• Keine Ergebnisse gefunden

bauhistorischen und denkmalkundlichen Forschung

Im Dokument 100 YEARS BAUHAUS (Seite 194-197)

Die in meinem Vortrag vorgestellten Forschungsbeispiele stammen aus dem Arbeitsfeld der Professur Denkmalpflege und Baugeschich-te der Bauhaus-Universität und aus eigener freiberuflicher Arbeit.

Sie sind in Ostdeutschland verortetet, wo das Bauen der Zeit in besonderem Maße von Serialität und Industrialisierung geprägt war.

Es steht gewissermaßen "paradigmatisch für die Spätmoderne."2 Bei den Reihenuntersuchungen von Bauwerksbeständen bzw. -gruppen, wird schnell ein 'Mengenproblem' deutlich, das nicht umgehbar, weil zwangsläufig, ist. Idealerweise sollen voreilige Fokussierungen auf irgendwie ‚vorausgewählte‘ Bauten vermieden werden. Ziel müsste nach Hans-Rudolf Meier, eine „vorurteilsfreie gleichwer-tige Betrachtung [… möglichst vieler] Objekte“ sein.3 Möglicherwei-se bereits vorhandene Sekundärliteratur kann zwar Orientierung für Einordnung und Bewertung von Einzelbauten bieten, aber eine flächendeckende systematische Erfassung als Voraussetzung für Einordnung und Bewertung nicht ersetzen. Erforderlich ist streng genommen das Ablaufen bzw. Abfahren des

Untersuchungsterrito-riums, so wie dies im Rahmen klassischer Erfassungskampagnen, vor allem seit den 1970er Jahren, praktiziert wurde. Der Aufwand ist enorm, selbst wenn man heute Drohnenbilder, google streetview und Ähnliches zur Hilfe nimmt.

Die seit etwa der Jahrtausendwende anlaufenden Erfassungs-kampagnen haben deswegen vor allem Primärliteratur genutzt – auch um das Material etwas einzugrenzen. Pragmatisch geht man davon aus, dass die zeitgenössische Publikation per se eine Vorauswahl 'interessanter' Objekte ist, auf die man aufbauen kann.4 Ein Meilenstein war das universitäre Projekt "Architektur der 50er, 60er, 70er Jahre in Nordrhein-Westfalen" am damaligen Lehrstuhl für Denkmalpflege und Bauforschung der TU Dortmund. Im Zentrum stand eine gewaltige "Datenbank mit Bauten und Projekten, die zeit-genössisch in einer der führenden Baufachzeitschriften oder in der zeitgenössischen Fachliteratur veröffentlicht wurden."5 Die Online-Datenbank ist eine wichtige Quelle für die grundsätzliche Wiederent-deckung der Nachkriegsmoderne im ganzen Bundesland gewesen.

Regelrechte bauhistorische Untersuchungen oder gar Bewertungen konnten im Rahmen des Projektes zwischen 2000 und 2003 nicht geleistet werden. Und obwohl die Datenbank durch Verknüpfung von Suchkriterien forschungsrelevante Recherchen ermöglicht, hat bis heute eine „Auswertung … nur ansatzweise stattgefunden.“6

In Thüringen wurde 2001 eine mehrstufige Erfassungsarbeit gestartet. Der Einstieg war eine Literaturrecherche "Architektur zwischen 1960 und 1990" im Auftrag des Landesdenkmalamtes. In der dazugehörigen Datenbank sind fast 1000 Bauwerke mit Basisin-formationen, ähnlich der NRW-Datenbank, aufgelistet. Die Sammlung der Bauten getrennt nach Bauaufgaben und eine chronologische Sortierung zielten bereits auf eine anschließende Auswertung, die

Fig. 2: Isometrie Streifenbauweise, hier bei einem Wohngebäude. Sie fand für vielfältige Bauaufgaben Verwendung, so auch im Verwaltungsbau. Laststufe 2 Mp (© Hoscislawski, Thomas: Bauen zwischen Macht und Ohnmacht. Architektur und Städtebau in der DDR. Berlin 1991).

zumindest teilweise im Rahmen des Gutachtens von 2001 geleistet werden konnte.7 Für die denkmalkundliche Bewertung notwendige Vor-Ort-Begehungen und Fotodokumentationen konnten nur an vergleichsweise wenigen Objekte durchgeführt bzw. angefertigt werden. Ungeachtet dessen wurden offensichtlich baugeschicht-lich herausstechende Objekte mit gleichzeitig weitgehend erstbau-zeitlichem Zustand sogleich als 'Verdachtskandidaten' beschrieben, gewürdigt und vorgeschlagen. Das waren klassisch-baukünstlerische Objekte, aber auch Bauten mit experimentellen Tragwerkskonstruk-tionen8 und Prototypen späterer Typenserien. Trotzdem haben diese Kandidaten bisher nur selten Eingang in die Denkmalliste gefunden.

2.1. Gattungsspezifische Untersuchungen

In einem etwas stärkeren Maße flossen in die Denkmaleintra-gung in Ostdeutschland und Thüringen Ergebnisse ein, die in der Folge des Inventarisationsgutachtens von 2001 entstanden. Die fünf vertiefenden gattungsspezifischen bauhistorischen Untersu-chungen entstanden grundsätzlich in Kooperation mit dem Landes-denkmalamt zwischen 2002 bis 2016, mit von Fall zu Fall unter-schiedlichen Arbeitsanteilen.9 Die Fokussierung auf bestimmte Bauaufgaben erschien nicht nur angesichts des 'Mengen-Problems' sinnvoll, sondern begründete sich auch mit der Entwicklungsdyna-mik bestimmter Bestandsgattungen.10 Einem sehr hohen Verände-rungsdruck waren beispielsweise Warenhäuser sowie Mensa-Bauten ausgesetzt und wurden auch deswegen zum Untersuchungsgegen-stand.

Methodisch bezogen wir uns dabei auf die typologische Reihe der Ur- und Frühgeschichtsforschung, die dort längst obsolet ist. Hier, wo die Chronologie nicht gefragt ist, sondern schon feststeht,

war sie eine tragfähige methodische Inspiration.11 So ergab die jeweilige Auswertung 1.) die Zusammenschau einzelner Bauten einer Bauaufgabe – also eine erste Kontextualisierung der 'Funde'.

Der Vergleich der 'Funde' und die Betrachtung der chronologischen Abfolge macht 2.) Unterschiede und Entwicklungslinien innerhalb des gattungsspezifischen Bestandes deutlich. In solchen typologischen Reihen wird die spezifische Stellung des jeweiligen Objekts in der Objektgruppe klar. Konkret wird erkennbar, mit welchen Reihen-Gliedern 'Umbruchstellen' oder 'Sprünge' verbunden waren; welche Bauten als prototypisch anzusehen sind und welche als Nachah-mungen und Wiederholungen eher typisch waren (Fig. 1). Späte Kümmerformen sind oftmals die 'Auslaufmodelle', die von neuen Entwicklungen bald überschnitten werden, im Verborgenen und in der territorialen Peripherie aber noch lange Zeit vereinzelt fortleben können.

Die Forschungen zu den Typenschulserien, die zwischen 1959 und 1985 in Ostdeutschland ‚eingeführt‘ wurden, also in Serie gingen, offenbarten beispielsweise die Geschichte des DDR-Schulbaues als Durchdringung fachlicher (Pädagogik, Hygiene, Bauingenieurwesen, Architektur) und politischer Entwicklungsfaktoren auf unterschied-lichen, sich beeinflussenden, institutionellen Ebenen. Der jeweilige Form- bzw. Gestalt-Typ war stark funktional bestimmt: von der einhüftigen Gangerschließung mit angegliederten Saalbaukörpern, über flurlose Atriumanlagen bis zu kompakten Gebilden aus „Funk-tionsbausteinen“ mit Mittelgang, die dann Ende der 1970er Jahre auftauchten. Manchmal wurden – und das gehört zu den Eigenarten eines staatlich gelenkten Bauwesens – ungeachtet von offensicht-lichen fachoffensicht-lichen Nachteilen 'Auslaufmodelle' per Dekret zu 'Dauer-brennern' erhoben (so der Satteldachtyp SVB), während die

Fig. 3: Konstruktionsperspektive des zentral standardisierten Stahlbetonmontagebausystems "Vereinheitlichter Geschoßbau (VGB)" als Längsriegelbau, Laststufe 5 Mp, ab 1970 DDR-weit eingeführt (© https://www.

bbr-server.de/bauarchivddr/finbuch/kataloge/index.htm, Zugriff Oktober 2018).

tivsten Konzepte regional und auf Kleinstserien begrenzt oder auch gar nicht verwirklicht wurden.12

Gleichzeitig wirkten selbstverständlich - und gerade in der DDR - auch Konstruktionsweisen gestaltbildend. Nicht nur gab es im DDR-Bauwesen eine besonders stringente Hinwendung zur Effizienz in Konstruktion und Technologie - die serielle Ästhetik galt als adäquater Ausdruck des egalitären Gesellschaftsideals und tatsächlich basierten alle dem SVB-Typ (ab 1959) nachfolgenden Schultypen auf der Verwendung vorgefertigter Großelemente. Oftmals waren diese identisch mit denen, sie auch für den Wohnungsbau verwendet wurden. Ein Beispiel dafür, dass sich solche Reihenuntersuchungen sinnvoll auch auf konstruktiv-technologische Entwicklungen beziehen lassen, war die Untersuchung zu Verwaltungsbauten im Bundesland Thüringen. Im Gutachten von 2001 waren etwa 70 Bauwerke aus den 1960er und 1970er Jahren erfasst, die in den Jahren 2010/11 vergleichend und im DDR-Kontext analysiert wurden, um sie schließlich in die Abfolge der markanten Entwicklungsschritte der Tragwerkstechnologie einordnen zu können (Fig. 2 und 3).

3. Stand und Trends der denkmalpflegerischen Inventarisation – Erforschung und Auswahl

Die Ergebnisse der insgesamt fünf Reihenuntersuchungen flossen sehr unterschiedlich in die Eintragungspraxis der Ämter ein:

Grundsätzlich hat sich gezeigt, dass der Aufwand lohnt, vor allem angesichts des großen Orientierungsbedarfs bei der bauhistorischer Einordnung und Bewertung industrialisierter Alltagsarchitektur nach 1960. Auffällig ist aber, dass bei denjenigen Gebäudetypen, die sehr häufig identisch gebaut wurden, wie beispielsweise die zentralen und bezirklichen Typenschulen, noch große Zurückhaltung herrscht.13 Die

Untersuchung zu den zwischen 1960 und 1989 errichteten gerade einmal 28 DDR-Hochschul-Mensen erwies sich dagegen als sehr produktiv.14 Den konkreten Anlass bot der im Jahre 2010 erwogene Abbruch der Mensa am Park der Bauhaus-Universität Weimar. In der vergleichenden Betrachtung wurde die Denkmalwürdigkeit von vier Mensabauten – zwei Vertretern eines Typenprojektes und zwei indivi-duellen Entwürfen - fundiert herausgearbeitet. Die Weimarer Mensa war eines der Einzelstücke und wurde noch 2011 in die Denkmalliste eingetragen.

Grundsätzlich hat die Denkmalinventarisation die Aufgabe eine Auswahl von Bauwerken vorzunehmen, an deren Erhaltung ein öffent-liches Interesse besteht. Bei den industrialisierten Baubeständen der Spätmoderne ist das eine Herausforderung – nicht nur angesichts personell und finanziell oft schwieriger Rahmenbedingungen. Aus der gerechtfertigten fachlichen Perspektive 'die ganze Geschichte' der 1960er bis 1980er Jahre mittels baulicher Zeugnisse erinnern und dokumentieren zu wollen15, erscheint die bisher wenig systematische Erfassung und Inventarisation der Spätmoderne als unzureichend.

Tatsächlich ist die "Auswahl der bereits eingetragenen Zeugnisse aus dem großen Fundus … der Objekte [bisher] in der Regel zufällig".16 Und sie entspricht auch zahlenmäßig nicht der Epoche des Booms.

Beispielsweise sind von den etwa 10 000 Baudenkmalen in Leipzig gerade mal 25 nach 1965 errichtet wurden.

Zunehmend reflektiert man nicht nur die geringen absoluten Denk-mal-Zahlen der Spätmoderne, sondern auch die qualitativ-inhaltlichen Missverhältnisse in den Listen. So die weitgehende Ausklamme-rung bestimmter - sperriger - Baugattungen, wie etwa technische und verkehrliche Infrastruktur, Produktions- sowie Landwirtschafts-bauten, und eben auch der industriealisierten Alltagsarchitektur.

Fig. 4: Fassadenoberflächen der industriealisierten Spätmoderne (© Fotos: Benjamin Rudolph, Marin Maleschka, Mark Escherich, Julia Heiser).

Ihre Bewertung ist kompliziert, nicht zuletzt weil solche Objekte den Denkmalbegriff strapazieren und allgemein anerkannte Denkmalvor-stellungen teils konterkarieren: einerseits kann die charakteristische serielle Ästhetik als Monotonie gedeutet werden, andererseits steht die ‚Vervielfachung im Rahmen der Serienfertigung‘ in einem Miss-verhältnis zu den wichtigen Merkmalskriterien des Eigenartigen und des Andersartigen. Nicht einfach ist zudem der inventarisatorische Zugriff auf von Anfang an als wandelbar konzipierte Architekturpro-jekte bzw. –obArchitekturpro-jekte.

Die Beschäftigung mit der industriealisierten Alltagsarchitektur der Spätmoderne hat bisher in den Landesdenkmalämtern Ostdeutsch-lands sehr unterschiedlich stattgefunden. Obwohl die Bemühungen insgesamt überschaubar blieben, bemüht man sich doch mittlerweile zumindest um Orientierung in der Masse dieser Bestände.

3.1. Von Prototypen über das "Arche-Noah-Konzept"

Im Dokument 100 YEARS BAUHAUS (Seite 194-197)