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Überlieferungsparallelen innerhalb des Brakteatenkorpus

fuþark-Inschriften

Elf Pressungen von sieben Modeln (IK110; IK140; IK153; IK260; IK312,1 und 2; IK377;

IK392) tragen Inschriften, die teils recht sorgfältige und genaue, teils stark entstellte, teils stark abgekürzte Belege des fuþarks darstellen. Die Inschriften von sieben Pressungen von zwei weiteren Modeln (IK101; IK585) enthalten Sequenzen, die eventuell ebenfalls als Kürzung des fuþarks beabsichtigt sind.

In absteigender Reihenfolge der Vollständigkeit ergeben sich bei der Sichtung dieser Stücke vier Abteilungen. Zu den ersten beiden dieser Abteilungen gehören die Inschriften beziehungsweise Inschriftenteile von IK377; IK260; IK110; IK140; IK312,1 und 2, die in der Tabelle auf S. 194 zusammengestellt sind. Um den Vergleich zu erleichtern, sind dabei die Zeichen der linksläufigen Inschriften (IK377, IK110, IK140) gespiegelt wiedergegeben, so daß alle Inschriften rechtsläufig erscheinen.

1. Das beste Beispiel im Brakteatenkorpus, was die Vollständigkeit des Runeninventars, die Sorgfalt in der Ausführung der Formen und in der Reihenfolge der Zeichen betrifft, bieten zwei modelgleiche schwedische Stücke, IK377,1 Vadstena-C und IK377,2 Raum Mariedam-C. Die Inschriften beider Pressungen sind beeinträchtigt, ergänzen sich jedoch zu einer vollständigen Überlieferung.1 Sie umfaßt 32 im Kreis angeordnete Zeichen, die von Punkten und Doppelpunkten in vier Abschnitte unterteilt werden (siehe oben S. 184). Dabei handelt es sich neben einer unklaren Sequenz, Zeichen 1 bis 8, !tu1watu1wa, um die drei ættir, die je acht Runen enthaltenden Abschnitte der traditionellen Einteilung des fuþarks (siehe 3Rk:9).

Es findet sich nur eine gravierende Abweichung vom Ideal-fuþark: die b-Rune, b, kommt zweimal vor, zum einen regulär, wie in der sonstigen fuþark-Überlieferung auch, als achtzehntes Zeichen, zum andern als vierzehntes Zeichen anstelle der p-Rune, P.2 Die beiden b-Runen unterscheiden sich geringfügig; darin zeigt sich wohl eine unterschiedlich gelungene Ausführung, kaum eine gewollte Differenzierung. Insgesamt entsprechen die Zeichen gut den jeweiligen Idealformen, wobei zum Beispiel þ- und w-Rune sorgfältig unterschieden sind; die j-Rune ist in der Form mit aneinanderstoßenden Haken ausgeführt: ¬.

1 Im wesentlichen beruht die Untersuchung auf IK377,1, da bei IK377,2 fast alle Runen ihre oberen Partien durch die Randgestaltung verloren haben; aber gerade der Teil der Inschrift, der auf IK377,1 durch das Dekordreieck unter der Öse verdeckt wird, ist auf IK377,2 erkennbar.

2 Diese Anomalie hängt vermutlich damit zusammen, daß die p-Rune selten gebraucht wurde, weil p im Germanischen rar war. Die jüngere Runenreihe, die im 7. / 8. Jahrhundert (eventuell als Reaktion auf diverse Lautveränderungen in den skandinavischen Dialekten) entsteht, gibt die p-Rune ganz auf. In der vorliegenden Inschrift könnte eventuell ein Stadium dokumentiert sein, in dem ein Vorlagenschreiber oder Schriftritzer, der offenbar im Umgang mit den Runen geübt war, die Form der p-Rune nicht mehr im Repertoire hatte und kurzerhand auf die phonetisch nächstliegende b-Rune auswich – weil der Runenname durch die Aufzählung der Runen in der fuþark-Reihenfolge noch im Gedächtnis verankert war. Oder er war bereits so daran gewöhnt, im gewöhnlichen Schreibvorgang für p die b-Rune zu verwenden, daß es ihm auch unterlaufen konnte, in einer fuþark-Inschrift die p- durch die b-Rune zu ersetzen.

IK377‹

IK260 IK110‹

IK140‹

IK312,1

IK312,2

IK377‹

IK260 IK110‹

IK140‹

IK312,1 IK312,2

IK377‹

IK260 IK110‹

IK140‹

IK312,1 IK312,2

Bemerkenswert ist, daß die Zeichenorientierung konsequent zur Schriftrichtung stimmt.

Das heißt, daß diejenigen Runen, bei denen sich links- und rechtswendige Ausführungen unterscheiden lassen, F f, u u, ê þ, È a, Ø r, K k, W w, b b, l l, der linksläufigen Anlage der Inschrift entsprechend linkswendig ausgeführt sind. Die vier Runen, bei denen grundsätzlich ein Bezug zur Schriftrichtung nur tendenziell besteht, H h, n n, ¬ j, á s, sind durch die gängigere Richtungsvariante vertreten (siehe oben S. 53ff., 57). Die weitgehend richtungsneutrale ï-Rune erscheint in der Form, bei der der untere Zweig in Schriftrichtung weist, § (S. 54).

Gegenüber KRAUSEs Rekonstruktion (KJ:2) sind o- und d-Rune vertauscht, diese Reihenfolge findet sich aber auch außerhalb der Brakteatenüberlieferung auf der Steinplatte von KJ1 Kylver, es handelt sich also eher um ein Schwanken in der Überlieferung als um einen Fehler in der Inschrift.

Ähnlich nah kommt dem vollständigen fuþark-Zitat die Inschrift des ebenfalls schwedischen Brakteaten IK260 Grumpan-C, die sich auf die Runenreihe beschränkt. Die Zeichen gehören zu den kleinsten im gesamten Brakteatenkorpus, es ist daher beachtlich, wie präzise sie ausgeführt sind. In der Inschrift lassen sich einige nennenswerte Übereinstimmungen mit dem eben genannten Inschriftenpaar und nur wenige Unterschiede finden (wohingegen die Ikonographie der beiden schwedischen Modeln keine auffällige Ähnlichkeit bietet).

Übereinstimmung besteht im Umfang des fuþarks – es sind zwar nur 22 Zeichen erhalten, aber auch hier waren erkennbar 24 beabsichtigt: Die beiden vermißten Zeichen (R- und s-Rune) waren wohl im Model vorhanden, worauf die Disposition der Inschrift hindeutet, können aber nicht nachgewiesen werden, weil das Relief an der entsprechenden Stelle des Brakteaten soweit reduziert ist, daß daraus nichts mehr gewonnen werden kann. Eine Unterteilung der Runenreihe in die drei ættir findet sich hier wieder (siehe oben S. 184) – wobei als Folge der erwähnten Einbuße im zweiten Abschnitt nur noch die ersten sechs Runen erkennbar sind.

Übereinstimmung besteht weiterhin bei den einzelnen Zeichenformen, zum Beispiel in der Ausführung der f-Rune mit den an die äußere Begrenzungslinie anstoßenden Zweigen und der j-Rune in voller Höhe, in der sorgfältigen Unterscheidung von þ- und w-Rune, sowie in der Zeichenorientierung in allen überprüfbaren Fällen, F, u, ê, È, Ø, K, W, H, n, ¬, §, b, l. Eine gewisse Parallele besteht auch in der Anomalie im Fall der 14. Rune; die hier ausgeführte Form, IK260, Zeichen 14, 1p, hat jedoch keine Ähnlichkeit mit der b-Rune, b, sondern ähnelt einer Sequenz von zwei eng zusammengerückten Runen, þ i, die eventuell als entstellte Form der p-Rune, P, aufgefaßt werden kann.3 Einen auffälligen Unterschied zu IK377 stellen die periphere Gravitierung (siehe unten S. 420) und die Rechtsläufigkeit4 dar.

3 Es ließe sich spekulieren, daß der Vorlagenschreiber oder Modelgraveur, der die Form der p-Rune nicht mehr im Repertoire hatte, weil er grundsätzlich die p- durch die b-Rune ersetzte, sich in einer fuþark-Inschrift bemühte, die p-Rune zu realisieren, aber damit kein Glück hatte.

4 Zum versehentlich spiegelbildlich ausgeführten Druck der Zeichnung (IK2,2:47), in der die Inschrift linksläufig erscheint, siehe die Korrekturnotiz (IK3,2:142) und Hinweise („Ikonologie 40“:25 mit Taf. I,4).

Unbedeutende Unterschiede bestehen in Details: zwischen den ættir stehen Folgen von vier bis acht großen Punkten; die k-Rune ist etwas gekippt; die Haken der j-Rune berühren sich nicht; die m-Rune gleicht einer d-Rune, was eventuell mit der geringen Zeilenhöhe entschuldigt werden könnte, die das Einpassen der gekreuzten m-Verbindungsbalken erschweren mußte.

Auffällig ist in der Position der ŋ-Rune eine Form, IK260, Zeichen 22, z, (siehe dort), die der R-Rune graphisch durchaus entspricht; doch handelt es sich dabei wohl um eine unvollkommene Realisierung, ·, einer Kombination von i- und ŋ-Rune in einem ligaturartigen Zeichen, ò. Auch hier dürfte die geringe Höhe des Schriftbandes eine Rolle gespielt haben;

aber gerade in Anbetracht dieses begrenzenden Faktors wirkt es besonders seltsam, daß der Idealform der ŋ-Rune, Á, die sich zwanglos eingefügt hätte, die kompliziertere Form vorgezogen wurde.

Die beiden schwedischen fuþarks sind sich im ganzen zu ähnlich, um nicht genetisch verwandt zu sein. Allerdings gehen sie in Anbetracht der Differenzen im Fall von p- und ŋ-Rune wohl nicht auf dieselbe Vorlage zurück; es kann auch nicht eines direkt vom andern kopiert sein. Sie können aber beide auf Vorlagen aus demselben »Skriptorium« zurückgehen oder, falls die Formen im Model ohne Vorlage realisiert wurden, vom selben Modelritzer ausgeführt worden sein. Für eine Überlegung, in welcher Reihenfolge sie entstanden sein könnten, finden sich jedoch keine verwertbaren Indizien. Interessant ist, daß zwei unterschiedliche »Strategien«

vorzuliegen scheinen, mit der Unsicherheit hinsichtlich der p-Rune umzugehen: im einen Fall ein versehentlicher oder bewußter Ersatz durch die b-Rune, im anderen Fall eine mißglückte Bemühung, die richtige Form zu treffen.5

2. Allenfalls als entstellte fuþark-Zitate lassen sich die nah miteinander verwandten Inschriften von zwei jütischen C-Brakteaten bezeichnen, die sich auch ikonographisch sehr ähnlich sind.

Die Inschriften sind in Schriftbänder eingefügt, die in Tierköpfen enden. Diese auffällige Präsentation kommt im gesamten Korpus nur noch einmal vor: bei zwei ebenfalls jütischen Pressungen von einem A-Model (siehe unten zu IK312,1 und 2).

Das Tierkopf-Schriftband des ostjütischen Brakteaten IK110 Lindkær-C enthält 22 Zeichen;

von denen jedoch nur die ersten zehn an das Ideal-fuþark heranreichen, das Folgende weicht so stark ab, daß höchstens von fuþark-Trümmern die Rede sein kann. Die Inschrift zerfällt so in zwei Teile. Die ersten zehn Zeichen lassen sich identifizieren (allerdings nur acht davon zwanglos):

f u þ a r g h n

5 Spekulativ ließe sich an einen ersten und einen zweiten Versuch denken.

An der Position der k-Rune findet sich eine Form, die einer gestürzten t-Rune, X, mit recht langen Zweigen gleicht. Diese Form könnte als Nebenform der k-Rune angesehen werden, die sich mit der Bestrebung erklären läßt, die graphischen Prinzipen der Runen zu vereinheitlichen (Kombination von Stab und charakteristischen Elementen, siehe oben S. 50; einheitliche Höhe der Formen6); allerdings gibt es dafür keinen Hinweis außerhalb der jütischen Brakteaten mit Tierkopf-Schriftbändern. An der Position der w-Rune findet sich eine zweite þ-Rune.7

Von den zwölf Zeichen des zweiten Teils der Inschrift sind drei unklar; nur neun Zeichen lassen sich zwanglos transliterieren, und unter diesen finden sich je zwei Wiederholungen von a- und u-Rune. Nur fünf Zeichen haben die Formen von noch ausstehenden Runen; aber die Reihenfolge kann nicht mit der des fuþarks in Einklang gebracht werden.

e l a t s u a o u

Das fuþark »herbeizuemendieren« ist möglich (siehe zum Beispiel SEEBOLD 1991b:481-484).

Dazu muß mit Verschmelzung, Zusammenfall, diversen Abwandlungen, Vertauschungen und Zeichenneuerfindung gerechnet werden; von den zwölf Zeichen des zweiten Teils dürften nur zwei ihrer Form entsprechend, als t- und als s-Rune, gelesen werden:

i ¬ § P · á t b E M l Á O D

Es läßt sich nicht völlig ausschließen, daß eine komplette fuþark-Inschrift beabsichtigt war. Die Hauptschwierigkeit, die sich mit dieser Annahme verbindet, ist meines Erachtens nicht so sehr der erhebliche Umfang der erforderlichen Emendationen als vielmehr die auffällige Diskrepanz zwischen dem relativ zuverlässigen ersten Teil und dem heiklen zweiten Teil.

Einen möglichen Hinweis darauf, daß diese Inschrift von recht zweifelhafter Qualität ihre Funktion im Kontext der Brakteatenkultur wohl erfüllt haben kann und nicht unbedingt zum Ausschuß gezählt werden muß, stellt die beträchtliche Übereinstimmung mit der folgenden dar.

Die Inschrift des nordjütischen Brakteaten IK140 Overhornbæk (III)-C an das fuþark anzuknüpfen, würde sich bei isolierter Betrachtung verbieten. Nur im Vergleich mit der eben besprochenen Inschrift zeigt sich der Zusammenhang.

6 Vergleiche 3Rk:6.

7 Dazu bemerkt SEEBOLD (1991b:482) zu Recht, „wenn man die beiden Zeichenformen wirklich unterscheiden wollte, müßte man am ehesten eine Vertauschung annehmen.“

Der Vergleich läßt im wesentlichen leichte Abänderungen der Formen erkennen. Die Inschrift enthält nicht zwei Zeichen in der Form der þ-Rune sondern zwei Zeichen in der Form der w-Rune;8 h erscheint in einer durch zwei hinzugefügte zweigartige Elemente verunklarten Form (gegenüber IK110 gewendet); an der Position der n-Rune steht eine stark an die g-Rune erinnernde Form; bei sechs weiteren Formen finden sich geringfügige Unterschiede, die zum Beispiel durch Wegfall oder Hinzufügung von Zweigen zustande kommen. Die auffälligste Abweichung besteht darin, daß drei Zeichen – und zwar drei Runen vom Anfang der Reihe, die auf dem ostjütischen Brakteaten einwandfrei erscheinen, nämlich f-, u- und a-Rune – fehlen, wodurch das fuþark nicht mehr erkennbar ist.

Bei den Übereinstimmungen sollen nur die Vernachlässigung der Unterscheidung zwischen þ- und w-Rune und die Verwendung der gestürzten t-Rune in der k-Position hervorgehoben werden.

Wie bei den schwedischen fuþarks ist auch im Fall der Inschriften der beiden jütischen C-Brakteaten eine genetische Verwandtschaft nicht von der Hand zu weisen. Aber auch hier bleibt es offen, in welchem Verhältnis sie zu einander stehen mögen; sie werden eine gemeinsame Vorlage gehabt haben oder die eine kopiert die andere. Daß beide Inschriften kurz nach dem Anfang der zweiten ætt recht kraß von einer einigermaßen brauchbaren Realisierung des fuþarks in eine Ansammlung von Zeichen in beliebig anmutender Reihenfolge umschlagen, führt zu einer Heterogenität in sich, die schon seltsam genug ist. Dazu kommt nun, daß die Abweichungen zwischen den beiden Inschriften mit dieser Heterogenität gekoppelt sind: in den ersten Teilen unterscheiden sich die Formen geringfügig, aber es kommt zu Auslassungen – die zweiten Teile stimmen im Umfang überein, während die Formen stärker divergieren:

Es liegt nahe, in der vollständigeren Inschrift eine »bessere«, dagegen in der Inschrift mit den Auslassungen eine »schlechtere« Version zu sehen. Es könnte also eine »gute« Vorlage

8 Auch hier gilt SEEBOLDs Notiz, daß þ und w vertauscht sein müßten, wenn sie überhaupt unterschieden werden sollten.

gegeben haben, die einmal zuverlässig und einmal unzuverlässig umgesetzt wurde. Das würde konkret heißen, daß bei der Herstellung der schlechteren Version mit verringerter Sorgfalt gearbeitet wurde. Diese erschöpfte sich am Anfang der Inschrift in der korrekten Umsetzung der Formen, wobei jedoch drei Zeichen ausgelassen wurden. Bei der Fortsetzung war es dann umgekehrt: zwar wurden alle Zeichen ausgeführt, dafür aber mit Ungenauigkeiten bei einigen Formen. Eine solche Konstellation ließe sich am leichtesten im Kontext der unwahrscheinlichen Annahme begreifen, daß die ganze Inschrift im Model rückwärts gegen die Schriftrichtung realisiert wurde; der Ausführende könnte sich dann eingearbeitet und die Formen zunehmend genauer behandelt haben, und die Auslassungen könnten damit entschuldigt werden, daß im Schriftband schließlich nicht mehr alle Zeichen untergebracht werden konnten.

Alternativ wäre (kaum) denkbar, daß die bessere Version auf der Basis der schlechteren ausgeführt und dabei zugleich Korrekturen vorgenommen wurden. Der Korrektor hätte im ersten Teil einen fuþark-Anfang mit Lücken erkannt, das Fehlende restituiert und somit eine einleuchtende Sequenz geschaffen; den zweiten Teil jedoch, aus dem er keinen Sinn gewinnen konnte, hätte er mechanisch und daher flüchtig reproduziert.

Beide Ansätze zur Frage, in welchem Verhältnis die beiden Inschriften zueinander stehen, bleiben sehr unbefriedigend. Sie sollen nicht die grenzenlosen Möglichkeiten der Spekulation darlegen, sondern die Probleme illustrieren, die diese Inschriften für das Verständnis aufwerfen.

In Tierkopf-Schriftbändern (neben drei bis vier freistehenden Schriftzeichen) stehen auch die Inschriften der beiden modelgleichen nordjütischen Brakteaten IK312,1, Overhornbæk (II)-A und IK312,2 Raum Vendsyssel (?)-A. DÜWEL konstatiert (IK2,1:147f.):9

„Im Anfang wäre ein Futhark-Zitat zu erwägen.“

SEEBOLD (1991b:481ff.) zieht, anders als bei IK110 und IK140, die Möglichkeit einer Beziehung zum fuþark nicht einmal in Betracht, sondern versucht eine semantische Lesung.

Folgt man DÜWELs Anregung, so wird man in den ersten zehn Zeichen ein defektes Zitat der ersten neun Runen des fuþarks sehen. In mindestens sieben Punkten weicht die genannte Sequenz vom Ideal-fuþark ab:

− ein Zeichen mit drei beinahe waagerecht verlaufenden zweigartigen Komponenten, eventuell eine f-Rune mit einem zusätzlichen Zweig, eröffnet die Sequenz

− an dritter Stelle steht eine Form mit hoch angesetzter Zacke, eher eine w- als eine þ-Rune

− anstatt des Zickzacks der r-Rune ist eine überdimensionierte Zacke mit einem dornähnlichen Element darin (auf IK312,2 nur flau) ausgeführt

− darauf folgt ein überzähliger einzelner Stab

− ein gestürztes t vertritt die k-Rune10

9 Seither rechnet DÜWEL (2RGA „Futhark“) dieses Inschriftenpaar zu „F.-Zitaten, die eine äußerste Verkürzung des F. bis f u oder f þ darstellen“ – allerdings als ein Beispiel, das nur „vielleicht“ hierher gehört.

10 Wegen der Übereinstimmung mit den zuvor genannten Inschriften spricht dieser Punkt f ü r ein fuþark-Zitat.

− darauf folgt eine Form, die als Entstellung von g nur unter der Annahme aufgefaßt werden kann, daß die rechtsschräge Diagonale in zwei Elemente geteilt ist, die gegeneinander verschoben sind

− darauf folgt wiederum ein einzelner Stab, eventuell Rudiment einer w-Rune.11

Die Fülle der Anomalien belastet die Annahme eines entstellten fuþark-Zitates mit der Gefahr zu großer Beliebigkeit. Der direkte Vergleich mit den Formen von IK110 und IK140 rechtfertigt jedoch meines Erachtens, sie weiterzuverfolgen:

F u ê È r K G W H

IK312, 1

IK110

IK140

f u þ a r k g w h

Im weiteren Verlauf zeigt das Inschriftenpaar keine Ähnlichkeit mehr mit dem fuþark.

Insgesamt bleiben die Inschriften der jütischen Brakteaten mit den Tierkopf-Schriftbändern recht unklar. Auf ein Drittel der Runenreihe in unterschiedlichen Entstellungsstufen folgen Zeichensequenzen, die sich im Fall der C-Brakteaten eventuell, im Fall der A-Brakteaten keinesfalls auf das fuþark zurückführen lassen. Bei dem Umfang der Inschriften (zwischen 19 und 26 Zeichen) läßt sich nicht ausschließen, daß sie alle das fuþark imitieren (quasi als fuþark-»Attrappen«), wobei aber nur am Anfang Wert auf einigermaßen korrekte Wiedergabe gelegt, der Rest dann irgendwie aufgefüllt wurde. Es ist dabei merkwürdig, daß die Inschriften der C-Brakteaten untereinander gerade im zweiten, dem irgendwie aufgefüllten Teil, trotz allerlei Abweichungen bei den einzelnen Formen überraschend gut übereinstimmen – da sie doch von einer Übereinstimmung mit dem fuþark weit entfernt sind. Es muß demnach damit gerechnet werden, daß alle diese Inschriften tatsächlich nur den Anfang der Runenreihe enthalten sollten und in der Fortsetzung kein Zusammenhang mit ihr beabsichtigt war.

11 Wie eine solche Entstellung zustande kommen kann, darüber läßt sich nur spekulieren. Der enge Zusammenhang mit den Inschriften von IK110 und IK140 (Fundnachbarschaft, stilistische Ähnlichkeit, Vogelkopfband, gestürzte t-Rune, Unsicherheit in der Unterscheidung von þ und w) könnte dafür sprechen, daß eine unmittelbare oder mittelbare Vorlage existierte, die einem korrekten fuþark näher kam als die erhaltenen, unterschiedlich stark von ihr abweichenden Inschriften.

Die Unterschiede, die trotz der wie auch immer gearteten Verwandtschaft bestehen, sind allerdings so markant, daß sie über das hinausgehen, was bei ungeschickter Übertragung durch Analphabeten zu erwarten wäre; eher müßte an willkürliche Entstellungen gedacht werden.