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Ziel dieser Dissertation war es, erstmals die Auswirkungen der Erkrankung Lungen-krebs auf den Alltag, sowie Sichtweisen und Bedürfnisse von Menschen mit fortge-schrittenem Lungenkrebs im Krankheitsverlauf und die ihrer Angehörigen zu analy-sieren, um daraus Konsequenzen und Empfehlungen für die Versorgung ableiten zu können. Der Schwerpunkt dieser Studie lag auf dem Zeitraum während palliativ-onkologischer Therapien.

Die qualitative prospektive Längsschnittstudie fand im Zeitraum von Februar 2013 bis Mai 2014 mit 4 Erhebungszeitpunkten statt. Die Rekrutierung erfolgte über zwei Uni-versitätskliniken im Bundesland Niedersachsen. Insgesamt wurden 43 qualitative Interviews mit 17 Patienten und 9 Angehörigen geführt und ausgewertet. Anhand eines offenen Leitfadens wurden zu jedem Erhebungszeitpunkt die Bedürfnisse und die aktuelle Versorgungssituation erfragt. Die Analyse des Ausgangsmaterials fand in drei unterschiedlichen Auswertungsschritten statt. Das Erleben der Erkrankung Lun-genkrebs wurde mit der Methode ‚Grounded Theory‘ nach Strauss sowie Strauss/Corbin analysiert. Um die Bedürfnisse im Verlauf der Lungenkrebserkran-kung auszuwerten, wurde die Methode der Qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring angewendet. Damit eine vergleichende Kontrastierung der Bedürfnisse der Interview-teilnehmer im Zeitverlauf vorgenommen werden konnte, erfolgte dieser Auswertung des Materials mit der Methode der Typenbildung nach Kuckartz.

Erleben von Lungenkrebs aus der Perspektive der Patienten

Die Analyse des Erlebens der Erkrankung Lungenkrebs aus der Perspektive der Pa-tienten ergab, dass Lungenkrebs als höchst bedrohlich erlebt wird, sodass das eige-ne Seinsgefühl fortan durch die Erkrankung bestimmt wird. Die Diagnose scheint ei-ne Handlungsohnmacht auszulösen, woraus Informationspassivität mit bedingungs-loser Akzeptanz aggressiver Tumortherapien folgen kann. Patienten werden durch die Behandlungen und mögliche Nebenwirkungen mitunter so beeinträchtigt, dass

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tienten mit Lungenkrebs ein Bedürfnis nach zurückkehrenden Alltagsroutinen (z.B.

Ausübung ihres Berufs). Des Weiteren zeigen Patienten in ihrem Erleben ein ambiva-lentes Verhalten: einerseits realisieren sie durch körperliche Schwäche den progre-dienten und rasant fortschreitenden Krankheitsverlauf, was zu Ängsten über den Sterbeprozess führt; andererseits halten sie an der Hoffnung auf Heilung fest und interpretieren Aussagen des behandelnden Arztes und somit Ziele der Therapie fehl (z.B. kurativ statt palliativ). Im Therapieprozess ist dies für behandelnde Ärzte schwierig zu erkennen, da Patienten äußerlich, d.h. im Kontakt mit ihrer sozialen und therapeutischen Umwelt, bemüht sind Haltung zu bewahren, um eine gewisse physi-sche und psychiphysi-sche Stärke zu signalisieren. Die Patienten in diesem Sample ver-bargen insbesondere ihre hohen psychischen und sozialen Belastungen, sodass ei-ne entsprechende psychosoziale (Mit-)Versorgung nicht erfolgte.

Bedürfnisse im Verlauf

Im Verlauf der Erkrankung erfahren Patienten abhängig vom Krankheitsstadium un-terschiedliche Mangel- und Belastungszustände. Physische Belastungen verbinden Patienten eher mit Nebenwirkungen der Therapien als mit der Erkrankung selbst.

Dies erschwert es, die Schwere der Krankheit anzuerkennen und diese zu akzeptie-ren. Die Interviewten empfanden Gespräche über die Erkrankung als belastend, da eine wahrgenommene emotionale Unsicherheit zwischen Patient und Angehörigen es erschwerte, die Krankheitssituation samt möglichen Erkrankungsfolgen zu thema-tisieren. Infolgedessen entstehen angespannte Situationen im privaten Umfeld, die Konfliktpotential mit sich bringen. Patienten hatten im Verlauf ein wiederkehrendes Bedürfnis, über weitere Anlaufstellen für ihre komplexe Symptomlast aufgeklärt zu werden, um unabhängig vom behandelnden Arzt ein bedürfnis- und bedarfsgerech-tes Versorgungspaket zusammenstellen zu können. Auffällig war, dass Studienteil-nehmer über den Verlauf trotz einer immer wiederkehrenden hohen Symptomlast keine allgemeine als auch spezialisierte palliativmedizinische Mitbehandlung in Er-wägung gezogen haben und stattdessen dies mit der Aufgabe der tumortherapeuti-schen Behandlung und Einleitung der Sterbephase gleichsetzten.

Aufbauend auf den Erfahrungen von heftigen physischen und psychischen Belas-tungszuständen, möchten Patienten über die Fragen der verbleibenden Lebenszeit und des gegebenenfalls zu erwartenden Krankheitsverlaufs aufgeklärt werden. Durch diese Aufklärung möchten Patienten körperlichen sowie seelischen Qualen entgegen

wirken, indem sie mögliche Behandlungsentscheidungen für den Fall einer eintreten-den Einwilligungsunfähigkeit festlegen können.

Bedürfnistypen

Typenbedingt neigen Patienten mit Lungenkrebs dazu, zwar ähnliche durch die Er-krankung ausgelöste Themen zu behandeln (z.B. Hoffnung), dennoch haben sie un-terschiedliche Auffassungen darüber, wie das medizinische Fachpersonal und vor allem der behandelnde Arzt darauf reagieren sollte, um eine bedürfnisorientierte und bedarfsgerechte Behandlung und Begleitung gewährleisten zu können. So weisen Patienten unterschiedliche Bedürfnisse bei der partizipativen Entscheidungsfindung auf, die primär von der Lebenswelt der Person abhängig ist: Typenbedingt kann im Gespräch zwischen dem behandelnden Arzt und dem Patient weniger die Planung der nächsten tumortherapeutischen Schritte, als die Planung zur Bewältigung des alltäglichen Lebens im Fokus liegen, die von den therapeutischen Empfehlungen des Arztes abhängen können.

Erleben von Lungenkrebs aus der Perspektive der Angehörigen

Angehörige der Patienten erleben durch die Lungenkrebserkrankung ihres Verwand-ten erhebliche Veränderungen in ihrem eigenen Leben. Durch das plötzliche Auftre-ten einer schweren Erkrankung mit einer genauso plötzlich aufkommenden starken Symptomlast beim erkrankten Familienmitglied, kommt es zu einer Rollenverände-rung zwischen Patient und Angehörigen. Vor allem dem Ehepartner wird vom Er-krankten unbewusst eine betreuende Rolle zugeteilt, wodurch viele unterstützende Aufgaben von den Angehörigen übernommen werden. Zeitweise versuchen sich An-gehörige den stetigen Belastungen zu entziehen, um eine Auszeit von der Erkran-kung und dem damit einhergehenden Stress zu erhalten. Sie übernehmen pflegeri-sche, organisatoripflegeri-sche, psychosoziale sowie finanzielle Aufgaben und erleben da-durch hohe physische und psychische Belastungen, die sie jedoch selbst vor allem im Kontakt mit Ärzten und Therapeuten selten artikulieren. Psychische Belastungen sind für Patienten und Angehörige gleich hoch, doch psychoonkologische Angebote bestehen jedoch meist für Patienten und weniger für ihre Angehörigen.

125 Henrikje Stanze

“Experience of illness and the needs of patients with lung cancer at the end of life and the needs and problems of their relatives – A qualitative longitudinal analysis to the final phase of life.”