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Herausforderungen und Grenzen im Kontext von Schule

Während die Gestaltung beruflicher Orientierung durch die Vielzahl ihrer Betei-ligten geprägt ist, wird ihre praktische Umsetzung auch von Herausforderungen begleitet und in Teilen bestimmt. Im folgenden Teilkapitel werden diese Heraus-forderungen, die sich vor allem für die Institution Schule als zentralem Dreh- und Angelpunkt berufsorientierender Unterstützung ergeben, beleuchtet und in ihrer wechselseitigen Dynamik diskutiert.

Aufgrund des Bildungsföderalismus kann auf Bundesebene die berufliche Ori-entierung nur begrenzt durch die Initiierung und Finanzierung von Programmen

und Netzwerken gesteuert werden. Die Länder genießen einerseits eine große Gestaltungsfreiheit, andererseits besteht die Herausforderung, allen Schüler*innen gleichberechtigt den Zugang zu unterstützenden Maßnahmen zu ermöglichen. Aus den unterschiedlichen Entwicklungsständen und der Heterogenität innerhalb der Gruppe der Jugendlichen entstehen verschiedenste Anforderungen an die schuli-sche Begleitung beruflicher Orientierung. Da sich diese Arbeit den individuellen Bedarfen als Voraussetzung einer (weiteren) Binnendifferenzierung beruflicher Orientierung im schulischen Kontext widmet, soll hier der Blickpunkt auf die sich daraus für Schulen als umsetzende Instanz ergebenden Herausforderungen und Grenzen gerichtet werden. Die Ursachen und Ausprägungen dieser Hetero-genität werden in den sich anschließenden Kapiteln (3, 4,5 und 6) sukzessive dargestellt.

Mit der Planung und Umsetzung beruflicher Orientierung werden in den Schu-len einzelne oder mehrere Lehrkräfte beauftragt. Diese betreuen die berufliche Orientierung oft fachfremd und müssen sich daher zunächst in die Thema-tik einarbeiten (Kayser, 2013). Aufgrund fehlender Kenntnisse der Arbeits-und Berufswelt, fehlender Beratungskompetenzen Arbeits-und fehlenden Wissens der relevanten Berufswahltheorien diagnostizieren sie bei sich selbst einen hohen Qualifizierungsbedarf (Ohlemann et al., 2016). Dreer (2013b) bezeichnet die Qualifizierung der verantwortlichen Lehrkräfte sowie des gesamten Kollegiums als Schlüssel für eine qualitativ hochwertige Begleitung der Jugendlichen. Um diese Anforderung zu bewältigen, bieten landeseigene oder beauftragte Weiterbil-dungsinstitutionen seit einigen Jahren ein verstärktes Qualifizierungsangebot an, wie die systematisierten Angebote der Basis- und Aufbauqualifikation der BO-Verantwortlichen in Nordrhein-Westfalen beispielhaft zeigen (Bezirksregierung Arnsberg, 2019). Die Entlastungsstunden, die Lehrkräfte für ihre Arbeit im Auf-trag der beruflichen Orientierung erhalten, variieren auf Landes- und Schulebene (Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen, 2019a).

Die verantwortlichen Lehrkräfte bemängeln, dass die zugewiesenen Ressourcen nur zum Teil für die Bewältigung der anfallenden Aufgaben, wie der Maßnah-menorganisation, der schulinternen und externen Kommunikation, aber auch für die Nutzung von Qualifizierungsangeboten, genügen (Ohlemann et al., 2016).

Folglich besteht darin eine weitere Schwierigkeit in Form knapper personeller Ressourcen (Kalisch & Krugmann, 2019).

Neben den Herausforderungen, die sich durch die Art und Anzahl der personellen Ressourcen ergeben, bestehen weitere Herausforderungen auf der Prozessebene sowie auf der inhaltlich-didaktischen Ebene. Betrachtet man die aus der Heterogenität der Heranwachsenden entstehenden individuellen Bedarfe,

wird klar, dass für eine bedarfsorientierte Unterstützung zunächst der individu-elle Entwicklungsbedarf der einzelnen Jugendlichen als zentraler Ausgangspunkt weiterer Unterstützung diagnostiziert werden müsste (Hartkopf, 2013). Während Potentialanalysen zur Feststellung individueller Fähigkeiten und Fertigkeiten zum Einstieg in den Berufswahlprozess in mehreren Landeskonzepten als verbindli-che Elemente integriert wurden (Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen, 2019a; Schröder, 2015), weist kein Landeskonzept verbind-lich die systematische und regelmäßige Diagnostik von Entwicklungsbedarfen hinsichtlich der beruflichen Orientierung an (KMK, 2017a; Schröder, 2015). Inso-fern kann daraus geschlossen werden, dass Schulen die tatsächlichen Bedarfe ihrer Lernenden nicht oder nur sporadisch ermitteln. Diese fehlende Diagnos-tik ist einerseits sicherlich den fehlenden zeitlichen Ressourcen – sowohl in der Durchführung als auch in der Auswertung diagnostischer Tests – geschuldet.

Denn für eine individuelle Diagnostik und Fallarbeit bedarf es erweiterter Kapa-zitäten, wie es Famulla et al. (2003) beispielhaft für den Bereich der inklusiven beruflichen Orientierung bereits früh formuliert haben. Ein weiterer Grund stellt die mangelnde diagnostische Kompetenz der Lehrkräfte dar (Schnebel, 2017).

Ein möglicher Ansatzpunkt für eine systematische Diagnostik wäre ein verein-fachtes Verfahren, mit dem anhand eines oder weniger Werte auf den aktuellen Entwicklungsstand rückgeschlossen werden könnte. Die empirische Studie in Kapitel 10 setzt mit einer methodischen Lösung an diesem Forschungsdeside-rat an. Dafür werden die Zusammensetzung und Anwendbarkeit eines Normwerts der Berufswahlkompetenz zur Komplexitätsreduzierung der Diagnostik analysiert und diskutiert.

Auch die systematische Vor- und Nachbereitung von beruflichen Orien-tierungsangeboten bedarf zusätzlicher Ressourcen, was für die Schulen eine wesentliche Hürde in der Umsetzung darstellt (Ohlemann et al., 2016). Insbe-sondere die fehlende Einbindung systematischer Reflektion des Erfahrenen und Erlernten erschwert den Schulen die u. a. von Driesel-Lange et al. (2020) und Kanning (2013) geforderte Verbindung und Einbettung einzelner Maßnahmen in ein schlüssiges, individuumsbezogenes Konzept beruflicher Orientierung.

Hinzukommen weitere, maßnahmenbezogene Hindernisse wie Informations-defizite. Lehrkräfte bemängeln das für sie oftmals unüberblickbare Angebot an Maßnahmen sowie das fehlende Wissen zu Effekten berufsorientierender Maßnahmen (Ohlemann et al., 2016). Aus der Kombination an fehlenden Res-sourcen, fehlender Weiterbildung und fehlenden Informationen kann ein Gefühl der Überforderung entstehen (Bührmann & Wiethoff, 2013; Kayser, 2013). Um den individuellen Bedarfen entsprechende Angebote zur beruflichen Orientierung

auswählen zu können, werden allerdings Informationen zu erwartender Maß-nahmeneffekte für das jeweilige Individuum bzw. seine Peergruppe benötigt.

Die Wahrnehmung der berufsorientierenden Maßnahmen durch unterschiedliche Gruppen versucht die empirische Studie in Kapitel9zu erhellen.

Darüber hinaus stellt sich eine Maßnahmenzuteilung und -teilnahme von Ler-nenden aus verschiedenen Klassenverbänden oder sogar Jahrgangsstufen auch auf organisatorischer Ebene, u. a. aufgrund der vielfältigen Prüfungstermine und dem damit verbundenen langfristigen internen Abstimmungsbedarf, als komplex dar.

Für eine individuelle, bedarfsbezogene Zuteilung der Jugendlichen zu den ver-schiedenen beruflichen Orientierungsmaßnahmen bedarf es nach Aussagen der BO-verantwortlichen Lehrkräfte insgesamt einer optimierten Planung und Ver-wendung der zur Verfügung stehenden Ressourcen (Ohlemann et al., 2016).

Weiter wird eine bedarfsorientierte Maßnahmenteilnahme neben der internen Planungskomplexität unter Umständen zusätzlich durch rigide Auflagen auf Lan-desebene erschwert. Denn einige Landeskonzepte formulierten die Teilnahme an bestimmten beruflichen Orientierungsmaßnahmen als verbindlich für eine spezifi-sche Jahrgangsstufe (Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, 2018). Eine frühere oder spätere Teilnahme entsprechend des individuellen Entwicklungsstands ist dabei nicht angedacht.

Zusammenfassend lassen sich die Herausforderungen für Schulen in perso-nelle, organisatorische und inhaltlich-didaktischen Herausforderungen bündeln.

Sie entstehen durch fehlende Ressourcen, Informationsmangel und Intransparenz hinsichtlich der Maßnahmeneffekte, fehlenden Zugang zu und Durchführungs-möglichkeiten von systematischen individuellen Bedarfsanalysen. Aus den aufge-führten Problemen resultiert, dass die Handhabung der von Driesel-Lange et al.

(2020) benannten individuellen Entwicklung und die darauf aufbauende bedarfs-bezogene Begleitung der Jugendlichen, im Sinne einer eins-zu-eins-Betreuung, für Schulen nur schwer bis gar nicht zu realisieren ist. Die Analyse von Gruppen Jugendlicher mit ähnlichen Bedarfen als Ausgangsbasis der Binnen-differenzierung stellt daher an dieser Stelle ein Forschungsdesiderat dar. In den folgenden Kapiteln soll somit zur weiteren Ausleuchtung der Sachlage auf die Ursachen und Ausprägungen der Heterogenität im Kontext von beruflicher Orien-tierung eingegangen werden. In Kapitel3werden dafür zunächst die heterogenen Voraussetzungen anhand theoretischer Modelle erklärt und durch aktuelle empi-rische Studien belegt. Ziel ist es, den sich daraus erschließende Bedarf an Individualisierung theoretisch und empirisch herzuleiten.

2.4 Zusammenfassung und Fazit zur beruflichen