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Die Studie besteht aus einer Voruntersuchung, einer Prozessevaluation, inner-halb dessen in sieben durchgeführten Präventionsmaßnahmen eine teilnehmende Beobachtung durchgeführt wurde, und einer Wirkungsuntersuchung durch Fragebogenerhebungen zu drei Zeitpunkten (vor der Präventionsmaßnahme, im Anschluss an die Maßnahme und durchschnittlich ca. fünfeinhalb Monate nach der Maßnahme). Im Folgenden werden die Ergebnisse der Prozessevaluation und der Wirkungsuntersuchung zusammenfassend dargestellt.

Zusammenfassung der Evaluationsstudie

Prozessevaluation

Die Prozessevaluation explorierte die Rahmenbedingungen, die inhaltliche und methodische Gestaltung, Referenten-spezifische Aspekte, erhob die Sicht der Schüler*innen auf die Präventionsmaßnahme und den Referenten und fragte nach dem subjektiv empfundenen Wissensgewinn sowie nach einer wahrgenommenen Vor- und Nachbearbeitung der Maßnahme. Zudem untersuchte sie Anhaltspunkte für mögliche Faszinations- oder (Re-)Traumatisierungsprozesse von Betroffenen rechter Gewalt unter den Schüler*innen während und nach der Maßnahme.

Der zeitliche Rahmen der Durchführung wurde „vorwiegend überschritten, obwohl in keiner der sieben Maßnahmen eine Pause stattfand“ (Walsh, Gansewig 2019:

87 f.). Die Autor*innen weisen zudem darauf hin, dass „mindestens eine Pause zuträglich gewesen“ (ebd.: 88) wäre, um die Konzentration der Schüler*innen aufrecht zu erhalten und ggf. den Abbruch der Maßnahme zu ermöglichen.

Die Präventionsmaßnahme setzte sich aus einem biografischen Teil und einem Teil, der allgemeines Wissen über Rechtsextremismus, Gewalt und Krimi-nalität umfasste, zusammen. Neben einigen positiven Aspekten, die der Refe-rent während der Maßnahme vorstellte (z. B. die netzwerkartige und sich ver-ändernde Organisationsstruktur der extremen Rechten), weisen die Autor*innen auch auf kritisch zu bewertende Inhalte hin. So sollte sich die Darstellung von Gewalt „innerhalb klar gesetzter Grenzen bewegen“ (ebd.: 89), der Prozess-haftigkeit des Ein- und Ausstieges eine entsprechende Gewichtung zukommen und die Perspektive von rechter Gewalt betroffenen Menschen behandelt werden.

Dem hinzuzufügen wäre dem Positionspapier der Bundesarbeitsgemeinschaft Ausstieg zum Einstieg e. V. nach, dass inhaltlich auf die biografischen Selbstreflexion der ausgestiegenen Person fokussiert wird und Schilderungen von z. B. verherr-lichenden Szeneaktivitäten nicht im Fokus solcher Veranstaltungen stehen sollten (vgl. BAG Ausstieg zum Einstieg e. V.).

Methodisch gestaltete der Referent die Einheit abwechslungsreich. Er nutzte unterschiedliche Medien und agierte interaktiv mit den Schüler*innen.

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Im biografischen Teil nahm jedoch die Aufmerksamkeit der Schüler*innen durch eine „monologisierende Darstellung“ (Walsh, Gansewig 2019: 89) ab, so dass die Autorinnen auch in diesem Teil der Maßnahme zu einem interaktiven Vorgehen raten. Eine passende Interaktionsbasis schuf der Referent durch eine für Jugend-liche passende Ansprache, wobei auch „umgangssprachJugend-liche und unsensible Bezeichnungen“ (ebd.: 89) zu hören waren und diese kritisch zu beurteilen sind.

Dennoch hoben die Schüler*innen auf die Frage, was ihnen gut gefallen habe, die Authentizität, den Habitus und die Vortragsweise des Referenten positiv hervor. Die Wissenschaftler*innen schlussfolgerten, dass dies eine Bestätigung der Annahme sei, dass Aussteiger*innen „einen guten Zugang zu Jugendlichen besitzen können“ (ebd.: 91). Aus unserer Sicht stellt sich an dieser Stelle die Frage, ob der Referent einen guten Zugang zu den Schüler*innen hatte, aufgrund der Tatsache, dass er ein Aussteiger ist und als solcher wahrgenommen wurde oder, ob er ggf. aufgrund jugendlicher Wortwahl und Auftreten gut ankam, unabhängig von seiner ehemaligen Szenezugehörigkeit. Letzteres wäre weniger referenten-spezifisch und könnte ggf. auch von anderen externen Vortragenden geleistet werden.

Vor allem die zum Teil detaillierte Darstellung von Gewaltszenarien trug dazu bei, dass sich 16 % der 490 befragten Schüler*innen während der Maßnahme an mindestens einer Stelle unwohl fühlten. Die Mehrheit der Jugendlichen (80 %) bemerkte direkt nach der Maßnahme einen subjektiv empfundenen Lernzugewinn.

Die erneute Erhebung, im Durchschnitt fünfeinhalb Monate nach der Maßnahme, ergab einen empfunden Lernzuwachs von 59 %. Den Wunsch nach einer nach-träglichen Bearbeitung der Präventionsmaßnahme äußerten 76 % der Jugendlichen und merkten an, dies gern mit dem Referenten im Unterricht zu tun (vgl. ebd.:

91). An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die Schüler*innen bis zu diesem Zeitpunkt keine alternative Bearbeitung der Thematik kennengelernt hatten, z. B. durch Workshops der Mobilen Beratung, Interviews oder Vorträge der lokalen Ausstiegshilfen.

Formate der Prävention mit ausgestiegenen Personen aus der extremen Rechten, die Jugendlichen von ihrer Lebensgeschichte berichten, stehen nicht selten

Zusammenfassung der Evaluationsstudie

insofern in der Kritik, dass ihre Erzählungen möglicherweise Faszination wecken könnten oder (Re-)Traumatisierungen für Betroffene (rechter) Gewalt zur Folge hätten. Diese Kritik teilen wir als zivilgesellschaftliche Ausstiegshilfe bei Anfragen nach Aussteiger*innen. Die vorliegende Studie kann diese Bedenken mit ihren Ergebnissen jedoch nicht bestätigen. Weder gab es „Hinweise auf mögliche Traumatisierungsaspekte bei Schülern mit Migrationshintergrund als potenziell Betroffene rechter Gewalt“ (Walsh, Gansewig 2019: 92), noch „Anhaltspunkte für mögliche Retraumatisierungsaspekte bei Betroffenen rechter Gewalt“ (ebd.: 92).

Die Autor*innen warnen jedoch davor, dies für die Maßnahme zu generalisieren, denn eine Teilnahme am Präventionsunterricht im Rahmen dieser Studie, war für alle Jugendlichen freiwillig und bedurfte der Einwilligung der Erziehungs-berechtigten, so dass gefährdete Schüler*innen im Vorfeld geschützt werden konnten. Dies ist für eine Maßnahme, die im Regelunterricht stattfindet, nicht zwangsläufig gegeben.

Abschließend lässt sich sagen, dass vor allem die Darstellung von erlebter und ausgelebter (körperlicher) Gewalt generell zu hinterfragen ist, die hier angeführten negativen Aspekte nicht außer Acht gelassen werden sollten und die Durch-führung der Präventionsmaßnahme in dieser Form in einer achten Klassenstufe zu überdenken ist (vgl. ebd.: 93).

Wirkungsuntersuchung

In der Wirkungsuntersuchung wurde der mögliche Einfluss der Maßnahme auf rechtsextreme Einstellungen, Gewalt und Delinquenz geprüft sowie die außer-schulische Beschäftigung mit der Thematik Rechtsextremismus, ein potenzieller Wissenszugewinn und nicht intendierte Effekte untersucht.

Die Ergebnisse aus den Befragungen sprechen „gegen einen Einfluss der Maß-nahme auf Veränderungen rechtsextremer Einstellungen“ (ebd.: 94). Des Weiteren

„scheint die Präventionsmaßnahme keinen Einfluss auf Gewaltorientierung und

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-erleben der befragten Schüler nach sich gezogen zu haben“ (Walsh, Ganse-wig 2019: 95). Auch die Ergebnisse zu möglichen Effekten auf delinquentes Verhalten lassen nicht auf einen Einfluss der Präventionsmaßnahme schließen (vgl. ebd.: 96). Die Wissenschaftler*innen merken an, dass nach einer zeitlich so eng angelegten Maßnahme (180 Minuten) wie dieser auch keine Veränderungen zu erwarten und daher die Ergebnisse nicht überraschend wären (vgl. ebd.: 97).

Dennoch sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die Ergebnisse in einem Kontrast zur verbreiteten Annahme stehen, eine Maßnahme durch ausgestiegene Personen sei per se wirkungsvoll auf die zuvor genannten Aspekte. Hier wäre für zukünftige Evaluationsvorhaben ggf. ein Vergleich mit Workshops durch die Mobilen Beratungen, der lokalen Ausstiegshilfen oder dem Einsatz der Biografie

„Timo F. – Neonazi“ mit Begleitmaterial interessant und wünschenswert (vgl.

F. 2017, F. 2017 II).

Neben ausgebliebenen Effekten auf rechtsextreme Einstellungen, Gewalt und Delinquenz, zeigten sich keinerlei Auswirkungen der Maßnahme auf eine (vermehrte) Beschäftigung der Schüler*innen mit der Thematik außerhalb des Schulkontextes: „Faktenwissen konnte durch die Präventionsmaßnahme offen-bar nicht nachhaltig vermittelt werden“ (Walsh, Gansewig 2019: 96). Die erhöhte Faszination der Schüler*innen an extrem rechten Erlebnis- und Lebenswelten in Folge der Maßnahme sind ebenso nicht nachzuweisen (vgl. ebd.: 97).

Resümee

Abschließend lässt sich sagen, dass die evaluierte Präventionsmaßnahme keine überraschenden Ergebnisse hinsichtlich fehlender Einstellungs- und Verhaltens-änderungen der Teilnehmenden liefert. Dennoch stehen die Ergebnisse in Kont-rast zu der verbreiteten Annahme, dass Veranstaltungen von Aussteiger*innen grundsätzlich ein wirkungsvolles Mittel der Rechtsextremismusprävention seien.

Aufgrund der unterschiedlich auftretenden Aussteiger*innen, die sich für Inter-views und Veranstaltungen zur Verfügung stellen, kann nicht von dieser Evaluation

Zusammenfassung der Evaluationsstudie

auf weitere Formate geschlussfolgert werden. Die vorliegende Untersuchung zeigt jedoch erstmalig und in detailliertem Umfang Effekte einer solchen Präventions-maßnahme auf, betont dabei die Notwendigkeit weiterer Forschung in dem Bereich und plädiert für einen sensiblen Umgang von Lehrkräften mit der Möglichkeit, Aussteiger*innen in schulische Präventionsmaßnahmen einzubinden.

Dieser sensible Umgang umfasst beispielsweise die Vor- und Nachbereitung einer Maßnahme durch Lehrkräfte sowie das Sicherstellen eines pädagogischen Konzeptes und die Einbettung in ein langfristiges Präventionskonzept an Schulen.

Die Erzählungen von Aussteiger*innen aus der extremen Rechten, das Angebot eines Workshops zu diesem Thema oder sonstige kurzzeitig angelegte Formate können eine grundsätzliche und langfristig angelegte Förderung von Vielfalt und Toleranz und den gebotenen Umgang mit Abwertungen und Vorurteilen nicht ersetzen. ◼

Pädagogische