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Einleitung

Der Weg in die nationalsozialistische Mediendiktatur war listenreich gepflastert. Mit der

„Machtübernahme“ in Deutschland begann dort bereits ab 1933 ein rigider Prozess der

„Monozentrierung des kulturellen Sinns“,3 der das Funktionsspektrum der Literatur auf ein ideologisch und machtstrategisch festgelegtes Propagandainstrument einschränkte.

Die Absicht, einen neuen Kanon durchzusetzen, bediente sich des abstrakten Kampfmit-tels schwarzer und weißer Listen von SchriftstellerInnen und ihren Werken, sie waren die Grundlage für exekutive Maßnahmen zur Vernichtung eines pluralen literarischen Systems, das sich seit dem 18. Jahrhundert herausgebildet hatte. In Österreich hingegen gab es noch bis 1938 – wie die Bestandsaufnahme dieses Bandes in den Bereichen Vereine, Antholo-gien und der Empfehlungs- und Verbotslisten belegt – eine allerdings bereits reduzierte spannungsreiche Pluralität, die mit dem „Anschluss“ abrupt durch Einverleibung in die deutsche Mediendiktatur endete. Daher ist die Darstellung dieser drei literarischen Institu-tionen so konzipiert, dass nicht nur der Zustand ab 1938 dokumentiert wird, sondern auch die Phase ab 1933, dass Vorgeschichte sichtbar wird.

Im Abschnitt Zensur und Förderung werden zunächst die – allesamt bis 1938 erstellten – spezifisch österreichischen Listen behandelt, sie illustrieren insbesondere die von NS-Deutschland unterstützten offensiven kulturpolitischen Initiativen der Nationalsozialisten und die defensiven Maßnahmen im autoritären „Ständestaat“.

Das zweite Kapitel stellt die wichtigsten Zensur- und Förderungslisten Deutschlands ab 1933 dar, die ab der Einführung der Reichskulturkammer-Gesetzgebung am 11.6.1938 auch für Österreich ausschließlich bestimmend waren. Die nicht öffentlichen „Verbots-listen“ dokumentieren die in den Bücherverbrennungen vom Mai 1933 manifeste, unmit-telbar nach der „Machtübernahme“ einsetzende Eliminierung des pluralen literarischen Schaffens, die Spaltung des Systems, die „Scheidung der Geister“. Die zentralen Empfeh-lungslisten seitens der mächtigsten Institutionen RMVP und Reichsschrifttumskammer, Par-teiamtliche Prüfungskommission und Amt Rosenberg inthronisieren den neuen verordneten nationalsozialistischen Kanon, der in der Gottbegnadeten-Liste vor Kriegsende seinen sakra-len Höhepunkt erreicht. Die spartenbezogenen Empfehlungen im dritten Abschnitt waren ökonomisch breitenwirksam an die Basis gerichtet: Pädagogen (Jugendschriften), Distribu-toren (Buchhandlungen und Leihbüchereien) und Veranstalter von Lesungen.

Das abschließende Kapitel behandelt die zentralen Entnazifizierungslisten nach Kriegs-ende, sie nennen jene AutorInnen und Texte, die als nationalsozialistisch betrachtet wurden und sollten Grundlage für Sühnemaßnahmen sein.

3 Assmann87, 15.

Österreichische Listen 1933–1938

Einleitung

Für die österreichischen AutorInnen, Verlage und Buchhandlungen hatte die „Machtübernahme“ Hit-lers in Deutschland vehemente Folgen: Fast 90 % der nach Österreich importierten Bücher stammten von deutschen Verlagen, fast 60 % der aus Österreich exportierten Bücher gingen ins „Dritte Reich“, das 40 % der in Österreich verkauften Bücher stellte.4 Es bestand also eine gegenseitige Abhängigkeit mit der Besonderheit, dass die österreichischen Verleger wegen des kleinen Binnenmarktes wesentlich stärker von den Vorgängen im Nachbarstaat nach 1933 betroffen waren.

Die kulturpolitischen Angriffe der österreichischen NSDAP auf die republikanischen Grund-freiheiten hatten eine lange Tradition, sie kristallisierten sich aber im Zeitraum der impulsgebenden

„Machtergreifung“ in Deutschland (30.1.1933) in zusammenfassenden Darstellungen und systemati-schen Versuchen, das literarische System Österreichs zu spalten. Um den kulturpolitisch Verantwort-lichen, den Lesern, Buchhändlern, Veranstaltern, Leihbüchereien, Lehrern ein richtungsweisendes Instrument in die Hand zu geben, wurden – unter der Ägide des →Kampfbunds für deutsche Kultur (bzw. seines Nachfolgers, der →Kulturgemeinschaft) – „schwarze“ und „weiße“ Listen zu unterdrü-ckender bzw. empfohlener Literatur erstellt, die in den Bücherverbrennungen vom 10. Mai 1933 in Deutschland erstmals signifikant und radikal umgesetzt wurden. Die Spaltung des literarischen Systems in Österreich wurde in enger und vielfältiger Kooperation zwischen den nationalsozialisti-schen Institutionen Hitler-Deutschlands, den Österreichern in Deutschland und österreichinationalsozialisti-schen Institutionen betrieben. Sie bediente sich des Mittels der Unterminierung von Vereinen (z. B. →Österr.

P.E.N.-Club) und Verlagen,5 nach dem Verbot der NSDAP der Schaffung von getarnten Vereinen durch das NSDAP-Landeskulturamt in der Phase der Illegalität, der Lancierung österreichischer Texte in deutschen Periodika und Verlagen und in der kanon-demonstrierenden Anthologie, im Besonderen jener, die in Deutschland zwischen 1933 und 1938 erschienen sind (siehe Einleitung Anthologien).

Wegen der Abhängigkeit der österreichischen AutorInnen vom deutschen Buchmarkt hatten Einladungen zu deutschen Dichtertreffen – speziell zu den von der Nationalsozialistischen Kultur-gemeinde (in Österreich Kulturgemeinschaft) zwischen 1934 und 1938 veranstalteten zehn Berliner Dichterwochen – und deren Vorschlagslisten zu Lesereisen besondere Bedeutung für den Absatz (→Vorschlagsliste für Dichterlesungen 1937/38). Die Verleihung von deutschen Literaturpreisen für Österreicher hielt sich hingegen mit Ausnahme des Mozartpreises in sehr engen Grenzen.6

4 Hall85, I, 106 f.

5 Siehe Hall85, I, 262 ff.

6 Die Vergabe von Literaturpreisen wurde bereits von einer Mitarbeiterin des Projekts untersucht: Helga Strall-hofer-Mitterbauer: NS-Literaturpreise für österreichische Autoren. Wien: Böhlau 1994; auf den Seiten 111–

115 Liste der Preisträger. – Österreicher, die zwischen 1933 und vor 1938 deutsche Literaturpreise erhielten:

Hans Leifhelm (Lyrikpreis der Zeitschrift Die Dame, 1936), Hubert Mumelter (Erzählerpreis der Zeitschrift die neue linie, 1934, 1937), Otto Maria Polley (Lyrikpreis der Zeitschrift Die Dame, 1934, Erzählerpreis der Zeitschrift die neue linie, 1933), Carl Stephenson (Erzählerpreis der Zeitschrift die neue linie, 1937), Franz Graf Zedtwitz („Hilf mit!“-Preis, 1936/37). Lediglich der höchstdotierte Mozartpreis, der für Künstler aus Südtirol, Österreich und den Donaustaaten bestimmt war, ist samt seinen Preisträgern als spezifisch natio-nalsozialistisch anzusprechen: Heinrich Srbik erhielt ihn 1935, Josef Weinheber 1936, Max Mell 1937 und Franz Nabl 1938, 1939 Hans Kloepfer, 1940 Josef Wenter und 1941 Josef Nadler (Strallhofer94, 31 ff.)

Nach dem „Anschluss“ wurde am 11.6.1938 die Reichskulturkammergesetzgebung im Lande Österreich7 eingeführt, damit war die innerösterreichische Auseinandersetzung um den herrschenden Kanon vom Tisch gewischt, die Spaltung war vollzogen.

Da der größte Teil der Belletristik österreichischer Autoren in Deutschland verlegt und vertrieben wurde und die österreichischen Verleger auf den deutschen Buchmarkt in hohem Grade angewiesen waren, waren die Maßnahmen Deutschlands für sie von entscheidender Bedeutung, verursachten existentielle Probleme und lösten einen damit verbundenen Anpassungsdruck aus. Wesentlich ist die Unterscheidung, ob dort eine Einzelschrift indiziert wurde – dies bedeutete für die Autoren beider Länder kein generelles Publikationsverbot und behinderte nicht ihre Integration in den Literaturbe-trieb: So wurden z. B. Texte von Werner Bergengruen, Arnolt Bronnen, Rudolf Brunngraber, Wer-ner Jansen, Alexander Lernet-Holenia, Frank Thiess, Anton Zischka, ja selbst vom Landesleiter der Reichsschrifttumskammer (RSK)-Wien Karl Hans Strobl verboten, dies hemmte jedoch nicht ihren Erfolg während des Nationalsozialismus. Wurde dagegen das Gesamtwerk indiziert, so inkludierte dies die Aussperrung vom literarischen Markt und damit die Bedrohung der existentiellen Grundlage.

Die österreichischen Nationalsozialisten konnten den Vorgaben aus dem Nachbarland nicht nach-stehen: Unmittelbar nach Hitlers Machtantritt und den Bücherverbrennungen in Deutschland wird – initiiert vom österreichischen Kampfbund für deutsche Kultur (KdK) – die zunächst v. a. ökonomisch folgenreiche radikale Spaltung des literarischen Lebens Österreichs betrieben. Die erste und einzige

„schwarze“ Proskriptionsliste8 verfasste der Wiener Bibliothekar Karl Wache Die Säuberung des deut-schen Buchwesens vom jüdideut-schen Geiste im Deutdeut-schen Reiche und wir Österreicher (Wache33), eine – was Österreich betrifft – ausdifferenzierte Weiterführung der deutschen LHerrmann33 und der Schwarzen Liste33, die v. a. auf jene Personen verweist, die von den Bücherverbrennungen „äußerst stiefmütterlich behandelt“ worden seien. Im selben Jahr ist man auch hinsichtlich der Präsentation des neuen Kanons der „weißen Listen“ hoch aktiv: Bereits 1932 hatte der Bücherbrief32 eine erste Empfehlungsliste vor-gelegt, einen Monat vor Wache33 erschien – ebenfalls in den Mitteilungen des österreichischen KdK – die Wegtafel33, Wache steuerte noch vor dem NSDAP-Verbot sein Standardwerk zum NS Deutscher Geist in Oesterreich bei. Das repräsentativste Sammelwerk Dichterbuch gab Max Morold, ebenfalls Mit-glied des KdK und höchst wahrscheinlich Bekannter von Josef Cerny, heraus, etwa gleichzeitig erschien im Berliner VB die Liste Hohlbaum33 – sie alle signalisieren v. a. dem deutschen Markt den nationalso-zialistischen Kanon und bedrohten den Absatz der nicht genehmen Autoren Österreichs.

Stärker als in Deutschland waren der österreichische KdK und sein Nachfolger, die Kulturgemein-schaft, zumindest bis 1935 die treibenden Kräfte bei der Spaltung des literarischen Systems: Letztere steuerte im Vorfeld der Erstellung der deutschen Verbotslisten (LSUS35) eine Liste der zu fördernden bzw. der abzulehnenden Schriftsteller (Liste Graz35) bei, welche über den von Hans Steinacher geleite-ten Berliner VDA an Redaktionen deutscher Kulturzeitschrifgeleite-ten gesandt worden war, und – ein Spe-zifikum – auch die Namen von Aktivisten des autoritären „Ständestaats“ sowie deren Sympathisanten enthält. Die Rosenberg’schen Kulturorganisationen waren sowohl bei den „schwarzen“ als auch bei

7 RGBl.I  1938, 624 – Handbuch-RSK42, 20.

8 Vor Okt. 1939 erstellte der Schrifttumsreferent im RPA Wien, Dr. Karl Schasching, eigenmächtig eine eigene Verbotsliste, die im Widerspruch zur Linie des RMVP bzw. der RSK stand und die er noch dazu öffentlich an die Wiener Buchhändler versandte (Bericht des RSK Haushaltsref. Ritter v. 6.10.1939. BAB/

BAK R56V/57, 222). Die Liste konnte nicht eingesehen werden.

den Empfehlungslisten aktiv, der KdK organisierte die Kommunikation mit der Österreichischen Lan-desleitung der NSDAP und dem Österreichischen Pressedienst in München über Deckadressen in Mar-burg/Maribor.9 Nach Amann10 war seine zentrale Aufgabe, eine Österreichische Kulturkorrespondenz zu schaffen, welche die deutsche Presse mit Informationen über die Schriftsteller Österreichs versorgt, diese klassifiziert und zur „Denunzierung und Verdrängung der gehassten Konkurrenz“ beiträgt. Ziel war die Bildung einer Kampffront „artbewusster“ Künstler.

Bereits 1933 begann auch in Österreich der Konkurrenzkampf zwischen den kulturpolitischen Anhängern von Alfred Rosenberg und jenen von Joseph Goebbels trotz vieler personeller Überlap-pungen: Franz Löser initiierte nach dem Verbot der NSDAP ab September von Salzburg aus eine ös-terreichische Dependance des von Goebbels initiierten →Reichsverbands deutscher Schriftsteller (RDS), der binnen kurzer Zeit alle großen Schriftstellervereinigungen Deutschlands aufgesogen hatte11 und mit dem Reichskulturkammer-Gesetz vom 22.9.1933 in den Status einer Zwangsorganisation der RSK-Berlin erhoben wurde. Wegen der – allerdings unberechtigten – Sorge, dass österreichischen Schriftstellern ohne Mitgliedschaft der deutsche Markt versperrt werden könnte, wurde der kurzlebige, nicht konstituierte österreichische Ableger (bis Okt. 1934) binnen kurzem zu einem der Mitglieder-stärksten literarischen „Vereine“ in Österreich (450), der Aufnahmefilter – arische Abstammung und Ablegung eines „Hitler-Eids“12 – bedingt, dass sich die Liste der Mitglieder als Willenskundgebung, in den Kanon der völkischen Schriftsteller Österreichs aufgenommen zu werden, liest.

Für die Herausbildung des neuen nationalsozialistischen Kanons der Ostmark, der mit der LSUS39 ein Jahr nach der Okkupation Österreichs im Wesentlichen abgeschlossen war, spielten spezifisch österreichische Netzwerke im nationalsozialistischen Deutschland zweifellos eine zentrale Rolle.

Institutionell waren in der Frühzeit bis 1933 der genannte Kampfbund für deutsche Kultur (KdK), der Volksbund für das Deutschtum im Ausland (VDA)13 und die NSDAP am bedeutendsten. Die Machtergreifung Hitlers, das Verbot der „Partei“ in Österreich am 19. Juni 1933, die Flucht der NS-Landesleitung für Österreich nach München, die Machtverschiebung im Kulturbereich von Alfred Rosenberg hin zu Joseph Goebbels und seinem RMVP und besonders der sogenannte Juliputsch vom 25. Juli 193414 intensivierten den Prozess v. a. durch die Flucht und Integration österreichischer NSDAP-Anhänger nach Deutschland, die sich zum einen in der SA Gruppe Österreich (Österreichische 9 Amann96, 48.

10 Amann96, 42 f.

11 Barbian95, 207 – Renner86, 220.

12 Renner86, 222.

13 Siehe: Anton Bossi Fedrigotti – Heinz Brunner – Franz Peter Dimt – Viktor von Geramb – Ernst Joseph Görlich – Egon Hajek – Josef Hieß – Eberhard Kranzmayer – Norbert Langer – Emil Franz Lorenz – Rode-rich Müller-Guttenbrunn – Leonhard Wilhelm Neußer – Gottfried Nickl – Richard Plattensteiner – Maria Notburga Rubatscher – Hans Steinacher.

14 Der missglückte Juliputsch der Nationalsozialisten veränderte Hitlers Strategie gegenüber Österreich, der „An-schluss“ sollte nunmehr durch Diplomatie und Infiltration herbeigeführt werden, die über das RMVP und die Deutsche Gesandtschaft in Wien unter Franz von Papen vollzogen werden sollten. Mit ihm begann die „Ära der aktiven Kulturpolitik des Dritten Reiches in Österreich“, das seine partikulare Selbstdefinition im We-sentlichen kulturell begründete und damit der durchzusetzenden gesamtdeutschen Identität widersprach. Ab Oktober 1934 richtete das RMVP in Zusammenarbeit mit dem Auswärtigem Amt und seiner Dependance in Wien eine Stelle ein, die sich kulturpolitisch mit Österreich befasste und von dem Württemberger Karl Megerle (1894–1972) erfolgreich geleitet wurde (vgl. Amann96, 120 ff).

Legion)15 und deren SA Hilfswerk Nord-West organisierten, aber durch die Ausschaltung der SA (Juni/

Juli 1934) in die Defensive gedrängt sahen. Zum anderen wurden Nicht-SA-Angehörige auf Partei-Ebene im NSDAP Hilfswerk für Flüchtlinge und Hinterbliebene16 unterstützt, sie fanden speziell im Hilfsbund der Deutsch-Österreicher e. V. (Berlin) einen kulturellen Sammelpunkt. Der um die Zeit des Juliputsches 1934 gegründete Verein war in vielen Ortsgruppen hochaktiv, der aus Österreich stam-mende Geschäftsführer der RSK Richard Suchenwirth trachtete danach, ihn der RSK zu unterstellen.

So wie dieser erreichten auch andere Flüchtlinge hohe Positionen, auch im RMVP und der RKK.

Vor dem Verbot der NSDAP gingen Österreicher aus unterschiedlichen Motiven nach Deutschland:

Der Wiener Josef Cerny war bereits 1920 nach München gezogen und einer der wichtigsten Gefolgsleute Hitlers in der Frühzeit im Presse- und Musikbereich. Ab 1922 war er Redakteur in Alfred Rosenbergs Völkischem Beobachter und bis 1932 Leiter der Fachgruppe Schrifttum in dessen Kampfbund für deutsche Kultur.

Der Germanist Heinz Kindermann war schon 1927 nach Danzig berufen worden, er wechselte nach der „Machtergreifung“ 1936 nach Münster. Seit der Gründung der RSK eng mit ihr zusam-menarbeitend wurde er der Großanthologist in Deutschland. Noch vor ihrer Installierung gab er den programmatischen Sammelband Des deutschen Dichters Sendung in der Gegenwart heraus, Hans Hinkel, damals noch Landesleiter des KdK in Preußen und ab 1935 Geschäftsführer der RKK, steu-erte das Vorwort bei. Für die Vermittlung des neuen Kanons österreichischer Literatur hatten seine repräsentativen Anthologien Rufe über Grenzen – noch vor dem „Anschluss“ erschienen – und ein Jahr später Heimkehr ins Reich große Bedeutung.

Der Grazer Bernhard Payr war schon in Deutschland aufgewachsen, ab 1934 im Zentrallektorat des Amtes Rosenberg tätig übernahm er bis 1943 die Leitung der größten, aber politisch schwachen Bücher-Begutachtungsinstitution des „Dritten Reiches“, des Amtes Schrifttumspflege (Amt Rosenberg), es hatte damals 50 Hauptlektoren und 1400 ehrenamtliche Lektoren (Stand 1941), darunter auch Franz Koch. Danach 1943/44 leitete er das Hauptamt Schrifttum im Amt Rosenberg.

Der Kärntner Hans Steinacher trat 1930 als Leiter der Zentralstelle für deutsche Auslandsbüchereien in den Dienst des Außenministeriums in Berlin. Seit 1931 im Vorstand des Volksbunds für das Deutschtum im Ausland (VDA) avancierte er nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten zum Reichsführer (ab 1934 Bundesleiter) des VDA, den er auf das Führerprinzip umstellte. In dieser Funktion bestimmte Steinacher die „Volkstumsarbeit“ in der Anfangsphase des „Dritten Reiches“. Sein Wirkungskreis er-streckte sich auch auf Österreich, wo er v. a. über den Deutschen Schulverein Südmark (SVS) und den Kärntner Heimatbund (KHB) direkten Einfluss auf die NSDAP nahm. Steinacher war einer der wich-tigsten Drahtzieher und Finanziers der illegalen österreichischen NSDAP, als Verbindungsmänner setzte er im VDA angestellte gebürtige Österreicher ein. Er musste im Herbst 1937 demissionieren.

Ebenfalls 1930 wurde Anton Bossi Fedrigotti als Vertreter deutschnationaler Südtirolverbände (Andreas-Hofer-Bund, Südtiroler Volksschutz) nach Berlin entsandt, im Jahr 1931 avancierte er –

15 Siehe: Anton Bossi Fedrigotti – Ottokar Ernst Alois Drumbl – Otto Gallian – Bodo Kaltenboeck – Toni Kazda – Sepp Keller – Leonhard Wilhelm Neußer – Richard Suchenwirth.

16 Siehe: Sepp Dobiasch – Ottokar Ernst Alois Drumbl – Franz Hatlauf – Josef Hieß – Sepp Keller – Hans Gustl Kernmayr – Leo Leixner – Rudolf Franz Lengauer – Gertrude Maria Lippitsch – Herbert Parson – Erich Karl Pecher – Walter Friedrich Pochlatko – Erwin Herbert Rainalter – Karl Scharizer – Richard Suchenwirth – Karl Wache – Karl Dankwart Zwerger.

wahrscheinlich durch Vermittlung seines späteren Duzfreundes Hans Hinkel (Staatskommissar im Preußischen Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, ab 1935 mächtigster Mann der RKK unter Goebbels) – zum Beauftragten für Fragen des Etschlandes im VDA, 1933 wurde er von Theo Habicht, Landesinspekteur der NSDAP Österreich, in die Parteileitung berufen und fungierte bis zu deren Auflösung 1934 als Chef vom Dienst der Landesleitung Österreich in Berlin, von 1935 bis 1937 leitete Bossi die SA-Sammelstelle Berlin. 1936/37 schied er auf eigenen Wunsch aus, da sich sein Roman Standschütze Bruggler als großer Erfolg erwiesen hatte, und lebte fortan als freier Schriftsteller. Nach dem „Anschluss“ wurde er in Personalunion Kulturreferent in der Reihsstatthal-terei (RStH), in der NSDAP, im Reichspropagandaamt (RPA) und Landesleiter der RSK des Gaues Tirol-Vorarlberg – er dürfte aber diese Tätigkeiten kaum ausgeübt haben.

Alle anderen einflussreichen Kulturfunktionäre kamen erst nach dem Parteiverbot zumeist als Flüchtlinge nach Deutschland. Bereits 1934 wurde das Urgestein der österreichischen NSDAP-Hitlerbewegung, der Wiener Gymnasialprofessor für Geschichte und Deutsch Dr. Richard Suchen-wirth, Geschäftsführer der RSK (15.11.1934–31.03.1936), er war besonders im Hilfsbund aktiv.

Ebenfalls 1934 flüchtete der Wiener Gauleiter der NSDAP, Alfred (Eduard) Frauenfeld, nach Ber-lin, er avancierte vom 28.5.1935 bis 1939 zum Geschäftsführer der Reichstheaterkammer. Analog zu Suchenwirth wurde das Grazer KdK-Mitglied Dr. Franz Wehofsich als Leiter der Österreich-Abteilung der Dienststelle Ribbentrop in die Vorbereitungen des Kulturabkommens von 1936 ein-gebunden.17 Neben Kindermann spielte der Wiener Germanist Franz Koch – ab 1935 hatte er die prominente Professur für Deutsche Literaturgeschichte in Berlin inne – eine einflussreiche Rolle für die Bildung eines neuen Kanons, er war vernetzt mit allen literaturpolitischen Institutionen des „Dritten Reiches“ und der Verfasser des Überblicks über die Gegenwartsdichtung in Österreich (1935), der vom Ständestaat verboten wurde. Seiner Entlassung als Staatsbibliothekar an der Wiener Universität zuvorkommend erhielt Robert Hohlbaum durch Hilfe Kindermanns die Leitung der Stadtbücherei Duisburg. Ein einflussreicher Stratege, u. a. der Zerschlagung des Wiener PEN-Clubs 1933, Verfasser der Liste Hohlbaum33, eng kooperierend mit dem ersten Präsidenten der RSK Berlin, Hans Friedrich Blunck, und mit Walter Bloem.18 Sein Berufskollege in Wien Karl Wache war am 29.4.1934 wegen nationalsozialistischer Betätigung vom Dienst enthoben worden und flüchtete ebenfalls 1937 nach Deutschland. Er hatte in enger Zusammenarbeit mit dem deutschen KdK die erste Proskriptionsliste Österreichs Wache33 erstellt und das Hitler gewidmete erste Standardwerk über die NSDAP in Österreich Deutscher Geist in Oesterreich (1933) herausgegeben. Bereits im November 1933 war der Konzert-Sänger und Mitarbeiter der RAVAG Oskar Jölli (geb. 1897 in Köflach) geflüchtet, er wurde von Goebbels 1934 zum Leiter des neu eingerichteten „Sonderrefe-rats für Österreich-Angelegenheiten“ in der Reichssendeleitung bestellt, 1941 Direktor der Wiener Volksoper, 1945 nahm er sich das Leben. (Schrader08)

Angesichts der Aufbruchsstimmung unter den Nationalsozialisten im Lande und des zunehmenden Drucks von außen griff – analog zum Nachbarn – auch die „Ständestaat“-Diktatur kulturpolitisch zu den Mitteln der Beschlagnahmung und des Verbreitungsverbots von Druckwerken, um ihre Vorstel-lungen von „Kultur“ durchzusetzen und die Verbreitung anderer nicht-systemkonformer Konzepte hintanzuhalten (auch der Rundfunk, die RAVAG, wurde sukzessive gleichgeschaltet). Mit der Ver-17 Vgl. Amann96.

18 Sonnleitner89.

ordnung vom 7.3.193319 wurde in § 3 die Beschlagnahme von massenwirksamen Tageszeitungen legitimiert, nach dem Verbot der Kommunistischen Partei am 26.5.1933 konnten ab dem 7.6.1933 Buch- und Presse-Bestände beschlagnahmt sowie Gewerbeberechtigungen wegen Förderung einer verbotenen Partei entzogen werden (19.6.1933 NSDAP und Steirischer Heimatschutz, 12.2.1934 SDAP) und ab dem 31.1.1935 wurde durch das „Bundesgesetz zur Bekämpfung staatsfeindlicher Druckwerke“20 die Herstellung und Verbreitung von Printmedien jeglicher Art unter Strafe gestellt.21 Die gesetzlichen Maßnahmen waren der Sache nach überflüssig,22 sie dokumentieren eher den po-litischen Willen, das Mittel der Zensur zu forcieren. Im Gegensatz zu den skizzierten chaotischen Verhältnissen in Deutschland bis Mitte 1935 war für ganz Österreich nur eine Stelle zuständig, näm-lich die Bundespolizeidirektion in Wien (Preßbüro) in Zusammenarbeit mit der Generaldirektion für öffentliche Sicherheit im Bundeskanzleramt. Das Bundesministerium für Unterricht (BMfU) und die Bundesstaatlichen Volksbildungsreferenten spielten bei der Durchsetzung eine wichtige Rolle, we-gen geringer Effektivität und fehlenden personellen Ressourcen stießen sie aber auf erhebliche Pro-bleme. Die getroffenen Maßnahmen wurden in der Wiener Zeitung (Amtlicher Teil, nur Periodika) und im Anzeiger für den Buch-, Kunst- und Musikalienhandel (nur für Mitglieder) veröffentlicht. In Österreich wurden keine General-Listen – auch wegen des nötigen personellen Aufwands – erstellt, die Aufnahme eines Werks bzw. eines Autors in die meist monatlich verteilten Verzeichnisse wurde post festum nach Beschlagnahmungen vorgenommen. Ab Anfang 1934 wurden Listen geführt,23 die ab August hektografiert als Verordnungen nur bestimmten Institutionen zugestellt wurden, um den Schein der Abwesenheit von Zensur zu wahren, analog zu Deutschland, wo die Indizierungslisten zwar in hoher Auflage gedruckt (LSUS), aber auch nur einem bestimmten Benützerkreis vorbehal-ten blieben. Dieser Schein wurde auf internationaler Ebene durchbrochen: Auf dem PEN-Kongress

ordnung vom 7.3.193319 wurde in § 3 die Beschlagnahme von massenwirksamen Tageszeitungen legitimiert, nach dem Verbot der Kommunistischen Partei am 26.5.1933 konnten ab dem 7.6.1933 Buch- und Presse-Bestände beschlagnahmt sowie Gewerbeberechtigungen wegen Förderung einer verbotenen Partei entzogen werden (19.6.1933 NSDAP und Steirischer Heimatschutz, 12.2.1934 SDAP) und ab dem 31.1.1935 wurde durch das „Bundesgesetz zur Bekämpfung staatsfeindlicher Druckwerke“20 die Herstellung und Verbreitung von Printmedien jeglicher Art unter Strafe gestellt.21 Die gesetzlichen Maßnahmen waren der Sache nach überflüssig,22 sie dokumentieren eher den po-litischen Willen, das Mittel der Zensur zu forcieren. Im Gegensatz zu den skizzierten chaotischen Verhältnissen in Deutschland bis Mitte 1935 war für ganz Österreich nur eine Stelle zuständig, näm-lich die Bundespolizeidirektion in Wien (Preßbüro) in Zusammenarbeit mit der Generaldirektion für öffentliche Sicherheit im Bundeskanzleramt. Das Bundesministerium für Unterricht (BMfU) und die Bundesstaatlichen Volksbildungsreferenten spielten bei der Durchsetzung eine wichtige Rolle, we-gen geringer Effektivität und fehlenden personellen Ressourcen stießen sie aber auf erhebliche Pro-bleme. Die getroffenen Maßnahmen wurden in der Wiener Zeitung (Amtlicher Teil, nur Periodika) und im Anzeiger für den Buch-, Kunst- und Musikalienhandel (nur für Mitglieder) veröffentlicht. In Österreich wurden keine General-Listen – auch wegen des nötigen personellen Aufwands – erstellt, die Aufnahme eines Werks bzw. eines Autors in die meist monatlich verteilten Verzeichnisse wurde post festum nach Beschlagnahmungen vorgenommen. Ab Anfang 1934 wurden Listen geführt,23 die ab August hektografiert als Verordnungen nur bestimmten Institutionen zugestellt wurden, um den Schein der Abwesenheit von Zensur zu wahren, analog zu Deutschland, wo die Indizierungslisten zwar in hoher Auflage gedruckt (LSUS), aber auch nur einem bestimmten Benützerkreis vorbehal-ten blieben. Dieser Schein wurde auf internationaler Ebene durchbrochen: Auf dem PEN-Kongress