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Zusammenfassung des Vergleichs zwischen Late Talkers und Kontrollkindern

Der Vergleich zwischen Late Talkers und Kontrollkindern ergab Hinweise auf kritische Variab-len, die die beiden Gruppen unterscheiden und die auch als Prädiktoren in Betracht kommen könnten. Zusammenfassend lässt sich Folgendes festhalten:

Late Talkers:

- werden von Testverfahren, Eltern und Untersuchern in allen erfassten Bereichen als sprachlich auffällig im Vergleich zu Kontrollkindern eingeschätzt,

- liegen in der nonverbalen Entwicklung ein- bis eineinhalb Monate hinter den Kontrollkindern, allerdings sind sie bis auf wenige Ausnahmen nicht an der Grenze zur unterdurchschnittlichen Entwicklung. Es sind also nicht generell verzögerte Kinder in der Stichprobe der Late Talkers.

- werden von Eltern in einem Temperamentsfragebogen sowie vom Untersucher häufiger als Kinder mit schwierigem Temperament wahrgenommen, während sich die Einschät- zungen in der psychiatrischen Symptomcheckliste CBCL 1½ - 5 nicht von denen der Kontrollkinder unterscheiden.

- sind seltener Erstgeborene und haben mehr Geschwister als Kontrollkinder, was in der vorliegenden Stichprobe nicht mit dem sozialen Status zusammenhängt.

- stammen öfter aus Elternhäusern mit niedrigeren Bildungsabschlüssen.

- haben eine höhere familiäre Vorbelastung mit Sprachauffälligkeiten und/oder Lese- Rechtschreibstörungen, besonders in Bezug auf die Väter.

- werden vom Untersucher als auffälliger in den Bereichen Fein- und Mundmotorik be- schrieben, Eltern geben häufiger Kopferkrankungen an, wobei letzteres auf rein subjek- tive Angaben der Eltern zurückgeht.

4.3 Längsschnittliche Betrachtungen

4.3.1 Prognose sprachlicher Leistungen

Ausgehend von der Gesamtheit der Kinder kann im Längsschnitt gezeigt werden, wie sich die drei Gruppen Late Talkers, Kontrollkinder und Grenzfälle hinsichtlich der Sprache entwickeln. Im ersten Schritt wurde überprüft, wieviele Kinder mit drei Jahren mindestens in den Bereich einer sprachlichen Schwäche fallen. Diese war definiert durch ein Sprachtestergebnis, bei dem ein Untertest des SETK 3-5 eine Standardabweichung oder mehr unter dem Mittelwert liegt (Kap.

3.2). Die in Tab. 37 dargestellten Verläufe zeigen, dass nur wenige Kinder aus den Gruppen der Kontrollkinder und der Grenzfälle Auffälligkeiten im Sinne von sprachlichen Schwächen zeigen, während dies auf zwei Drittel der Late Talkers zutrifft. Um das Risiko eines Late Talkers, später mindestens sprachlich schwach zu sein, angeben zu können, kann der Odds Ratio verwendet werden. Er gibt den Faktor an, um den sich die Zielgröße (im vorliegenden Fall die Sprachauf-fälligkeit) ändert, wenn eine bestimmte Variablenausprägung (Late Talker oder Kontrollkind) vorhanden ist. Late Talkers haben im Vergleich zu Kontrollkindern ein 39-fach höheres Risiko, mit drei Jahren mindestens sprachlich schwach zu sein. Gegenüber der Gruppe der Grenzfälle weisen die Late Talkers immer noch ein zwölffach höheres Risiko auf. Grenzfälle haben gegenüber Kontrollkindern ein dreifach erhöhtes Risiko. Im nächsten Schritt kann bestimmt werden, welche Kinder mit drei Jahren die diagnostischen Kriterien einer Sprachentwicklungsstörung erfüllen, also mindestens eineinhalb Standardabweichungen unter dem Mittelwert liegen. Es wird ersichtlich, dass dies ausschließlich in der Gruppe der Late Talkers der Fall ist. Aus diesem Grund kann für die Einteilung kein Odds Ratio berechnet werden, er wäre unendlich hoch. Alle Kinder, die mit drei Jahren an einer Sprachentwicklungsstörung leiden, waren demnach bereits mit zwei Jahren sprachlich verzögert im Sinne eines Late Talkers. Kein Kind wechselt dagegen von der Gruppe der Kontrollkinder oder der Grenzfälle in die Gruppe der sprachgestörten Kinder.

Tab. 37: sprachliche Schwäche bzw. Sprachentwicklungsstörung mit drei Jahren in Abhängigkeit der Gruppenzuge-hörigkeit mit zwei Jahren

Sprachliche Schwäche Störung der

Sprachentwicklung Gesamt alle T-Werte

über 40 mind. ein T-Wert

kleiner/gleich 40 alle T-Werte

über 35 mind. ein T-Wert kleiner/gleich 35 Kontrollkinder 40

(95,2 %) 2

(4,8 %) 42

(100 %) 0

(0 %) 42

(100 %)

Grenzfälle 24

(85,7 %) 4

(14,3 %) 28

(100 %) 0

(0 %) 28

(100,0 %) Late Talkers 17

(34,0 %) 33

(66,0 %) 33

(66,0 %) 17

(34,0 %) 50

(100 %)

Gesamt 81

(67,5 %) 39

(32,5 %) 103

(85,8 %) 17

(14,2 %) 120

(100,0 %) Anmerkung: „mind. ein T-Wert kleiner/gleich 40“ entspricht mindestens einer sprachlichen Schwäche, „mind. ein T-Wert kleiner/gleich 35“ entspricht der Diagnose einer Sprachentwicklungsstörung

Zusammenfassend ergibt sich das in Abb. 16 dargestellte Bild. Ein Drittel der Late Talkers holt innerhalb eines Jahres alle sprachlichen Rückstände auf. Ein weiteres Drittel zeigt sprachliche Schwächen und das letzte Drittel ist als sprachentwicklungsgestört einzustufen. Demgegen-über finden sich in der Gruppe der Kontrollkinder und der Grenzfälle nur 5 % bzw. 14 % an Kindern, die sprachlich schwach sind und niemand, auf den die Kriterien einer Sprachentwick-lungsstörung zutreffen.

Abb. 16: sprachliche Verlaufsmuster für Late Talkers, Grenzfälle und Kontrollkinder

Kontrollkinder unauffällig

sprachlich schwach sprachentwicklungsgestört Late Talkers

Grenzfälle

95 % 33 % 33 %

5 % 33 %

14 % 86 %

Anmerkung: sprachentwicklungsgestört = mind. ein Wert kleiner/gleich 35, sprachlich schwach = mind. ein T-Wert kleiner/gleich 40 , unauffällig = alle T-T-Werte über 40

Innerhalb der Late Talkers sind bei mehr als 80 % der Kinder im Alter von drei Jahren zumin-dest Schwächen in zwei oder mehr sprachlichen Bereichen zu verzeichnen. Zusätzlich sind die Artikulationsfähigkeiten der Kinder betroffen. Indirekt kann dies über die Nicht-Durchführ-barkeit des Untertests „Phonologisches Gedächtnis für Nichtwörter“ wegen artikulatorischer Probleme abgeschätzt werden. Solche liegen bei 54 % der Late Talkers vor, immer noch bei 29 % der Grenzfälle, aber nur bei 17 % der Kontrollkinder.

Betrachtet man nicht die Diagnosen, sondern das sprachliche Niveau der Kinder in Form der Ausprägung der Sprachtest-T-Werte, bleiben die interindividuellen Unterschiede, die im Alter von zwei Jahren zu beobachten waren, weitestgehend bestehen (s. Abb. 17). Late Talkers un-terscheiden sich im Verständnis wie in der Produktion zu beiden Zeitpunkten von den anderen beiden Gruppen. Aber auch die Grenzfälle schneiden mit drei Jahren noch signifikant schlechter ab als die Kontrollkinder, während sich diese beiden Gruppen nicht deutlich hinsichtlich des Verständnisses unterscheiden. In Bezug auf das Niveau der Sprachproduktion gab es einen deutlichen Zuwachs in der Gruppe der Late Talkers und der Grenzfälle, während das Niveau der Kontrollkinder gleich bleibend hoch ist. Die interindividuellen Unterschiede bleiben somit über den Zeitraum von einem Jahr hinweg relativ stabil bestehen.

Abb. 17: Verlauf der Sprachtestwerte zwischen zwei und drei Jahren für alle Gruppen

0 10 20 30 40 50 60 70

SETK-2: VI+VII

T-Wert

SETK-2: PI+PII

2 Jahre 3 Jahre

SETK 3-5: VS SETK 3-5: ESR+MR

Late Talkers Grenzfälle Kontrollkinder

Anmerkung: Late Talkers unterscheiden sich in allen Bereichen signifikant von den anderen beiden Gruppen (p < ,001), Grenzfälle unterscheiden sich von Kontrollkindern nur im Bereich der Sprachproduktion (p < ,05), s. Anhang Tab. A11

Anhand der Verläufe kann gezeigt werden, dass alle späteren sprachgestörten Kinder bereits als Late Talkers auffielen, dass aber auf der anderen Seite längst nicht alle Late Talkers eine Sprachentwicklungsstörung ausbilden. Davon ausgehend ist im nächsten Kapitel die Frage zu klären, von welchen Faktoren es abhängt, in welche Richtung sich ein im Alter von zwei Jahren sprachlich verzögertes Kind bewegen wird.

4.3.2 Prädiktoren der weiteren Sprachentwicklung bei Late Talkers