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zu den letzten Exemplaren

Im Dokument 100 YEARS BAUHAUS (Seite 197-200)

Bei der Bewertung und Auswahl zeichnen sich grob drei grundsätz-liche Strategien bzw. Trends ab. Es verwundert vielleicht nicht, dass das baukünstlerische Bedeutungskriterium dabei weniger eine Rolle spielt. Eher werden die Kategorien von Dokument und Zeugnis - für die Architektur- , Technik- und Sozialgeschichte - herangezogen sowie in der letzten Zeit auch immer öfter emotionale Geschichts-werte, wie beispielsweise der Erinnerungs- und Identitätswert.

Der früheste Ansatz - mit Wurzeln in der DDR-zeitlichen Beschäf-tigung mit zeitgenössischen Bauwerken als „Denkmale unserer Zeit“17 – zielte auf ‚prototypische Objekte‘. Das war eine nachvollzieh-bare Fokussierung, sah man sich doch bei der Auswahl einer nicht gekannten gewaltigen Menge von Bauwerken gegenübergestellt.

Sogenannte Versuchs-, Muster- und Experimentalbauten sind zwar Teil der Masse, lassen sich aber – weil sie zeitlich den Serienanwen-dungen vorausgehen – gut aus dieser Masse herauspräparieren.

Zudem markieren sie Umbruchstellen innerhalb von Entwicklungs-linien (z. B. einer jeweiligen Bauaufgabe) und können als Innnova-tions-Schritte oder gar "Meilensteine" beschrieben werden.

Doch prototypische Objekte repräsentieren die eigentliche und typische Masse der „gebauten DDR“ nur scheinbar.18 Denn das Prägende waren die erwähnten Typenbauten, die in teils sehr großen Serien identisch errichtet wurden. Für die beispielhafte gegen-ständliche Dokumentation und Überlieferung des Typischen in der Bandbreite vieler Baugattungen hat Ulrike Wendland das Bild der „Arche-Noah-Besatzung" verwendet.19 Gesucht werden hier besonders authentische 'Zeugen', die pars pro toto Andere, gleich oder ähnlich gebaute 'repräsentieren'. Dieser Ansatz dürfte noch lange die probateste methodische Orientierung bieten, zumindest noch solange man angesichts der großen Mengen an Bauten der DDR-Alltagsarchitektur die Wahl zwischen bereits veränderten und erstbauzeitlich überlieferten Objekten hat (sogenannte Authentizität).

Zu dieser, mit den Reihenuntersuchungen korrelierenden Denk- und Arbeitsweisen muss man allerdings ergänzend sagen, dass einerseits Denkmalwerdungsprozesse natürlich nicht ausschließlich geschichts-wissenschaftlichen Ergebnissen folgen, sondern oft auch in der Zivil-gesellschaft ausgehandelt werden und andererseits auch die Zahl der authentischen Objekte unweigerlich schwindet. Die Rasanz der Transformation des Baubestandes – einst wiedervereinigungs- und nun lebenszyklisch bedingt - hält in den neuen Bundesländern an.

Flächendenkend formatieren vor allem energetische Sanierungen die Städtebilder um und so bekommen zukünftig Keramik-Fliesen,

poppige Alu-Vorhang-Fassaden oder Sichtbeton- und Kies-Oberflä-chen heruntergekommener Plattenbauten die Rolle des Andersar-tigen, des Besonderen und damit Erhaltungswürdigen (Fig. 4). „Verlu-sterfahrungen“ und kontinuierliche Verknappung lenken schon jetzt den inventarisatorischen Blick gelegentlich auf ‚letzte Exemplare‘, die z. B. eine bestimmte Stadt oder Region aufzuweisen hat.20

‚Letzten Exemplare‘ generieren sich gewissermaßen zufällig und/

oder als regelrechter Galapagos-Effekt. Wie schon bei der "letzten Windmühle" erhalten sich ursprüngliche Reinformen in Landstrichen mit wenig Veränderungsdruck. Und spätestens an diesem Punkt hat die Denkmalpflege in ihrer Geschichte schon immer angesetzt. Das wird einerseits völlig legitim sein, andererseits ist es schlicht schade angesichts der Chancen, die bei der Spätmoderne für eine wohlüber-legte baukulturelle Überlieferungsbildung gegeben sind.

Notes

[1]Das bauliche Erbe der 1960er bis 80er Jahre: Auswahl, Akteure, Strategien (Thesenpapier des BMBF-Verbundforschungsprojektes „Welche Denkmale welcher Moderne?“ der Technischen Universität Dortmund und der Bauhaus-Universität Weimar zusammen mit KooperationspartnerInnen aus der praktischen Denkmal-pflege; Potsdam am 19. und 20.1.2017), https://www.uni-weimar.de/fileadmin/

user/fak/architektur/professuren_institute/Denkmalpflege_und_Baugeschichte/

Downloads/Forschung/WDWM/WDWM__Thesenpapier_final.pdf (Zugriff Mai 2018).

Die Abschlusspublikation des Projektes: Frank Eckardt/ Hans-Rudolf Meier/Ingrid Scheurmann/Wolfgang Sonne (Hg.):Welche Denkmale welcher Moderne? Zum Umgang mit Bauten der 1960er und 70er Jahre, Berlin 2017.

[2]Hans-Rudolf Meier: Zwischen ungeliebt und neu entdeckt. Werte der Nachkriegs-architektur in Europa, in: Olaf Gisbertz (Hg.): Bauen für die Massenkultur, Berlin 2015, S. 197-208, hier: S. 206.

[3] Ebenda.

[4]Auch jüngste Projekte der Landesdenkmalämter halten an der Vorgehensweise fest. Zuletzt: Martin Hahn/Clemens Kieser/Melanie Mertens: Projekt Youngtimer.

Denkmalwerte der 1980er Jahre - eine Annäherung, in: Die Denkmalpflege 2/2016, S. 117-129.

[5]http://www.nrw-architekturdatenbank.tu-dortmund.de/index.html (Zugriff Mai 2018).

[6]Silke Langenberg: Das Werk des Architekten und seine Veröffentlichung. Zur Einflussnahme von Fachzeitschriften auf das Architekturgeschehen der Nachkriegs-zeit, in: Regine Heß (Hg.): Architektur und Akteure. Praxis und Öffentlichkeit in der Nachkriegsgesellschaft, Bielefeld 2018, S. 33 – 44, hier: S. 33f.

[7]Mark Escherich: Architektur 1960-1989 in Thüringen - eine Recherche als erster Überblick, Auftraggeber: Thüringisches Landesamt für Denkmalpflege, Werkvertrag 2001(unveröffentlichtes Typoskript, u. a. im Thüringischen Landesamt für Denkmal-pflege und Archäologie).

[8]z. B. hyperbolisch-paraboloide (HP-)Schalen, Kuppelschalen und Raumstabtrag-werke

[9] Schulhausbauten 1950 bis 1965 in Thüringen (2002/2016). Escherich, Mark:

Schulbaukonzepte in der SBZ und der frühen DDR, in: Lichtnau, Bernfried (Hg.):

Architektur und Städtebau im südlichen Ostseeraum zwischen 1936 und 1980, Berlin 2002, S. 249-267 und Eheim, Annika: Schulbau in Thüringen 1955 - 1965. Ein Beitrag zur denkmalpflegerischen Praxis (Bachelor-Thesis, Typoskript, betreut durch die Professur Denkmalpflege und Baugeschichte der Bauhaus-Universität Weimar) 2016 /// Warenhäuser der 1960er und 1970er Jahre in Ostdeutschland (2007).

Schmidt, Sebastian: Konsument & Centrum. Warenhäuser der 60er und 70er Jahre in der DDR und ihr Nachleben (unveröffentlichte wiss. Hausarbeit, betreut durch die Professur Denkmalpflege und Baugeschichte der Bauhaus-Universität Weimar) 2007 /// Bezirksparteischulen der 1960er und 1970er Jahre in Ostdeutschland (2007/2008). Curti, Rocco/Rudolph, Benjamin: Die ehemalige

SED-Bezirks-parteischule in Erfurt, in: Die Denkmalpflege – wissenschaftliche Zeitschrift der Vereinigung der Landesdenkmalpfleger in der BRD, Jg. 67, Nr.1, München 2009, S.

32-37. /// Mensen an Hochschulen der 1960er bis 1980er Jahre in Ostdeutschland (2010). Rudolph, Benjamin: Zum Mensabau in der DDR zwischen 1960 und 1989 – Eine Be¬standsaufnahme, in: Aus der Arbeit des Thüringischen Landesamtes für Denkmalpflege Bd. 36, Erfurt 2010, S. 106-147. /// Verwaltungsbauten der 1960er und 1970er Jahre in Thüringen (2010/11) Escherich, Mark: Verwaltungsbauten der 1960er Jahre in der DDR. Entwicklungslinien in den ehemaligen thüringischen Bezirken Erfurt, Gera und Suhl, in: kunsttexte.de, Nr. 1, 2012, www.kunsttexte.de, 11 S.

[9] Hans-Rudolf Meier: Zwischen ungeliebt und neu entdeckt. Werte der Nachkriegs-architektur in Europa, in: Olaf Gisbertz (Hg.): Bauen für die Massenkultur, Berlin 2015, S. 197-208, hier: S. 204.

[9] Mark Escherich: Die Aneignung der Ostmoderne durch die Denkmalpflege, in: Mark Escherich (Hg.): Denkmal Ost-Moderne. Aneignung und Erhaltung des baulichen Erbes der Nachkriegsmoderne, Berlin 2012, S. 10-25, hier: S. 18.

[9] Mark Escherich: Schulbaukonzepte in der SBZ und der frühen DDR, in: Lichtnau, Bernfried (Hg.): Architektur und Städtebau im südlichen Ostseeraum zwischen 1936 und 1980, Berlin 2002, S. 249-267, hier: 266f.

[13] Lediglich in Bergholz-Rehbrücke (Landkreis Potsdam-Mittelmark) und Dresden-Plauen, Bernhardstraße 80 sind zwei Beispiele für jeweils bezirkliche Schultypen (Typ

„Potsdam Atrium" bzw. „Dresden Atrium“) 2009 und 2013 eingetragen worden.

[14] Rudolph, Benjamin: Zum Mensabau in der DDR zwischen 1960 und 1989 – Eine Be¬standsaufnahme, in: Aus der Arbeit des Thüringischen Landesamtes für Denkmalpflege, Bd. 36, Erfurt 2010, S. 106-147.

[15] Sie wird auch in dem schon zitierten Thesenpapier des BMBF-Verbundfor-schungsprojektes „Welche Denkmale welcher Moderne?“ (wie Anm. 1) vertreten:

„Die ausgewählten Denkmale der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sollen in mehrfacher Hinsicht repräsentativ für ihre Zeit sein und die Bandbreite der

histo-rischen Ereignisse sowie der Bauaufgaben und Architekturrichtungen wiedergeben.“

[16] Martin Petsch in einem bisher unpublizierten Typoskript für ein Buchprojekt der Wüstenrot Stiftung, Ludwigsburg zum Umgang mit der Architektur aus der DDR der Jahre 1960-1980.

[17] Mark Escherich: „Denkmale unserer Zeit“. Inventarisation von Bauwerken der DDR-Moderne zu Zeiten der DDR, in: Hans-Rudolf Meier (Hg.): Forum Stadt, Jg.42, Nr.1, 2015, S.55-73.

[18] Bruno Flierl: Gebaute DDR. Über Stadtplaner, Architekten und die Macht, Berlin 1998.

[19] Ulrike Wendland: Nachkriegsmoderne in Sachsen-Anhalt. Eine denkmalpflege-rische Zwischenbilanz, in: Mark Escherich (Hg.): Denkmal Ost-Moderne. Aneignung und Erhaltung des baulichen Erbes der Nachkriegsmoderne, Berlin 2012, S. 86-95, hier: S. 94.

[20] Wenn man zukünftig angesichts von Wandel und Verknappung nicht mehr

‚aus den Vollen wird schöpfen‘ können, sollten und werden Unterschutzstellungen an nachträglichen Veränderungen nicht scheitern, vorausgesetzt natürlich dass die entscheidenden wertkonstituierenden Merkmale überliefert sind. Warum sollten auch nur bei der Spätmoderne besonders hohe Authentizitätsanforderungen gelten? – könnte man fragen.

Nina Nedelykov was born in Berlin, studied Architecture at the Technical University Berlin. Numerous publications, lectures and moderations in Germany and internationally, member of the Förder-verein Bundesstiftung Baukultur e.V. and ICOMOS Germany. Institu-tional activities 2000-2014: Vice-President of the Berlin Architects Chamber (AKB), Architects Chamber of Germany (BAK), Council Member oft the International Union of Architectes (UIA) and the Architecs Council of Europe (ACE).

Nedelykov Moreira Architekten

Pedro Moreira was born in São Paulo, studied Architecture and Urbanism at the FAU-USP and the Technical University Berlin.

Architect, Historian and Visual Artist. Worked at offices in São Paulo and London (1988-91), and Berlin (1991-94). Publications, Lectures and Debates on Architecture, Material Heritage and History in Germany, Switzerland, Spain, Brazil, UAE and Ethiopia a.o.. Member of the Architects and Urbanists Council of São Paulo. Member of DOCOMOMO Germany.

Nedelykov Moreira Architekten, Berlin was founded 1994. Selected projects: Museum Max Liebermann-Villa in Berlin-Wannsee (Europa Nostra Medal 2008), Archaeological Museum Wukro/Ethiopia (2015), Burial Chapel, Dorotheenstädtischer Cemetery Berlin-Mitte, with James Turrell (KiBA-Prize 2018). Working on historical cemeteries since 2006.

Fig. 1: Laura Perls Grave, Foto 1920´s, photographer and location unknown. First published by Franz Schulze 1985 with credits to the MoMA Mies van der Rohe Archives, New York.

The Graves Laura Perls and Albert

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