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10. Spezielle Supportivtherapie 163

10.4 Antiemese

10.4.1 Allgemeines

Übelkeit und Erbrechen sind zwei Symptome, die häufig im Verlauf einer unheil-baren Erkrankung auftreten. Grundsätzlich kann man aufgrund der Ätiologie fol-gende Unterscheidungen treffen:

- Störungen im Bereich des gesamten Verdauungstrakts: vom Pharynx bis zum Rektum, einschließlich Leber, Pankreas und Gallenwegen, wie Entzündungen, mechanische Hindernisse oder toxische Reizungen

- Zentrales Erbrechen: Reizung des Brechzentrums in der dorsolateralen Formatio reticularis bzw. der Chemorezeptor-Triggerzone (CTZ) in der Area postrema des IV. Ventrikels durch Zytostatika (oder Morphin) - Psychogenes Erbrechen: Konditionierung von Brechzentrum und CTZ

→ antizipatorisches Erbrechen

Differentialdiagnostisch sind die Ursachen von Übelkeit und Erbrechen sowohl im Magen-Darm-Trakt (Mukositis, Soorbefall, Ulcera, Tumor, Opioide), auf ZNS-Ebene (erhöhter Hirndruck, Meningeosis), psychogen (Stress, Angst) als auch me-tabolisch medikamentös zu suchen. Gerade die medikamentöse Ursache von Übelkeit und Erbrechen sollte bei onkologischen Patienten immer in Betracht gezogen werden, da hier neben dem in der Palliativmedizin verbreiteten Einsatz von Antikonvulsiva oder Opioiden auch die spezifische antitumoröse Therapie mit Zytostatika als Ursache in Betracht kommt.

Bei der Therapie mit Zytostatika nimmt man je nach dem zeitlichen Auftreten der Übelkeit folgende Unterscheidungen vor:

Antizipatorisches Erbrechen: Emesis als konditionierte Erfahrung früherer Therapien. Einsetzen vor Therapiebeginn, spricht auf Antiemetika nur bedingt an, in der Regel durch Psychopharmaka zu beeinflussen, selten ganz zu beherrschen.

Deshalb schon bei der ersten Chemotherapie optimale Antiemese, um Patienten vor „schlechten Erfahrungen“ zu bewahren!

Akutes Erbrechen: Abhängig von der emetogenen Potenz des Zytostatikums sowie von der Dosis und Konstitution des Patienten. Frauen neigen häufiger zu Erbrechen als Männer, junge Patienten mehr als ältere, und nach langjährigem höherem Alkoholkonsum kann der Brechreiz fast vollständig fehlen. Setzt inner-halb 24 Stunden nach Applikation ein und hält in der Regel nicht länger als 48 Stunden an.

Verzögertes Erbrechen: Häufig nach Cisplatin, setzt nach über 24 Stunden ein und hält mehrere Tage an. Entsprechend der Wahrscheinlichkeit und Häufig-keit des Auftretens von ÜbelHäufig-keit und Erbrechen werden Zytostatika entsprechend ihrer emetogenen Potenz eingeteilt (siehe Tabelle 1).

Tabelle 1: Emetogene Potenz der wichtigsten Zytostatika, Antikörper und moleku-laren Inhibitoren

Sehr schwache Emetogenität (< 10 %)

Bevacizumab, Bleomycin, Busulfan, Chlorambucil, Chlorodeoxyadeno-sin, Cladribin, Erlotinib, Fludarabin, Gefitinib, Hydroxyurea,

Lenalidomid, Melphalan, Mercaptopurin, MTX (< 100 mg/m²), Pen-tostatin, Rituximab, Sorafenib, Thioguanin, Vincristin, Vinblastin, Vinorelbin i.v.

Schwache

Emetogenität Asparaginase, Bendamustin, Bortezomib, Capecitabin, Catumaxomab, Cetuximab, Cytarabin (< 1 g/m2), Decitabin, liposomales

Doxorubi-(10–30 %) cin, Etoposid, 5-Fluorouracil, Gemcitabin, Lenalidomid, Mitomycin, Mitoxantron, MTX (> 100 mg/m²), Panitumumab, Pemetrexed, Sunitinib, Taxane, Temsirolimus, Thalidomid, Topotecan Mittlere

Emetogenität (30–90 %)

Anthrazykline (Mono-Tx), Alemtuzumab, Azacytidin, Carboplatin, Clofarabin, Cyclophosphamid (< 1500 mg/m²), Cytarabin (> 1 g/m²), Ifosfamid, Imatinib, Irinotecan, Oxaliplatin, Temozolomid, Trabecte-din, Treosulfan, Vinorelbin p.o.

Hohe Emetogenität (> 90 %)

Anthrazykline (in Kombination mit anderen Zytostatika, z. B. AC, FEC, TAC, VAIA), Cisplatin, Carmustin (BCNU), Cyclophosphamid (> 1500 mg/m²), Dacarbazin (DTIC), Dactinomycin, Pentostatin, Procarbazin, Streptozotocin, jede HD-Tx

10.4.2 Diagnostik

Da Übelkeit und Erbrechen Symptome sind, die die Lebensqualität erheblich be-einflussen und verschlechtern, sollte immer versucht werden, mit einer adäquaten Diagnostik die Ursache abzuklären. Hierbei spielt die Anamneseerhebung eine zentrale Rolle (insbesondere die Frage nach einer stattgehabten Zytostatikathera-pie, s. o.). Die Frage nach der Häufigkeit, der auslösenden Ursache und einer mög-lichen Assoziation zur Einnahme von Medikamenten ist ebenso wichtig wie die Frage nach dem Geruch, dem Aussehen und der Farbe von Erbrochenem. Die körperliche Untersuchung sollte die Inspektion des Mund- und Rachenraumes zum Ausschluss einer Mukositis bzw. eines Soorbefalls ebenso umfassen wie die Untersuchung des Abdomens zum Ausschluss von Aszites, Stuhlverhaltes, Tu-mors, Vergrößerung der Leber. Unterstützend kann hierbei als bildgebende Maß-nahme eine Ultraschalluntersuchung des Bauchraumes vorgenommen werden. Als weitere apparative Untersuchung macht sich manchmal bei gastroösophagealem Reflux, Gastritis oder Magenatonie eine Gastroskopie erforderlich. Zum Aus-schluss von metabolischen Ursachen oder Medikamentenintoxikationen sollte eine Laboruntersuchung mit den entsprechenden Parametern erfolgen.

10.4.3 Therapie

Grundsätzliche sollten reversible Ursachen wie z. B. Schmerzen, Obstipation oder Hirndruck behandelt werden. Des Weiteren sollte eine gründliche Medikamen-tenanamnese durchgeführt werden und Medikamente, die nicht unbedingt not-wendig sind und potentiell emetogen sind, weggelassen werden. Sollte beides nicht den gewünschten Erfolg bringen, ist eine reine Symptomkontrolle indiziert. Dabei ist es wichtig zu betonen, dass häufig eine Beeinflussung der Frequenz des Erbre-chens ausreichend ist. Die meisten Patienten tolerieren es sehr gut ein bis zweimal am Tag zu erbrechen. Es können verschiedene Wirkgruppe der Antiemetika unter-teilt werden. Grundsätzlich wirken die Antiemetika über eine Blockade

verschiede-ner Neurotransmitter. Die Rezeptoren dieser Neurotransmitter sind sowohl im Gastrointestinaltrakt als auch im vierten Ventrikel im Hirnstamm lokalisiert. Die Wahl des Emetikums ist abhängig von der Ursache des Erbrechens. Eine Über-sicht über die unterschiedlichen Substanzgruppen mit den entsprechenden Dosie-rungen und Applikationsintervallen ist in folgender Tabelle aufgeführt.

Tabelle 2: Antiemetika entsprechend der verschiedenen Substanzgruppen und Dosierungen

Substanzgruppe Wirkstoff Dosis (mg) Intervall (h) Antihistaminika Dimenhydrinat 100–200 8 Neuroleptika Haloperidol

Levomepromazin

0,3–0,5 3

8–12 8 Anticholinergika Scopolamin 0,2–0,4 s.c. 8 Prokinetika Metoclopramid 10 4–5 5-HT3-Antagonisten Ondansetron 4–8 8–12 Glycokorticoide Dexamethason 4–8 8–24 Cannabinoide Drobabinol 2,5–5 6–8 Benzodiazipine Lorazepam 0,5–2 8–12 Die Applikation des Antiemetikums sollte nach einem festen Zeitschema erfolgen.

Eine kurzfristige Kontrolle der Wirksamkeit muss erfolgen, damit bei Nichtwirk-samkeit entweder die Dosis angepasst oder ein Medikament mit einer anderen Rezeptoraffinität eingesetzt werden kann. Oft werden zwei Medikamente mit un-terschiedlicher Rezeptoraffinität benötigt. Grundsätzlich ist als Applikationsweg immer die enterale Aufnahme zu wählen. Bei rezidivierendem Erbrechen sollte auf einen parenteralen oder rektalen Weg ausgewichen werden.

Des Weiteren sollte neben der medikamentösen Therapie auf nichtmedika-mentöse Maßnahmen geachtet werden. Hierbei spielen vor allem die Umgebung (Gerüche) und die Art und Weise der Zubereitung von Mahlzeiten eine große Rolle.

Wichtig ist auch die Prophylaxe und Therapie des Zytostatika-indizierten Er-brechens. Ziel der Therapie ist der Zustand ohne Übelkeit während der Chemo-therapie, welcher mit einer konsequenten Therapie bei ca. 60–80 % aller Patienten zu erreichen ist. Die antiemetische Therapie richtet sich nach der emetogenen Potenz der verwendeten Zytostatika (s. o.) und der subjektiven Empfindlichkeit des Patienten. Jeder Patient mit Nausea/Erbrechen wird beim nächsten Zyklus mit der Therapie der höheren Gruppe behandelt (siehe Tabelle 3). Bei den sehr schwach emetogenen Zytostatika ist in der Regel keine Therapie notwendig.

Tabelle 3: Antiemetische Prophylaxe entsprechend des emetogenen Risikos der Zytostatika

Risikogruppe Emesisrisiko Akutes Erbrechen Verzögertes Erbrechen Minimal < 10 % keine präventiven

Maßnah-men keine präventiven

Maß-nahmen Niedrig 10–30 % Dexamethason o.

Dopami-nantagonist keine präventiven Maß-nahmen

Moderat 30–90 % Tag 1: 5-HT3-Antagonist +

Dexamethason Tag 2 + 3: Dexamethason o. 5-HT3-Antagonist, (evtl.

+ NK1-Antagonist) Hoch > 90 % Tag 1: 5-HT3-Antagonist +

Dexamethason

+ NK1-Antagonist (i.v. oder p.o.) ± Lorazepam

Tag 2 + 3: Dexamethason (evtl. auch Tag 4) + NK1-Antagonist (p.o.) (nicht nötig, wenn Tag 1 i.v.) ± Lorazepam

Im Dokument Onkologie für die Palliativmedizin (Seite 170-174)