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Die vorliegende Studie konnte zeigen, dass die Diagnose Lungenkrebs im Erleben der Patienten hohe Priorität bekommt, sodass das eigene Seinsgefühl fortan durch die Erkrankung bestimmt wird. Im Zuge dessen müssen Patienten ihre physische, psychosoziale sowie spirituelle Lebenswelt neu ordnen. Die Erkrankung löst eine Handlungsohnmacht aus, welche die selbstbestimmte Handlungsfähigkeit der Patien-ten stark einschränkt. Aufgrunddessen entwickeln PatienPatien-ten Strategien zur Bewälti-gung: Sie versuchen ihren Alltag neu zu strukturieren, wodurch neue Routinen ent-stehen, die ein Gefühl von scheinbarer Sicherheit und Kontrolle vermitteln.

Im Verlauf der Erkrankung erfahren Patienten abhängig vom Krankheitsverlauf unter-schiedliche physische wie psychische Belastungen, die ihnen das Ausmaß eines möglichen Autonomieverlusts verdeutlichen. Es entsteht ein Bedürfnis nach Informa-tionen über mögliche krankheits- und therapiebedingte Auswirkungen und der da-durch bedingten Option die weitere Behandlung im Voraus planen zu können. Ty-penbedingt haben Patienten teilweise ähnliche Mangel- und Belastungszustände, doch unterschiedliche Auffassungen darüber, wie das medizinische Fachpersonal und vor allem der behandelnde Arzt darauf reagieren sollten, damit den Betroffenen eine bedürfnisorientierte und bedarfsgerechte Versorgung zuteil würde.

Auffällig war, dass in diesem Sample ergänzend zu onkologischen Therapien keine frühzeitigen palliativmedizinischen Unterstützungsangebote und Behandlungen in Anspruch genommen wurden.

Die Ergebnisse dieser Studie lassen Verallgemeinerungen durch das qualitative De-sign nicht zu, dennoch regen die Ergebnisse zum Nachdenken an. Die hier unter-suchten Bedürfnisse, d.h. subjektiven Mangel- oder Belastungszustände von Lun-genkrebspatienten zeigen, dass Patienten mit fortgeschrittenem Lungenkrebs eine ganzheitliche Betrachtung benötigen, um dem Behandlungsziel einer bedürfnis- und bedarfsgerechten Behandlung und Versorgung gerechtzuwerden. Demzufolge könn-te das Fallverständnis der hausärztlichen Arbeitsweise im Sinne des biopsychosozia-len Behandlungskonzepts in der allgemeinen palliativen Versorgung, Lungenkrebs-patienten entgegenkommen. Da die Studienteilnehmer bei anfallenden Problemen jedoch eher den Kontakt zum behandelnden Onkologen als zu ihrem Hausarzt such-ten, wurden bestimmte Bedürfnisse der Interviewten im Behandlungssetting nicht berücksichtigt. Im Zuge dessen ist anzunehmen, dass frühzeitig nach der

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stellung eine obligatorische fächer- und professionsübergreifende Zusammenarbeit der pflegerischen und ärztlichen Fachbereiche wie Onkologie, Psychoonkologie, Pal-liative Care insbesondere mit den häuslichen Versorgungsbereiche (vor allem der Allgemeinmedizin) eher die Bedürfnisse der Patienten berücksichtigen, die Angehöri-gen entlasten und die Lebensqualität aller beteiligten in einer für alle schwieriAngehöri-gen Zeit erhöhen können. In diesem Fall wäre es sinnvoll, Schnittstellenproblematiken zu un-tersuchen, um Kommunikationsstrukturen sowie Vernetzungsmöglichkeiten eventuell optimieren zu können. Hier ist weiterer Forschungsbedarf dringend angezeigt.

Die Ergebnisse zeigen, dass Patienten ihre Bedürfnisse auch auf Nachfrage nicht immer kommunizieren, sodass eine professionsübergreifende Kommunikation hilf-reich sein kann. Da Bedürfnisse laut dieser Studie sich zwar ähneln, jedoch auf sehr individuelle Art und Weise äußern können, wäre zu untersuchen, ob bereits beste-hende Assessments (z.B. Integrated Palliative Care Outcome Scale, IPOS) spezifi-sche Bedürfnisse dieser Patientengruppe erfassen können, um die erforderliche pflegerische, medizinische sowie psychosoziale Behandlung und ggf. spirituelle Be-gleitung anzupassen. Damit die Mitglieder des primär behandelnden onkologischen Teams als auch die des allgemeinen und speziellen palliativen Versorgungsteams dann aus unterschiedlichen Perspektiven die individuelle Situation von Patienten mit fortgeschrittenem Lungenkrebs erfassen können, wäre weiterhin zu untersuchen, ob Assessments in ihrem Anwendungsbereich professionsübergreifend zu erweitern wären, sodass die Bedürfniserfassung frühzeitig in die multiprofessionelle Behand-lung integriert wäre.

Die Analyse der Studie ergab, dass eine patienten- und angehörigenzentrierte Kom-munikation im therapeutischen Setting, Vertrauen fördern und Ängsten entgegenwir-ken kann. Gleichzeitig zeigt die Studie auch, dass Patienten und Angehörige vor ih-ren Onkologen als auch Hausärzten ihre Bedürfnisse kaum oder gar nicht äußern, wodurch vor allem psychische und psychosoziale Probleme unbeachtet und damit unbehandelt blieben. Infolge dessen wären Kommunikationskonzepte hilfreich, die dabei unterstützen, Bedürfnisse zu konkretisieren und Patienten sowie Angehörige besser einschätzen zu können. In der Untersuchung der Studienergebnisse konnte festgestellt werden, dass sich die Eruierung von Bedürfnissen durch ihre Subjektivität sehr zeitintensiv gestalten kann. Es wäre eine Unterstützung der Ärzte durch bei-spielsweise speziell weitergebildetes (medizinisches) Fachpersonal (z.B. Pflegefach-kräfte) im Konzept der standardisierten onkologischen und palliativen Versorgung

anzudenken, die vor allem im ambulanten Bereich Patienten in regelmäßigen Zeitab-ständen Gesprächsangebote machen. Diese Angebote sollten die Gespräche über die Erkrankung und deren weitere onkologische Behandlung durch die behandelnden Ärzte ergänzen und neben der Bedürfniserfassung in der momentanen Krankheitssi-tuation auch die Möglichkeit bieten, Patienten eine (Voraus-) Planung der Behand-lung typgerecht anzubieten. Vereinheitlichte Dokumente sowie die Nutzung digitaler Übertragungsformen (z.B. speziell konzipierte Application Softwares, kurz APP’s) könnten dazu beitragen, administrative Tätigkeiten zu vereinfachen und den zeitli-chen Umfang bei den Gespräzeitli-chen zu reduzieren, um unter anderem eine mögliche Entlastung der behandelnden Ärzte zu fördern. Dazu wären Modellprojekte mit einer wissenschaftlichen Begleitung anzudenken.

In den ländlichen Versorgungsstrukturen konnte bei der Analyse eine Mehrbelastung und somit ein erhöhter Mangel- und Belastungszustand bei den Lungenkrebspatien-ten und ihren Angehörigen festgestellt werden. Um eine adäquate Behandlung und Betreuung von Patienten und ihren Angehörigen im ambulanten sowie häuslichen Bereich gewährleisten zu können, sollten vor allem psychoonkologische sowie psy-chosoziale Unterstützungsangebote in enger Anbindung an die behandelnden Haus-ärzte in das Konzept der onkologischen Primärversorgung aufgenommen werden.

Dazu könnten flächendeckende Qualifizierungsmöglichkeiten von Hausärzten und Pflegediensten, sowie spezialisierte ambulante Palliativversorgungsangebote (SAPV) dahingehend ausgebaut werden, dass neben Ärzten und Pflegenden, auch Sozialar-beiter und Psychologen als verpflichtender Bestandteil dieser ambulanten Teams mitarbeiten.

In der onkologischen Behandlung von Lungenkrebspatienten wurden in dieser Studie die Bedürfnisse der Angehörigen weniger fokussiert. Die Belastungen für Angehörige von Menschen mit Lungenkrebs sind durch den zum Teil massiven Progress der Er-krankung und die Multimorbidität der Patienten besonders hoch. Die Angehörigen dieser Studie gaben an, emotional sehr verunsichert zu sein und die zusätzlich anfal-lenden Tätigkeiten (z.B. pflegerische Unterstützung des an Lungenkrebs erkrankten Familienmitglieds) als belastend zu empfinden. Im therapeutischen Setting äußerten die teilnehmenden Angehörigen diese Belastungen und damit einhergehende Man-gel- und Belastungszustände jedoch nicht, sondern tauschten sich wenn mit den

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gehörigen oder dem Pflegepersonal über die Belastungssituation des erkrankten Verwandten aus. Es wäre anzudenken, ob – wie es bereits in internationalen Studien gezeigt wurde – eine Einführung und Verbreitung von spezifischen Programmen für Angehörige von Lungenkrebspatienten, die routiniert qualitativ hochwertige treuungs- und Unterstützungsangebote anbieten, um physische und psychische Be-lastungen zu reduzieren, sinnvoll wäre. Zu diskutieren wäre darüber hinaus, ob An-laufstellen im ambulanten Versorgungsbereich aktiv ausgebaut und an die betreffen-den Personen herangetragen werbetreffen-den sollten, um eine professionelle Begleitung indi-viduell auf die Familiensituation abgestimmt herstellen zu können. Im Zuge der sehr ausgelasteten Ärzte, wäre hierbei abzuwägen, ob diese Unterstützungen bzw. Bera-tungen von Personen medizinischer Fachberufe (z.B. Pflegefachkräfte) mit einer konkret dafür ausgerichteten Weiterbildungsmaßnahme angeboten werden könnten.

Zur Unterstützung der ‚nicht-ärztlichen‘ Fachkraft wäre bei möglichen tiefgreifenden medizinischen Fragen eine aktive Einbindung des Hausarztes notwendig, um die Fachexpertise gewährleisten und einen vertrauten Ansprechpartner ergänzend an-bieten zu können. Patienten und ihren Angehörigen könnte somit gegebenenfalls eine bedürfnisorientierte und bedarfsgerechte Versorgung im Sinne des bio-psychosozialen Modells auch im häuslichen Bereich geboten werden.

Henrikje Stanze

„Bedürfnisse von Menschen mit fortgeschrittenem Lungenkrebs und ihrer Angehöri-gen besser verstehen – eine qualitative Längsschnittstudie zur letzten Lebensphase“