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Die ‚Zivilisierung‘ der Männer im ‚Inneren‘ des Nationalstaats . 124

1. Der Antialkoholismus als sozialhygienisches Projekt (1876–1913)

1.2 Kampagnen gegen den Alkoholismus der Männer

1.2.5 Die ‚Zivilisierung‘ der Männer im ‚Inneren‘ des Nationalstaats . 124

zum Alkoholismus zu. Nationalreformer fürchteten daher, die Funktionsfähigkeit staatlicher Institutionen könnte durch das Verhalten der (fast ausschließlich männ-lichen) Staatsbediensteten beeinträchtigt werden. Schon Manuel Podestá zeichnete in Irresponsable 1889 den Idealtypus des Repräsentanten einer starken staatlichen Disziplinarmacht in Kontrast zum degenerierten Alkoholiker, den er überwacht:

„[E]in schöner kreolischer Typ in militärischer Haltung; […] groß, schlank, gut gebaut, gebräunt, muskulös und mit der Elastizität eines agilen und abgehärteten Körpers, trotz seines Alters.“356 Gerade die unteren Hierarchieebenen sahen die Sozialhygieniker vom Problem betroffen. 1903 besprach Augusto Bunge den Alko-holismus als Problem für die militärische Disziplin und warnte, dass sich die ‚un-disziplinierte Männlichkeit‘ des einfachen Soldaten im Wettstreit oder gar Krieg mit anderen Nationen nachteilig auswirken könnte. So erklärte Bunge anhand von Chroniken des Tripel-Allianz-Krieges von 1864–1870 (in dem eine argentinisch-brasilianisch-uruguayische Allianz gegen Paraguay kämpfte) das Problem der

Ar-353 Desdicha Humana Sociedad Luz, Memoria 1912, S. 15.

354 Ebd., S. 12. Der Gewinner des Plakatwettbewerbes schmückte zudem die Titelseite der 1933 von Giménez in zweiter Auflage veröffentlichten Antología Antialcohólica. Giménez, Antolo-355 „[…] intensidad de la emoción que ellos pueden llevar á los espíritus sencillos para hacer repu-gía.

gnante y odioso el vicio que conduce á la enfermedad, á la decrepitud y á la muerte“ J. R. O., La lucha, S. 93.

356 „Era un lindo tipo criollo cuadrado militarmente en un ángulo de la pieza; alto, esbelto, de pecho saliente, de tez bronceada, musculoso, y revelando á pesar de sus años la elasticidad de un cuerpo ágil y aguerrido.“ Podestá, Alma, S. 342 f.

meen: Viele Soldaten hätten sich nur durch die Aussicht auf das ‚Besäufnis‘ nach dem Sieg motivieren lassen, in den Kampf zu ziehen. In einer Schlacht habe ein General seinen betrunkenen Soldaten gar in Aussicht gestellt, in einer pulpería wie-deraufzuerstehen, sollten sie mutig auf dem Schlachtfeld sterben.357 So identifi-zierte Bunge – wie auch andere Autoren – ein mit übermäßigem Alkoholkonsum assoziiertes Männlichkeitbild als grundlegendes Problem südamerikanischer Män-ner.Auch die Polizei, die in den Augen vieler Nationalreformer anfangs des Jahr-hunderts eine zentrale Rolle in der Herstellung der öffentlichen Ordnung einnahm, war in Verruf geraten. Im März 1905 wurde in der Revista de Policía darüber be-richtet, wie Polizisten wegen exzessiven Alkoholkonsums ihres Amtes enthoben worden waren. Aus den Kommentaren der Autoren wird ersichtlich, dass Trunken-heit im Polizeicorps weit verbreitet war, was für einen Vertreter der staatlichen Autorität als verwerflich und schändlich angesehen wurde.358 Trotz des innerpoli-zeilichen Antialkoholdiskurses ist davon auszugehen, dass weiter getrunken wurde.

Die Alltagspraxis der ‚Staatsdiener‘ bestand aus einer „zwanglos vereinbarten“ Mi-schung von eigenen Ansichten und Erfahrungen sowie offiziellen Vorgaben.359 Was sich jedoch änderte, war die grundsätzliche Bewertung von Trunkenheit sowie vschiedener Formen des Alkoholkonsums in bestimmten sozialen Milieus. Auch er-höhte sich tendenziell der Druck auf den Konsumenten, abweichendes Verhalten gegenüber ‚Obrigkeiten‘ zu rechtfertigen. Dem Konzept von Alf Lüdtkes Alltags-geschichte folgend zeitigten Antialkoholkampagnen eine (wenn auch beschränkte) Wirkung. In jedem Fall erhoben Antialkoholaktivisten den Alkoholismus von Staatsbediensteten zu einer Frage der Staatsraison. Der Alkoholismus von Polizis-ten, Soldaten und anderen Staatsvertretern stellte die Handlungsfähigkeit des ‚mo-dernen Staates‘, die auf Bürokratisierung, administrativer Disziplinierung und Po-licing beruhte, grundsätzlich in Frage. Umgekehrt überlegten sich Sozialhygieni-ker, wie sie gerade diese Institutionen dazu nutzen konnten, Wissen über die Gefah-ren des Alkoholismus zu verbreiten und die Bevölkerung zu Mäßigung bzw.

Absti-357 Bunge, El alcohol/dietética, S. 900–902. Pulperías waren, anders als die hier zuvor behandelte urbane Bar, meistens Kneipen im ländlichen Raum, die gleichzeitig als Post, Wegstation und Handelsposten dienten. Darüber hinaus fungierten sie als zentrale Orte für Prostitution, Glücks-spiel und die Zurschaustellung von Männlichkeit, fern von jeglicher polizeilicher Ordnungsge-walt. Duelle mit Todesfolge galten hier lediglich als desgracia, d. h. als unglücklicher Todes-fall. Vgl. Slatta, Richard W.: Comparative Frontier Social Life: Western Saloons and Argentine Pulperias, Great Plains Quarterly Jg. 7, H. 2 (1987), S. 155–165, S. 156 ff. In der Gaucho-Li-teratur spielten pulperías ebenfalls eine prominente Rolle. Die US-amerikanische Hispanistik der 1940er Jahre erachtete die Darstellungen alkoholinduzierter Gewalt in der Gaucho-Litera-tur als beispielhaft für den Zusammenhang zwischen Alkohol und männlicher Gewalt auf dem gesamten Kontinent, da sie die „instinctive tendency of the Latin American to desire to prove his manliness, to establish himself as a macho“ beweise. Grismer, Raymond L.; Flanagan, John T.: The Cult of Violence in Latin American Short Fiction, Hispania Jg. 26, H. 2 (1943), S. 161–

170, S. 166. In populären argentinischen Darstellungen der 1970er Jahre hingegen erscheint die pulpería als zivilisatorischer Außenposten in der Erschließung des ‚Hinterlands‘. Vgl. Bouché, León: La pulpería, mojón civilizador, Buenos Aires, República de San Telmo, 1970.

358 Agentes exonerados por ebriedad, Revista de Policia Jg. 8, H. 191 (1905), S. 296.

359 Lüdtke, Einleitung, S. 39.

nenz anzuregen. Im Folgenden wird beispielhaft auf einige Initiativen eingegangen, die zeigen, wie auf die ‚Alkoholfrage‘ in staatlichen Institutionen reagiert wurde.

Zwischen 1908 und 1914 setzte sich die Ansicht durch, dass Aufklärungs- und Erziehungsprogramme im Kampf gegen den Alkoholismus repressiven Polizeime-thoden vorzuziehen waren. Schule, Militär, Polizei und gar die Feuerwehr konnten demzufolge genutzt werden, um eine disziplinierte Männlichkeit auszubilden. So wurde die Alkoholaufklärung auf Bestreben des Consejo Nacional de Educación (CNE) 1908 Teil der militärischen Ausbildung.360 Wie der Antialkoholaktivist Roque Otamendi betonte, konnten durch das Militär aufgrund der 1902 eingeführ-ten Wehrpflicht auch Männer erreicht werden, die keine anderweitigen Möglichkei-ten besaßen, um sich über den Alkoholismus zu informieren.361 Mit dieser Aussage zielte er besonders auf das ‚unzivilisierte Hinterland‘ ab. Entsprechend sollten im Rahmen der instrucción popular junge Männer aus subalternen Schichten über staatliche Ausbildungsstätten erreicht und zum Wohle der gesamten Nation lang-fristig diszipliniert werden. Dem lag ein Männlichkeitsideal zugrunde, dessen Hauptmerkmale gemäß Otamendi und anderer Aktivisten die Tugenden der Hygi-ene, Moral und Disziplin waren.

Ab August 1912 veranstaltete der Sozialist Enrique Feinmann Kurse zur Sozi-alhygiene für Polizisten der Provinz von Buenos Aires. Darin erklärte er, wie alko-holische Getränke dem Organismus schadeten. In einer dem Alltag argentinischer Männer angepassten Sprache legte er dar, wie sich die ersten Symptome des übermäßigen Weinkonsums (auf Spanisch enolismo genannt) von denjenigen eines exzessiven Konsums hochprozentiger Getränke (etilismo) unterschieden. Zu Be-ginn, so Feinmann, zeigten sich in beiden Fällen nervöse Zustände. Anschließend werde der Weintrinker laut und heiter, während der Schnapstrinker zu Trauer ten-diere. Die zweite Phase sei durch physische Folgeerscheinungen wie Erbrechen und Kopfschmerzen geprägt. In der letzten Phase käme es schließlich zu einer „in-tellektuellen Schwächung“ und einem „allgemeinen Verfall“.362 Diese Phase veror-tete Feinmann vor allem als Folge des Konsums hochprozentiger Getränke, schloss aber den weit verbreiteten Wein davon nicht aus. Seinen Vortrag beendete Fein-mann mit einer Erklärung zur Alkoholvergiftung: Sie beginne mit der einfachen Alkoholintoxikation und münde schließlich im chronischen Alkoholismus, der zur

„Degeneration der Rasse“ führte.363

Mit seinen Kursen vermittelte Feinmann Wissen über die Gefahren des Alko-holismus in staatlichen Institutionen. Sein Ziel war es, die Bediensteten zur Nüch-ternheit anzuregen und ihnen ihre gesellschaftliche Verantwortung einzuschärfen.

Auch in aufklärerischen Artikeln wie El veneno de la Raza (1914) wies Feinmann

360 El alcoholismo, El Monitor de Educación Común Jg. 28 (1908), S. 731–732

361 Otamendi, Roque C.: El alcoholismo en la República Argentina, El Monitor de Educación Común (1910), S. 857–859, S. 858.

362 Feinmann, Enrique: Higiene Social. Trabajos publicados por la Revista de Policía, correspon-diendo al curso de Higiene Social dispuesto por la Jefatura, para el personal de Policía por la Orden del Día de 7 de Noviembre de 1912, Buenos Aires, Imprenta y encuadernacion de la Policía, 1912, S. 16.

363 Policía: Conferencia de higiene social, La Nación, 19.8.1913, S. 16.

auf die Verantwortung des Polizisten in der Gesellschaft hin.364 Im selben Zeitraum erkannten argentinische Diplomaten in Übersee an, dass polizeiliche Maßnahmen zur Eindämmung des Alkoholismus gescheitert waren. Diese Einsicht kommuni-zierte der Diplomat Lorenzo Ynurrigarro dem DNH vom internationalen Antialko-holkongress in Mailand 1913.365

Als Institution, die zumindest teilweise durch militärischen Drill geprägt war, bot sich auch die Feuerwehr den Antialkoholaktivisten als Betätigungsfeld an. Ab 1908 hielten Otamendi und andere hier Vorträge.366 Unter den Aktivisten war Ota-mendi einer der wenigen, die nicht aus dem akademischen Umfeld stammten (an-ders als beispielsweise der bekannte Sozialhygieniker Feinmann). Drastischer noch als die Sozialhygieniker beschrieb er in seinen Vorträgen die Degeneration und den moralischen Verfall, die der Alkoholismus nach sich zog. So warnte er am Beispiel eines Familienvaters: „Der Alkoholiker hat im Schoße der Familie die Züge eines schrecklichen Kriminellen, der den Fall und die Korruption der Ehefrau, der Toch-ter und des Sohnes verursacht.“367 Am Ende seines Pamphlets rief er zur Abstinenz als einer patriotischen Pflicht auf, und forderte jeden Leser oder Zuhörer dazu auf, für eine Verbreitung der Abstinenz in seinem Umfeld zu sorgen.368

Im Gegensatz zu Victor Delfino, Roque Otamendi und anderen streng nationa-listischen Abstinenzlern rezipierten auf Mäßigung setzende Sozialhygieniker auch Werke wie die des italienischen Kriminologen Enrico Ferri369 und seine Sociologia criminale.370 In der Vererbungslehre folgten sie Interpretationen der Theorien Jean-Baptiste Lamarcks, die besagten, dass angeeignete Eigenschaften weitervererbt werden konnten.371 Dieser offeneren und weniger deterministischen Vererbungs-lehre entsprach die Verbesserung individueller Moral durch Nüchternheit eher als eugenische Zwangsmaßnahmen. Doch auch die Erziehung wurde als ein scheinbar steuerbarer Prozess betrachtet, der einen essentiellen Bestandteil der nationalen Zi-vilisierungsmissionen am Rio de la Plata bildete.

So erfuhr die Schule gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine stetige Aufwertung seitens der Mediziner. Zwischen den 1880er Jahren und der Jahrhundertwende

be-364 Feinmann, Enrique: El veneno de la raza, Revista de Policia Jg. 17, H. 400 (1914), S. 185–186.

365 Ynurrigarro, Lorenzo: El alcoholismo y sus consecuencias. Informe presentado al Presidente del Departamenteo Nacional de Higiene Doctor José Penna, Paris, Vigot frères, 1914, S. 119.

366 Alcoholismo (Monitor, 1908), S. 731 f.

367 „El alcoholista, en el seno de la familia, tiene los caracteres del más horrible criminal y provoca la caída y la corrupción de la esposa, los hijos y las hijas.“ Otamendi, Roque C.: El Alcoholismo en la República Argentina. Sus funestas consecuencias. Modo de combatirlo, Buenos Aires, Imp. Grau y Soules, 1913, S. 37.

368 Ebd., S. 47.

369 Die italienische Kriminologie erhielt auch deswegen so viel Aufmerksamkeit, weil sich in Bu-enos Aires lebende Italiener bzw. Argentinier mit italienischer Abstammung vom Stereotyp des gering qualifizierten Arbeitsmigranten abgrenzen und sich als Bildungsbürger hervorheben wollten. Vgl. Scarzanella, Inmigración.

370 Enrico Ferri hielt eine Reihe von Reden in Argentinien und wurde mit Auszeichnungen geehrt.

Mehr dazu bei: Quesada, Ernesto: El sociologo Enrico Ferri y sus conferencias argentinas, Buenos Aires, Menéndez, 1908.

371 Stepan, The hour, S. 64–76.

stimmten sie gar die Curricula an staatlichen Schulen mit.372 Schulmediziner führ-ten in den staatlichen Schulen von Buenos Aires sanitäre Kontrollen und Impfun-gen durch und klärten die Schüler über Hygiene auf.373 Auch die Antialkoholerzie-hung war seit den 1890er Jahren Teil der allgemeinen HygieneerzieAntialkoholerzie-hung.374 Der Alkoholismus sollte im Hygieneunterricht der Grundschulen bis hin zur 4. Klasse behandelt werden, denn nur so konnte man auch die Jungen der Arbeiterklasse er-reichen, die erfahrungsgemäß keine höheren Schulklassen belegten.375 Die An-nahme war, dass Jungen die neue ‚hygienische Männlichkeit‘ bereits in der Grund-schule anerzogen werden müsse, damit sie möglichst früh ein Gefühl der „Abscheu oder Angst“ gegenüber dem Laster entwickelten und ihm später nicht zum Opfer fielen.376 Diese Maßnahmen fanden auch in den USA Anerkennung, unter anderem durch Mary Clemens Leavitt. Leavitt kam 1892 als erste Repräsentantin der US-amerikanischen WWCTU nach Buenos Aires, um die Temperenzarbeit vor Ort zu inspirieren und die lokalen Gegebenheiten zu studieren. Die Hygieneprogramme an argentinischen Schulen lobte sie als vorbildlich: „Some of their regulations might well be adapted at home.“377 Gleichzeitig empfand sie die Argentinier als überhe-blich: „The Argentinians are very proud of their schools, and believe their system to be the best in the world.“ Leavitts Lob blieb bei der auf europäische, männliche Experten fixierten Gemeinschaft argentinischer Pädagogen und Mediziner zu die-sem Zeitpunkt ungehört. 1900 schlug der Psychiater Domingo Cabred auf einem pädagogischen Kongress zwei Maßnahmen vor, mit denen Leavitt jedoch definitiv

372 Vgl. González Leandri, Ricardo: Miradas médicas sobre la cuestión social: Buenos Aires a fi-nales del siglo XIX y principios del XX, Revista de Indias Jg. 60, H. 219 (2000), S. 421–435.

373 Di Liscia, María Silvia: „Médicos y maestros. Higiene, eugenesia y educación en Argentina (1880–1940)“. In: Di Liscia, María Silvia; Salto, Graciela Nélida (Hrsgg.): Higienismo, educa-ción y discurso en la Argentina. (1870–1940), Santa Rosa, La Pampa, Ed. de la Univ. Nacional, 2004, S. 37–64, S. 39 ff.

374 Die Lektüre hierzu war seit 1894 Emilio R. Olivés Nociones de Anatomía, Fisiología e Hi-giene. Olivé bewertete fermentierte und destillierte Getränke unterschiedlich: Wein, Bier, Cider und Perada (Birnenschnaps) sollten nicht pur getrunken und Hochprozentiges wie Rum nur als Medikament verwendet werden. In der Ausgabe von 1920 wurde den Kindern gelehrt, dass hochprozentige Getränke zur Alkoholvergiftung führten. Letztlich erniedrige es den Mann und zerstöre seine Organe („vicio repugnante que degrada al hombre [y] destruye su organismo“).

Olivé, Emilio R.: Nociones de anatomía, fisiología é higiene., La Plata, J. Sesé, 1920, S. 207.

In: Azcona, Laura: „Los manuales escolares: las ideas higienistas en educación“. In: Di Liscia, María Silvia; Salto, Graciela Nélida (Hrsgg.): Higienismo, educación y discurso en la Argen-tina. (1870–1940), Santa Rosa, La Pampa, Ed. de la Univ. Nacional, 2004, S. 165. Der CNE verwendete dieses Hygienehandbuch zwischen 1894 und 1897 bzw. zwischen 1901 und 1903, sowie die Dirección General de Escuelas de la provincia de Buenos Aires von 1909 bis 1920.

ebd., S. 165.

375 Aráoz Alfaro, Gregorio: Alcoholismo e higiene escolar – Delio Aguilar: Anales del Círculo Médico, Buenos Aires, Febrero 1902, Archivos de Criminología, Medicina Legal y Psiquiatría Jg. 1 (1902), S. 250–251.

376 „[…] debe empezarse por la enseñanza antialcohólica desde el banco de la escuela, para que el espíritu del niño, desde temprano, contraiga hacia el enemigo un sentimiento de repulsión ó de temor, y llegue á eliminar de su vida futura, de su virilidad, ese peligro amenazador é impla-cable.“ Díaz, Correspondencia, S. 1165.

377 Leavitt, South America, S. 6.

einverstanden gewesen wäre: obligatorischer Antialkoholunterricht und „Tempe-renzligen für Kinder“.378 Dabei orientierte er sich an Frankreich, wo diese Modelle zuvor aus dem angelsächsischen Raum adaptiert worden waren.

Cabreds Vorschläge waren somit eindeutig von Diskussionen in Europa inspi-riert. Pädagogen berichteten seit 1895 über die Fortschritte der Antialkoholerzie-hung im frankophonen Europa.379 Gerade in der von vielen Männern bevölkerten Stadt Buenos Aires sorgten sich Mediziner und Pädagogen um die zukünftige Generation. 1901 kam aus Genf Unterstützung für schulische Programme gegen Alkoholismus. In einem Bericht präsentierte der argentinische Diplomat Leopoldo Díaz den argentinischen Pädagogen einen Überblick zur globalen Temperenzbewe-gung und die Aktivitäten anderer Regierungen. Díaz hob den Schulunterricht als eines der zentralen Instrumente zur Verbreitung der Temperenzagenda für Jungen hervor. Das neue Männlichkeitbild sollte zunächst durch Abschreckung mittels De-generationsbildern gefördert werden (siehe Abb. 7). Uruguayische Diplomaten wa-ren ebenfalls von ihrer Regierung damit beauftragt, Berichte zur Bekämpfung von Alkoholismus in Frankreich und Italien zu erstellen; diese Berichte flossen auch in die Diskussionen in Buenos Aires mit ein.380

Im Anschluss an die Diskussionen zu den Aktivitäten öffentlicher Schulen in Frankreich und Belgien entschied sich die argentinische Regierung schließlich zu handeln. Am 22. April 1902 wurde Domingo Cabred vom Ministerio de Instrucción Publica beauftragt, einen speziellen Kurs am angesehenen Colegio Nacional Cen-tral abzuhalten.381 Im gleichen Jahr wiesen auch die Behörden verschiedener Pro-vinzen wie der Consejo Superior de Educación de la Provincia de Corrientes ihr Lehrpersonal an, Material über die Gefahren des Alkoholismus zu reproduzieren, zu verteilen und regelmäßige Lesungen abzuhalten.382 Erst 1913 nahm das Ministe-rio de Instrucción Pública einen dreiteiligen Kurs zur Antialkoholerziehung in die offiziellen Curricula auf: Die erste Lektion beinhaltete das Studium verschiedener Klassen von fermentierten und destillierten Getränken. Im Rahmen der zweiten Lektion wurden die negativen Auswirkungen des Alkohols bzw. des Alkoholismus auf Körper und Geist behandelt, darunter die Entstehung von Geisteskrankheit, die

378 „ligas infantiles de templanza“ Sisto, Genaro; Zwanck, Alberto: Enseñanza antialcohólica en la escuela. Trabajo presentado en el Segundo Congreso Nacional de Sociedades Populares de Educación, Buenos Aires, Talleres Gráficos de Juan Perrotti, 1916, S. 16. „Redacción“: Bél-gica: Sociedades escolares de Templanza, El Monitor de Educación Común (1900), S. 830.

379 So berichteten sie etwa, wie die belgische Regierung öffentliche Schulen anwies, Kurse über Alkoholismus, Temperenz und die Gefahren alkoholischer Getränke in den Grundschullehr-plan aufzunehmen. Pädagogische Experten des CNE empfahlen, es den Belgiern gleichzutun und schulische Temperenzgesellschaften zu etablieren. „Redacción“: La lucha contra el alco-holismo, El Monitor de Educación Común Jg. 17 (1897), S. 61–63, S. 63. 1898 wurde dann im Monitor de Educación Común erstmals ein europäisches Curriculum für den Antialkoholunter-richt imfünften Schuljahr publiziert. „Redacción“: El alcoholismo: Tópico del programa de higiene, grado V, El Monitor de Educación Común Jg. 18, H. 301 (1898), S. 4–6.

380 El alcoholismo en Francia, La Vanguardia, 1.9.1909, S. 1.

381 Sisto/Zwanck, Enseñanza, S. 16–17.

382 Romero, Luciano: Conferencias didácticas. El Alcoholismo, Corrientes, Establecimiento Tip.

del Consejo S. de Educación, 1903, S. 4.

Schwächung der Intelligenz und des Willens, sowie Schäden an der ‚Rasse‘, Fami-lie und Gesellschaft. In dieser Lektion kam der weitverbreitete Degenerationsdis-kurs zum Ausdruck. Die dritte Lektion schließlich widmete sich dem Alkoholismus unter den Aspekten „Verarmung und Elend, öffentlicher Reichtum, Einfluss auf Kriminalität, Selbstmord und Arbeitsunfälle.“383 Darüber hinaus sollte sie die ge-samtgesellschaftliche Verantwortung des Individuums betonen. Der Consejo Naci-onal de Educación (CNE) beschloss, die Verantwortung für schulische Antialko-holprogramme der Liga Nacional contra el Alcoholismo unter Präsident Cabred zu übertragen. Diese besaß jedoch nicht die nötigen Ressourcen und richtete deshalb nur einzelne Veranstaltungen aus. Letztere wurden von der bürgerlichen Presse hoch gelobt: Dem Kind müsse der „Horror vor dem Gift“ eingeschärft werden, hieß es dort.384 Diese Form des Unterrichts verglich Cabred in der Presse mit ähnlichen Initiativen in Norwegen, Kanada, Frankreich oder England, in deren Reihen er Ar-gentinien nun verortete. In einem seiner Vorträge brachte Cabred auf den Punkt, worum es ihm ging: Bereits in der Kindheit solle „der Samen des tugendhaften Antialkoholismus verpflanzt werden“;385 d. h. es sollte, nach heutigem Verständnis, Präventionsarbeit durchgeführt werden. Ab 1913 untermauerte er seine Vorträge mit Statistiken und Grafiken, die den enormen Anstieg des Alkoholkonsums ein-drücklich belegen sollten.386 Auch setzte er mithilfe von Diaprojektionen fotografi-sche Darstellungen ein, die degenerative Krankheiten zeigten. Sie sollten verdeutli-chen, wie sich Alkoholiker von der bürgerlichen Gesellschaft entfremdeten, zu

‚Außenseitern‘ und damit zu Angehörigen einer niedereren Klasse wurden.387 Zu-dem übersetzte und publizierte Cabred Arbeiten des Franzosen Legrain, die Zu-dem Lehrpersonal dazu dienen sollten, die Kinder über die Gefahren des Alkohols auf-zuklären.388

383 Coni, Memorias, S. 550.

384 Enseñanza antialcohólica: Lección Inaugural, La Prensa, 15.6.1913, S. 9.

385 „Es en la niñez […] cuando se debe inculcar la semilla de la virtud antialcohólica, pues la men-talidad está entonces libre de esos prejuicios que hacen aparecer al alcohol con cualidades be-néficas.“ Lucha contra el Alcoholismo: La conferencia de anoche, La Prensa, 15.6.1913, S. 8.

386 Enseñanza antialcohólica: Conferencia del Dr. Cabred, La Prensa, 29.6.1913, S. 13.

387 Auf Betreiben Cabreds hatte die Zeitschrift Caras y Caretas schon 1907 Bilder von kriminellen Alkoholikern und verwahrlosten, vermeintlich degenerierten Kindern abgedruckt, die er bei seinen Vorträgen einsetzte. Molécula: Tipos de criminales cuyos impulsos homicidas han sido originados por las perturbaciones del alcoholismo, Caras y Caretas, 18.5.1907, S. 75.

388 Cabred übersetzte 1904 zum Zweck der Vorbereitung von Lehrern das 1899 erschienene Werk

388 Cabred übersetzte 1904 zum Zweck der Vorbereitung von Lehrern das 1899 erschienene Werk