbhck auf zwei Gesichts¬punkte,
die einanderwechselseitig
bedingen:
ImHinbhck auf diezukünftige
Entwicklung
einerGesellschaft erweist essich,
ob der vorherrschende Soziahsationsmodusgeeignet
ist,bei den
Jugendhchen
hinreichendeundpassende
Motivationenzuerzeugen, umdie Kontinuität der GeseUschaftzugewährleisten.
Undkomplementär
zudieserEvaluierung
von Verlaufsformen desJugendalters
unter demGesichtspunkt
dergeseUschafthchen
Bestandsproblematik
stellt sich die andereFrage,
inwieweiteseinemJugendhchen
gegen Ende der Adoleszenzgelungen
ist,
für sich einentragfähigen
Lebensentwurf aufzubauen.Eigentümlich
querzuallgemeinen Prognosen
über dieEntwicklung
derJugend
—derenBandbreitevonder
Vorstellung
einer anomischenEntwicklung
(,Verrottungshypothese';
Gutman1973)
bishinzurSchreckensvision einer mimetisch.angepaßten
Jugend'
(Neis-seretal.
1979)
reicht-stehtjedoch
dasaktuell beobachtbare Verhalten identifizierbarerTeilkulturen der
Jugend:
Sogutwie keine der in den letzten Jahrengetroffenen
Trend¬ aussagen kannGültigkeit
beanspruchen.
Daseinzig
StabileandemGegenstandsbereich
,Jugend'
scheintder Sachverhaltzusein,
daßeskaum ein soziales Problemgibt,
andem dieAltersgruppe
derJugendhchen
nichtbeteihgt
ist. So läßt sichetwaanaktueUen Er¬eignissen
ablesen,
daß die These von der zunehmendenEntpolitisierung
derJugend¬
hchen-für viele überraschend-unzutreffend ist. Hier mag der Hinweis
genügen,
daßJugendhche
derHauptträger
pohtisch
innovativerBürgerbewegungen
sind(vgl.
dieAnti-Atomkraftbewegung).
DerUmfang,
in dem inBürgerinitiativen,
Alternativbe¬ wegungen, Instandbesetzern—um nureinige
Gruppierungen
zu nennen-Jugendüche
pohtisch
mobilisiertsind,
dürfte sogar den in densechziger
Jahren erreichtenumein Viel¬ faches überschreiten.DerForschungsgegenstand Jugend
hat sichbislang
alsweitgehend
.unberechenbar'erwiesen.IchdankeAishaMeyersowiedenTeünehmernmeinerLehrveranstaltung „Radikale Identitäts-transformationen—Zur
psycho-sozialen Organisation neo-religiöser Bewegungen"amInstitut für
SoziologiederFreien Universität Berlin im Wintersemester 1980/81fürwesentücheAnregungen.
Ähnhches
gut
auch für dassprunghafte
Anwachsen offizieU alsneo-reügiös
deklarierterBewegungen
unterJugendüchen
undjungen
Erwachsenen. DieTatsache,
daß sichJugend¬
hcheüberhaupt reügiösen
Thematiken nichtnurzuwenden,
sonderndiese auch lebens¬praktisch
zuerfassensuchen,falsifiziertPrognosen,
die dieBedeutungslosigkeit
und Un-attraktivität des Themaslangfristig
alsgesichert
annahmen(Keniston 1971).
ZweiFaktoren scheinen dafür verantwortlichzu
sein,
daß dieempirische Jugendforschung
allzuoftzuunzutreffendenEinschätzungen
-etwavorschneUenGeneralisierungen
-undFehlprognosen
kommt. Zum einen ist dafür derweitgehend
reaktive Charakterproblem¬
orientierterJugendforschung
verantwortlich. Wesenthcher scheint indes der eng damit verbundeneSachverhalt,
daß sich dieSozialwissenschaften,
insbesondere bei ihrer Be¬handlung
der Devianz- undInnovationsthematik,
vielfach aufideologische
und interessen¬geleitete
Vordefinitionen ihrerGegenstandsbereiche
stützen. VonBedeutung
sind hier VordefinitionenpotentieUer Objektbereiche
durch einemediengesteuerte Öffentlichkeit,
wobei die veröffentüchtenMeinungen
mit ihrem hohen Themenverschleißfestlegen,
werbzw.was zuwelchem
Zeitpunkt
als Problemzugelten
habe.Zwar steht außer
Frage,
daßsozialwissenschaftücheForschung
aufgeseUschafthche
Pro¬ blemeBezug
nehmen muß. Das darfjedoch
nichtbedeuten,
unkritischProblemvorgaben
undProblemdefinitionen der
,öffenthchen
Meinung'
zuübernehmenund sozialwissen¬ schafthchzuuntermauern1.
Ineiner berühmtgewordenen
Kritik des,Social
problem-Ansatzes' hatBlumer
(1970)
darauf aufmerksamgemacht,
daß soziale Probleme im Kon¬textkoUektiver
Definitionsprozesse .erzeugt'
werden,
daja
beUeibe nicht aUegeseUschaft¬
hchen Probleme den StatusaUgemein
anerkannter sozialer Problemeerreichen2.
Die kon¬ ventionellen Sozialwissenschaften—so auch der Kern vonBlumersArgumentation
—verhalten sich diesen Problemdefinitionen
gegenüber
sowie diealltagsweltüch
Handeln¬den: Sie behandeln sie als
.Gegebenheiten'
bzw. alsDaten, ohne nach deren Zustande¬ kommenzufragen3.
Dieseobjektivistische EinsteUungderSozialwissenschaftenschlägtsich in einer bizarrenStiUsierung nieder: Ein weiter Teüderjugendsoziologischen ForschungerklärtihrenGegenstandsbereichins¬
gesamtzumProblem.DiesbringteineFormuUerungvonJessor/Jessor(1977,S.
6)
zumAusdruck:„Thereisafinalpointthat soücitsspecial
social-psychological
interestinthisperiod:thepossibüitythatadolescence itselfcanbe construedas a.socialproblem'."Manmuß sich dabeivorAugenführen, daß dieser ,Jugend-als-Problem-Ansatz' immerhin
-legt man die Altersgruppe der 14- bis
25jährigen zugrunde-17%bzw. ein Sechstel derGesamtbevölkerungzumProblem erhebt(vgl.auch Hornstein1979).Nichtnurverliert damitderBegriff ,Problem' jeglicheTrennschärfe alsempirischer
Begriff;nochschwererwiegt,daßdie Definition desUntersuchungsgegenstandeszugleicheine
un-eingestandene,aberrecht deutüche Problemzuschreibungenthält. Es ist dieJugend,dasheißtdie Altersgruppe selbst,der imHinbückaufwelcheskonkrete Problemauch ünmer
.Verursachereigen-Daß imübrigennichtjedessozialeundpoUtischeProblemzugleichauch einwissenschaftlichesist,
dürfte einleuchten.
Diesen Prozeßkann mansich gut andemVerhältnisvon Wohnungsnot, Instandbesetzungen und der,Definition'diesesjaschon seitlangemexistierendenProblemszueinem.sozialen'klar¬ machen.
InderBegrifflichkeitderEthnomethodologiehandeltessich hierumeinBeispielfürdie Ver¬
mischungvon,topic'undRessource'. Sowirddie GeordnetheitsozialerSystemeimmerschon
vorausgesetzt(ressource), nichtaber inderSystematikihrerErzeugungselbstzumGegenstand
Neo-religiöse
Bewegungen
unterJugendlichen
405
Schäften'zugeschriebenwerden. DieFestlegungvonJugendals.Problem'isteineinteressierteForm derProblemverschiebung,wie sie Sozialwissenschaftlerneigentüch nichtunterlaufen soUte: Hier werden qua Definition dieZuständigkeitenverkehrt.
Eine sozialwissenschaftüche
Orientierang
aber,
die im Anschluß anaUtagswelthche
Vorarteüsstrakturen
Jugendhche
prinzipieU
unter dem leitendenGesichtspunkt
vonProblemen
erfaßt,
verfehlt nicht nurdie Dimension dergeseUschafthchen
Einbettung
und
Verursachung
vonproblematischen Handlungsweisen
undEntwicklungsverläufen.
Sie hat sich
zugleich konzeptueU
auf einefolgenreiche
Vorannahmefestgelegt.
Mit ihrer virtueUenGeneraUsierung
vonJugend
alsAbweichung'
bezieht sie sich nämhchunein-gestandenermaßen
auf einetiefgreifende
geseUschafthche
Krisensituation.Eswird dabeiimphzit
dieBehauptung
aufgesteUt,
daß diegeseUschafthch
vorherrschende SoziaUsation nichtlänger
greift.
Das einst kritischvonBernfeld(1973) aufgesteUte
Diktum,
daßjede
Gesellschaft dieErziehung
hat,
die siebraucht,
wird im hier zur Debatte stehendenAnsatz noch überboten: Eine Gesellschaft, die ihre
Jugend
insgesamt
zum Problemdefinieren
muß,
fühltsich offenbar in ihrer Kontinuität bedroht.2. ,
Jugendsekten'
—Zur Kritik
gängiger Problemdefinitionen
Seit Mitte der 70er Jahretretenin der
Bundesrepubhk
verstärktreügiös-charismatische
Bewegungen
inErscheinung.
Nichtnurim öffentlichenBewußtsein,sondern auch in denwenigen
wissenschafthch damit befaßten Arbeiten werden für dieses Phänomen Defini¬tionen,
Einschätzungen
undTherapievorschläge bereitgehalten,
die die inRede stehendenBewegungen
fast ausnahmslos in denZusammenhang
abweichenden Verhaltensbringen.
Nahezuzwangsläufig ergeben
sichausder.Devianzperspektive'
erstensderPathologie¬
verdacht im Hinblick auf die
geistige Verfassung
derMitglieder (Langen
1979; Lang1980),
zweitensdie.Verführangs-'
bzw..Gehirnwäschehypothese'
inbezug
auf Konver¬sionsprozesse (Clark 1978)
und schheßhch dieMarginahtätsannahme
im Hinbhckauf diegeseUschaftüche
Verbreitung
der dieBewegungen
kennzeichnenden Phänomene. Worin besteht nun das Problem mitreligiös-charismatischen Gruppierungen,
für die-fast möchtemansagen: wahlweise-Devianz
signalisierende Kennzeichnungen
wie,Sekten',
.Jugendrehgionen'
oder gar.destruktive
Kulte'bereitgehalten
werden(Kabermann
1979; Nannen1979)? Folgen
wir denEinschätzungen
derbislang hauptsächlich
auf diesem Gebiettätigen
Experten
—essind imdeutschsprachigen
Bereichvor aUem die Sekten¬beauftragten
der beiden Konfessionen-,solassensich dievorgetragenenProblemdefini¬tionen im wesenthchen auf zwei
Aussagen
reduzieren4. Religiös-charismatische
Gruppen
gelten
alsgefährlich,
weU sie(1) alterstypische
ProblemevonJugendhchen
entgegendeneigenen Ankündigungen
zueigennützigen (unrehgiösen)
Zweckenausnützen;eshandeltsich dabei um die
manipulative
Einflußnahme aufrehgiöse
BedürfnisseJugendücher
Die AbstinenzderVerhaltenswissenschaften inderBundesrepubUkist imHinbück aufdieses Themabeeindruckend. DieserForschungsstand produziertkuriose Situationen:So sahensich die
HerausgebereinerangesehenenZeitschrift derklinischenPsychologie genötigt,vonTheologen
(Sektenbeauftragten) gutachterliche Stellungnahmenüber dieGefährüchkeitvonGruppenund ihrertherapeutischen Angebote einzuholen (vgl. Informationsblätter der Gesellschaftfür
(Mildenberger 1979); (2)
mit HilfevonIndoktrinationstechniken diegeistige
Verfassung
der
Jugendhchen (ihrer Mitglieder)
bis hinzur.absoluten
Entpersönhchung' (Haack 1979)
verändern;
sie erzeugen eine massiveAbhängigkeit,
der eine totaleEntfremdung
vonStaat,
GeseUschaft,
Kirche und Famihekorrespondiert (Bleistein 1977).
Grundlage
dieserEinschätzungen
büden die Berichte.Ehemaliger',
Beschwerden vonEltern aktiver
Mitglieder
sowie schriftlichesPropagandamaterial
derGruppen
(Haack
1979).
Aus dem breiten,kaumüberschaubarenSpektrum
anGruppierungen
beziehensich dievorgenannten
Einschätzungen
undProblemdefinitionen auf maximal sechsGrap¬
pen: die
.Internationale
Geselbchaft für KRISNA-Bewußtsein'
e.V.,
die,Vereinigungs¬
kirche' e. V.,
(sog. ,Mun-Sekte'),
die,Kinder
Gottes'(Children
of
God),
,Scientology-Kirche'
(Sckntology Sea-Org.),
die,Divine
Light
Mbsion'(Guru
Maharaj
Ji)
sowie die,Transzendentale
Meditation'*.
Dasfür das Phänomen
,Jugendsekten'
bereitgehaltene
Erklärungsmuster
stütztsichauf dieKonzeptualisierung
der Adoleszenz alstransitorischerKrisenperiode,
für die—bevores zur
endgültigen Stabiüsierung
kommt-Desorientierung,
mangelnde
Lebensperspek¬
tiven und
Sinnprobleme
kennzeichnend sind.Eigentümhch
inkonsistentzuder hierbei fürdas Erwachsenenalter unterstellten
Stabilisierung
mutet der in vielen Varianten auf¬ tretendeHinweis auf einen.aUgemeinen
WerteverfaU'an, auf denDesorientierung
undihr
Gegenstück ,rehgiöse
Ansprechbarkeit' zurückgeführt
werden. DieHalbherzigkeit,
mit der diese ArtvonKrisenannahmenauftritt,
wird in der fast schonobhgaten
Aufforde¬rung deutüch, daß Kirche und Gesellschaft sich
,wieder
überzeugender' präsentieren
müßten6.
Dennoch istesnicht weitererstaunlich,
daß die.öffentliche
Meinung'
ingleicher
Weise wie die
Sektenbeauftragten
dergroßen
Konfessionen—freUichaus zumTeilunter¬schiedhchen Gründen—kaum
Schwierigkeiten
haben,
neo-reügiöse Gruppierungen
als soziales Problemzudefinieren. DieGrappen
werden in einemAtemzug
mitdrogenabhän¬
gigen
Jugendüchen, jugendhchen
Alkoholikern,
Trebegängern
und anderenRandgrappen
von
Jugendhchen
genannt. Beüebtist auch dieKennzeichnung charismatisch-religiöser
Gruppierungen
alsrehgiöse
Subkultur(Lenz 1976)
oder.Untergrandreligion' (Schwei¬
zerBeratungsdienst
1975).
Auch dieseFestlegungen
sind Bestandteü der leitendenMarginalitätsannahme.
AufProblemdefinitionsversuchephilologischerArt,dieAussagenüberdie.Echtheit'desAnspruchs
neo-reügiöser Gruppierungen(z.B. Bharati1973) treffen,soUhier nichteingegangenwerden.Spielt manLehrgebäude gegeneinanderaus,somußmansichzwangsläufigauf eineDogmatik beziehen,die sichbekanntüchinihrereigenen Begrifflichkeitnicht selbstbegründenläßt.Darüberhinaus ist daran zuerinnern,daßauchdieAnhängeretabüerterReügionenkaumeinenBegriffvonderTypik, Syste¬ matikundDogmatikihres Glaubenshaben (Durkheim
1981).
InwelchemKategoriensystemsoU denn entschiedenwerden,objene,Lesarten' des Hinduismus,wiesiebeispielsweisevonAmanda Margapropagiertwerden,,echt'oder.verfälscht'sind? UndschUeßlich sindauchbizarranmutende Praktikenneo-religiöser Gruppennichtgrundsätzlich irrationaler', .unechter'usw.als die Kulthand¬lungenetabüerterReligionen.
Nachzutragenbleibt,daß insbesonderebeiderBetonungdes Potentialsorganisierter psychischer undphysischer SelbstzerstörungaufdasEndeder,Volkstempel-Sekte'inGuayanasowiedenFrei¬ todvondreiMitgUedernder,AnandaMarga'-Gruppierung Bezuggenommenwird.
Dasist inzwischen aucheinbeüebtes ThemaderWochenendbeilagen großer Tageszeitungen (so z.B.Böll/Vormweg1981).
Neo-religiöse
Bewegungen
unterJugendlichen
407
Auf welche lebensweltüchen
Einschätzungen
undErfahrungen
nehmen wirBezug,
wennwir-derVordefimtion
folgend
—rehgiös-charismatische Gruppen
imBezugsrahmen
desBegriffspaars
.rational
vs.irrational' lokalisieren und untersuchen woUen? Siehtmanein¬ mal davon ab, daß einederartige Festlegung
bereitsUntersuchungsergebnisse
definitivvorentscheidet,
soführt dieAnwendung
desBegriffspaars
alsbald in.Beweisnot',insoferndabei
vergleichende Aussagen
überunsereLebensreahtät und die der in Rede stehendenGruppen
untersteUt sind.Rehgiös-charismatischen Gruppen
einegefährliche
Form der Irrationaütätzuzuschreiben,
führt,wennwirdieseAussage
alsrelationale behandeln wol¬ len,nämhch deshalbzuSchwierigkeiten,
weU dieVernünftigkeit
dervondenGrappen
nichterfaßten
Lebenszusammenhänge
unsererAUtagswelt
durchaus nicht feststeht. Esbedarf keiner
apokalyptischen Ausdeutung
derZukunft,
um derIrrationalität unserer,normalen'
Lebensbedingungen
auf dieSpur
zukommen: Esgenügt,
sich die menschen¬verachtende
Zerstörung
unserereigenen Lebensgrundlagen
sowie dieatomareBedrohung
in
Verbindung
mit einer riskanten Macht- oderSicherheitspohtik
zuvergegenwärtigen7.
Mit anderenWorten: Diebeidervorgängigen Einschätzungvonrehgiös-charismatischen Gruppen
sogernbemühte.Kontrast-Rationalität'unsererLebensreaUtätkann alsempirischesArgumentnur mitMühe gegendiedieGruppenkennzeichnendeIrrationalität' angeführtwerden.DieseVordefini¬ tionistebensowenig überzeugend wie derim selbenZusammenhang erhobene Vorwurfdes Re-treatismus. DieVerweigerungderTeilnahmeamgesellschaftUchenundpoütischenProzeß'(Bun¬
desministerfürJugend,Familieund Gesundheit1980)kann gegen denstaatsbürgerüchenPrivatis¬
musderMehrheitkaum alsNegativumoder gar als Problemangeführtwerden.Dievondenmeisten
GruppeninAnspruchgenommene,rückzugsorientierteLebensform' kann kaum alskritikwürdiger geltenalsdiepoUtische Apathiebzw. AbstinenzderBevölkerung (Almond/Verba 1963).Die beiden Punktemögen genügen,umdieThesezuillustrieren,daß eineDefinition,diecharismatisch-rehgiöse
Bewegungenaufdem Hintergrund einerunproblematisch gelebten undunsumgebendenaUtags¬ weltüchenLebenspraxiszumProblemerklärt,nichtzwingendist8.
Ein
,weiteres'
Jugendproblem,
das gar mit dersystematisch
betriebenenSelbstzerstörung
drogen-
oderalkoholabhängiger Jugendhcher vergleichbar
wäre,besteht hiernicht,sobaldmandie
angebotenen
Parameter der Vordefinitionen alsempirische
Aussagen
faßt. Dasgilt
auch für diealtersspezifische Lokalisierung
derGruppenmitglieder,
die dieVordefini¬ tionen beherrscht: Hierzeigt
bereitseingrober
Überbück,
daßreügiös-charismatische
Bewegungen
keineswegs
auf dieAltersgruppe
derJugendhchen
beschränktbleiben9.
7 AufdieSpaltungderzeitgenössischen Soziologiein ihrem Urteil über dieRationaütätder moder¬ nenGeseUschaft verweistzumBeispielSchluchter(1976).
8 Esseidaranerinnert,daß wirdie EbenederunmittelbarbeteiUgten Mitgüeder,ihrerBefindlich¬ keiten undEinschätzungennochgarnichtberührthaben. Hierzeigtder durchbeobachtende Teilnahme gewonneneEindruck,daß dievonaktivenMitgUedernvorgenommeneSelbstdefini¬ tionihrerneuenLebensumständekaumeineProblemdefinition vorsieht.Das ist etwa beidrogen¬ abhängigen JugendUchen nichtderFaU: Hierkorrespondieren gleichsamexterne und interne
DeutungendesaktueUenLebenszusammenhangsalsProblem(vgl.Siegert1979).
9 Ineinigen Gruppenistsogar ein deutüches
Übergewicht
derErwachsenengenerationzuverzeich¬ nen,soz.B.in derTranszendentalenMeditation,derPoona-Bewegungund beidenScientologen.3.
Schwerpunkte
einessozüdwbsemchaftlichen
InteressesAuchwennwir eineröffentüchen Definition nicht
folgen
können,die im Auftretenneo-religiöser Grappen
ein zusätzüchesJugendproblem
erbückt,
sobleibtzuklären,
wasdasInteresse
motiviert,
sich mit diesenBewegungen
zubefassen. EinZugang
zudersozial-wissenschaftlichen
Bedeutung
desPhänomens bestehtdarin,
nach einerErklärung
dafürzu
suchen,
warum esuns soschwerfäUt,
dieseBewegungen
zuakzeptieren.
Wennnatur¬wissenschaftlich
gebüdete
Menschen auf einmal ernsthaft von derMöglichkeit
einer meditativenAufhebung
der Schwerkraftüberzeugt sind,
so erscheinen unsderartige
VorsteUungen
nicht nuralsbizarr;
zutagetritt auch ein zweiterAspekt:
Erbetrifft das AußerkraftsetzenvonWissensbeständen und damit verbundenenWertorientierungen10.
Es
hegt
nahe,
die unseremBeispiel zugrunde
Uegende Verletzung
von Standards desDenkens und der Kritik sowie von
Kategorien
derErfahrung,
insbesondere aber diedeuthche
Absage
andieunsvertrauteWissenschaftsorientierang
als eine.Kränkung'
zuinterpretieren,
die an Vertreter vonInstanzengeseUschafthcher
Soziahsationgerichtet
ist. Die
Kränkung
beruht vermuthchdarauf,
daß einlängst
überwundengeglaubtes
magisches
Denken wiederandieSteUe derVernunftorientierung tritt,
die das kulturelleSystem
(normativ)
beherrscht. Denn eshandeltsich bei deran schamanistischeLevita-tionspraktiken (Eliade 1975)
erinnerndenVorsteUung
nicht nur um eine.alternative
Wertorientierung',
sondernumdenBestandteileines anderen Weltbüds—desmagisch-animistischen.
Eine weitere Dimension der
Ablehnung
betrifft die Art undWeise,
in der dieGrappen
das Autonomiethema behandeln. Hier richtet sich die Kritik nichtnurgegen denprogramma¬tischen
Autoritarismus,
der dieGesamtbewegung
kennzeichnet, oder den kritikfeind-hchen.Führerkult'alswesenthchen Bestandteil derGruppenorganisation.
Es handelt sich vielmehrumdieKritikaneinerWertorientierang,
d. h. genauer:andem.Menschenbild',
das
derartigen
Praktikenzugrunde
hegt.
Mit anderen Worten: Esgeht
inersterLinie nichtumdie
Empirie
derGrappenorganisation
-hiergibt
esgenügend kritikwürdige Entspre¬
chungen
bei anderenGrappierangen,
diedurchaus nicht im Verdacht derNeo-Rehgiosität
stehen—,sondernumdie
programmatische Absage
anden Entwurf desautonomenIndi¬viduums. Das Ideal desautonomenIchswird als eine
ZielvorsteUung angesehen,
die das Leid des Menschen wesenthchbegründet.
Darausergibt
sich dieAufforderung,
dasauto¬nome
Subjekt
nichtzubehaupten,
sondern bereitskonzeptuell abzuschaffen11.
Das der schroffenAbsage
an Autonomie und Individualitätzugrunde hegende
,Menschenbüd'
beinhaltet die
Vorstellung
einervergänglichen,
nurscheinhaften.Persönlichkeit',
diesichsehrzuUnrecht
einbildet,
Einfluß auf dieewig
wiederkehrenden Lebensformenzuneh¬ men(vgl.
Zimmer1973).
Für dieKonzeption
desLebens als bloßer Schein ist die Ableh¬ nung des .modernen Menschenbildes'grundlegend.
AUeAnstrengungen,
die auf eineBeeinflussung
der Geschichteabzielen,
sindbedeutungslos,
der Kern der Person ist über¬ historisch und damit unveränderbar. Der die Moderne kennzeichnendenVorstellung
vomMenschen als
gesellschaftlich-historischem
Wesenwird eineAuffassung
entgegengesetzt,10 Eshandelt sichumeinen Bestandteil derLehrederTranszendentalenMeditation.
11 Dasistder Kern der inderPoona-BewegunganzutreffendenForderungnach,Ich-Zerstörung'
Neo-religiöse Bewegungen
unterJugendlichen
in der die aktueUe Befindhchkeit des Menschen unbedeutend ist: Sie kannnur
.akzeptiert'
werden
(vgl.
Eliade1966).
Dievonden
Grappen
propagierten Orientierungen
bedeuten eine.Kränkung',
weü sie dieutopischen
Gehalte undZielvorsteUungen,
dieunsereGeseUschaft für sich inAnspruch
nimmt,
nichtnurpraktisch
abweisen(das
tunandereGruppen
auch),
sondern diese Ideen selbst alsnicht erstrebenswert verabschieden. DieAblösung
vonStandards des Denkens durchmagische
Vorstellungen
macht schheßhchdeuthch,
daß hiervon nichtnurgeseU¬
schafthche
Utopien
betroffensind,
vielmehr werden auch die fürgültig
erachteten Vor¬ aussetzungenzurErzeugung
vonWissensbeständentangiert.
3.1. Verwandte
Erscheinungen nicht-,reügiöser'
ArtDieThese,daßvonden
Wertorientierangen neo-religiöser Gruppen
eineKränkung
aus¬geht,
sagtnichts über denAUgemeinheitsgrad,
dieVerbreitung
dieserWahrnehmung
aus.Inwieweit davon ausgegangen werden
muß,
daß,magisches
Denken' nichtlänger
einelängst
überwundene Form derReaütätsdeutung
darstellt,
sondern vielmehr eineVernunft-orientierang abgelöst
hat oder mit dieserkoexistiert,ist nichtausgemacht.
DieSpiegelung
desPhänomens in derzeitgenössischen
Literatur verrät indes eine unverkennbare Attrak¬ tivitätvonThemen,bei denenes um,alternative
Realitäten' oder diemagische
Erklärung
von
Ereigniskoinzidenz geht (Castaneda
1971;Elten1979)12.
Daß Zielwerte wie
,Autonomie'
und.Selbstbestimmung'
vor charismatischen Führern.verblassen',
istbekannt. Dieprogrammatische
Verabschiedung
der IdeeeinesautonomenSubjekts
bzw. derenUmdeutung
zu derVorsteUung,
daß sich ,wahre' Autonomie imbedingungslosen Akzeptieren
derVorgaben
eines(selbsternannten)
.Meisters'äußere,
markieren indes eme
Entwicklung,
in der diegeseUschafthch
erfahrene Ohnmacht desIndividuums noch als Bestandteil eines
,Heilsplans'
ausgewiesen
wird. Auch hier sindEntsprechungen
außerhalb der hier zurDebatte stehendenBewegungen
zu sehen, soetwain
therapeutischen Forderungen
ausdem Umkreis der humanistischenPsychologie,
in denenes umdie situative
Suspendierang
derIdentität als.Fessel'geht13.
Das befristete Außerkraftsetzen des.Zwangs
zurIdentität' dient imZusammenhang
vonTherapiever¬
fahren der humanistischen
Psychologie
erklärtermaßen zurErweiterang
derSelbster-fahrangsbasis:
Inentsprechenden
settings
könnenderartige
Ausnahmesituationen in einen Dauerzustand transformiert werden. DieseMöghchkeit
einer Transformation bzw.Integration
vonTherapieformen
in(rehgiös-)charismatische
Bewegungen
weisttrotzaUer Unterschiede im Selbstverständnis auf eme tendenzieUe
Überschneidung
grund¬
legender
Orientierungen
undZielvorstellungen
hin(Anthony/Robbins
etal.1977;Bain-brtdge 1978;Lasch
1978)14.
In diegleiche Richtung
geht
daszuverzeichnende Interesse12 Diegutbesuchten,Castaneda-K.\iTse'derVolkshochschulenbestätigen Vermutungen,daßessich hiernichtnur umMarottenvonInteUektueUenderamerikanischen Westküstehandelt. 13 Daß sich Veranstaltungen der Humanistischen Psychologie von Encounter-Gruppen über
Gestalt-TherapiebishinzurBioenergetikregenZuspruchserfreuen,brauchtnichteigensbetont zuwerden.
14 EinprägnantesBeispielfürderartige Transformationsprozessebildetdie,Poona-Bewegung',in diesicheine ReihevonnamhaftenTherapeutenderHumanistischenPsychologie integrierthat.
weiter
Bevölkerungskreise
an,alternativen'
FormenderReahtätsdeutung
und Lebensbe¬wältigung
sowieanFragen
desspirituellen
Wachstums',umnureinige
.Entsprechungen'
zu nennen. Hier kommt eine thematische Affinität zu Zentralthemenneo-religiöser
Bewegungen
zumAusdrack,
die daraufhindeutet,
daßMitgliedschaftsrollen
keinDiffe¬renzierungsmerkmal
sind, wenn es darumgeht,
demUmfang
der diesen existentieUen Themenentgegengebrachten
Aufmerksamkeit auf dieSpur
zukommen.4. ,
Jugendprobleme'
abfalscher
Namefür
gesellschaftlichen
Wandel?Wenn diese
Beobachtungen zutreffen,
dann muß dieFrage
nach dem realenUmfang
religiös-charismatischer
Bewegungen
nichtnurimHinblick auf ihre aktueUeempirische
Verbreitung gestellt
werden,
sondernzugleich
unter demGesichtspunkt,
inwieweit sich hier eine fürspätkapitaüstische
Gesellschaftentypische Entwicklungstendenz
abzeichnet. Handeltes sichmöglicherweise
um eineempirische Konkretisierung
einer bereits vonWeber
(1973)
anvisiertenEntwicklung:
derepochalen
Veränderung
in der Bewußtseins¬lage
des modernenMenschen? Um einen Bestandteil der.Wiederverzauberang
der Welt'(Moscovici 1976),
deren Kern dieAblösung
deseuropäischen
Aufklärungsmodells
dar¬ stellt?Weitgehend unabhängig
davon,
ob dievermuteteEntwicklungstendenz
-die Rücknahmeeiner
Befreiung
vonrehgiösen
Gewalten-eher innovatorischgedeutet
oder alsRegres¬
sionsphänomen
behandeltwird,
setztdieEntwicklung
in beiden FäUen eine innennens¬wertem
Umfang wahrgenommene
Erschütterung
vonLebenszusammenhängen
voraus.Max Weber
(1972)
hatzurKennzeichnung
derLebensbedingungen
moderner-büro¬kratisch
organisierter
-GeseUschaften daswenig
erfreuüche Bild des,ehernen
Gehäuses'gebraucht
undhinzugefügt,
daß wohl keinGeseUschaftsmitgüed
demZugriff
des darin beschlossenenEntwicklungsprozesses
entgehen
kann. In diegleiche
Richtung
zielt dieCharakterisierung
des modernenLebenszusammenhangs
als.verwaltete
Welt'(Adorno
1963)
oder als.eindimensional'
(Marcuse 1967). Makrosoziologische
Krisenannahmen(Habermas
1973;Eister1974)
schUeßlich nehmen aufgeseUschafthche Handlungspro¬
blemeBezug,
diemöglicherweise
Grenzen dieserEntwicklung
markieren.Bekanntermaßen sind die kritische
Kennzeichnung geseUschaftücher
,Rahmenbedin-gungen'
ebenso wie dieAussagen
vonSozialwissenschaftlern überzukünftige
Entwick¬lungstendenzen
nichtgleichbedeutend
mit einerWahrnehmung
derbehaupteten
Phäno¬menedurch die Betroffenen. Indes wird die
Frage,
ob und inwieweit diesenZustandsbe-schreibungen
undPrognosen
einempirisch greifbares Lebensgefühl korrespondiert,
durch einsprunghaftes
AnwachsenvonBewegungen
wiederbelebt,
derenvermutete Bewußt¬seinslagen
undsichtbare Lebensformen als Ausdrack einesgeseUschafthchen
Krisenbe¬ wußtseinsangesehen
werden können(Berger/Kellner 1975). Bislang
ist dem For¬schungsthema,
auf welchegeseUschafthchen
undpersonalen Handlungsprobleme
neo-religiöse
Grappierangen
zuantwortensuchen,die mit derVeralltäglichung therapeutisch
angeleiteter
Lebenshilfen einerseits und/oder demAngebot
radikalneuerLebens- und Bewußtseinsformenarbeiten,
im deutschenSprachbereich wenig systematische
Aufmerk¬ samkeitgewidmet
worden.Folgtmandiesen
Überlegungen,
soisteineStrategie,die dieeinzelnenGruppenaUeinanhandvon Außenkriterienzuanalysieren sucht,wenig tragfähig. So kommt im FaU reügiös-charismatischerNeo-religiöse Bewegungen
unterJugendlichen
411
GruppierungenderEvaluierungvonVerlaufsformen desJugendaltersmit den.klassischen'Adoles¬
zenzparameternnureineeingeschränkte Bedeutungzu.Sowohl dieFragenach dem Beitragzur
Wahrung geseUschaftücherKontinuitätals auchdie nach demWegzueiner.tragfähigen'
Erwachse-nenidentitäthatjanurdann einenSinn,wenndieJugendUchenzumindestdie den Urteüenzugrunde
üegenden KategorienundOrientierungenteilen. Ohne näherdaraufeinzugehen,soUhierein weiteres
Argument angeführtwerden,dasdaraufabzielt,diekonventioneUeEvaluierungvonVerlaufsformen desJugendalters aufzugeben,da dieserLebensabschnitt nichtlängeralstransitorischerangesehen
werden kann.EssindvoraUemzweiBeobachtungen,die daraufhinweisen,daß sich diezeitgenössische Gestalt des Jugendaltersgewandelthat. So kannnicht längervom VorUegenmakrostruktureUer
Voraussetzungenausgegangenwerden,diegleichsamvonder,Angebotsseite'hersichersteUen,daß diedenJugendüchen abverlangten
Übergangsschritte
in dieWelt der Erwachsenen auch tatsächüch reaüsierbar sind(ein BeispielistdieArbeitslosigkeit).
Darüber hinaus sinddie aufderEbenedespersonalen SystemszuverzeichnendenErscheinungsbildervon,Identitätskrisen' bzw.vonpsychi¬
schen Krisensymptomen insgesamtkein vaüdesUnterscheidungskriterium zwischenJugendüchen undErwachsenenmehr:personale undsozialeKrisen,die sich alsOrientierungslosigkeitundZu¬ kunftsunsicherheitniederschlagen,sindkein,Privüeg'desJugendalters.
5. Zur
Frage
derpersonalen
und sozialen,Lebtungsfähigkeit' neo-religiöser
Gruppierungen
Wir müssen also annehmen, daß wir es bei
religiös-charismatischen
Bewegungen
mitalternativen
Orientierangssystemen
zutunhaben,die in derRegel
mit dem semantischen Gehalt unseresbisherigen
kulturellenSystems weitgehend
unvereinbar sind. DieseAnnahme macht es erforderlich, die von den
Grappen
angebotenen
WeltbUder undDeutungen
,voninnen her'zurekonstruieren(Barnes
1973; Peel 1969;Winch1975).
Zentrales
Augenmerk
mußhierbei auf dieFrage
gerichtet
werden,welcheSinnfiguren
in den
jeweihgen
Deutungssystemen
angeboten
werden. Erst auf diesemHintergrund
scheint esmöghch,
etwas über dieLeistungsfähigkeit'
von(esoterischen)
Deutungs¬
systemen auszusagen. Die anvisierte Rekonstraktion büdet die
Voraussetzung
für dieMöghchkeit
einer funktionalistischenInterpretation
religiös-charismatischer
Gruppen15.
Dabei muß darauf
geachtet
werden,
daß das,Deutungsproblem'
nicht unzureichend .verkürzt'wird. Sohegt
eszwarnahe,
dieGrappen
unterdenGesichtspunkt
von,sinn-stiftenden Identitätsreferenten'zu
bringen;
beiFormulierungen
dieserArtmußjedoch
eine von funktionalistischen
Interpretationen
in derRegel
unberücksichtigte
Frage
geklärt
werden: WasversetzteinDeutungsmuster
überhaupt
in dieLage,
als Identitäts¬ referent dienenzukönnen?Dasgilt
inanaloger
Weise für dieFrage,
warumdie Standardsdes.modernenWeltbilds'sobeeindruckend schnell
aufgegeben
werden.FolgtmanindiesemZusammenhangemermakrosoziologischen Perspektive,soreichtesnicht aus, aufderBasisvonMonographien prägnanter Gruppierungen VeraUgemeinerungenzutreffen.Diese
VorgehensweisemußdurchdieIdentifizierungvonAffinitätenimBewußtseinund in derLebenspraxis vonNichtmitgüedernundInteressentenergänztwerden16.Umzuklären,ob dierehgiös-charismati¬ schen Gruppenein besonders prägnanterBestandteU eines sich verändernden Bewußtseins und Lebensstilssind,ist eineAnalysederpersonalenund sozialenLeistungsfähigkeitderGruppener¬
forderlich.DieGruppenscheinen nichtnuraUeBedürfnissespirituellerArt,wie sieubhcherweisemit
15 UmMißverständnissenvorzubeugen,seieigensdaraufhingewiesen,daß funktionahstischeInter¬
pretationen der Gruppennicht gleichbedeutend mit einerfunktionaüstischen Definition von
Religiositätsind.
16 Dies istfüreineausgewählte RegionderUSA-die
BayArea-bereits inFormeinesSurveys
ReUgioninVerbindung gebrachtwerden,zubefriedigen;unverkennbar sindauchihretherapeuti¬ schenundquasi-therapeutischen
(kustodialen)
Funktionen. BeidemVersuch,dieGruppenvoninnen herzuverstehen,wülichmich auf die ihnenzugeschriebenen therapeutischenFunktionen beschrän¬ ken.Dabei soU-nun ausderPerspektiveder Betroffenen-noch einmal auf die
Frageeiner sozial-wissenschaftlich vertretbarenProblembeschreibung eingegangenwerden.
Als
.Modelle
des Fehlverhaltem'(Linton
1964,
S.433) fungieren religiös-charismatische
Gruppierungen
in ähnlicher Weise wieGrappen
der,Awareness-Bev/egung'
alsAuffang¬
vorrichtungen
fürgeseUschafthch
nichtabgedeckte
Bedürfnisse undAnspruchshaltungen.
Es sind inersterLinieinterpersonale
Bedürfnisse,
wie die Befunde einerUntersuchung
vonLevtne
(1978) bestätigen.
Der Autor hat in einerUntersuchungvon106 aktivenMitgUedernverschiedener—zumeist
synkre-tistischerGruppen—
herausgefunden,daß für80% deruntersuchtenPopulationintrapsychischebzw.
interpersonaleGründe für ihren Verbleib in denGruppen maßgeblichsind17.DerHinweisaufdie deutlicheVerbesserung interpersonaler Beziehungen nach der Konversion stützt ebenso wie die vondenMitgUedern geltend gemachten .Erfolge'imUmgangmitihrenpsychischenProblemen die
Vermutung,daßrehgiös-charismatische Gruppenhiervielfältige Ansatzpunktefinden.Eshatden
Anschein,als binden dieGruppen-zumindest inihrenpraktischenFunktionen-virtuelle Abwei¬
chungspotentiale,die ihre BedürfnisseimdForderungennunnichtlängerimKontextder sozialen LebensweltzureaUsieren suchen. DiedenGruppen entgegengebrachte.Devianzannahme'läßt sich anhand dieserErgebnissenurineinem sehreingeschränktenSinnaufrechterhalten;auchsind die
Gruppenunterdem Gesichtspunktihrer,Neutraüsierungsfunktionen' geseUschaftüch keineswegs
.dysfunktional'18.
Die
RoUe,
dierehgiös-charismatische Grappen
alsAuffangeinrichtungen
fürgeseUschaft¬
hchnur unzureichendabgedeckte
Bedürfnissespielen,
hat eine ReihevonAutorenzuvehementer Kritik
herausgefordert.
So erbücktSchur(1976)in den,neuenReügionen',dieeralsBestandteU der,Awareness-Bewegang'
interpretiert,einesystematische BehinderungsozialerVeränderungsprozesse,da durchjene Gruppen konkrete Konfliktpotentiale gebunden werden. Unterdem Leitmotiv ,self-absorption insteadof socialchange'suchterden Nachweiszuführen,daßdievonihmkritisiertenBewegungenin ihren
Orientierungen ebenso wie in ihrer Praxisvon der Ideeeiner GeseUschaftsveränderung .radikal' Abstandgenommenhaben. EsfehltdenScHURschenArgumentennichtan
Überzeugungskraft
undEngagement-gleichwohlmußmansichvorAugen führen,daßeineEmpörungdarüber,daßMen¬ schensichnicht für dieVeränderung geseUschaftücherVerhältnisseeinsetzen,nuraUgemeinsein kann:Siekannsich dann nichtnurgegen diezurDebatte stehendenBewegungenrichten. Dievon Schurvorgetragene,sich aufklärerisch verstehendeFormder Kritik weist in derTendenzeinenlogisch ähnlichen Statusauf wie dieArgumentation engagierter Sektenbeauftragter. Sie muß derjenigen
KlassevonProblemdefinitionenzugerechnetwerden,die anderen den Sachverhalt einer nichtgeteil¬
tenOrientierungvorwerfen,ohnedabei dieSelektivitätihrerKritikzubedenken.Darüberhinaus kanngeradeeine sichpoütischverstehende Kritik nichtvoneinerBeantwortungderFrageabsehen,
aufwelchegeseUschaftüchenundpsychischen Handlungsprobleme neo-reügiöse Bewegungeneine AntwortdarsteUen.
Hier
geben
insbesondere dievonFoss/Larkin(1979)
berichtetenErgebnisse
zudenken.Die Autoren
zeigen
anhand mehrererUntersuchungen
über die.politische
Herkunft'vonMitgliedern religiös-charismatischer Grappen,
daß diesezueinemgroßen
TeUauspoütisch
aktiven
Jugendgruppen hervorgegangen
sind. Ihre Konversion stellt in derEinschätzung
17 SpiritueUeundmystische Begründungen rangiertenwiderErwartenbei20%.
18 Dazugibteseine interessante Parallele im BereichvonAlternativprojekten,die sich bei derBe¬
Neo-religiöse Bewegungen
unterJugendUchen
413
der Autoren denVersuch
dar, .Lebenskonstruktionskrisen'
zubearbeiten,
dieaus demNiedergang
deramerikanischenProtestbewegung
resultieren.Sicherhch kann nicht davon ausgegangen
werden,
daß dasgehäufte
Auftretenrehgiös-charismatischer
Gruppen
in den USA undWesteuropa
allein auf denNiedergang
der Pro¬testbewegung
zurückzuführen ist. Eherzeigen
dieAnalysen
von Foss/Larkin einmalmehr,
daß eine im SinnevonSchurgeforderte pohtische
AntwortaufgeseUschafthche
Probleme wedergleichbedeutend
mit derLösung
eigener Lebensprobleme
ist nochlang¬
fristig
mit ihrerLösung
verwechselt werden darf. Die berichteteHinwendung
zuvorpoh¬
tisch aktiver
Jugendücher
zurehgiös-charismatischen Gruppierungen
steUtvermuthch eine Antwort aufLebensprobleme
elementarer Artdar,
die von derPraxispohtischer
Gruppen
ebensowenig
gelöst
wurden wievondengeseUschaftüchen
Lebenszusammen¬hängen,
gegen die dieGrappen
sich richteten. Die Attraktivität derGrappen
scheintgerade
darinzubestehen,
daß aUe traditioneUenLösungen
des,Weltproblems'
verworfen werden bzw. eineErklärung
dafürangeboten wird,
waramdiesezurErfolglosigkeit
ver¬urteilt sind.
Derartige Deutungsangebote
scheinen fast auf,poütisch gescheiterte'
undzugleich
mitungelösten Lebensproblemen
belasteteJugendhche
zugeschnitten
zusein!DievonFoss/Larkin beschriebenen
.Konversionsabfolgen'
weisen auf den vehementenLeidensdrack der Betroffenenhin;dieser Sachverhalt wirdvonKritikernaußer acht ge¬
lassen,
die einaufgegebenes
bzw. fehlendespohtisches Engagement
zumKern der Pro¬ blemdefinitionmachen19.
Konzeptuellberuhtdie alsProblemdefinition bemühte.unpolitische Haltung' neo-reügiöser Grup¬
pierungenund ihrerMitgüederaufderVorstellung,daß sichpoUtischeundmystische Orientierungen
wechselseitigausschließen.Indes scheintdiesezuerstvonWeber(1964)undTroeltsch
(1912)
vor¬getrageneEüischätzungdesVerhältnissesvonPoütikundMystik revisionsbedürftigzusein: Vieles deutet auf eineKoexistenzderOrientierungsmodihin. So konnteu.a.Wuthnow(1978)in einer interessantenUntersuchungnachweisen, daßpohtisches Engagementundmystische Lebensorien¬
tierung keineswegseinander diametralentgegengesetzt sind,sonderngemeinsamauftreten20.Sicher¬ Uch sagen die korrelativ gewonnenenErgebnisseWuthnowsnichtsüberden kausalenZusammen¬
hangbeiderOrientierungsmusteraus,auch bleibtweitgehend ungeklärt, woraufihrgemeinsames Auftretenzurückzuführenist.Jedochkann vermutetwerden,daß derzwischen beiden Orientierun¬ gen bestehendepositive ZusammenhangeinweiteresIndiz inder KettevonBeobachtungendarsteUt, die auf eine grundlegende Veränderung von zeitgenössischen Bewußtseinsinhalten hinweist. Im
BezugsrahmeneinesklassischenBegriffspaarshandeltessichumdie historischneuartigeKoexistenz
von.rationalen'und.irrationalen'Elementen imzeitgenössischenBewußtsein.
Derskizzierte
Zusammenhang
kann vermutlich auch auf das traditioneUerweise als wech¬selseitig
unvereinbarbehauptete
VerhältnisvonWissenschaftsorientierang
auf dereinen19 Ein weiteres Indiz für dieStabiUtätvonProblemlagender,Konvertiten'istin einergleichermaßen autoritären Gruppenstruktur bestimmterpoütischerund reügiös-charismatischer Gruppenzu sehen.
20
Folgende
Itemswurdenin derReihenfolgeihrerGewichtungverwandt.Mystizismus: Experiencedharmonywith theuniverse;Beendeeplymovedbythebeautyofnature;Valuegettingtoknow your innerseif;Attractedfor yoga,Zen,orTM[Transzendentale Meditation];Valuelearningto
beawareof yourbody;Can learnalotfrom walksin thewoods;Domeditationusing special
tech-niques.Itemsfürpolitisches Engagement:Poüticalposition;Demonstrated;Tolerant ofradicals;
Supportpovertyprograms;Government needschange;Workfor socialchange;Attendedpoütical
meetings; Helpsolve socialproblems;Written topoüticaloffieial(vgl.Wuthnow1978,Appen¬
und der
Orientierung
ammagischen
und okkulten Denken auf der anderen Seite ange¬wandtwerden. Dervonvielen Autoren thematisierte zunehmende
,Trend
zumOkkul¬tismus'
(Eliade
1976;Singer/Benassi1981),
dersich als GlaubenanAstrologie,
außer¬ sinnlicheWahrnehmung,
Einflüsse desErdmagnetismus
(um
nureinige
seiner Elemente zunennen)
niederschlägt,
istkeineswegs gleichbedeutend
mit einerAufgabe
derWissen¬schaftsorientierang
inaUtagsweltüchen
Lebenszusammenhängen21.
Diese Zusammen¬hänge
weisen daraufhin,daßdievorliegenden,
sichpohtisch
verstehenden Formen der Problemdefinitionsoziologisch
uninformiert vorgetragen werden. Sie verkennen, daß charismatischeGruppierungen
ihrepsychologischen
Effektenurdeshalbentfaltenkönnen,
weU sie
geseUschaftüch
undpoütisch
nichtabgedeckte
Mangelerfahrungen
und Bedürfnis¬lagen
vorfinden. Der beiKonversionsphänomenen
gern bemühteTopos
der,Verführang'
mußgerade
imvorhegenden
Zusammenhang
alsvöUig
unangemessenes,Bild'
zurückge¬
wiesen werden: DieGruppen
treffen nichtnurauf eine latenteBereitschaft,
sondern aufMenschen,die
eigenständig
nachLösungsmöghchkeiten
vonKonflikten bzw. nach Reali¬sierungsmöglichkeiten
ihrer Bedürfnisse suchen(Straus
1976).
Anders formuhert: PotentieUeMitglieder
suchen nach,Kontexten'
und.Mitteln',
umsich und ihr Lebenzuverändern.
.Kontexte' und
.Mittel'
zuhefern,
ist denGruppen
offenbargelungen.
Darauf beziehen sichAussagen
vonMitgliedern,
die eineVerbesserung
ihrer Lebenssituationen in den zuvorbeklagten
Dimensionengeltend
machen. Neben diesenLeistungen
sindresoziahsa-torische Einflüsse auf
geseUschafthch vernachlässigte Grappen
zu nennen. Die beein¬druckende
Bindung
vonSuchtphänomenen
beidrogen-
undalkoholabhängigen
Jugend¬
üchensowie die
positive Beeinflussung
vonVerhaltensauffälÜgkeiten
führteinige
Autoren zu derEinschätzung,
daßes sich beineo-religiösen
Grappierangen mögUcherweise
umeine
kostengünstige
Alternative zur traditioneUenPsychotherapie'
(!) (Galanter/
Westermeyer 1980,S.
1551)
handelt. In diegleiche Richtung
zielenHinweise,
die dieSoziahsierangsfunktion
derGrappen
in dominante Werte der konventionellen Kultur betonen(Patttson/Pattison
1980;Robbins1969).
5.1.
Therapeutische
Wirkung
—diePerspektive
der BetroffenenDie
neo-religiösen
Bewegungen
vomErgebnis
herzugeschriebenen therapeutischen
Funktionen beruhen inder
Regel
aufkeinen elaboriertenTherapien
oder gartherapeuti¬
schenVerfahren,
dieeigens
für bestimmteProblemlagen
—etwaSuchtphänomene
—ent¬wickelt worden
wären22.
Therapie
istkein Bestandteil desLehrgebäudes
derGruppen.
Vielmehr werden alle alspositiv
erlebten bzw.Veränderangen anzeigenden
Effekte,cha-rismatisch',
d. h. als Ausdrack der Wirksamkeit der,richtigen'
Lehreund/oder des—inder
Regel
.erleuchteten'-Meistersangesehen.
Therapie
gilt
bestenfalls alsTechnik,
die ohne die,richtige'
Lehre nichtszubewirken vermag. Die alstherapeutische
Effekteeinge-21 DieFrageindes,welchen EinflüssenundErfahrungenesdennzuverdankenist,daßdiekulturell inBegriffenvonRationalität bestimmten Erlebnisformen(Devereux 1974) gelockertwerden,
istungeklärt.
22 DieEntwicklungstendenzeneiner Transformationvon Therapien in charismatischeGruppen seien hier außerachtgelassen.
Neo-religiöse
Bewegungen
unterJugendlichen
415
stuften
Veränderangsprozesse
werdenvondenideologischen
Führern derGrappen
alsnicht
beabsichtigte Nebenfolgen
der KonversionvorgesteUt,
diezwangsläufig
dannein¬tretenmüssen,wenndie Lehre und die ihr
zugeordnete
Lebensform wirksam werden. In diesemZusammenhang
muß man sicheine,
aUereügiös-charismatischen Bewegungen
kennzeichnende Gemeinsamkeitvor
Augen
führen: Esgeht
ihnen immerum dieVerŠnderung
—die.Wandlung'
— des,ganzen'
Menschen,
was natürüch auch Verhaltens¬änderungen
oder dieErzeugung
(subjektiven)
Wohlbefindens einschließt. Wenn wir also nicht davonausgehen
wollen, daß die berichtetentherapeutischen
Effekte interessen¬geleitete Phantasiegebilde
sind,
mußgeklärt
werden,welchenMechanismen siezuver¬danken sind.
Deutsch/Miller
(1978)
behandelndieseFrageim Rahmeneiner EinzelfaUstudie. Sie beschreiben undanalysierendenLebenswegeinerjungenFrau, Jean,miteinempsychoneurotischen Symptom¬komplex,die sichnacheinererfolglosen(konventionellen) Behandlung
-gleichsamaufdem Höhe¬
punktihresLeidenswegs-einerreligiös-charismatischen GruppeanschUeßt23.Jeanleidetaneiner mitquälenden SchuldgefühlenverbundenenSexuaütäts-undAggressionsproblematik,diemitaus¬
geprägtenUberich-Konflikteneinhergeht.Vonaußen herbetrachtet,kommtJeansAnschlußandie
Gruppe einer.Spontanheilung' gleich,derenErklärungin demPassungsverhältniszwischenJeans
psychischerProblematik und denDeutungsangeboten derGruppezuvermutenist. So bietet das
praktische LebensarrangementderGruppierungwederideologischnoch im Hinblick aufdieAusge¬
staltung des alltäglichen Zusammenlebens Anknüpfungspunkte für eine Aktivierung von Jeans Konflikt. Dessen spontane Ausschaltung' bzw. .Stillegung' beruht auf einer spezifischen Kom¬ binationvonLehreundLebenspraxisderGruppe.Zentraler Bestandteüdes dieGruppekennzeich¬ nenden Glaubens- und Deutungssystems ist eine klare Absageanjede Form der .voreheüchen'
Sexuaütät.InderMißachtungdiesesGebotsliegt-der
Gruppenlehrezufolge—der wahreGrundfür
dieVertreibungvonAdam und EvaausdemParadies.MitdieservonJeanausgesprochenkonsistent erfahrenenBegründungmotiviertdieGruppedasstrikte Verbot sexuellerBetätigung.Dieschroffe,
auch imAlltagslebenderGruppekeinenKompromißduldendeAblehnungsexueUerBetätigungver¬ mittelte Jeandie Gewißheiteineruneingeschränkten Gruppenzugehörigkeit,da sie derenSexualitäts¬ doktrinimmer schongeteilthatte. Was Jeanfehlte,wardieschlüssige Begründungihres Verhaltens durchdieAutorität einerLehre. IndemdieGruppe jene BegründungenUeferte,entsprachsiezugleich
den überausrigiden AnforderungenvonJeansÜberich.DieAbsolutheitund dieUnnachgiebigkeit desGruppenanspruchskonntebruchlos andieFunktionsweise ihresÜberichsassimiliertwerden. Die TotalitätderneuenDoktrin,dieJeansZentralproblematik positivvaüdiert, istinVerbindung mitderAbschottungderGruppemehralsnureinpsychologischer Entlastungseffekt:Jean wüd da¬ durchvondemMakel, ,krank'zufühlenundzuhandeln,befreit.
Die hier an einer FaUstudie skizzierte
Umwandlung
einesSymptomkomplexes
in einenpositiven
Bestandteü der Selbstdefinition vollzieht sich in einem,Sondermüieu'24.
Seine Wirksamkeit beruht auf der Kombination eines in sichgeschlossenen
Deutungssystems
—einen Ausschnitt stellt die
Behandlung
des Sexuahtätsthemas dar—mitgleichgerich¬
tetenVorkehrungen
auf derVerhaltensebene imAUtag
derGruppe. Fragen
wir nach dem,Preis',
dendiejunge
Frau für dieAusschaltung'
ihrerpsychischen
Problematik entrichtenmuß,
soisterinersterLinie in denextremIch-einschränkendenLebensarrangements
zusehen,
denen sie sich—wennauchfreiwUüg
-unterworfen hat. Aber der Hinweis auf die,Freiwilhgkeit'
läuftGefahr,
das Problemzuverdecken—gibt
erdochvor, daßJeanein
ganzes
Spektrum
anTherapieangeboten
zurVerfügung
gestanden
habe,unterdenensie23 Eshandeltsich vermutlichumeine millenarischeGruppierung.
24 DerTransformationsprozeßhat natürUch nochanderepersönüchkeitsstrukturelle Komponenten zurVoraussetzung—soetwa einespezifische