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Zusammenfassung und Fazit zur beruflichen Orientierung

Das Kapitel beleuchtete die berufliche Orientierung im Kontext von Schule. Dabei wurde ein Spannungsfeld bestehend aus inhaltlichen und begrifflichen Interpreta-tionen, beteiligten Akteur*innen und diversen Anforderungen und Herausforde-rungen sichtbar. Eingangs beschreibt das Kapitel, wie sich das Verständnis von Arbeit und Beruf als Resultat gesellschaftlicher und technologischer Veränderun-gen, und darauf aufbauend auch die Anforderungen an berufliche Orientierung gewandelt haben (Famulla, 2008; Kayser, 2013). Es hat sich gezeigt, dass das ursprüngliche Ziel einer einmaligen Unterstützung am Übergang von der Schule in die Ausbildung bzw. ein Hochschulstudium (KMK, 1993) durch ein breiteres Verständnis von beruflicher Orientierung als Befähigung lebenslanger berufli-cher Gestaltung unter Einbezug individueller Präferenzen und Fähigkeiten (KMK, 2017b) abgelöst wurde.

Im zweiten Teilkapitel wurden die Akteur*innen der beruflichen Orientierung mit ihren differierenden Perspektiven, Interessen, Zielen und Aufgaben vorge-stellt. Deutlich wurde zum einen, dass die Beteiligten aus ihrem jeweiligen Handlungsauftrag heraus verschiedene Perspektiven auf die berufliche Orientie-rung einnehmen und unterschiedliche Ziele verfolgen, die sich mitunter decken, ergänzen oder einander entgegenstehen können (Bührmann & Wiethoff, 2013).

Auf der Schulebene interessiert vornehmlich die Anschlusssicherung, Gymna-sien blickten und blicken dabei weiterhin verstärkt auf den Übergang in eine Hochschule (Butz, 2008a; Dedering, 2002; Driesel-Lange, 2011). Unternehmen benötigen zur Fachkräftesicherung Auszubildende. Es lässt sich beobachten, dass ihre Interessensverbände, wie die IHK oder die HWK, vor allem die dualen Ausbildungswege fokussieren. Wie sich anhand der Studienerfolgsstrategie des Freistaats Sachsen beispielhaft zeigt, stellt die gezielte Studieninformation und -beratung ein bedeutendes Werkzeug zur Gewinnung von Studierenden und der Steigerung der Studienerfolgsquote dar (Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst, Freistaat Sachsen, 2016). Auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene leiten bildungs-, sozial- und arbeitsmarktpolitische Überlegungen die Ausrich-tung der Rahmenbedingungen und Programme beruflicher Orientierung, während Erkenntnisse der Berufswahlforschung selten Berücksichtigung finden (Brügge-mann, Driesel-Lange & Weyer, 2017). Diese komplexe Interessenslage stellt eine Ursache der kontextuellen Komplexität der beruflichen Orientierung dar. Weiter wurde anhand der Vielzahl der Beteiligten auch deutlich, wie zentral die durch die KMK im Jahr 2017 beschlossene Verwendung der beruflichen Orientierung

als einheitlichem Begriff sowie die gemeinsame Zieldefinition für eine erfolgrei-che Zusammenarbeit bei der Weiterentwicklung der beruflierfolgrei-chen Orientierung sind.

Entsprechend wird in dieser Arbeit das an Famullas und Butz‘ (2005) Definition anschlussfähige Verständnis beruflicher Orientierung als langfristigem Prozess, der Heranwachsende dazu befähigen soll, ihr berufliches Leben proaktiv, indivi-duell, informiert sowie interessensgeleitet und frei von Stereotypen zu gestalten und auf Veränderung der Lebens- und Arbeitswelt einzugehen (KMK, 2017b), übernommen. Der Erwerb von Berufswahlkompetenzen, die die Jugendlichen zu dieser lebenslangen beruflichen Gestaltung qualifiziert, stellt dementsprechend ein Desiderat beruflicher Orientierung dar (Driesel-Lange et al., 2020).

Im dritten Teilkapitel wurden die sich aus diesen Rahmenbedingungen, insbe-sondere für Schulen, ergebenden Herausforderungen in der Konzeption, Planung und Umsetzung sichtbar gemacht. Es zeigte sich, dass Schulen durch feh-lende Ressourcen, Informationsmangel bezüglich der Effekte berufsorientierender Maßnahmen und Hürden für die systematische Analyse individueller Bedarfe (Ohlemann et al., 2016) Herausforderungen auf personeller, organisatorischer und inhaltlich-didaktischer Ebene erleben, die die Ansprache der individuellen Bedarfe der Jugendlichen erschweren (Rose & Beutner, 2015). Ein sich aus dieser Betrachtung ergebendes, wesentliches Forschungsdesiderat ist die mehrdimensio-nale Untersuchung der Bedarfsheterogenität der Jugendlichen, die sich wiederum aus den individuellen Voraussetzungen, den Phasen der beruflichen Entwicklung und den individuellen Entwicklungsständen ergibt. In einem ersten Schritt werden daher die heterogenen Voraussetzungen der Jugendlichen im folgenden Kapitel theoretisch rekonstruiert und einschlägige empirische Ergebnisse vorgestellt.

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Heterogenität in den Voraussetzungen beruflicher Orientierung

Im vorausgegangenen Kapitel hat sich gezeigt, dass die Berücksichtigung der individuellen Bedarfe, die aus der Heterogenität der Lernenden in Bezug auf ihre Voraussetzungen und Entwicklungsstände resultiert, eine der wesentlichen Herausforderungen in der Umsetzung erfolgreicher beruflicher Orientierung im Kontext von Schule darstellt. Um sich dem Anliegen dieser Arbeit zu nähern, widmet sich das folgende Kapitel daher den divergierenden persönlichen Vor-aussetzungen, die als eine der Ursachen der Heterogenität in der beruflichen Orientierung bewertet werden können.

Das erste Teilkapitel (3.1) fokussiert dabei die begriffliche Definition von Heterogenität, insbesondere in Abgrenzung zu Inklusion und Diversität. Im zweiten Teilkapitel (3.2) wird die Heterogenität im Berufswahlverhalten jun-ger Menschen aufgrund unterschiedlicher persönlicher Voraussetzungen anhand von drei theoretischen Konstrukten rekonstruiert. Boudons (1974) Theorie der primären und sekundären Herkunftseffekte liefert eine Erklärung der sozial bedingten Chancenungleichheiten im Schul- und Bildungssystem. Diese theore-tischen Überlegungen in Hinblick auf Chancenungleichheit werden zudem durch empirisch belegbare Unterschiede im Bildungserfolg bei Jugendlichen aus privile-gierten und sozial benachteiligten Familien, bildungsnahen und -fernen Familien, sowie von Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund sichtbar (OECD, 2014; Stanat et al., 2002). Mittels primärer und sekundärer Herkunftseffekte lassen sich jedoch nicht nur die Chancenungleichheiten im Schulsystem erklä-ren. Boudons Theorie leistet auch einen wichtigen Beitrag, um sozial bedingte Unterschiede im Berufswahlverhalten zu erklären (Brändle & Grundmann, 2013).

Gottfredsons (1981) Theorie der Eingrenzung und Kompromissbildung erweitert Boudons These der klassenabhängigen Wert-Nutzen-Abschätzungen von Bildung durch ihren theoretischen Einbezug des Abgleichs der Jugendlichen zwischen

© Der/die Autor(en) 2021

S. Ohlemann,Berufliche Orientierung zwischen Heterogenität und Individualisierung,https://doi.org/10.1007/978-3-658-33039-2_3

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ihrem eigenen sozialen Status und dem Prestige des Wunschberufs. Leistungs-vergleichsstudien konnten neben sozialen Unterschieden zudem Abweichungen im Schulerfolg und den Aspirationen von Jungen und Mädchen nachzeichnen (OECD, 2015). Gottfredsons Ausführungen liefern ein theoretisches Fundament für diese geschlechtsbezogenen Differenzen in der Berufswahl (Gottfredson, 2002). Auch ihre theoretischen Überlegungen werden mit aktuellen empirischen Befunden verschränkt. Mit der dritten Theorie, nämlich Bourdieus (1982, 1987) Ausführungen zu milieugebundenem Habitus, werden Boudons (1974) und Gott-fredsons (1981) Betrachtungen sozial- und geschlechtsbedingter Berufswahl um den Einfluss sozialisationsbedingter Distanzen zwischen Individuum und Beruf ergänzt.

Zusammenfassend wird am Ende dieses Kapitels dargestellt, dass sowohl die begriffliche Einordnung als auch die theoretische Verschränkung der hete-rogenitätsbezogenen Befunde dazu beiträgt, erste Konsequenzen auf sozial-, milieu- und geschlechtsbedingtes Berufswahlverhalten abzuleiten und für die for-schungsseitige Unterstützung bedarfsbezogener beruflicher Orientierung nutzbar zu machen.