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Worum es geht

Im Dokument bvs sprechen (Seite 38-42)

Antrittsvorlesung. Aufgeschrieben

2. Worum es geht

Nein, ich bin keine Sprachwissenschaftle-rin – auch wenn ich nicht böse werde, wenn mich jemand so nennt. Die Tatsa-che, dass ich aber nicht Sprach-, sondern Sprechwissenschaftlerin bin ist für diesen Vortrag nicht ganz irrelevant. Die Sprechwissenschaft an sich ist eine et-was besondere Disziplin: sie kreist um Phänomene der Mündlichkeit/ des Spre-chens – dies aus verschiedenen Perspek-tiven. In der Sprechwissenschaft finden phonetische, klinische, ästhetische und rhetorische Sichten auf das Sprechen, die Stimmlichkeit, die Mündlichkeit zusam-men. Finden zusammen, um dann in ihrer Bearbeitung von Fragen und Untersu-chung von Phänomenen auch über Mündlichkeit wieder hinaus zu gehen und auch die Schnittstellen zwischen ver-schiedenen Modi – schreiben und spre-chen, mündliche Schriftlichkeit und schriftliche Mündlichkeit – zu untersu-chen.

Aus diesen verschiedenen Sichten ergibt sich auch, dass die Sprechwissenschaft eine Disziplin ist, in der ganz unterschied-liche Forschungslogiken zusammen-kommen: naturwissenschaftliche, geis-teswissenschaftliche, sozialwissenschaft-liche, qualitative und quantitative, empiri-sche und hermeneutiempiri-sche. Eine Disziplin, die an sich schon interdisziplinär konstitu-iert ist. Und eine Disziplin, die auf beson-dere Weise zwei Wissensformen vereint:

knowing-that und knowing-how, deklarati-ves und prozedurales Wissen. Tanja Probst, eine Studentin von mir in Jena, hat einmal gesagt, die

Sprechwissen-schaft machte aus, dass man sich hier die Theorie immer einverleiben würde. 3 Ein sprechwissenschaftlicher Blick ist immer auch dadurch bestimmt, dass er die Materialität von Kommunikation ins Zentrum nimmt. Wir interessieren uns nicht nur für das, was gesagt und was gemeint wird, sondern auch dafür, womit diese Bedeutung evoziert wird. Der kürz-lich verstorbene Friedrich Kittler hat für ein solches Denken wichtige Grundlagen gelegt4. Das Medium, durch das etwas ausgedrückt wird, bestimmt nicht nur wie etwas gesagt wird, sondern auch was ge-sagt werden kann – es bestimmt unser Denken, bestimmt es doch zumindest mit.

Was mündlich, stimmlich geäußert wird unterliegt bestimmten Bedingungen. Hier wird wichtig, dass mit der Stimme immer der eigene Körper, oder vielmehr die ei-gene Leiblichkeit ins Spiel kommt. Wir sagen und meinen nicht nur, im Mündli-chen zeigen wir auch immer. Möglicher-weise geht es gar nicht nur um Sinn, sondern auch um – mit Gumbrecht 5– Präsenz.

Ich glaube die Verbindung von Sprech-kunst und Rhetorik bietet die Möglichkeit etwas zu verbinden, was zusammenge-dacht neue Formen von Herstellung und Bearbeitung von Inhalten bietet; neue Formen der Darstellung und Herstellung von Wissens- und Sinnprozessen. Das ist etwas was insbesondere in Philosophie und angewandten Theaterwissenschaft in den letzten Jahren unter lecture perfor-mance oder performance lecture

3 Damit ist allerdings nicht gemeint, dass

Sprechwissenschaft sich dadurch auszeichnen würde immer die Sprecherziehung

mitzudenken. Vielmehr beinhaltet in der Sprechwissenschaft das kognitive Wissen in der Regel auch ein leibliches Wissen.

4 Vgl. Kittler 1985

5 Vgl. Gumbrecht 2004. Den Präsenzbegriff, so wie Gumbrecht ihn entwickelt, halte ich für die Sprechwissenschaft für hochrelevant – diese Relevanz wird im Vortrag allerdings nur angetickt.

delt wird. Diese Benennung möchte ich aber hier gleich wieder in den Hintergrund treten lassen – sie hilft glaube ich nicht, schränkt zu sehr ein. Es geht, mit Eva-Maria Gauß, um Sinnerfassungsmaß-nahmen.

Ich unterstelle hier natürlich erst einmal grundsätzlich Unterschiede zwischen Rhetorischem und Sprechkünstlerischem.

Das ist sicher nicht besonders strittig. Ich möchte hier jetzt drei Kriterien abklopfen, ohne Anspruch alles zu umfassen. Diese drei Kristallisationspunkte sind Fiktionali-tät, Leiblichkeit und Subjektivität.

3. Unterscheidung

Sprechkunst/Rhetorik

Die Rhetorikerin soll das Fiktionale nicht lieben, schließlich beziehen sich die Ent-scheidungen, auf die sie hinführt, die sie vorbereitet, nicht auf eine mögliche, son-dern eine als sehr real angenommene Welt, es geht nicht um Probehandeln, sondern um ein Handeln, das in seinen Konsequenzen real ist. Aristoteles be-nennt denn auch die Fabel als den schlechtesten Beispielbeweis, der sich zwar für das einfache Volk eignet, aber nicht die Überzeugungskraft einer histori-schen Erzählung erreichen kann. Münte-ferings Heuschrecken waren so ein Fall.

Allerdings: Aristoteles behandelt die Fa-bel in seiner Rhetorik. Fiktionales scheint also schon einen Platz, wenn auch am Rande, in der Rhetorik zu haben. „Leich-ter also ist es, mit Hilfe der Fabel zu ar-gumentieren, wirksamer aber bei der be-ratenden Rede durch den Verweis auf historische Fakten, denn für gewöhnlich ist das, was geschehen soll, dem Ge-schehenen ähnlich“ (Aristoteles 1993,135) Auch spielt das Erzählen in der Rede immer schon eine zentrale Rolle neben der Argumentation, oder auch ver-bunden mit der Argumentation. Und dabei geht es dann ausdrücklich nicht um die möglichst genaue Wiedergabe einer wah-ren Begebenheit, sondern um dewah-ren

par-teiische Schilderung, als Schilderung von etwas, das geschehen sein könnte. Diese Erzählungen erheben also immer den Anspruch wahrscheinlich zu sein. Damit sind sie nicht fiktional, aber sie weiten gezielt die Grenzen dessen, was als mög-lich gilt.

Die Sprechkunst hingegen bedient sich klassischerweise literarischer Texte, Tex-te die mögliche WelTex-ten erschaffen und keinen Anspruch auf große Nähe zu einer Realität haben. Sprechkunst heißt oft:

Fiktionales vortragen.

Das ist natürlich ein spezieller ein Blick auf Sprechkunst. Ein anderer, würde alle Formen von Texten umfassen, durchaus auch Gebrauchstext und nicht-fiktionales.

Der Fokus wäre dann eher darauf, inwie-weit in Erarbeitung, Aufführung und Re-zeption eine ästhetische Perspektive überwiegt. Ob das ganze unter Kunstver-dacht steht. 6

Aber auch dann würde der Aufführungs-rahmen immer noch als „als-ob“ verstan-den. Die Unterscheidung findet sich dann vor allem in den Folgen der Aufführung wieder – sie sind nicht real oder werden als nicht real verstanden. Allerdings müs-sen hier schon die ersten Einschränkun-gen kommen. Es lassen sich zum einen durchaus eine Reihe von Performances benennen, die eben damit arbeiten Wirk-lichkeit zu verändern, zum anderen hin-terlässt jede Aufführung, auch jede sprechkünstlerische Aufführung, Spuren in der Wirklichkeit. Auch wenn die Spre-cherin einer Rosa-Luxemburg-Rede nicht auf Agitation des Publikums hofft. Das Kriterium der Fiktionalität grenzt also ab, aber nicht besonders gut.

6 Als Gewährsleute für beide Richtungen seien hier beispielhaft Eva-Maria Krech und Norbert Gutenberg angeführt. Für Krech bestimmt sich Sprechkunst immer auch über das literarische Werk, für Gutenberg steht die ästhetische Dimension im Vordergrund – die Tatsache, dass bei der Rezeption die ästhetische, genussbringende Dimension im Vordergrund steht. Vgl. u. a. Krech 1987, Gutenberg 2003.

Mal sehen wie es mit dem nächsten geht:

Leiblichkeit. Der Status der Körperlichkeit oder besser der Leiblichkeit. Rhetorik: ge-ring. Sprechkunst: hoch?

Sprechkunst findet nicht vom Kehlkopf aufwärts statt. Texte auf einer Bühne zu sprechen heißt, mit der eigenen Leiblich-keit einen Raum einzunehmen, mich in gegenseitiger Anwesenheit mit anderen zu befinden, in leiblicher Ko-Präsenz, und diese auch sinnlich erfassen zu können.

Diese Ko-Präsenz drückt sich aus in dem was Fischer-Lichte (2004) als feedback-Schleife beschreibt. „In diesem Sinne lässt sich behaupten, daß die Aufführung von einer selbstbezüglichen und sich permanent verändernden feedback-Schleife hervorgebracht wird. Daher ist ihr Ablauf auch nicht vollständig planbar und vorhersagbar“ (59). Sprechend ver-weise ich nicht nur auf den Sinn eines Textes, bin ich nicht nur mental sondern auch mit meinem Körper in diesen Pro-zess involviert. Das ist überhaupt keine Neuigkeit.

Für die Rhetorik gilt das vielleicht auch.

Aber würden die Rhetoriker unterschrei-ben, dass das, was sie tun den Gesetz-mäßigkeiten einer Aufführung unterliegt?

Mein Verdacht: Eher nein. In der Rhetorik wird die eigene Leiblichkeit nur sehr ein-geschränkt als Mittel der Darstellung ge-nutzt – der Fokus liegt auf der Argumen-tation, der Strukturierung, dem sprachli-chen Ausdruck. Die Leiblichkeit kommt nur insofern ins Spiel als dass sie nicht stören soll.

Stimmt denn das? Arbeiten wir nicht auch in der praktischen Rhetorik an Körper-ausdruck, Blick, Distanzverhalten und anderem? Ja, aber doch in einem oft sehr instrumentellen Rahmen. Der leibliche Ausdruck soll keine eigene Sinnstruktur aufbauen, er soll den sprachlichen Aus-druck idealerweise komplementieren, zumindest nicht stören. Auch spielt die

leibliche Präsenz theoretisch eine eher geringe Rolle. 7

Nach Fiktionalität und Leiblichkeit nun ei-ne dritte Möglichkeit der Unterscheidung:

die Bindung des Textes an die Spreche-rin/ den Sprecher. Also: Subjektivität in dem Sinne, welche Spuren des Subjekts sich in der Aufführung finden. Rhetorik:

objektivierend, Sprechkunst: subjektivie-rend?

Der Text für eine Rede ist mein Text, ich eigne ihn mir nicht nur an, ich bin auch – oder fungiere doch zumindest als – seine Autorin. Dadurch, dass ich diese Vorle-sung halte, mache ich mir das was ich sage vollkommen zu Eigen und signali-siere meine Bereitschaft dafür Rechen-schaft abzulegen. Ich erhebe Geltungs-ansprüche dadurch, dass ich diesen Vor-trag vorVor-trage, und ich bin auch bereit die-se diskursiv einzulödie-sen.

Davon ganz unbeeindruckt kann dieser Text natürlich von mir als Autorin abge-löst werden und ein Eigenleben entwi-ckeln. Er kann zitiert werden, Zitate kön-nen zirkuliert werden, der Text dadurch von seinen Entstehensbedingungen und vor allem seinen Aufführungsbedingun-gen abgelöst werden. Ich habe ihn aufge-schrieben, er wird aufgezeichnet. Er kann von mir gelöst werden. Aber nicht in die-ser Aufführung.

Rhetorisches wäre dann also eng an das Subjekt gebunden. Aber: gehe ich in der rhetorischen Rede auch davon aus, dass die Sprecherin für das was sie sagt ein-steht, so finden sich doch häufig Objekti-vierungsstrategien. Persönliche Meinung muss in allgemein akzeptierte überführt

7 An dieser Stelle muss ein Verweis auf Christa Heilmanns Arbeit im Bereich Körperausdruck/

Körpersprache stehen (vgl. Heilmann 2009).

Auch Heilmann stellt ja fest, dass die Leiblichkeit – bei ihr der Körper – in der Sprechwissenschaft nicht genügend bearbeitet wird. Und die eigene Leiblichkeit in einer rhetorischen Situation zum Thema zu machen und nicht nur zu besprechen, sondern auch zu zeigen, setzt auch noch einen anderen Akzent.

bzw. als allgemein akzeptierte dargestellt werden. Es wird gesagt, wie etwas ist, auch wenn es nur sehr persönliche Mei-nung ist. Die Rede von Otto Schily, die ich am Anfang genannt habe, ist auch deshalb besonders, weil sie von Persönli-chem erzählt und weil sie persönliche Be-troffenheit erahnen lässt. Weil in einer Rede auf einmal eine Subjektivität durch-leuchtet, die man dort vielleicht nicht vermutet hätte. Subjektivität, die nicht nur sprachlich vermittelt ist, sondern durch das Stocken, Neuordnen des Manuskrip-tes, aufkommende und dann unterdrückte Tränen erscheint.

Den Anspruch auf „grade-stehen“ für die erhobenen Geltungsansprüche hat der Vortrag nicht-eigener Texte in der Sprechkunst gerade nicht. Da die Spre-cherin nicht in eine Rolle geht, eignet sie sich den Text nicht als eigenen an. Es bleibt eine Distanz. Einwände können sich hier nur auf die Angemessenheit ei-ner Fassung beziehen. Aber die Künstle-rin erhebt keine Wahrheitsansprüche –sie würde nach Vortrag von Robert Gern-hardts „Materialien zu einer Kritik der be-kanntesten Gedichtform italienischen Ur-sprungs“ („Sonette find ich so was von beschissen, so eng, rigide, irgendwie nicht gut“) nicht befragen werden, was sie denn nun gegen Sonette habe.

Aber diese Distanz hebt sich auf, wenn es um den Zugriff geht: die Künstlerin kann natürlich einen subjektiven Zugriff auf ihre Arbeit haben und muss ihn auch nicht rechtfertigen. Ich weiß nicht ob künstlerische Arbeit möglich ist, ohne diese Arbeit an die Person zu binden.

Und das auch nicht näher begründen zu müssen.

Es bestehen also Unterschiede zwischen Sprechkunst und Rhetorik. Und die brin-gen auch ein gewisses Maß an aubrin-gen- augen-scheinlicher Plausibilität mit. Doch halten die Unterscheidungen nie vollständig.

Sprechkünstlerisches und rhetorisches

liegen sehr eng beieinander8. Daher ver-suche ich nun das Ganze noch einmal über die Gemeinsamkeiten und drehe das Ganze einmal: Die Gemeinsamkeiten die ich untersuchen will, sind die drei: der Wirklichkeitsbezug, die Leiblichkeit und die Subjektivität.

Im Dokument bvs sprechen (Seite 38-42)