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Im Dokument Animal Hoarding (Seite 138-141)

Sperlin, Tina Susanne:

Animal Hoarding

Das krankhafte Sammeln von Tieren. Aktuelle Situation in Deutschland und Bedeutung für die Veterinärmedizin

Ein Tierschutzproblem, mit dem sich das öffentliche Veterinärwesen zunehmend be-fassen muss, ist erstmals von Gary Patronek in den Vereinigten Staaten 1990 mit dem Begriff Animal Hoarding, das pathologische Sammeln und Horten von Tieren, versehen worden. Er definiert einen Animal Hoarder als eine Person, die eine Viel-zahl von Tieren hält, ohne einen Mindeststandard an Nahrung, Hygiene und/oder tierärztlicher Versorgung gewährleisten zu können.

1999 ist in den USA eine erste systematische Untersuchung veröffentlicht worden, für Deutschland sind bislang keine Daten über das Vorkommen von Animal Hoarding erhoben worden. Zur Untersuchung wurden Fragebogen an alle Veterinärämter ver-sandt mit allgemeinen Fragen zu Animal Hoarding, spezifischen Fragen zum Tierbe-stand und Tierhalter und schließlich Fragen zu den ergriffenen Maßnahmen seitens des Amtes sowie dessen Erfolgen.

Insgesamt beteiligten sich 80,5 % der Veterinärämter mit mehr als 724 eingesandten Fragebögen an der Umfrage. 219 Veterinärämter berichteten über 625 Fälle, deutschlandweit ist somit jedes zweite Veterinäramt betroffen. Die Dauer der Bear-beitung eines Falles von Animal Hoarding betrug durchschnittlich drei Jahre, der längste Bearbeitungszeitraum lag bei 30 Jahren.

Am häufigsten wurden Katzen (50,8 %), Hunde (45,2 %), Kaninchen (19,5 %) und Ziervögel (14,8 %) gesammelt, insgesamt waren über 50.000 Tiere betroffen. In an-nähernd zwei Drittel der Fälle waren Tiere erkrankt, vorrangig an Infektionserkran-kungen. In einem Drittel der Fälle waren Verletzungen, insbesondere durch Hal-tungsfehler oder in Form von Kampf- oder Beißspuren von Hautverletzungen bis hin zu Verstümmelungen und fehlenden Gliedmaßen aufgetreten. Zusätzlich fiel bei der Hälfte aller Tierbestände Parasitenbefall durch Endo- und/oder Ektoparasiten auf.

Verhaltensauffälligkeiten der Tiere wurden bei einem Drittel der Fälle festgestellt, vor allem in Form von Deprivationsschäden, Stereotypien, fehlenden oder fehlgeleiteten Verhaltensweisen sowie Kannibalismus/Infantizid. Unauffällig war der Gesundheits-zustand der Tiere in knapp einem Fünftel der Fälle. Nahrungs- und/oder Trinkmög-lichkeiten waren bei einem Drittel der Fälle nicht vorhanden oder beeinträchtigt. Die hygienischen Zustände wurden in drei Vierteln der Fälle bemängelt.

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Der Altersdurchschnitt der Halter/innen lag bei 50 Jahren. Mehr als zwei Drittel waren Frauen. Knapp die Hälfte der Halter/innen lebte in Singlehaushalten, ansonsten wur-den fast ausschließlich rein familiäre, generationsübergreifende Strukturen beschrie-ben. Auffällig war zudem ein hoher Anteil mündiger Kinder, die teils bis in ein höhe-res Alter mit im Haushalt wohnten. Alle Berufsschichten waren betroffen, erwar-tungsgemäß ließ sich ein hoher Anteil sozialer Berufe feststellen oder Tätigkeitsfel-der, die mit Tieren zu tun haben. Nicht berufstätig (arbeitslos, berentet, arbeits-/er-werbsunfähig) waren drei Viertel der Tierhalter.

Erste Maßnahme nach eingehender Meldung beim Veterinäramt war ein Gespräch mit den Tierhalter/innen. In annähernd der Hälfte der Fälle wurde fehlender oder mit Einschränkungen verbundener Zutritt beschrieben. Bußgelder wurden meist als nicht nötig erachtet oder es wurde wegen Aussichtslosigkeit darauf verzichtet.

Das Mittel der Wahl zur Beugung der Tierhalter/innen waren Auflagen und Ord-nungsverfügungen, die in annähernd 90 % der Fälle erteilt worden sind. Als häufigste Maßnahme wurde von den Amtsveterinären/innen die Reduktion einzelner oder aller Tiere gefordert, häufig in Verbindung mit einem Aufnahmestopp. Pflegemaßnahmen und Haltungsverbesserungen, tierärztliche Versorgung sowie Hygienemaßnahmen von Sauberkeit bis hin zur Seuchenhygiene waren genannte Auflagen. Ein Zuchtver-bot wurde teilweise mit Geschlechtertrennung oder Kastration sowie einem Handels-verbot gekoppelt.

Eine Tierzahlbegrenzung wurde in ca. zwei Dritteln der Fälle empfohlen oder ange-ordnet, es ist allerdings zwischen der Forderung durch das Veterinäramt und einer juristischen Umsetzung zu unterscheiden. Die Fortnahmen (Sicherstellungen oder Beschlagnahmen), wenn Bußgelder und Ordnungsverfügungen erfolglos blieben, dauerten an und bedingten Verfahren, die zu unterschiedlichsten Urteilen führten. Im Wiederholungsfall oder bei grober Zuwiderhandlung wurden befristete oder (selten) unbefristete Tierhaltungsverbote erteilt sowie Tierbetreuungsverbote oder Teilverbo-te.

Bei der Frage nach dem aktuellen Stand wurde in der Hälfte der Fälle angegeben, dass die Tierhalter/innen sesshaft am Wohnort verblieben sind. In einem Viertel der Fälle verzogen die Halter/innen aus dem Zuständigkeitsbereich des Amtes mit ver-einzelt mietnomadenartigen Tendenzen. Ein wiederholtes Aufnehmen von Tieren mit anschließenden amtsbekannten Problemen war in 43,3 % der Fälle feststellbar, in den übrigen Fällen erschienen ein Rückfall sowie eine Wiederholung der Probleme hochwahrscheinlich.

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Zum Schutz der Tiere und zur Hilfe für die Horter/innen wurden auf Grundlage dieser Untersuchung Verbesserungsmöglichkeiten erarbeitet, um den Amtsveterinären und Amtsveterinärinnen einen Orientierungsrahmen für die Bearbeitung und Konfliktde-eskalation zu bieten. Zur Übersicht folgt eine Zusammenfassung der wesentlichen Eckpunkte und Ergebnisse:

Leitfaden zur Konfrontation mit Animal Hoarding in einem 10-Punkte-Konzept für Amtsveterinäre und Amtsveterinärinnen sowie andere betroffene Institutio-nen oder PersoInstitutio-nenkreise:

1. Langfristige Veränderungen können nur von den betroffenen Tierhaltern und Tierhalterinnen selbst ausgehen, so dass im Vordergrund ein Fördern der Selbsterkenntnis steht.

2. Die Individualität der Persönlichkeiten und Fälle sind strikt zu berücksichti-gen, ein mechanisiertes und schematisches Vorgehen sollte vermieden werden.

3. Es empfiehlt sich, eine zugewandte Konsequenz gegenüber dem Tierhalter oder der Tierhalterin anzuwenden. In der Umsetzung bedeutet das, die Person zu akzeptieren, Abhängigkeiten oder Fehlverhalten hingegen abzulehnen.

4. Im Hinblick auf den Persönlichkeitstyp der Tierhalter/innen sollten Tiere in einer überschaubaren Anzahl (z. B. kastriert, gleichgeschlechtlich) belassen werden.

5. Die Anwesenheit von Kindern in der Familie erfordert besondere Aufmerk-samkeit und großes Einfühlungsvermögen, damit sich die Probleme in der nächsten Generation nicht potenzieren.

6. Durch Vernetzung der verschiedenen Zuständigkeiten (Sozialämter, Ju-gendämter, Sozialdienste, etc.) können Konfliktlösungen in einer konstruktiven Zusammenarbeit gefunden und umgesetzt werden.

7. Anzustreben ist eine psychologische, psychiatrische oder psychothera-peutische Behandlung der Tierhalter/innen. Dafür sind aber sowohl deren Ein-verständnis als auch Mitarbeit zwingend erforderlich (vgl. Punkt 1).

8. Unabdingbar sind zeitnahe und regelmäßige Nachkontrollen durch die Amts-veterinäre und Amtsveterinärinnen. Von grundlegender Bedeutung, aber au-ßerhalb der veterinärmedizinischen Zuständigkeit und deren direkter Einfluss-nahme sind die beiden abschließenden Empfehlungen 9 und 10:

9. Zukünftig sind umfassende gesetzliche Vorgaben für die Haltung, das Züchten und Handeln aller Tierarten notwendig. Optimal wären zudem sachkundige oder geschulte Juristen, die speziell für Tierschutzangelegenheiten ausgebildet sind.

10. Für die betroffenen Tierhalter/innen ist eine humanmedizinische Diagnose-stellung mit nachfolgender Möglichkeit zur TherapieerDiagnose-stellung erforderlich.

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