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Klassifizierung der Einzelzeichen nach formalen Kriterien

Zu den Grundlagen jeder Untersuchung von Schrift gehört die Unterscheidung zwischen

− Realisationen, also konkreten Elementen auf der materiellen Ebene der Zeichensequenzen eines geschriebenen Textes und

− Abstraktionen, also Elementen des Zeicheninventars auf der funktionalen Ebene des Schriftsystems, die sich aus der Ableitung wesentlicher Merkmale der Realisationen ergeben.

Der Strukturalismus hat hierfür in Analogie zu Phon und Phonem die Bezeichnungen Graph und Graphem geprägt.1 Die Unterscheidung als solche ist trivial und völlig theorieunabhängig.

Die Grapheme tragen die Verbindung zu den linguistischen Größen, zu denen sie, um es möglichst allgemein zu formulieren, in Beziehung stehen. Handelt es sich dabei um lexikalisch nicht festgelegte Bedeutungseinheiten wie im Fall von Verkehrszeichen, so spricht man von Ideographie;2 handelt es sich um lexikalische Einheiten, so spricht man von Logographie;3 handelt es sich um phonologische Elemente (nur im Idealfall Phoneme) so spricht man von Alphabet- oder Buchstabenschrift. In jedem Fall haben die einzelnen Graphe nicht aus sich heraus einen Laut- oder semantischen Wert, sondern nur als Repräsentanten von Graphemen.

Diese Feststellung läßt sich leicht anschaulich machen: Ein Zeichen, das aus drei Segmenten besteht, von denen das obere und das untere senkrecht angeordnet sind und das mittlere in Schriftrichtung abwärts geneigt ist, ß, könnte als s-Rune, á, mit »rückwärts«

geneigtem Zickzack oder als j-Rune, ¬, mit vereinfachten Haken gewertet werden. Beim Lesen wird das konkrete Zeichen als ein Element der Realisationsebene dem einen oder dem anderen Element der Systemebene zugeordnet4 und so mit einem Lautwert s oder j verbunden.

Ausgangspunkt der Untersuchung ist die Annahme, daß es sich prinzipiell bei jedem im jeweiligen Korpus vorkommenden Einzelzeichen um einen Exponenten eines bestimmten Graphems handeln kann. Das ist insofern nicht selbstverständlich, als im Prinzip auch mit anderen Symbolen oder bedeutungslosen Chiffren gerechnet werden muß. Das ideale Ergebnis wäre, daß jedes einzelne Element der untersuchten Zeichensequenzen genau einem Element der vorausgesetzten Zeicheninventare zugeordnet werden kann. Im Brakteatenkorpus sind das das ältere fuþark mit 24 Zeichen und in geringem Umfang die lateinische Kapitalis.

1 BUSSMANN (LexSprw „Graph“ und „Graphem“); ALTHAUS (LGL „Graphemik“ und „Graphetik“).

2 Begriffsrunen werden am einfachsten als Abkürzungen definiert, bei denen eine einzelne Rune für ein Wort steht, das zugleich der Name der Rune ist (siehe unten S. 293). Wenn dagegen gelegentlich Begriffsrunen als ideographische Runen bezeichnet werden, liegt dem eine Auffassung der Begriffsrune als Verschriftung einer Information zugrunde, die nicht sprachgebunden ist; so soll die l-Rune für das K o n z e p t ‘Gedeihen &c.’

stehen, das sprachlich in unterschiedlichster Weise realisiert sein könnte.

3 Logographische Runen könnten zum Beispiel d-, m- und œ-Runen in altenglischen Manuskripten genannt werden, die für die W ö r ter dæg, man und eþel stehen (3Rk:189; DEROLEZ 1954:390-402; DEROLEZ 1991:88f.;

PAGE 1999:77f.).

4 Dieser Vorgang würde im gegebenen Fall beim Runologen seinen Ausdruck in der Transliteration "s oder 2j finden.

Für das fuþark liegen Modelle vor, die als Grundlage der Zeichenbestimmung geeignet erscheinen. Die größte Wirkung ist von ANTONSENs (1975:8) Versuch ausgegangen:

no branch 1 branch 2 branches pocket 1 crook 2 crooks

Diese tabellarische Darstellung, in der ANTONSEN seine Analyse der runischen Grapheme präsentiert, ließe sich folgendermaßen in Text auflösen:

Die hier präsentierte Graphemik des älteren fuþarks, die anstrebt, zugleich den Forderungen sowohl nach Ökonomie als auch nach Vollständigkeit der Beschreibung zu genügen, geht davon aus, daß die Runen aus bestimmten graphischen Elementen konstruiert sind, die sich in vier Typen unterscheiden lassen: Stab, Zweig, Tasche und Ecke. In jeder Rune können mehrere dieser Elemente kombiniert sein. Dabei lassen sich Zweige, Taschen und Ecken nicht untereinander sondern nur mit Stäben kombinieren (zur Ausnahme O siehe unten).

Daraus ergeben sich zwei Grundkategorien, die für jede Rune notwendig sind. Die erste – Anzahl der Stäbe – enthält die Merkmale [1 staff ], [2 staffs], [no staff ]. Die zweite – Anzahl und Typ der kombinierten Elemente – enthält die Merkmale [no branch], [1 branch], [2 branches], [pocket], [1 crook], [2 crooks]. Je ein Merkmal aus jeder dieser beiden Kategorien sind für die Beschreibung einer jeden Rune notwendig. I, G, Á und K sind mit diesen beiden Kategorien auch schon hinreichend erfaßt.

Zusätzlich wirkt das Merkmal [2 crooks] grundsätzlich als trigger (Auslöser) für eine Subkategorie mit den Merkmalen [continuous] und [interrupted]; den Runen r, á und J kommen mithin drei Merkmale zu.

Die Merkmalskombinationen

− [1 staff ] mit [1 branch], [2 branches] oder [pocket] sowie

− [2 staffs] mit [1 branch] oder [2 branches]

verlangen eine Subkategorie der relativen Position mit den Merkmalen [top], [center] und [bottom]; das betrifft zehn Grapheme: l, n, u, W, ê, b, E, H, M, D.

Darüber hinaus verlangt die Merkmalskombination

− [1 staff ] mit [2 branches]

eine Subkategorie mit den Merkmalen [unilateral] und [bilateral]. Sechs Grapheme, È, F, P, t,

·, § sind folglich mit vier notwendigen Merkmalen hinreichend erfaßt.

Anlaß zur Kritik gibt die strukturalistischer Sitte nicht gehorchende Kombination zweier Merkmale aus einer Kategorie für 〈O〉 ([2 branches], [pocket]); dieser Mangel könnte leicht durch Einführung eines einfachen Merkmals [2 branches + pocket] behoben werden. Dafür sollte das Merkmal [2 crooks] gestrichen und die Kombinationen [2 crooks], [continuous] und [2 crooks], [interrupted] ebenfalls zu einfachen Merkmalen, beispielsweise [zigzag] und [2 seperate crooks], vereinfacht werden; denn in Kombination mit [continuous] oder [interrupted] ist das Merkmal [2 crooks] immer redundant. Durch diese Änderungen würde die Zahl von 19 Merkmalen, mit denen die Analyse arbeitet, nicht berührt werden; acht statt vier Merkmalskombinationen würden jedoch nur zwei anstatt drei Merkmale enthalten.5 Etwas gesucht wirkende Merkmalsanalysen, etwa 〈Á〉 [no staff ], [pocket] versus 〈O〉 [no staff ], [two branches + pocket], werden sich wohl angesichts der strukturalistischen Anforderungen nicht vermeiden lassen.6

Trotz möglicher Kritik an konkreten graphematischen Modellen besticht der strukturalistische Ansatz durch die in Aussicht gestellte einfache Überprüfbarkeit der Graphe auf das Vorhandensein oder Fehlen einer bestimmten möglichst geringen Zahl von im Hinblick auf die gewählten Kategorien theoretisch bestimmten Merkmalen. Die Zuordnung der realisierten Einheiten zu den Systemeinheiten ist dann nicht auf die Ermittlung der jeweils größten Übereinstimmung mit den Idealtypen beschränkt, sondern jedes fragliche Zeichen wird

5 Die modifizierte Tabelle läßt sich mit den in dieser Arbeit verwendeten Transliterationen und etwas systematischer aufgeteilt folgendermaßen darstellen:

no branch 1 branch 2 branches 2 branches pocket 1 crook zigzag 2 separate

unilateral bilateral + pocket crooks

Für jedes Elementarzeichen ist die Zahl der angesetzten Merkmale angegeben.

6 Auch die Bestrebung jedes Graphem mit möglichst wenigen Merkmalen zu definieren, erweist sich bei der Anwendung auf die Materie als problematisch. Die Anzahl der Taschen bleibt bei den Merkmalen unberücksichtigt, weil sie als redundant gelten soll. Im Fall der Runen mit dem Merkmal [pocket] würde aus dem Merkmal [bottom] hervorgehen, daß zwei Taschen vorhanden sind. (ANTONSEN 1975:7): „[bottom]

includes a redundant [top] in all runes with this feature.“ Nur so ist die Einordnung der b-Rune zu erklären.

Was hier elegant erscheint, läßt sich leicht an seine Grenzen führen: Der Graph ë etwa müßte nach derselben Definition als Allograph nicht von ê, sondern vielmehr von b gewertet werden.

Ähnlich unpraktisch ist es, wenn im Fall der n-Rune anscheinend aus der Merkmalskombination von [1 branch] mit [center] hervorgehen soll, daß sich die Elemente kreuzen, während Zweige sonst vom Stab abgehen. Damit wird es unmöglich, die Form ¯ zu berücksichtigen, es sei denn, sie wird als Variante von n behandelt. Analog müßte zu F eine Variante o angesetzt werden.

indirekt mit einer Klasse von mehr oder weniger einheitlichen Realisierungen verglichen, die damit für diejenigen Fälle als Folie fungieren, die untersucht werden sollen. Dabei wird vorausgesetzt, daß in das zugrundegelegte Modell die Information einer ausreichenden Zahl von Mustern eingeflossen ist. Daß auf diese Weise eindrucksvoll argumentiert werden kann, will ANTONSEN anhand der d-Rune demonstrieren: Das Zeichen Î soll aufgrund der Merkmalskombination [2 staffs], [bottom], [2 branches] als dem Graph D äquivalent gelten.7

Es ist leicht zu ersehen, daß der Erfolg dieser Methode, davon abhängt, welche Parameter zur Beschreibung der Systemelemente gewählt wurden. Nebenbei stellt sich die Frage, wo diese Parameter hergenommen werden. In der Praxis sieht es so aus, daß die Parameter sich auf die Idealtypen stützen, die von einem Teil der Überlieferung in Runen des älteren Systems abgeleitet sind, der insofern als Kernüberlieferung angesehen werden kann, als die Zeichenformen weitgehende Konstanz aufweisen und in der Forschung einhellig bestimmt werden.

In der Arbeit mit den Brakteateninschriften erweist sich die graphische Variation, auch wenn ein breiter angelegtes Modell gefunden würde als das anscheinend auf den Idealtypen basierende Modell ANTONSENs, als zu weitreichend und vielfältig, um die Methode der Merkmalsanalyse anzuwenden. Wenn etwa Realisierungen von l-, l, u-, u, und r-Rune, Ø unterschieden werden sollen, die sich vom Idealtyp so weit entfernen, daß es zu Angleichungen kommt, fehlen die Kriterien, um festzustellen, ob Merkmale wie [top], [bottom], [1 branch]

und [2 crooks] erfüllt sind oder nicht; dasselbe gilt entsprechend im Grenzbereich von g-, G, und n-Rune, n, in Bezug auf die Merkmale [no staff ], [2 branches] beziehungsweise [1 staff ], [1 branch]. Hinzu kommt, daß der Umfang der Kernüberlieferung im Verhältnis zu der hohen Zahl unklarer, weit von Idealtypen entfernten Runen im Brakteatenkorpus gering ist und die Brakteateninschriften auch Kapitalis, zum Teil vermischt mit Runen, enthalten.

Die Vorgehensweise in dieser Arbeit muß also, was die Einteilung der Zeichen betrifft, eine andere als ein Abgleich mit Idealformen oder abstrakten Merkmalen sein. Die vorkommenden Formen werden daher zunächst nicht in 24, den runischen Idealformen entsprechende und 23 den klassischen Kapitalisidealformen entsprechende Gruppen eingeteilt;

vielmehr werden sie nach Ähnlichkeit in Klassen zusammengestellt. Die Gruppen, die dabei zustande kommen, decken sich letztlich mehr oder weniger mit den vorausgesetzten Graphemen – aber nicht a priori. Bei dieser streng nach graphischer Ähnlichkeit vorgenommenen Einteilung wird keine Rücksicht darauf genommen, ob der Kontext der Inschrift eine bestimmte Lesung des Zeichens erfordert.

7 Dies wird durch die eben zitierte Definition des Merkmals [bottom] erreicht (vergleiche Fußnote 6), die durch den Kontrast M:D motiviert ist. Runen mit den Merkmalen [1 staff ], [2 branches], [bottom] haben demnach einen Zweig oben und einen unten: P, §. Die zwei Zweige der d-Rune können entsprechend überkreuz von den oberen zu den unteren Enden der zwei Stäbe gehen, oder jeweils einer verbindet die oberen und unteren Enden, wobei sie geknickt werden. Wenn aber die an einzelne Stäbe angehängten Elemente verdoppelt werden, wie es im Fall der b-Rune postuliert wird, so müßte die d-Rune eigentlich die Form iÅi haben.

Im folgenden werden die in den Brakteateninschriften vorkommenden Formen in 50 Klassen eingeteilt. Da sie sich weitgehend zu Runen- und Kapitalisgraphemen graphisch in Beziehung setzen lassen, werden die Klassen nicht durchnumeriert, sondern mit Siglen bezeichnet, die den gebräuchlichen Transliterationen für die genannten Grapheme entsprechen:8

− 30 Klassen lassen sich den 24 Graphemen des älteren Runenystems zuordnen (wobei Indizes auf Unterteilungen hinweisen):9

− 16 weitere lassen sich Graphemen der lateinischen Schrift zuordnen:

− für vier weitere Klassen werden die folgenden Siglen verwendet:

ß für Formen, die graphisch, aber nicht funktional, der k-Rune des jüngeren Systems entsprechen

9 für Binderunenformen, das heißt Zeichen, die eine graphische Einheit bilden, aber einer Folge von einfachen Zeichen entsprechen

? für Kreuzformen

x für Formen, die sich keiner der vorhergehenden Zeichenklassen zuordnen lassen; es handelt sich also um eine Restklasse.

Die Verzeichnisse der Zeichenklassen, in denen sämtliche Zeichen nachgewiesen und abgebildet werden, sind auf den Seiten i-lxxxiv zu finden, die dazugehörigen Beschreibungen und Kommentare auf den Seiten 69-173.

Um den Zugriff auf die einzelnen Klassen zu erleichtern, werden sie nicht in der fuþark-Reihenfolge, sondern in alphabetischer Reihenfolge der Siglen angeführt, wobei ß gleich nach l und die Binderunen nach w kommen:

a b d e f g h1h2h3i ï j k1k2l ß m n ñ o 1p r z s t þ1þ2u1u2u3w9 A C D E F G H I !L N O P S T V !X ? x In jedem Verzeichnis werden an erster Stelle die Formen, die die Grundlage für die Aufstellung der Klasse abgeben, aufgelistet (sofern solche Formen existieren, was in drei Fällen streng genommen nicht der Fall ist, siehe 1p, !L und !X). Auf diese Formen wird mit der bloßen Sigle ohne Zusatz verwiesen (a usw.).

Daran angeschlossen werden die Formen, die der jeweiligen Klasse nur unter Vorbehalt zugeordnet werden können; auf diese wird mit der Sigle mit daruntergesetztem Punkt verwiesen (!a usw.). Dabei werden drei Vorbehaltskategorien unterschieden.

8 Die Verwendung dieser Siglen ist jedoch ausdrücklich nicht als Zuordnung der betreffenden Zeichen zu den jeweiligen Graphemen zu verstehen.

9 Im Rahmen dieser Arbeit bezieht sich die Schreibmaschinentype (abAB usw.) immer auf diese Klassifikation.

Es werden auch Übertragungen von Zeichensequenzen und ganzen Inschriften in die Siglen der Zeichenklassen vorgenommen, so zum Beispiel in den Steckbriefen zu den Inschriften (S. 457-663).

f u1 u2 u3 þ1 þ2 a r k1 k2 g w h1 h2 h3 n i j ï 1p z s t b e m l ñ o d

A C D E F G H I !L N O P S T V !X

Erstens kommen Formen vor, die im Prinzip dem Muster der jeweiligen Klasse zu entsprechen scheinen, aber »materialbedingt« schlecht identifizierbar sind. Darunter wird hier verstanden, daß das Negativ im Model möglicherweise so graviert war, daß es dem Muster entsprach, aber das Positiv in der Pressung in ihrem heutigen Erhaltungszustand nicht eindeutig erkennbar ist – was verschiedene technische und mit der Bewahrung zusammenhängende Ursachen haben kann: Schon vor der Pressung kann der Model beschädigt gewesen sein;

die Pressung kann mangelhaft, zum Beispiel zu schwach oder verwackelt, sein (was einzelne Partien oder den ganzen Brakteaten betreffen kann), und es können die verschiedensten Einwirkungen auf den fertigen Brakteaten stattgefunden haben, davon nennt AXBOE

(1988:160)

„Abnutzung, Deponierung, Auffindung, Reinigung, Numerierung [also Anbringung von Inventarnummern], sekundäre Schäden, Reparaturen, Abformungen, kurz die ganze Geschichte der kleinen Kunstwerke.“

Diese Aufzählung zeigt, daß einige Schwierigkeiten, die bei der Lesung der Inschriften auftreten, nicht auf das Konto einer von vornherein unqualifizierten Realisierung gehen.

Zweitens können Formen vom Kern der Klasse so weit abweichen, daß sie sich anderen Klassen annnähern.

Drittens können Formen nur noch eine entfernte Nähe zum Muster der jeweiligen Klasse zeigen, ohne sich dadurch einer anderen Klasse anzunähern. Die Einsortierung stellt dann oft ein Experiment dar, um eine Zuordnung zur Restklasse der unbestimmbaren Formen zu vermeiden.

Um den Text nicht unnötig auszudehnen, ist die Entscheidung für die Einsortierung der einzelnen Formen in diese Kategorien nur dann in einem Kommentar ausgeführt, wenn sie nicht eindeutig aus der Abbildung hervorgeht.

Die Zuordnung zu einer der drei Kategorien ist natürlich letztlich subjektiv. Das ergibt sich schon daraus, daß sich Beschädigung und Ambiguität oder Unbestimmbarkeit natürlich nicht ausschließen.

Subjektiv bleibt zwangsläufig auch die Zuordnung einer Form zu der einen oder anderen Klasse. Dabei geht es in der Regel um die Beurteilung einzelner Elemente. Unter l und u2

eingeordnete Formen unterscheiden sich in der Länge der schrägen Komponente. Sofern die Zuordnung zu l- und u-Rune vorausgesetzt wird, handelt es sich dabei definitionsgemäß um einen Zweig oder eine Diagonale (siehe oben S. 49). Bei der Masse der Beispiele ist die Zugehörigkeit eindeutig; es gibt aber auch Zwischenformen. Die Entscheidung, wie lang ein Zweig, wie kurz eine Diagonale sein darf, ist nicht objektivierbar. Es muß der Eindruck eines Zweigs oder einer Diagonale entstehen, und darauf haben mehrere Faktoren Einfluß: die absolute Größe des Zeichens, die Größe des Zeichens im Verhältnis zu den Nachbarzeichen, das Verhältnis zwischen der Größe des Zeichens und der Strichstärke, der Winkel zwischen den Komponenten Stab und Zweig oder Diagonale, die Neigung dieser Komponenten im Verhältnis zu den Nachbarzeichen, das Verhältnis zwischen den jeweiligen Strichstärken der beiden

Komponenten (mit Berücksichtigung anderer Zeichen der Inschrift), die Höhe des Reliefs. Eine mathematische Formel, die alle diese Faktoren zueinander in ein festes Verhältnis setzt, dürfte kaum zu finden sein – ganz zu schweigen von der Genauigkeit der Messungen an den Formen, die nötig wäre, um die Daten, die in die Formel eingesetzt werden, verläßlich zu machen. Als Faustregel könnte wohl gelten, daß die Grenze ungefähr bei zwei Dritteln der Zeilenhöhe liegt:

was darunter liegt, ist eher ein Zweig, was darüber liegt, eher eine Diagonale. Dabei muß bemerkt werden, daß die Klassifizierung der Einzelzeichen, zwar die Bezeichnungen und Definitionen der Komponenten nicht faktisch voraussetzt, weil sie auf der Ähnlichkeit der Formen basiert; die Verwendung der Bezeichnungen quasi im Vorgriff auf die Zuordnung der Klassen zu den Graphemen erleichtert jedoch die Formulierung der Erörterung bei der Klassifizierung.

Die einzelnen Einträge der Verzeichnisse enthalten eine Abbildung des jeweiligen Zeichens mit der Katalognummer und der Zeichennummer. Die Zeichen sind in der Wiedergabe durchgehend vierfach vergrößert.10 Anhand der Katalognummer kann leicht der Kontext des Zeichens in dem betreffenden Steckbrief (ab Seite 457) festgestellt werden. Von den Katalognummern werden in den Einträgen der Verzeichnisse, soweit nicht die Notwendigkeit zur Unterscheidung besteht, nur die Stellen vor dem Komma verwendet. Bei der Zeichenzählung wird (wie im Kopfteil der Steckbriefe) Grundschrift verwendet, wenn sie mit der der Katalogbeschreibung übereinstimmt; die Kursive signalisiert eine abweichende Zählung (z. B. auch dann, wenn in der Katalogbeschreibung keine Zählung vorliegt). Katalog- und Zeichennummer werden durch eine nach links ( ‹ ) oder rechts ( › ) weisende Pfeilspitze getrennt, sofern das jeweilige Zeichen einer links- beziehungsweise rechtsläufigen Sequenz zugeordnet werden kann (auch wenn die Bestimmung der Schriftrichtung unsicher ist), ansonsten durch einen Strich ( | ):

142‹III,3

(Eintrag unter h1-Formen)

Wenn aus dem Kontext hervorgeht, daß das Zeichen ein anderes Graphem vertritt, als dasjenige, dem die Zeichenklasse zugeordnet ist, wird in fetter Type die vom Kontext geforderte Zeichenbestimmung angeschlossen; dabei markieren einfache Anführungsstriche Zeichen in fuþark-Sequenzen:

156‹5 t

(Eintrag unter l-Formen)

392›1 ‘f’

(Eintrag unter ß-Formen)

10 Die Quelle für die Abbildungen ist jeweils im Steckbrief angegeben; bis auf wenige Ausnahmen handelt es sich um Ausschnitte aus den Katalogzeichnungen.

Wenn sich das Zeichen einer anderen Klasse (oder mehreren anderen Klassen) annähert, wird mit Fragezeichen die eventuell mögliche Zeichenbestimmung angeschlossen:

241›21 u?

(Eintrag unter r-Formen)

Mit einem in Klammern gesetzten Fragezeichen werden Zeichen versehen, die nicht mit Sicherheit als Schriftzeichen gewertet werden können:

341›1 (?)

(Eintrag unter i-Formen)

Mit einem in Klammern gesetzten auf dem Kopf stehenden Fragezeichen werden Zeichen versehen, wenn ihre Segmentierung nicht mit Sicherheit vorgenommen werden kann:

244|2 (¿)

(Eintrag unter g-Formen)

Alle zu einer Katalognummer gehörenden Einträge werden in einem Rahmen zusammengefaßt.

Dabei werden doppelte und fette Rähmchen verwendet, um Teile der Überlieferung besonders hervorzuheben. Die entsprechenden Zeichen gehören

− zum einen zu Inschriften oder Inschriftenteilen mit kontextgesicherten Lesungen und dem Idealtyp weitestgehend entsprechenden Runenformen

− zum anderen zu Inschriften oder Inschriftenteilen mit kontextgesicherten Lesungen, aber mit zum Teil Unregelmäßigkeiten aufweisenden Runenformen (siehe Appendix 3):

184‹9

(Eintrag unter o-Formen)

189›I,1

(Eintrag unter t-Formen)

Das Entscheidende an diesen Inschriften ist, daß die auf graphischen Kriterien beruhende Bestimmung der Zeichen durch den Text bestätigt wird. Diese Bestätigung beruht entweder auf der Übereinstimmung der lexikalischen, morphologischen und syntaktischen Struktur des Texts mit bekannten Größen der germanischen Grammatik (vergleiche zum Beispiel IK184), oder auf Parallelüberlieferung (zum Beispiel bei den a l u-Inschriften). Die durch die doppelten und fetten Rähmchen hervorgehobenen Zeichen gehören also gewissermaßen zum »harten Kern«

der Brakteatenüberlieferung. Dieses Teilkorpus bildet dadurch eine Art Kontrollgruppe für die Klassifizierung der Zeichenformen, weil ihr Graphemstatus eindeutig ist.

a b d e f g h1h2h3i ï j k1k2l ß m n ñ o 1p r z s t þ1þ2u1u2u3w9 A C D E F G H I !L N O P S T V !X ? x Formen, auf die mit der Sigle a verwiesen wird

Die auf den Seiten i-v aufgeführten Formen entsprechen im allgemeinen dem Idealtyp der a-Rune, È, (siehe oben S. 52). Häufig sind im Brakteatenkorpus Formen, bei denen der obere Zweig nicht ganz an der Spitze, sondern etwas unterhalb beginnt (zum Beispiel IK75, Zeichen II,5). Mitunter sind im Brakteatenkorpus wie in der sonstigen Überlieferung1 die Zweige nicht ausgeprägt spitzwinklig angesetzt, zum Teil wird der rechte Winkel fast erreicht (IK289, Zeichen II,3).

Kommentare zu einzelnen Formen

IK1, Zeichen 23: BUGGE (NIæR 1:191) zieht es vor, das Zeichen als gestürzte f-Rune und umgekehrt Zeichen 24 als gestürzte a-Rune zu bestimmen. Dazu meint GRØNVIK (1987:63),

„men begge runene ville da ha en uheldig form.“

IK1, Zeichen 27: GRØNVIK (1987:65; 1996:243) weist darauf hin, daß in Verbindung mit dem zweigartigen Element, Zeichen 28, x, das die benachbarten Stäbe nicht berührt, eine )a l-Binderune und zusätzlich mit Zeichen 29, !a, eine (a h a-Binderune gemeint sein kann. Seine Deutung

verlangt die zweite Möglichkeit, ist aber kaum überzeugend genug, um diese Bestimmung zu stützen.

IK55, Zeichen 3: Die Noppe an der Spitze ist für o t a-Inschriften typisch (siehe unten S. 250ff.). Vergleiche IK55, Zeichen 1, o, und IK55, Zeichen 2, t.

IK75, Zeichen II,5: Der Erhaltungszustand der Pressung IK75,3 erlaubt eine vorbehaltlose Einsortierung unter a.

IK110, Zeichen 13; IK140, Zeichen 10; IK140, Zeichen 12: Diese Formen müssen ausführlicher diskutiert werden. Der untere Stab von IK140, Zeichen 12 ist weit unten angesetzt (im Kontrast zu IK140, Zeichen 10). SEEBOLD (1991b:482f.) meint:

„Die Rune [...] hat [...] die Struktur eines a, aber die Nebenstäbe sind weit auseinandergezogen, so daß sicher keine a-Rune gemeint ist.“

Dieser Einschätzung steht zwar entgegen, daß bei IK128, Zeichen I,4 der Abstand zwischen den Zweigen vergleichbar ist und dennoch zweifelsfrei eine a-Rune vorliegt. SEEBOLD (:483) meint jedoch:

„Zu erwarten ist b und ziemlich genau die belegte Form taucht auf norwegisch-schwedischen Runen des

„Zu erwarten ist b und ziemlich genau die belegte Form taucht auf norwegisch-schwedischen Runen des