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Etwas mehr als ein Tagungsbericht

Im Dokument bvs sprechen (Seite 33-37)

1. Die erste GAL-Sektionenkonferenz Die Jahrestagung der Gesellschaft für angewandte Linguistik (GAL) ist (oder sollte doch zumindest sein) seit langer Zeit fester Bestandteil des sprechwissen-schaftlichen Konferenzkalenders. Die Sprechwissenschaft ist in dieser Gesell-schaft und somit auch auf dieser Tagung immer mit einer eigenen Sektion vertre-ten.

Dieses Jahr hat eine Neuerung in der Ta-gungsorganisation gebracht. Bisher wa-ren die Tagungen traditionell in ein Rah-menthema mit dazugehörigen Panels und Arbeit in den Sektionen geteilt. Hier pass-ten oft Rahmenthema und Sektionsarbeit nicht optimal zusammen, was nicht unbe-dingt problematisch, aber doch unschön war. Ab diesem Jahr wird die GAL im jährlichen Wechsel eine Sektionentagung (kleine GAL), auf der die Sektionen eige-ne Schwerpunkte setzen und auch aus der herkömmlichen Zeitstruktur ausbre-chen können, und einen Kongress (große GAL), der durch ein Thema bestimmt wird und auf dem die Sektionen nicht als Ein-heiten explizit vertreten sind, veranstal-ten.

Diese neue Struktur bietet für die Sektio-nenarbeit die Möglichkeit noch stärker Ei-genes zu entwickeln. Das haben wir für die Sprechwissenschaft und Phonetik in

diesem Jahr versucht und sind mit dem Ergebnis ganz zufrieden. Und weil wir unsere Zufriedenheit nicht nur für uns ge-nießen möchten kommt im Folgenden ein ausführlicher Tagungsbericht mit dem wir drei Ziele verfolgen: zu informieren über das was war, dadurch zu motivieren, es sich beim nächsten Mal nicht entgehen zu lassen und zu diskutieren, was von dem allen zu halten ist.

2. Kunst und Nicht-Kunst

Der Titel der Sektion hieß in diesem Jahr

“Die Kunst im Nicht-Künstlerischen – Probleme und Umgang mit der Ästhetizi-tät des Sprechens”. Die Rückmeldungen auf dieses Thema reichten von “ver-schwurbelt” bis famos und deuten auf et-was Wichtiges hin: irgendwie waren wir uns noch nicht so klar darüber, wie ganz konkret das zu fassen wäre, was wir da meinten (und mit-meinten). Zugleich ist diese Verbindung von Kunst und Nicht-Kunst für die Sprechwissenschaft (und natürlich nicht nur dort) hochrelevant.

Die Sektion begann mit einem themati-schen Impuls der beiden LeiterInnen und so wollen wir es auch hier halten: also:

was soll das alles?

Menschen die Sprechwissenschaft stu-diert haben oder sprechwissenschaftlich

arbeiten, denken Phänomene der Münd-lichkeit aus verschiedenen methodologi-schen Perspektiven (naturwissenschaft-lich, sozialwissenschaftlich quantitativ und qualitative, geistes-wissenschaftlich).

Außerdem haben sie Mündlichkeit aus rhetorischer, therapeutischer, phoneti-scher und eben auch künstleriphoneti-scher Per-spektive gedacht und getan. Sprechwis-senschaftlerinnen zeichnen sich dadurch aus, dass sie über künstlerisches Spre-chen/ ästhetische Kommunikation nicht nur reflektiert, sondern sie auch selbst gemacht haben. Sie haben sich idealer-weise die Theorie und den analytischen Zugriff einverleibt.

Aus diesem immer schon Zusammenge-hören entstand der Verdacht, dass viele Sprechwissenschaftlerinnen in Grenzbe-reichen von Kunst und Nicht-Kunst arbei-ten und ästhetische Kategorien für ihre Arbeit hochrelevant sind. Dass das so ist zeigten die Vorträge.

Doch als Begründung für eine Sektion will das noch nicht reichen, scheint es doch zu pragmatisch. Möglicherweise ist die Verbindung von Kunst und anderen As-pekten des Mündlichen in der Sprechwis-senschaft einfach ein Zufall, entstanden aus einer etwas eigenartigen Disziplin.

Dass das nicht so ist zeigten zum einen die Tagungsbeiträge, zum anderen möch-ten wir dafür einige Gedanken liefern.

Die Verbindung von künstlerischem und nicht-künstlerischem, von Dingen die äs-thetische Wirkung beanspruchen und sol-chen die nicht unter Kunstverdacht ste-hen, lässt sich in Analyse und Rezeption und Produktion unterscheiden. An dieser Stelle sollte nun wohl spätestens eine De-finition dessen stehen, was wir unter Kunst und ästhetisch verstehen. Die kommt nicht.

Welche Rolle spielen also ästhetische Kategorien für die Analyse von Phäno-menen und Artefakten? Dieser Frage geht auch die Wissenschaftsästhetik nach. Anspruch an gute Forschung, so dieser Ansatz, ist implizit oft auch, dass

die Ergebnisse „schön“ sind, eine klare Form haben. Dieses Phänomen ist inssondere für die Naturwissenschaften be-schrieben, die Präferenz für eine gute Dramaturgie der Ergebnisse, die nicht selten durch die Zurichtung der Ergebnis-se für die Publikation in eine bestimmte Form gebracht werden und dadurch erst zu diesen Ergebnissen werden.

Noch deutlicher wir der Einfluss ästheti-scher Kriterien in der phonetischen Arbeit und Arbeiten mit Stimmbeurteilungen.

Was Sprechwissenschaftlerinnen als déformation professionell häufig kennen – in allen geeigneten und ungeeigneten Kontexten auf die ästhetischen Qualitäten einer Stimme zu achten. Diese Orientie-rung kann hier auch zum Hindernis wer-den.

3. Die Beiträge

Auf die Konstituierung der Sitzung folgten sieben Vorträge, die das Thema von ganz unterschiedlichen Stellen aus in den Blick nahmen: Stimme im Radio, Unterrichten mit künstlerischen/literarischen Texten, Theatermethoden im Kommunikations-training und Fragen schauspielerischen Sprechens, Status der Sprechkunst in der Sprechwissenschaft.

Diese Beiträge sollen nun im Folgenden kurz dargestellt werden.

Ines Bose und Golo Föllmer stellte die

“Entwicklung eines Analyseinstrumentari-ums von Radiostimmgestaltung und Ra-dio Broadcast Design” vor. Grundlegende Frage ist hier, wie sich das Phänomen, dass Radiosender einen charakteristi-schen Sound haben, eine akustische Anmutung wie Bose/Föllmer sagen, fas-sen und beschreiben lässt. Eine speziell sprechwissenschaftliche Fragestellung ist in diesem Zusammenhang welche Rolle Stimm- und Sprechmerkmale in der Her-stellung dieser Anmutung spielen. Aber auch inwiefern die Inszenierung der ge-sprochenen Wortbeiträge in das Design der gesamten Sendung eingepasst wer-den kann, kann als Perspektive für die

Moderatorinnen und Nachrichtenpräsen-tatorinnen angenommen werden.

Alexandra Zepter, ausgebildete Tänzerin und Linguistin mit Spezialisierung in Schreibforschung nannte ihren Vortrag

„TextBewegung: Ästhetische Sprech-, Schreib und Bewegungserfahrungen im Lehramt Deutsch“. Sie beschrieb einen Ansatz im kreativen Schreiben mit Schü-lerinnen und Schülern in der sich tänzeri-sche Bearbeitung eines Themas mit der Schreibenden abwechselt und verbindet.

Das Tanzen eröffnet den SchülerInnen Verstehensmöglichkeiten, die in das Schreiben einfließen und vice versa.

Grundlage für ihre Arbeit sind Theorien zum Embodiment, also Ansätze die beto-nen, dass sich kognitive Tätigkeiten nicht vom Leib in dem und durch den sie sind abteilen lassen.

Zepter eröffnete damit eine Reihe von drei Vorträgen die sich mit der Nutzung von Literatur in nicht-literarischen Kontex-ten auseinandersetzen. Eine ähnliche Si-tuation ergibt sich bei der Arbeit mit Fremdsprachenlernern, zu der Beate Redecker dieses Motiv in ihrem Vortrag zu „Literarische[n] Texten im korrektiven Phonetikunterricht“ aufnahm. An einem Fallbeispiel zeigt Redecker wie ein Hin-wenden zur künstlerischen Bearbeitung eines Textes als Ergebnis auch eine deutliche phonetische Verbesserung bei der tschechischen Muttersprachlerin brachte. Als künstlerischen Ansatz wählte Redecker den Gestus, der am Ende ver-hilft, wie sie sagt, „Hemmungen abzu-bauen“ und für beide Seiten nervigen Drill, i. S. Korrekturen phonetischer De-tails, zu sparen.

Als dritter und das Feld „Arbeit mit Litera-tur“ abschließender Beitrag berichtete Ute Lienhöft über „die Anwendung künstleri-scher Texte und Methoden im Stimm- und Sprechtraining“. Sie rahmte ihren Beitrag ausdrücklich als den einer

Prakti-kerin. Sie beleuchtete drei Aspekte der Arbeit mit künstlerischen Texten. Als ers-tes, ähnlich wie Redecker, die Wirkung, die künstlerischer Text auf das Erlernen phonetischer, hier rhythmischer, Phäno-mene hat. An zweiter Stelle beschreib sie ihre Arbeit mit inneren Bildern und Sen-tenzen als Hilfsmittel, um Angemessen-heit im Ausdruck zu erreichen. An letzter Stelle nannte sie unter der Überschrift

„Heil-Kunst“ die magische Funktion von Texten, die die Vortragenden und oder Rezipientinnen spirituell berühren.

Auf die Bedeutung literarischer Texte für die Lehrpraxis folgten Vorträge zur Rolle schauspielerischer Arbeit. Torsten Rother überschrieb seinen Vortrag mit „Improvi-sationstheater im Rhetoriktraining - An-wendungsmöglichkeiten für die Sprecher-ziehung“. Rother gab eine kurze Einfüh-rung in die Grundprinzipien des Improvi-sationstheaters/ Theatersports und stellte dann Anwendungsmöglichkeiten im Kommunikationstraining vor. Die Mög-lichkeit die Methoden aus dem Improvisa-tionstheater bieten sind das schnelle, spontane Agieren und Reagieren. Durch einen klar spielerischen „als-ob“ Rahmen geht es hier weniger um Probehandeln als vielmehr um eine grundlegende Flexi-bilität. In der Diskussion tauchte die Fra-ge auf, inwiefern sich das gute Gefühl aus dem Training für den Transfer eignet.

Im Anschluss sprach Baldur Neuber über die Bedeutung der Sprechkunst für die berufliche Arbeit von Sprechwissen-schaftler/innen und Sprecherzieher/innen.

Er konstatierte ein Defizit der Sprech-kunst im Vergleich mit anderen Feldern in Bezug auf die Anwendbarkeit und formu-lierte hier professionelle Handlungs- und Tätigkeitsfelder. Für uns interessant war dabei der deutlich geäußerte Geltungs- und Anwendungsanspruch der im Künst-lerischen wirkenden Sprecherziehung und Stimmbildung. Das heißt, dieser muss über den klar definierten Bereich der Vortragskunst und die Arbeit mit

Schauspielern hinaus auch eine verän-derte Auffassung der Sprechkunst nach sich ziehen. Auch ein Rapper möchte letztendlich seine Stimme nicht verlieren und kann von sprechkünstlerischer Arbeit profitieren, so Neuber.

Zuletzt legte Michael Thiele einen Fokus auf schauspielerische Praxis. Ausgehend von einem vielkolportierten Missver-ständnis zu Stanislawski, dass die voll-ständige Identifizierung des Ichs mit der Rolle unterstellt, untersucht er die Per-spektive der Laien wie Profis die sich in verschiedenen Situationen künstlerisch tätig wiederfinden. Über das von Hogrebe adaptierte ‚Wir existieren szenisch’ reflek-tiert er damit die Position und Rolle des Schauspielers und unweigerlich aller die sich in einer „Rolle“ wiederfinden.

Auch in der Abschlussdiskussion hatten wir durchaus den Eindruck, dass ein wei-terer Bedarf an der gewählten Thematik besteht. Wir erkennen ebenso eine Not-wendigkeit, die Praxis an diesen Diskurs anzukoppeln, fragen uns aber natürlich nach dem geeigneten Wie.

4. So etwas wie ein Resümee

Auch im Sinne des Vorhergenannten geht das neue Sektionentagungskonzept un-serer Ansicht nach auf. Es bietet die Mög-lichkeit, eine themenzentrierte Arbeit in einer kleineren Runde (Sektion), so wie schon in den letzten Jahren praktiziert, fortzusetzen. Hier sei an alle die sich nicht in einer künftigen Ausschreibung ei-ner Sektion wiederfinden und vielleicht sogar von der Sektion abgelehnt werden:

1. Die GAL ist nicht teuer und lohnt sich auf jeden Fall, 2. Die zukünftige große Jahrestagung wird mehr offene Slots ha-ben. Der Vorteil hierbei ist, dass man auch andere als die eigenen Fachkolle-gen im Publikum hat.

Dabei hat sich auch unser expliziter Auf-ruf an die ausgesprochenen PraktikerIn-nen bewährt, weil sich hier eine Quelle für fallreiche Schilderungen von

Erfahrungs-wissen auftut. Dies ist zweifelsohne nicht neu, doch nicht selbstverständlich, weil die wissenschaftliche Reflektion ja übli-cherweise in Personalunion stattfindet.

Dabei soll zum anderen nicht verkannt werden, dass diese Beiträge einen größe-ren Klärungsbedarf auf beiden Seiten er-fordern. Deshalb wird der Raum für sol-che Art Beiträge auch unbedingt erhalten bleiben, d.h. wir ermutigen dazu.

Äußerst interessant wird es in jedem Fal-le, wenn Beiträge - sei es im Vortrag oder den Diskussionen – von „Disziplinaußen-seitern“ (Deutschdidaktiker, Literatur- und Sprachwissenschaftler etc.) hinzukom-men. Dies ist klar Teil unserer Motivation und ein unbedingter Vorteil der GAL-Tagungen. Dieser Vorteil gilt sowohl für die Vortragenden in den Arbeitsgruppen (Sektionen) als auch für die Teilnehmen-den an Teilnehmen-den Themenbereichen (Sympo-sien). Es ermöglicht auch, sich produktiv und komplett von der Vorstellung zu ent-wöhnen, die Sprechwissenschaft wäre als Disziplin, die sich mit den Problemen von Mündlichkeit und deren Vermittlung be-schäftigt, singulär.

Zu den AutorInnen:

Sven Grawunder ist Wissenschaftler an der Abteilung Linguistik des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig.

Kati Hannken-Illjes ist Professorin für Sprechwissenschaft an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stutt-gart.

E-Mail-Adressen:

grawunder@eva.mpg.de

kati.hannken-illjes@mh-stuttgart.de

Im Dokument bvs sprechen (Seite 33-37)