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Wie das Zicklein starb

Im Dokument und Lesebuch (Seite 137-145)

Zum Lesen, Singen, Spielen

2. Wie das Zicklein starb

Mein Vater hatte ein schneeweißes Zicklein, mein Onkel Jok hatte einen schneeweißen Kopf. Das Zicklein kaute gern an Zweigen; mein Onkel kaute gern an einem kurzen Pfeifchen.

Das Zicklein hatten wir, ich und meine jüngeren Geschwister, sehr lieb; den Onkel Jok auch. So kamen wir auf den Gedan­

ken : wir wollten das Zicklein und den Onkel zusammentun.

Da war's im Heumonat, daß ich eines sonnigen Tages alle meine Geschwister hinausrief aufs Feld und sie dort fragte:

„Wer von euch hat einen Hut, der kein Loch hat?"

Sie untersuchten ihre Hüte, aber durch alle schien die Sonne.

Nur Jakoberies Hut war ohne Loch; diesen nahm ich also in die Hand und sagte: „Der Onkel heißt Jok, und morgen ist der Jakopitag, und jetzt, was schenken wir ihm zum Namenstag?

Das weiße Zicklein."

„Das weiße Zicklein gehört dem Vater!" rief das kleine Schwesterchen Plonele.

„Deshalb habe ich euch auch aufs Feld gerufen," sagte ich.

um Gnade bitten die Wunde der Bläser teilen, teilte, habe

geteilt

armu paluma haav

puhuja jagama

das Zicklein kauen, kaute,

habe gekaut der Gedanke der Namenstag

kitsetalleke närima mõte nimepäev

„Du, Jakoberle, hast gestern dein Kaninchen verkauft; du, Plonele, hast von deinem Taufvater drei Groschen zum Tauf­

pfennig gekriegt; dir, Mirzerle, hat vor zwei Tagen der Vater Geld geschenkt. Seht, ich lege auch meine fünf Kreuzer hinein, und wir müssen zusammentun, daß wir dem Vater das Zicklein abkaufen können; und das schenken wir morgen dem Onkel."

Sie sahen einander eine Weile an, dann aber sagte Plonele:

„Mein Geld hat die Mutter!" und Mirzerle rief erschrocken:

„Das meine weiß ich nicht!" und Jakoberle sah auf den Boden und murmelte: „Mein Sack hat ein Loch."

Also konnten wir das Zicklein nicht kaufen.

Zu Hause herzten wir das Zicklein aber sehr. Es stieg mit den Vorderfüßen an unsere Knie und, guckte uns mit seinen großen Augen schelmisch an, als wollte es uns recht spotten, daß wir alle zusammen so arm waren und es nicht kaufen konnten. Es blökte uns ordentlich an, und dabei sahen wir die schneeweißen Zähnchen. Es war kaum drei Monate alt und hatte schon einen Bart; und ich und Jakoberle waren über sieben Jahre hinaus und mußten uns aus grauen Baumflechten einen Bart ankleben, wenn wir einen haben wollten. Und selbst den fraß uns das Zicklein vom Gesichte ab.

Wir hatten aber das Vierfüßlein viel lieber als uns unter­

einander. Und ich dachte weiter, wie wir das Zicklein dem Onkel schenken könnten.

der Taufvater ristiisa blöken, blökte,

der Taufpfennig saiaraha habe geblökt mökitama

murmeln, murmelte, der Bart habe

habe gemurmelt pomisema die Baumflechte puusammal herzen, herzte, ankleben, klebte an

habe geherzt kallistama habe angeklebt külge

schelmisch vallatult kleepima

spotten, spottete, untereinander omavahel,

habe gespottet pilkama isekeskis

Als aber zu Mittag der Vater vom Felde heimfuhr, liefen wir ihm alle entgegen und zupften ihn an seinen Kleidern.

„Vater," sagte ich, „ist es wahr, daß die Morgenstunde Gold im Munde hat?"

Das war ja sein eigenes Sprichwort, und so antwortete er rasch: „Ja, das ist wahr."

„Vater!" riefen wir nun alle vier, „wie früh müssen wir alle Tage aufstehen, um das Zicklein zu verdienen?"

Das war dem Vater neu. Als er aber hörte, daß wir das Zicklein dem Onkel Jok schenken wollten, da sagte er uns:

„Wenn ihr jeden Tag ein halbes Stündchen früher aufsteht, so könnt ihr das liebe Tierchen bekommen." Wir versprachen es dem Vater.

Nun gehörte das Zicklein uns.

Wir wollten alle schon am nächsten Morgen noch vor des Onkels Aufstehzeit — und das war viel gesagt — aus dem Neste kriechen, dem Zicklein ein rotes Band um den Hals binden und es ans Bett des alten Jok führen, ehe dieser noch seinen langen, grauen Pelz, den er Winter und Sommer trug, auf den Leib brachte.

Doch am anderen Tage, als uns die Mutter weckte, und wir die Augen aufschlugen, schien uns die Sonne so sehr in die Augen, daß wir sie gleich wieder schließen mußten, bis die Mutter mit ihrem Kopftuch das Fenster verhüllte.

Aber der Onkel war längst schon davon mit seinem Pelz. Er hatte die Schafe und die Ziegen auf die Weide getrieben, wo er sie hütete und den ganzen Tag an seinem Pfeifchen kaute. Und

zupfen, zupfte, habe gezupft tirima

das Sprichwort vanasõna

verdienen, verdiente, habe verdient ära teenima versprechen, versprach, habe versprochen lubama

die Aufstehzeit ülestõusmiseaeg

der Leib keha, ihu

verhüllen, verhüllte, habe verhüllt kinni katma

die Weide karjamaa

die Tierchen fraßen fleißig und sprangen lustig auf der sonnigen Weide. Es war auch das Zicklein dabei. Und hat's dem Jok denn niemand gesagt, daß heute sein Namenstag ist?

Zu jener Zeit, von der ich rede, gab es noch keine Streich­

hölzer; damals war, das liebe Feuer ein seltenes Ding. Man konnte es nicht so bequem mit im Sack tragen, wie heute, ohne sich die Hosen zu verbrennen. Wenn man Feuer haben wollte, mußte man es mit Müh' und Not aus dem Steine schlagen.

Das war ein großes Stück Arbeit; beim Feuermachen konnte meine sonst so milde Mutter ungeduldig werden.

So auch am Morgen von des Onkels Namenstag. Wir hatten in der Küche wohl eine Weile das Feuerschlagen gehört, dann aber rief die Mutter plötzlich aus: „Es ist umsonst! Der Stein hat kein Feuer mehr in sich, und der Schwamm ist feucht, und die Leute warten auf die Suppe. Dann kam sie in die Stube und sagte: „Geh, Peterle, lauf schnell zu der Nachbarin hinüber.

Ich bitte sie gar schön von Herzen, mir ein paar glühende Kohlen von ihrem Herd zu schicken. Und trag ihr dafür da den Brotlaib mit. Geh, Peterle, schnell, daß wir nachher eine Suppe kriegen!"

Ich hatte mein weißes Höschen gleich an, und wie ich war — nahm ich den runden, schweren Brotlaib unter den Arm und lief nach dem Nachbarhaus.

Mein Brotlaib war kugelrund und sehr fest, denn man läßt bei mir daheim das Brot gern alt werden. Solch ein Brot wird nicht so schnell aufgegessen.

Aber weil mein Laib so kugelrund war, so ließ ich ihn los über den Berghang, lief ihm schnell vor und fing ihn wieder auf.

das Streichholz selten

mit Müh' und Not mild

ungeduldig

tuletikk der Schwamm käsn haruldane umsonst asjata hädavaevaga feucht niiske

lahke, pehme kugelrund kuulümmargune kannatamatu der Berghang mäenõlv

WA

Das war ein herzlich lustiges Spiel, und ich hätte gern alle meine Geschwister herangerufen, daß sie es sehen und mit­

machen könnten. — Wie ich nun aber so in meiner Freude den Berghang auf- und abhüpfe, spielt mir mein Brotlaib den Streich

der Streich temp

huschen, huschte, bin gehuscht lipsama

und huscht mir wie der Wind zwischen den Beinen durch und davon. Er eilt und hüpft hinab, viel schneller als ein Reh vor dem Jagdhunde — er fährt über den Hang und fällt in das Tal hinab, wo ich ihn nicht mehr sehen kann.

Nun war der Laib fort, und ich wäre beinahe umgefallen vor Schreck.

Ich ging eine Weile hin und her, auf und ab, und da ich den Laib nirgends sah, schlich ich mich davon und ins Haus der Nachbarin.

Da brannte ein schönes, großes Feuer auf dem Herde.

„Was willst du denn, Peterle?" fragte die Nachbarin freund­

lich.

„Bei uns," stotterte ich, „ist das Feuer ausgegangen, wir können uns nichts kochen, und so läßt meine Mutter schön bitten um ein paar glühende Kohlen. Diese wird sie auch bald zurück­

schicken."

„Ihr Närrlein, ihr, wer wird denn so ein paar Kohlen zurück­

schicken!" rief die Nachbarin und nahm mit der Feuerzange Glut in einen alten Topf; „da sieh, ich laß deiner Mutter sagen, sie soll nur schön anheizen und dir eine recht gute Suppe ko­

chen. Aber schau, Peterle, daß dir der Wind nicht hineinbläst, sonst trägt er die Funken auf das Dach hinauf. So, jetzt geh nur in Gottes Namen!"

So gütig war sie mit mir, und ich hatte ihren Brotlaib ver­

loren. Das drückt mein Gewissen heute noch hart.

sich schleichen, schlich mich, habe mich geschlichen

stottern, stotterte, habe gestottert die Feuerzange

anheizen, heizte an, habe angeheizt der Funke

gütig

drücken, drückte, habe gedrückt das Gewissen

hiilima kogelema tuletangid tuld tegema säde

lahke rõhuma

südametunnistus

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Als ich endlich mit dem Feuertopfe zurück gegen unser Haus kam, war ich sehr überrascht, denn da sah ich aus dem Schorn­

stein schon einen blauen Rauch steigen.

„Dich soll man nach dem Tod schicken und nicht nach Feuer!" rief die Mutter, als ich herankam; dabei sah sie mich gar nicht an. Traurig stellte ich den Topf in einen Winkel des Herdes und schlich davon. Ich war viel zu lange fortgewesen;

da war zum Glück der Onkel Jok von der Weide heimgekommen und der hatte ein Brennglas, das er in der Sonne über einen Span hielt, bis dieser zu brennen anfing.

Ich schlich auf die Weide. Dort sah ich den Onkel kauern in seinem langen, grauen Pelz und mit seinem weißen Haupt.

Und als ich näher kam, da sah ich, warum er hier so kauerte.

Das schneeweiße Zicklein lag vor ihm und streckte seinen Kopf und seine Füße von sich, und der Onkel Jok zog ihm die Haut ab.

Sogleich fing ich an laut zu weinen. Der Onkel stand auf, nahm mich bei der Hand und sagte: „Da liegt es und schaut dich an!"

' Und das Zicklein starrte mir mit seinen verglasten Augen in das Gesicht. Und doch war es tot.

„Peterle!" sagte der Onkel ernst, „die Mutter hat der Nach­

barin einen Brotlaib geschickt."

„Ja," schluchzte ich, „und der ist mir davongegangen, hinab über den Berghang."

überrascht üllatatud der Winkel = die Eke das Brennglas tuleklaas der Span laast kauern, kauerte,

habe gekauert küürutama

die Haut nahk

starren, starrte,

habe gestarrt vahtima verglast tarretanud schluchzen, schluchzte,

habe geschluchzt nuuksuma

— i4ä

-„Weil du es eingestehst, Bübel," sagte der Onkel Jok, „so will ich die Sache schon machen, daß dir nichts geschieht. Ich hab der Mutter gesagt, ein Stein wäre herabgefahren und hätte das Zicklein erschlagen. Ich habe es mir gleich gedacht, das Peterle steckt dahinter. Dein Brotlaib kam durch die Luft ge-1

flogen, an mir vorbei, dem Zicklein zu, hat es just am Kopf ge­

troffen — da war das Dingelchen gleich maustot. — Aber — fürchte dich nicht, es bleibt beim Stein. Mit der Nachbarin werd' ich's auch abmachen, und jetzt sei still, und weine nicht so sehr."

So ist das Zicklein gestorben. Meine Geschwister erzählten mir, ein böser, böser Stein habe es erschlagen.

Die Mutter hatte mir zuliebe meine Kohlen zum Herdfeuer geschüttet, und bei diesem Feuer wurde das Zicklein gebraten.

Dem Onkel Jok wollten wir es schenken; nun sollte er davon den Braten haben. Aber er rief uns alle zu Tisch und legte uns die besten Bissen vor. Mir hat der meine nicht geschmeckt.

Am andern Morgen nahm Jakoberle einen großen Stock, ging dem Onkel nach auf die Weide und wollte den Stein sehen, der das Zicklein erschlagen hatte.

„Kind," sagte der Onkel Jok und kaute am Pfeifchen, „der ist weiter gerollt, der liegt jetzt weit unten im Loch."

Der gute, alte Mann! Mir auf dem Herzen lag der Stein „der das Zicklein erschlagen." Nach Rosegger.

eingestehen, gestand ein, habe eingestanden just = gerade

das Dingelchen maustot

mir zuliebe

schütten, schüttete, habe geschüttet der Bissen

rollen, rollte, bin gerollt

erschlagen, erschlug, habe erschlagen

üles tunnistama risuke, loomake täiesti surnud mulle meelehääks puistma

pala veerema maha lööma

Im Dokument und Lesebuch (Seite 137-145)