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Vereine im literarischen Feld Österreichs 1933–1945

Einleitung

Die folgende erstmalige handbuchartige Bestandsaufnahme wäre nicht möglich ohne die geschichtlich privilegierte Besonderheit, dass unmittelbar nach der Besetzung Österreichs im Jahre 1938 eine Institution geschaffen wurde, die die Aufgabe hatte, das unterhalb der Parteien der zivilgesellschaftlichen Selbstorganisation entspringende und – trotz der Ein-schränkungen der Vereinsautonomie durch den autoritären „Ständestaat“ – noch immer vielfältige Vereinswesen zu zerschlagen bzw. politisch gleichzuschalten. Der von Hitler zum Reichskommissar für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich einge-setzte saarländische Gauleiter Josef Bürckel schuf zu diesem Zweck unmittelbar nach der Okkupation Österreichs am 18.3.1938 die Dienststelle des Stillhaltekommissars für Vereine, Organisationen und Verbände [Stiko], die binnen Monaten eine Bestandsaufnahme der in Österreich existierenden Vereine vornahm. Die Dienststelle Josef Bürckels vollzog dieses destruktive Vorhaben mit bürokratischer Präzision und Effizienz, sie hatte binnen weniger Wochen alle anderen Machtinstanzen überflügelt, war „die zentrale ‚Behörde‘ für Maßnah-men im Vereinssektor“67 und es gelang ihr damit etwas, „was im ‚Altreich‘ nicht gelungen war: die totale Erfassung und Kontrolle aller Vereine und Organisationen, der Raub großer Vermögensbestände und die ideologische Ausrichtung der übrig gebliebenen Vereine nach den Vorgaben der NSDAP.“68 Der Stiko war sowohl verwaltungsmäßig als auch politisch

„eine neuartige Institution, die nicht an Vorbilder anknüpfen konnte“, ein Modell, das danach in anderen von Deutschland besetzten Gebieten, im Sudetenland, dem Elsass, in Lothringen, Luxemburg und den Niederlanden zur Anwendung kam.69

Diese totale Bestandsaufnahme (Akten im Österreichischen Staatsarchiv, Archiv der Repu-blik 04 Stiko)70 musste für die vorliegende Untersuchung ergänzt werden, da sie jene Vereine nicht erfasst, die einerseits vor 1938 ihre Tätigkeit eingestellt hatten und andererseits jene, die nach 1938 während des Nationalsozialismus gegründet worden sind. Daher wurden neben den Stiko-Akten die Eigenangaben jener Schriftsteller, die weiterhin publizieren wollten, her-angezogen: Sie hatten in den Fragebögen zur Aufnahme in die monopolistische Reichsschrift-tumskammer (RSK) und/oder die NSDAP die Zugehörigkeit bei literarischen Vereinen

anzu-67 Pawlowsky/Leisch/Klösch04, 13.

68 Pawlowsky/Leisch/Klösch04, 14.

69 Pawlowsky/Leisch/Klösch04, 79.

70 Die Bestandsaufnahme ist nach Hauptgruppen geordnet, sie spiegelt nur den Status von Anfang 1938 wider, nur in seltenen Fällen wird Vorgeschichte eingebracht. Zentral sind für unsere Fragestellung die Gruppen 16 (Kulturelle Vereine) und 37 (Kulturkammer). Durch inhaltliche Überschneidungen finden sich auch in anderen Gruppen (z. B. katholische, jüdische, wissenschaftliche und Arbeiter-Vereine (Gruppen 26/27, 31, 36 und 7) literarische Vereinsakten.

führen. Diese Nennungen sind allerdings mit Vorsicht zu handhaben, da sie interessengeleitet waren, v. a. durch Verschweigen missliebiger Mitgliedschaften.

Ergänzt wurden diese Hinweise durch die Einsicht in eine Fülle von Druckschriften und in regionale Vereinskataster der jeweiligen Landesarchive, insbesondere Wiens, wo zwei Drittel der Vereine ansässig waren und nahezu alle überregional agierenden. Da es nur sehr sporadisch vereinsrechtliche Akten der zwischen 1938 und 1945 gegründeten „Vereine“

gibt (allesamt subsidiäre Einrichtungen), sind zeitgenössische Periodika und die im BDC aufbewahrten Akten jener Personen besonders wichtig, die als Vereinsleiter einen Antrag zur Aufnahme in die Reichsschrifttumskammer (Abt. Literarische Vereine und Vortragsver-anstalter bzw. Reichswerk „Buch und Volk“) stellen mussten.

Der nach literarischen Vereinen untersuchte Zeitraum greift über die Phase des Natio-nalsozialismus, über den Zeitfokus des Handbuchs hinaus. Er umfasst zum einen so wie bei den Objektbereichen Anthologien und Förderung/Zensur auch den autoritären „Stän-destaat“ zwischen 1933 und 1938, allerdings beschränkt er sich im Gegensatz zu diesen auf österreichische Gruppenbildungen, auch weil österreichische AutorInnen in der Regel selten Mitglieder deutscher Vereine waren. Zum anderen gab es in den sieben Jahren des Nationalsozialismus keine Schriftstellervereine mehr, sondern nur literarische Veranstalter und Gesellschaften subsidiärer Art, die keine selbstbestimmten zivilgesellschaftlichen Ge-staltungsräume hatten. Es hätte wenig Sinn, nur über diese zu schreiben, weil die zentrale Bedeutung organisierter Privatinteressen für das literarische Leben nicht sichtbar würde.

Die Aufschlüsselung der vielfältigen Vereinslandschaft vor 1938 ist zudem signifikant, – weil der totale Kahlschnitt des Nationalsozialismus in den Einschränkungen der

Vereins-freiheit durch den totalitären „Ständestaat“ seine Vorgeschichte hat.

– weil sie wichtig ist für das Wissen um die institutionelle Vernetzung von AutorInnen der Ersten Republik sowie um die politische und ästhetische Herkunft der AutorInnen, die in der Zweiten Republik tätig und erfolgreich waren, aber im Falle der NS-Belastung diese selten offenlegten und sich mit ihr auseinandersetzten.

– weil die Vereinsbildungen nach 1945 auf der Selbstorganisation der SchriftstellerInnen vor 1938 und auf der Erfahrung ihrer diktatorischen Vernichtung aufbauten.

Literarische Gruppenbildungen nach dem liberalen Vereinsgesetz bis 1938

Trotz der Zugriffe des autoritären Ständestaats blieb das liberale Vereinsrecht von 1867 bis 1938 die Basis für organisierte Vereinigungen. Speziell im literarischen Feld erfüllten daneben die informellen losen Zusammenschlüsse eine spezifische Funktion der Identitätsbildung.71 Die vorliegende Bestandsaufnahme versucht daher, die wichtigsten von diesen mit einzuschließen und möglichst alle Gruppenbildungen zu eruieren, die zwischen

71 Baur00.

1933 und 1938 in Österreich existierten. Damit soll ein Aspekt des zivilgesellschaftlichen Spielraums für literarisches Handeln beschrieben werden, auf den die AutorInnen zugreifen konnten. Es entsteht ein Bild äußerster Vielfalt, sie reicht von privaten Freundeskreisen mit bestimmten Ambitionen bis hin zu Dachverbänden, die nur Vereine als Mitglieder aufnahmen:

a. Die Vielfalt wird besonders bei den Autorengruppen sichtbar.72 Es gab

– literarische und musikalische Freundeskreise informeller Art ohne Vereinsstatut (z. B.

Stelzhamer-Bund „Aus dá Hoamát“ – Gral-Bund – Morold- und Südmark-Runde – Leo-Stube – Die Gruppe – Henndorfer Kreis) und mit Vereinsstatut (Der Kreis).

– Vereine, die eine literarische Gattung zu fördern trachteten – neben den vielen nur partiell aufgenommenen Theatervereinen – v. a. Drama und Lyrik (Das Sprungbrett – Deutsches Theater – Gesellschaft zur Förderung österreichischer Lyrik), Vereine, die der Mundartliteratur zugetan waren (Stelzhamer-Bund „Aus dá Hoamát“ – Reichsbund deutscher Mundartdichter Österreichs – Bund oberösterreichischer Mundartdichter).

– Vereine, die die Avantgarde versammelten (Junge Kunst – Akademischer Verband für Literatur und Musik in Wien – der Kabarett-Verein Bund junger Autoren Österreichs).

– Vereinigungen, die eine physische Befindlichkeit als Voraussetzung für die Mit-gliedschaft nennen, wie z. B. das Geschlecht (der bereits 1885 gegründete Verein der Schriftstellerinnen und Künstlerinnen in Wien).

– Vereine, die auf die regionale Herkunft der AutorInnen konzentriert waren, beson-ders häufig und wichtig sind jene, die das literarische Schaffen eines Bundeslands/

einer Stadt fördern wollten (fallweise traten sie auch als allgemeine Kulturvereine der Region hervor) und Gruppenbildungen von aus dem Ausland stammenden Kunst-schaffenden (Bund sudetendeutscher Künstler – Schutzgemeinschaft emigrierter deutscher Schriftsteller in Wien).

– Gruppenbildungen, die konfessionell ausgerichtet waren (Verband katholischer Schrift-steller Österreichs – Litteratur-Verein „Maimonides“ – Verein für jüdische Geschichte und Literatur – Leo-Stube – Junge Kunst – Histadruth iwrith – Winfried – Katholisch-deut-scher Germanistenverein – Wiener literariKatholisch-deut-scher Kreis).

– Vereine, die im Rahmen der politischen „Versäulung“73 des österreichischen Vereins-wesens pointiert als Vorfeld-Organisationen der Parteien-fungierten74 – falls sie nach den Parteiverboten 1933/34 aufgelöst wurden, agierten sie oftmals bis 1938 getarnt oder im Untergrund (z. B. Arbeiterbühne Graz – Deutscher Klub – Bund der proleta-risch revolutionären Schriftsteller Österreichs – Kampfbund für deutsche Kultur – Reichs-verband Deutscher Schriftsteller – Ring nationaler Schriftsteller Österreichs – Vereinigung

72 Die Grenzen zwischen Autorengruppen und literarischen Gesellschaften sind speziell in den Regionen Österreichs außerhalb Wiens fließend, da diese kein so ausdifferenziertes literarisches System entwickelt hatten (siehe die Termini in Reallexikon der dt. Literaturwissenschaft. Berlin 1997 ff. und Baur00).

73 Fischer89.

74 Siehe die Beiträge in Brix/Richter00.

sozialistischer Schriftsteller – Deutsches Theater – Kulturgemeinschaft – Bund der deut-schen Schriftsteller Österreichs – Gesellschaft der Salzburger Kunstfreunde – Österreichi-scher Arbeiter-Schriftsteller-Verband – Klub alpenländiÖsterreichi-scher Künstler und Kunstfreunde

„Brücke“ – Deutsche Bühne).

– Vereine, die sich auf die ökonomische und rechtliche Vertretung ihrer Standesgruppe konzentrierten, gewerkschaftliche Anliegen verfolgten, ev. auch überregional konzi-piert waren (Association littéraire et artistique internationale, Landesgruppe Österreich – Journalisten- und Schriftsteller Verein „Concordia“ – Wiener Zweigverein der Deutschen Schillerstiftung – Schutzverband deutscher Schriftsteller Österreichs – Österreichischer P.E.N.-Club – Gesamtverband schaffender Künstler Österreichs – Alpenländischer

Schrift-stellerbund – Zentralrat der geistigen Arbeiter Österreichs).

– und Vereine, die die Urheberrechte der Künstler wahrnahmen und die Einhebung der Tantiemen betrieben (Verwertungsgesellschaften: Gesellschaft der Autoren, Komponis-ten und Musikverleger A.K.M. – Genossenschaft dramatischer Schriftsteller und Kompo-nisten – Staatlich genehmigte literarische Verwertungsgesellschaft – Austro-Mechana).

b. Unter den literarischen Gesellschaften gab es ebenfalls mehrere Ausformungen:

– Es gab Gruppenbildungen, die einen lebenden Autor und dessen Wirkung fördern wollten (Schaukal-Gesellschaft – Theater der Dichtung. Karl Kraus – Robert Musil-Fonds – Theodor Kramer-Gesellschaft – Ernst Kratzmann-Bund),

– jene, die sich schwerpunktmäßig auf einen verstorbenen Autor konzentrierten und/

oder als Vortragsveranstalter tätig waren (Wiener Goethe-Verein – Stelzhamer-Bund

„Aus dá Hoamát“ – Grillparzer-Gesellschaft – Rosegger-Gesellschaft – Rosegger-Gemeinde – Roseggerbund „Waldheimat“ – Adalbert Stifter-Gesellschaft – Eichendorff-Bund – Franz Keim-Gesellschaft – Hamerling-Bund – Josef Reichl-Bund – Adolf Pichler Gemeinde – Bund der Nestroyfreunde – Josef Gangl-Gemeinde – Anton Wildgans-Gesellschaft –

Kra-lik-Gesellschaft – Kernstock- Gesellschaft – Kernstock-Gemeinde – Raimundgesellschaft – Karl Kraus-Gesellschaft),

– Germanisten- und Bibliophilenvereine (Akademischer Verein der Germanisten in Wien – Wiener Bibliophilen-Gesellschaft – Deutsch-akademischer Verein der Germanisten

in Graz – Katholisch-deutscher Germanistenverein)

– und mit der Julius-Reich-Dichter-Stiftung einen Verein, der einen bedeutenden Lyrik-Preis vergab.

c. Veranstaltungs- und Dachverbände

– Intellektuelle und künstlerische Dachverbände (Zentralrat der geistigen Arbeiter Öster-reichs – Gesamtverband schaffender Künstler ÖsterÖster-reichs – Alpenländischer Schriftsteller-bund)

– Veranstaltungsvereine (Wiener Kulturklub – Arbeiterbühne Graz – Deutscher Klub – Österreichischer Kulturbund – Deutsche Kunstgemeinschaft – Wiener Kulturvereinigung – Gesellschaft der Salzburger Kunstfreunde – Literarische Gesellschaft in Mödling)

Literarische Vereine im totalitären „Ständestaat“

Die österreichische Bundesregierung75 verbot

– am 26. Mai 1933 die Kommunistische Partei und ihre Vereine (Bund der proletarisch revolutionären Schriftsteller Österreichs),

– am 19. Juni 1933 jene der NSDAP (Kampfbund für deutsche Kultur – Ring

nationaler Schriftsteller Österreichs – Kulturgemeinschaft bzw. NS-Kulturgemeinde – der in Salzburg illegal und informell existierende Reichsverband Deutscher Schriftsteller Ös-terreichs wurde nach dem Juliputsch von Deutschland aus aufgelöst und der Allgemeine Schriftstellerverein Berlin, Landesgruppe Wien stellte – veranlasst durch die Machtergrei-fung in Deutschland und polizeiliche Überwachung in Österreich – seine Tätigkeit ein).

– und am 12. Februar 1934 jene der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (Arbeiterbühne Graz – Vereinigung sozialistischer Schriftsteller).

Zusätzlich wurde im Sinne der berufsständischen Vereinheitlichung der Studentenschaft der Katholisch-deutsche Germanistenverein aufgelöst und in die philosophische Fachschaft der Ger-manisten übergeführt, der Deutsch-Akademische Verein der GerGer-manisten in Graz wurde zwar verboten und sein Eigentum eingezogen, existierte aber nach 1938 weiter. Der mit dem Mo-nopolanspruch des „autoritären Ständestaats“ konkurrierende, als Dachorganisation tätige Gesamtverband schaffender Künstler Österreichs wurde zur Auflösung gezwungen.

Insgesamt waren elf literarische Vereine von politisch motivierten Auflösungen betroffen. Ein anderer Teil wurde wirtschaftlich und politisch unter Druck gesetzt, eventuell gezwungen, einen Vertreter der Einheitspartei Vaterländische Front oder des privilegierten Verbands katholischer deut-scher Schriftsteller (siehe dort ausführlicher) in den Vorstand aufzunehmen (z. B. Wiener Zweig-verein der Deutschen Schillerstiftung – Österreichischer Kulturbund – Österreichischer P.E.N.-Club – Steirischer Schriftstellerbund – siehe auch Österreichischer Arbeiter-Schriftsteller-Verband).

Eine Reihe von Vereinen unterlag polizeilicher Überwachung (Wiener Kulturklub – Karl-Kraus-Gesellschaft – Bund der proletarisch revolutionären Schriftsteller Österreichs – Kampfbund für deutsche Kultur – Deutsche Bühne – Kulturgemeinschaft – Vereinigung der bodenständigen Künstler Österreichs – Allgemeiner Schriftsteller-Verein Berlin, Landesgruppe Wien).

Fallweise gingen verbotene Vereine in den Untergrund (wie z. B. die Kulturgemeinschaft oder die Vereinigung sozialistischer Schriftsteller).

Aus strategischen Gründen lud man Kulturfunktionäre der Vaterländischen Front, wie Guido Zernatto, Rudolf Henz oder Viktor Winkler-Hermaden, zu Lesungen ein. Häufig verfolgte man eine Anpassungspolitik einerseits gegenüber dem Ständestaat wie die berühmte liberale Concordia, anderseits gegenüber dem nationalsozialistischen Deutschland, weil Mit-glieder Absatzprobleme auf dem dominanten Markt fürchteten (siehe Schutzverband deut-scher Schriftsteller Österreichs und Reichsverband Deutdeut-scher Schriftsteller).

75 Siehe dazu Drobesch91, 219–301.

Neugründungen aus den verbotenen Lagern

– tarnten sich mit affirmativen Namen, wie „Verein zur Förderung christlich-deutscher Bühnenkunst“ Deutsches Theater, Kulturgemeinschaft oder Die Dichter am Hochhaus, – sie wurden hinsichtlich ihrer Proponenten politisch genau überprüft, z. B. der Bund der

deutschen Schriftsteller Österreichs, die Karl-Kraus-Gesellschaft, die Deutsche Bühne b. sowie die Vereinigung der bodenständigen Künstler Österreichs,

– oder suchten prophylaktisch das Einvernehmen mit prominenten Vertretern des Stände-staats (z. B. der Verein akademisch gebildeter Schriftsteller und Dichter in Wien).

– Die entschiedenste Lösung war es, sich vereinsrechtlich gar nicht zu konstituieren, ein Weg, den die mäzenatischen Gruppen zur Förderung verfolgter Schriftsteller gingen, wie

der Robert-Musil-Fonds und die Theodor-Kramer-Gesellschaft.

Diese „Aushöhlung der Vereinsautonomie“76 wurde jedoch nicht bis zur „Liquidierung der Vereinskultur“, der Auslöschung zivilgesellschaftlicher Selbstbestimmung und ihrer Freiräume vorangetrieben, dies blieb ein paar Jahre später den Nationalsozialisten vorbe-halten.

Nach dem Juliabkommen 1936 wurde der politische Druck nicht nur für die NSDAP geringer,77 auch linke Vereine erhielten etwas mehr Spielraum (Die Dichter am Hochhaus – Österreichischer Arbeiter-Schriftsteller-Verband – Karl-Kraus-Gesellschaft).

Die zentrale Organisation für die Vorbereitung der Machtübernahme durch die Nationalso-zialisten im Jahre 1938 war nach dem Verbot der NSDAP und des Kampfbunds für deutsche Kultur im Juni 1933 das Landeskulturamt der NSDAP-Landesleitung Österreich.

Landeskulturamt der NSDAP-Landesleitung Österreich (1933–11.7.1938) Es durchlief drei Phasen:

1. Unter dem Landesgeschäftsführer der NSDAP-Hitlerbewegung Theodor Habicht (ab 6.7.193178) wurde in Österreich ein Landeskulturamt eingerichtet, das vom Leiter (ab Feb. 1933) des dem Rosenberg-Lager zugehörigen Kampfbunds für deutsche Kultur (KdK,

76 Drobesch91, 228.

77 Auffallend ist das Vermeiden des Arierparagrafen in den Statuten des 1936 gegründeten Bunds der deutschen Schriftsteller Österreichs (sich bereits an die deutsche RSK anlehnend, deren Vertretung er 1938 in Österreich antrat) und die Revision der Statuten der Deutschen Kunstgemeinschaft, die 1937 den einschlägigen Passus aus den Statuten strich. Demonstrativ den Gegensatz forcierend hingegen die 1936 geschaffene Gesellschaft der Salzburger Kunstfreunde, Sektion Literatur und der Verband Vorarlberger Schriftsteller.

78 Geb. 4.4.1898 Wiesbaden; am 17.8.1932 von Hitler zum „Landesinspekteur Österreich“ eingesetzt, ab Jan. 1933 bis 24.7.1934 „Sonderbeauftragter des Führers“ für Österreich, formal gesehen dem Landesleiter Alfred Proksch untergeordnet.

gegr. 1929), Anton Haasbauer, über das Verbot der NSDAP vom 19.6. hinaus bis zum Juliputsch 1934 geführt wurde (wichtige Mitarbeiter in dieser Phase stammten aus dem Kreis des KdK (u. a. Hermann Leber, Karl Wache).79

2. Phase der Illegalität (1.5.1935–11.3.1938)

Im Zusammenhang mit den Rekonstruktionsbemühungen der NSDAP nach dem Juli-putsch 1934 wurde vom Landesleiter der NSDAP-Österreich (Hitlerbewegung), Haupt-mann Josef Leopold, etwa ein Jahr nach der Umwandlung des KdK in die National-sozialistische Kulturgemeinde (in Österreich Kulturgemeinschaft, NSKG) am 1.5.1935 eine Neugründung des Landeskulturamtes80 vorgenommen, die an die Stelle des dem Rosen-berg-Lager zugehörenden KdK treten sollte.

Anton Haasbauer bewarb sich schon aufgrund seiner Vorreiterfunktion um die Füh-rung des Kulturamtes, Leopold entschied sich jedoch für den Vertrauensmann des früheren Wiener Gauleiters Alfred Eduard Frauenfeld (der am 1.6.1935 Geschäftsf. der RTK-Berlin wurde), den wesentlich jüngeren und der Staatspolizei weniger bekannten Redakteur Her-mann Stuppäck, was „auf eine stärkere Integration der kulturellen Aktivitäten in den Par-teiapparat“ hinweist.81 Etwa gleichzeitig mit der Reorganisation des Landeskulturamtes löste Leopold formal die NSKG auf,82 der abgeblitzte Haasbauer führte sie jedoch unter dem Tarnnamen Kulturgemeinschaft weiter. Das Landeskulturamt erhob für sich – bei gleich-zeitigen personellen Überschneidungen – einen Alleinvertretungsanspruch im Bereich nationalsozialistischer Kulturpolitik in Österreich, seine Aktivitäten bei der Gründung und Förderung illegaler Vereine und legaler Tarnorganisationen sowie während der Machtüber-nahme in der ersten Phase nach dem Einmarsch belegen für diese Zeit seine machtpolitisch führende Rolle, während die NSKG die kulturelle Basisarbeit leistete.83

Das Landeskulturamt

a. koordinierte und kontrollierte die kulturellen Aktivitäten im Umfeld der Partei, b. intensivierte Kontakte zu Deutschland und schuf neue,84

c. verhinderte als Filter Kontakte Verfemter zu Deutschland

d. und bereitete systematisch den kulturpolitischen „Anschluss“ vor.85

79 Hall85, II, 495 – Hall94, 419.

80 Renner86, 229f. – Amann96, 56–62; in Korrespondenzen wird es oftmals K.O. (Kulturorganisation) genannt.

81 Amann96, 58.

82 BAB/BDC PA Stuppäck, Brief v. 20.11.1936 an Hans Hinkel.

83 Rebhann78, 36 f.

84 Renner81, 229.

85 Amann96, 61.

Diese Ziele verfolgte man in engster Zusammenarbeit mit den Kulturattachés der Deut-schen Gesandtschaft (ab 1936 Botschaft) in Wien, Hans Bernd von Haeften (16.10.1935–

18.11.1937)86 und Manfred Freiherr von Richthofen,87 sowie mit Dr. Karl Megerle vom RMVP. 88

Initiativen: Gründung der illegalen bzw. legalen Berufsorganisationen bzw. Vereine Bund der deutschen Schriftsteller Österreichs (gegr. 1936), Bund der deutschen Maler Öster-reichs (gegr. 1937),89 Wiener Tonkünstler-Orchester (unter Leopold Reichwein nationalso-zialistisch), Deutsche Bühne (gegr. 1936), Gesellschaft der Salzburger Kunstfreunde, Sektion Literatur (Ende 1936), Klub alpenländischer Künstler und Kunstfreunde „Brücke“ (Graz, gegr.

1937). – Der Deutsche Klub (gegr. 1908), der die Sanktionen des Ständestaats nach dem NSDAP-Juliputsch dank seiner Netzwerke blendend überlebt hatte, diente in Wien als

„getarnte Sammelstelle der nationalen Opposition“90 und als oberstes Forum für Vorträge hervorragender Persönlichkeiten aus Deutschland.

Hauptamt IX, Landeskulturamt: Leiter Hermann Stuppäck 91

Stellv.: Dr. Albert Jantsch-Streerbach (Okt. 1935–Juni 1938)92; Robert Ernst (ab Herbst 1937)93

Propaganda- u. Organisationsleiter: Hannes Dietl94 Referent für Schrifttum: [vermutlich] Josef Weinheber

Referent für Theater: Otto Emmerich Groh95; Mirko Jelusich96

86 Geb. 18.12.1905 Berlin-Charlottenburg  – hingerichtet als Widerstandskämpfer am 15.8.1944;

Geschäftsführer der Stresemann-Stiftung, 25.4.1933 Legationssekretär im Auswärtigen Amt in Berlin; sein Ansuchen um Aufnahme in die NSDAP wurde trotz Befürwortung durch Gl. Jury aufgrund der Einsprüche der Auslandsorganisation der NSDAP am 16.8.1941 abgelehnt (BAB/BDC NSDAP-PK B.v.Haeften); zur Tätigkeit in Wien siehe Amann96.

87 Amann96, 199.

88 Siehe dazu Amann96, 120 ff.

89 Tabor94, 288–293.

90 Rosar71, 38.

91 (28.9.1903–15.12.1988) war Mitglied der Wiener Gauleitung, wurde am 5.5.1936 für drei Monate in Untersuchungshaft genommen und nach dem Juliabkommen amnestiert.

92 3.2.1891 Neu-Titschein/Mähren – 16.10.1973 Wien; kurzzeitig Pro-forma-Eigentümer des scheinarisierten Zsolnay-Verlages, weshalb sein Ansuchen um Aufnahme in die NSDAP am 27.10.1939 wegen parteischädigenden Verhaltens abgelehnt wurde (ÖStA/AdR Gauakt 56.934; Lit.: Hall85, I, 394 ff. – Hall94).

93 ÖStA/AdR Gauakt 330308, Robert Ernst (ohne Zeitangabe) – Rathkolb91, 49.

94 Hall85, I, 393 f. – Hall94, 645.

95 Hall94, 417 (BAB/BDC RKK Zsolnay-Verlag, Schreiben v. E.H. Rainalter und O.E. Groh v. 26.6.1935).

96 In seinem Erinnerungsbuch „Vom Abend zum Morgen. Aus dem alten Österreich ins neue Deutschland“

(Leipzig 1940, 305) spricht Max von Millenkovich davon, ihm seien „die Angelegenheiten der Kunst und der Bühne“ von der illegalen Parteileitung zugewiesen worden, zugleich sei er Vertrauensmann Franz von Papens gewesen, für Musik sei Heinrich Damisch als „Sachverständiger“ eingesetzt worden.

Generalbeauftragter für bildende Kunst: Leopold Blauensteiner97 Presse: Rudolf Kremser

Musik: Robert Ernst Weitere: Hermann R. Leber Gaukulturämter:

Salzburg: Sepp Piffrader

Steiermark: Josef Papesch, Ernst von Dombrowski (1937–38)98 3. Phase der Legalität (12.3.–11.7.1938)

Am 13. März 1938 war das Landeskulturamt jene „grundsätzliche Organisation“, welche fähig war, „zur sofortigen Verwirklichung seiner Pläne zu schreiten“.99 Stuppäck hatte sowohl im Rahmen der Partei als auch auf staatlicher Ebene im kulturellen Bereich die stärkste Position inne: Er verfügte einerseits durch das Landeskulturamt und die von ihm nach dem Juliabkommen gegründeten Vereine über Organisationen, die sich auf die Machtübernahme vorbereitet hatten, andererseits war er im Rahmen der neuen österreichi-schen Landesregierung unter Arthur Seyß-Inquart im Ministerium für Unterricht als kom-missarischer Staatssekretär für Kunst und Kultur zuständig (März–30.5.1938). Zugleich stand er schon seit der Phase der „Illegalität“ in enger Beziehung zum RMVP und wurde von diesem als kommissarischer Landeskulturwalter für ganz Österreich eingesetzt.100 Binnen kurzer Zeit ergriff das Landeskulturamt nach dem Einmarsch die Macht im kultu-rellen Bereich – noch bevor das RMVP und der Stillhaltekommissar für Vereine, Organisatio-nen und Verbände in Aktion treten und wichtige PositioOrganisatio-nen mit PersoOrganisatio-nen aus dem „Altreich“

besetzen konnten – durch

a. Beschlagnahmung von Akten und Barvermögen von Vereinen bzw. Institutionen:

auf literarischem Gebiet veranlasste Stuppäck blitzartig Razzien bei folgenden Verei-nen: Deutscher Schriftsteller- und Journalistenverband Österreichs – Deutschösterreichische Schriftstellergenossenschaft – Genossenschaft dramatischer Schriftsteller und Komponisten – Journalisten- und Schriftsteller-Verein „Concordia“ – Österreichischer

Fachschriftsteller-Ver-band – Österreichischer Kulturbund – Reichsbund deutscher Mundartdichter Österreichs – Schutzverband deutscher Schriftsteller Österreichs (?) – Staatlich genehmigte Gesellschaft der Autoren Komponisten und Musikverleger – Staatlich genehmigte literarische

Verwertungs-gesellschaft – Wiener Kulturklub (?).

97 Später Ll. der RKbK Wien.

98 12.9.1896 Emmersdorf – 14.6.1985 Siegsdorf/ObBayern; NSDAP 1932, Referent für bildende Kunst im Kampfbund für deutsche Kultur, Landesleiter des Bundes der deutschen Maler Österreichs, 1938 kommiss. Ll.

Der RKbK Steiermark, ab Sept. 1939 Akademie der bildenden Künste (München, ab 1942 Prof.).

99 Völk. Beob., Wiener Ausg. 18.3.1938 (zitiert nach Renner86, 266).

100 Er schrieb auch den Leitartikel zu der repräsentativen Kniefall-Anthologie Die Ostmark, die Goebbels 1938

100 Er schrieb auch den Leitartikel zu der repräsentativen Kniefall-Anthologie Die Ostmark, die Goebbels 1938