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7. Systemische/medikamentöse Tumortherapie 123

7.2 Zytostatika

Tumorzellen haben bei erhöhter Zellteilungsrate nur eingeschränkte Reparaturka-pazitäten. Dadurch sind sie empfindlicher gegenüber Substanzen, die die Zelltei-lung stören, als gesunde Körperzellen. Dies liegt der therapeutischen Breite vieler Zytostatika zugrunde und ist somit die Basis für deren Einsatz. So hemmen sie z.

B. das Zellwachstum, indem sie den Wachstumszyklus in dem Moment behindern, in dem sich die Zelle in einer aktiven Replikationsphase befindet. Befindet sich die Zelle in einer anderen Phase ihres Zellzyklus, ist die Therapie u. U. wirkungslos und es bedarf daher wiederholter Gaben der Zytostatika um eine ausreichende Menge aktiver Tumorzellen in ihrer „vulnerablen“ Phase angreifen zu können (Tabelle 1).

Tabelle 1: Substanzgruppen mit Wirkmechanismus, Toxizität und Resistenz- mechanismen mit Beispielen im Einzelnen.

Substanz-gruppe Wirkmechanismus Toxizität

Resistenz-mechanismen

Alkylan-zien Kopplung von rea-giblen Alkylgruppen an die DNS, Vernet-zung der DNS;

Hämatotoxizität: Cyclo-phosphamid: Neutropenie >

Thrombopenie (Aldehyd-Dehydrogenase in Megakary-ozyten); Verzögerte Restitu-tion durch Nitrosoharnstoffe (4-6 Wo.); Immunsuppres-sion;

Gastrointestinale Toxizität:

Nausea / Emesis (Hochdo-sierte Therapien hoch eme-togen); Gonadale Toxizität (bis Infertilität) und Terato-genität;

Pulmonale Toxizität:

Pneumonitis und Fibrose;

Induktion von Zweitneo-plasien

Steigerung der DNA-Reparatur, Re- sistenzmecha-nismen gegen-über Cisplatin:

Reduzierte intrazelluläre Platinakkumu-lation durch verminderte Aufnahme;

Inaktivierung;

Beispiele:

Stickstoff-Lost-Derivate: Cyclophosphamid, Ifosfamid, Trofosfamid, Melphalan, Chlorambucil, Estramustin, Bendamustin

Alkylsulfonate: Busulfan, Treosulfan

Nitrosoharnstoffe: Carmustin, Lomustin, Nimustin, Streptozotocin Platinanaloga: Carboplatin, Cisplatin, Oxaliplatin

Andere: Procarbazin, Dacarbazin, Temozolomid, Thiotepa

Substanz-gruppe Wirkmechanismus Toxizität

Resistenz-mechanismen

Antibio-tika: Interkalierende To-poisomerase II Inhi-bitoren; meist DNS-Vernetzung; DNS / RNS Polymerasen Hemmung; Radikal-bildung; Zellmem-bran-Interferenz, Chelatbildung

Hämatotoxizität: Myelo-suppression;

Gastrointestinale Toxizität:

Nausea & Emesis;, Mukositis

& Stomatitis;

Hauttoxizität: Erytheme / Recall-Phänomene; Alopezie:

Pegyliertes Doxorubicin induziert weniger Alopezie als freies Doxorubicin;

Bleomycin induziert rever-sible Hyperpigmentierung und Lungenfibrose (Recall-Effekt auch Jahre später) Kardiotoxizität: V. a. Anth-racycline, akut und chro-nisch durch freie Sauerstoff-Radikale, Fehlen der Super-oxid-Dismutase, etc. Ursache u. A. Ruptur der Myofibril-len, Lmphozyteninfiltration, Gefügedilatation, Fibro-sen.(2) Reduktion der Kardi-otoxizität durch liposomale Galenik bei äquivalenter Wirksamkeit.

Nekrosebildung bei Para-vasat („Alles was Farbe hat“): Therapieoptionen:

Kühlen, (DMSO), Dexrazo-xane, Chirurgische Sanierung.

Multi-Drug Resistence.

Aktivitätssteige-rung Gluta-thion S Tran-ferase, Erhöhte DNS Reparatur

Beispiele:

Anthracene: Mitoxantron, Lysoxatron

Anthrazykline: Adriamycin, Aclarubicin, Daunorubicin, Epirubicin, Idarubicin Phenoxazone: Actinomycin-D; Chronomycine, Mithramycin

Sonstige: Bleomycin (Glykopeptidanalogon); Mitomycin-C (Alkylans)

Substanz-gruppe Wirkmechanismus Toxizität

Resistenz-mechanismen

Antime-taboliten: Strukuranaloga der DNS Basen -> kom-petitive Verdrängung einer natürlichen Base, Einbau in DNS und RNS als

„falsche“ Base.

Inhibition von Schlüsselenzymen.

Hämatotoxizität: Myelo-suppression;

Gastrointestinale Toxizität:

Mukositis;

Hepatotoxizität (akut und chronisch); Pneumonitiden;

Nephrotoxizität durch Aus-kristallisation in den Nieren-tubuli;

• Wichtiger „Interaktionsort“

ist die Niere; Interaktion mit Cotrimoxazol und Penicillin:

Verminderte tubuläre Sekre-tion und Verdrängung aus der Plasmaproteinbindung

=> MTX Spiegel erhöht =>

Hämatotoxizität erhöht

• Auch PPIs hemmen die MTX – Elimination Gemcitabine (Myelosupp-ression, Grippe ähnliches Syndrom, Ödemneigung, Dyspnoe, z.T. Bronchospas-tik, Pruritus, Proteinurie / Hämaturie

Resistenzver-mittlung bei Methotrexat via Thymidin – Salvage Path-way und Genamplifika-tion

Beispiele:

Folsäureantagonisten: MTX, Pemetrexed

Purinanaloga: Azathioprin, Cladribin, Fludarabin, Mercaptopurin, Pentostatin, Thi-oguanin

Pyrimidinanaloga: Azacytidin, Capecitabin, Cytarabin, Decitabin, Fluorouracil, Gemci-tabin

Substanz-gruppe Wirkmechanismus Toxizität

Resistenz-mechanismen Mitose

gifte: Störung der Struktur der Mikrotubuli und Mitosespindeln:

Vinca-Alkaloide inhibieren die Poly-merisation der Tubu-li-M-Phasen Syn-chronisation; Taxa-ne / EpothiloTaxa-ne inhibieren die Depo-lymerisation der Tubuli - G2/M Ar-rest

Neue Taxane (La-rotaxel und Cabacit-axel) sind schlechte Substrate für P170 Glykoprotein, passie-ren die Blut-Hirn-Schranke, haben Aktivität bei Doxorubicin-, Vin-blastin- und Taxan-resistenz. Cabazitaxel zugelassen für Kast-rationsrefraktäres und Docetaxel vor-behandeltes Prosta-takarzinom. (3)

Vincaalkaloide:

Hämatotoxizität: dosislimi-tierend Neutropenie, Anä-mie;

Neurotoxizität (Vincristin):

Periphere Polyneuropathie, aber auch Obstipation, Para-lyt. Ileus (Vinblastin), Sonstiges: Alopezie, RR-Alteration, Anorexie, Asthe-nie, Mukositis, Brust-Bauchschmerzen (Vinorelbi-ne). Phlebitis unter Vinorel-bin (Therapieoptionen:

Wärmen, Hyaluronidase, chirurgische Sanierung).

Taxane:

Hämatotoxizität: dosislimi-tierend Neutropenie, Anä-mie;

Neurotoxizität: Periphere Polyneuropathie / Myalgien, Sonstiges: Hypersensitivi-tätsreaktionen Kardiotoxizi-tät (Bradykardien, AV-Blockierungen, Ergüsse, Ödeme, Flüssigkeitsretention (Membranpermeabilitätsstö-rung - Ergüsse durch Diure-tika nicht mobilisierbar), Nageldystrophie, Onycholy-se.

Zentraler Me-chanismus ist MDR-1: Vinca-Alkaloide: Mul-tidrug re-sistance (MDR-1 P-(MDR-170 GP):

hyperstabile Tubuli, Tubu-linmutation (Bindungskapa-zität ↓); Taxane Multidrug re-sistance (MDR-1 P-(MDR-170 GP):

insuffiziente Tubuli

Beispiele:

Vinca-Alkaloide (Inhibition des Tubulusapparates): Vinblastin, Vincristin, Vindesin, Vinflunin Vinorelbin,

Taxane (Hyperstabilisation des Tubulusapparates): Docetaxel, Cabazitaxel, Larotaxel, Paclitaxel

Epothilone: Ixabepilon, Patupilon Sonstige: Eribulin

Substanz-gruppe Wirkmechanismus Toxizität

Resistenz-mechanismen

Topo- isomera- sehem-mer:

bewirken DNS-Strangbrüche und spontane Vernetzun-gen

Topoisomerasen sind nukleäre Enzyme zur Erzeugung und Re-paratur von Einzel-strangbrüchen, Auf-hebung und Einlei-tung der Überspirali-sierung (Supercoiling der DNS), Vorberei-tung von Translati-on, Transkription und Reparaturpro-zessen.

• Topoisomerase I:

Induktion von Strangbrüchen für die Replikationsgabel

• Topoisomerase II:

Überspiralisierung / Entwindung

Neutropenie und Diarrhoe sind dosislimitierend, Diar-rhoe durch cholinerges Früh-syndrom (Irinotecan),; Atro-pin s.c./i.v. oder Scopolamin, die Spätdiarrhoe ähnelt klinisch der Cholera -Loperamid 2-4 mg alle 2 Stunden, nach 48 Stunden:

Ciprofloxazin, nach 72 Stun-den: Hospitalisation + i.v.

Hydratation (Reservemedi-kamente: Octreotid / Bude-sonid) Achtung Irinotecan bei M. Meulengracht (Wir-kungsverstärkung)

Übliche Resis- tenzmechanis-men s. o. ; De-toxifikation via

UDP- Glucoronyl-Transferase

Topoisomerase I

Campthotecine: Irinotecan, Topotecan Topoisomerase II

Epipodophyllotoxine: Etoposid (Epipodophyllotoxin), Teniposid Antitumorantibiotika: Anthrazykline, Anthracene, Actinomycin D Sonstige: Amsacrin

Varia:

L- Aspara-ginase

depletiert Asparagin (manche Leukämie-zellen können kein Asparagin syntheti-sieren)

Myelotoxizität, allerg. Reakti-onen, Abfall der Glucoseto-leranz, Lethargie, Somnolenz

Hydroxy- carbamid (Hydroxy- urea)

hemmt die

Ribonu-kleotid-Reduktase Myelotoxizität, Mucositis, Neurotoxizität, Hauttoxizität (Pigmentierung, Nagelatro-phie)

Mitotan hemmt spezifisch Nebennierenrinden-tumore

Übelkeit, Durchfall und Schwindel bis hin zu Sprech-störungen

Trabec-tedin hemmt durch Bin-dung an DNA die Transkription von Genen

Fatigue, Myelotoxizität, Übelkeit, Erbrechen

Zudem existieren primäre Resistenzen gegen Zytostatika, auch scheinen Tumor-stammzellen grundsätzlich schlechter beeinflussbar zu sein. Sekundäre Resistenzen entstehen durch Selektion unter Behandlung. Die Mechanismen sind vielfältig:

unzureichende Aufnahme der Zytostatika in die Zelle, vermehrte Ausschleusung (multi drug resistance-Mechanismus, MDR) oder rascher intrazellulärer Abbau.

Vermutlich kann eine Zytostatikatherapie immer nur einen bestimmten Anteil an Tumorzellen erfassen (z. B. nach einem Zyklus 90 % der Tumorzellen, nach dem zweiten Zyklus insgesamt 99 %, nach dem dritten Zyklus 99,9 %, usw.) (4). Durch schlechte Vaskularisierung und damit schlechte Nährstoffversorgung kann bei großen Tumoren das Wachstum behindert sein, sodass eine medikamentös indu-zierte Verkleinerung eines Tumors ein erneutes Wachstum begünstigen wird (5).

Hinzu kommt eine ungünstige Pharmakokinetik bei schlecht perfundierten Tumo-ren. Die Aktivierung mehrerer Resistenzmechanismen wird durch eine höhere genetische Instabilität und höheren Selektionsdruck der Tumore gefördert. Mit zunehmender Größe des Tumors steigt somit die Wahrscheinlichkeit, daß bereits resistente Klone vorliegen (6).

Nebenwirkungen (NW) stellen fast ausnahmslos ein limitierendes Problem aller Therapiemodalitäten dar. Akute NW beruhen auf Schädigungen vieler schnell wachsender Gewebe wie Knochenmark, Schleimhäute, Haare und Gonaden. Hin-zu kommen substanzabhängige organspezifische NW wie z. B. Neurotoxizität von Tubulingiften, Nephrotoxizität von Platinderivaten sowie Oto-, Neuro- und Kar-diotoxizität von Anthrazyklinen. Wenn bei einer palliativen Chemotherapie die Lebensqualität oberstes Gebot ist, müssen sie durch geeignete Substanzauswahl, Einsatz von Mono- statt Kombinationstherapien oder Dosisanpassungen soweit möglich und sinnvoll minimiert werden. Langzeit-NW sind naturgemäß im Rah-men der Palliativmedizin irrelevant.

Ob ihrer hohen Relevanz für die Therapieentscheidung werden die Nebenwir-kungen gesondert bei den entsprechenden Substanzgruppen in Tabelle 1 erwähnt.

Im Dokument Onkologie für die Palliativmedizin (Seite 127-133)