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Gemeinsamkeiten Sprechkunst/

Im Dokument bvs sprechen (Seite 42-45)

Antrittsvorlesung. Aufgeschrieben

4. Gemeinsamkeiten Sprechkunst/

Rhetorik

In der Verbindung von Rhetorik und Sprechkunst an sich liegt schon ein Schlüssel für das Zeigen von Wissens-prozessen. Rhetorik und Sprechkunst sind eng verbunden. Im antiken Grie-chenland wird die Rhetorik als techné ge-fasst, das heißt als Technik, aber auch als Kunst beziehungsweise als Kunstfer-tigkeit. Für Aristoteles ist Rhetorik eben keine Theorie oder Wissenschaft wie manche deutsche Übersetzung nahe legt, sondern eine Kunst, wie es im Englischen in der Regel übersetzt wird.

Diese Idee der Rhetorik als Kunst, oder zumindest als Disziplin mit hohem ästhe-tischen Anspruch findet sich auch wieder in dem Verständnis von Rhetorik, das über viele Jahrhunderte hin prägend war:

Rhetorik als Schmuck, als die äußere Form. Die Kunstfertigkeit der Rednerin würde sich dann dadurch ausdrücken, dass sie Redefiguren angemessen ein-setzen kann und so bei der Hörerin nicht nur Überzeugung, sondern auch Gefallen weckt. Dass sie einen Genuss an guter sprachlicher Form ermöglicht. Nun fällt dieses Verständnis von Rhetorik zusam-men mit einem pejorativen Rhetorikbeg-riff. ‚Das ist ja nur Rhetorik.‘ Das heißt ja fast immer: das ist nur Äußerlichkeit, das ist nur Gebimmel, um vom Eigentlichen abzulenken.

8 Das ist natürlich so auch keine Neuigkeit. Vgl.

z.B. Geißner 1988. Nun geht es mir nicht darum zu zeigen, dass beides

Gemeinsamkeiten aufweist, sondern zu schauen, was es für die Rhetorik bedeuten könnte, diese Gemeinsamkeiten einmal auszubuchstabieren.

Was ist das Eigentliche? Das Eigentliche wäre dann die Substanz, der Gegens-tand, das Argument. Nun ist dieses Ei-gentliche vom Ausdruck vielleicht gar nicht zu trennen. Vielleicht gibt es nichts hinter der Rede außer neuer Rede. Viel-leicht wird nicht der Redeschmuck auf ei-nen Gegenstand gepfropft, sondern die sprachliche Form bestimmt den Gegens-tand. Es gibt kein Eigentliches außerhalb der Rede. Es gibt kein Eigentliches, das nicht schon sprachlich zugerichtet wäre.

Diese Auffassung findet sich seit den So-phisten über Giambattista Vico bis hin zur Neuen Rhetorik des 20. Jahrhunderts un-ter Überschriften wie „rhetoric as episte-mic“. 9 Rhetorik vermittelt keine Inhalte, kein Wissen, sie konstituiert es.

Achtung: das ist kein radikalkonstruktivis-tischer Ansatz. Das heißt vielmehr, dass Wissen immer wieder aktualisiert, aufge-führt werden muss, und in dieser Auffüh-rung sind nicht nur sprachliche und inhalt-liche Dimension nicht klar zu trennen, sondern in sie spielt auch die Materialität der Kommunikation zentral hinein.

Doch nun zur Frage der Gemeinsamkeit im Begriff der Wahrscheinlichkeit. Aristo-teles beschreibt in der Poetik die Rhetorik als Grundlage der Dichtkunst, denn auch der Dichtkunst geht es um Wahrscheinli-ches, nicht Wahres. Damit haben Poetik und Rhetorik einen ähnlichen Weltbezug:

es geht um das Darstellen und Herstellen von Möglichem, neben dem auch immer anderes möglich bleibt. Dies ist sicher für die Sprechkunst unproblematisch zu jahen. Aber auch die Rhetorik ist be-stimmt durch das Bewusstsein, dass alles auch anders sein kann. Dies ist als Grundlage schon vom Vorsokratiker und Sophisten Protagoras beschrieben, der konstatierte, dass es von jeder Sache zwei Seiten gäbe, und dass es am Rhetor liege, die eine oder die andere Seite als die stärkere darzustellen. Das heißt auch, dass keine Seite per se stärker ist.

9 Vgl. dazu u. a. Scott 1967

Rhetorisches Handeln wird dann wichtig, wenn Un-Eindeutigkeit besteht, der Weg nicht klar und vorgegeben – geschweige denn alternativlos – ist, aber für die vor-liegende Situation eine Lösung gefunden, eine Entscheidung getroffen werden muss. Rhetorik heißt immer verschiedene potenziell gleichwertige Möglichkeiten zu verhandeln. Hans-Christoph Koller (1999) sieht den Wert der Rhetorik in ihrer Fä-higkeit diese Ungewissheit, die durch den Mangel an Wahrheit und der Omniprä-senz von Wahrscheinlichkeit gegeben ist, zu bearbeiten. Er spricht, in Anlehnung an Jörg Ruhloff, von Ungewissheitsma-nagement.

Das ist sicher unter Rhetorikerinnen un-umstritten: Rhetorik bearbeitet Ungewiss-heit. Debatten gründen sich darauf, dass aus dem Widerstreit von Meinungen eine Entscheidung erwachsen kann. Das ame-rikanische Strafrechtssystem hat das gleiche Paradigma der Wahrheitsfindung.

Lasse ich nur gegensätzliche Seiten lan-ge lan-genug lan-gelan-geneinander laufen, kann das Publikum eine gute informierte Ent-scheidung treffen.

Koller geht aber noch einen entscheiden-den Schritt weiter, der uns interessieren muss „Was Rhetorik leisten kann (bzw.

soll), ist meiner Überzeugung nach also weniger Kompensation, als vielmehr Ver-gegenwärtigung von Ungewissheit“

(1999, 172, Hervorhebung im Original).

Ungewissheit nicht nur besprechen und auflösen, sondern auch zeigen.

Hier kommt nun ein Begriff ins Spiel der eine Lösung bringen soll. Sinnüber-schuss. Alle Formen sprachlichen Han-delns eint ein Charakteristikum: Die Her-stellung und Bearbeitung von Sinnüber-schuss. Nun ist der Sinnbegriff so einfach nicht: Sinn verstehe ich nicht essentialis-tisch als etwas Eigentliches das hinter dem vordergründigen Zeichen und seiner Nutzerin liegen könnte. Sinn verstehe ich als das, was von den Teilnehmerinnen als solcher bearbeitet wird. In der Sprechkunst erscheint häufig der Begriff

des Sinnangebots, das die Künstlerin macht. Doch das ist sehr von einer star-ken Akteurin aus gedacht. Ich biete etwas an, was von den anderen, den Rezipien-ten nur noch verstanden werden muss.

Sinn verstehe ich vielmehr als einen Zu-schreibungsprozess. Geißners (1988) Verständnis von Sinnkonstitution im kommunikativen Prozess meint wohl ähn-liches.

Oh, nun habe ich es doch gesagt: Kom-munikation. Richtig, ein weiterer Kristalli-sationspunkt. Der mich aber hier nicht unter Kommunikation versteht. 10

Einen Überschuss an Sinn zu produzie-ren ist auch für die Rhetorik grundlegend.

Dieser Begriff des Sinnüberschusses ist eng an den Begriff der Metapher gebun-den: Durch metaphorisches Sprechen öffne ich immer deutlich mehr als einen Bedeutungshorizont. Genette (1966) hat darauf hingewiesen, dass die grundsätz-lich angelegte Mehrdeutigkeit von Spra-che im Gebrauch rhetorisSpra-cher Figuren besonders deutlich wird. Hier wird Sinn-überschuss hergestellt.

Der schon vorhin angeführte Koller (1999) nimmt Genettes (1966) Auffas-sung auf und leitet sie zu de Man weiter:

ist bei Genette die rhetorische Figur ein Mittel um die fundamentale

10 Dieser kurze Einwurf zur Kommunikation stand zwar im Manuskript, ich habe ihn aber

ausgelassen. Dass er den Weg in das Manuskript zurück gefunden hat, liegt daran, dass ich hier natürlich einen zentralen Begriff einfach beiseitelasse. Dafür gibt es gute Gründen: Für mein Anliegen war der

Kommunikationsbegriff nicht zentral, vielleicht schon zu selbstverständlich. Gleichzeitig kann man dem, was ich hier darlege, aber sicher auch den Vorwurf machen, doch sehr wenig dialogisch zu denken. Aber nur weil ich etwas nicht zentral setze, heißt das nicht, dass ich es nicht bedeutsam finde. Im Gegenteil.

keit von Sprache in den Fokus zu stellen, geht es de Man (1988) darum, dass Rhe-torik dazu dient unterschiedliche Lesarten gegeneinander zu setzen und die Un-möglichkeit der Entscheidung zu zeigen, welcher Lesart nun der Vorrang einge-räumt werden muss.

Nun ist diese Sichtweise völlig entkoppelt von einer Entscheidungslogik, die aber für Rhetorik im politischen und juristi-schen konstitutiv ist. Wunderbar, es gibt verschiedene Lesarten – feiern wir die Differenz. Das enthebt mich aber als Ju-ristin beispielsweise nicht der Notwendig-keit zur Entscheidung.

Und doch: ein Großteil rhetorischer Arbeit ist auch Klären, ist Sinn herzustellen, als was etwas gelten könnte, und hier wäre es eine Möglichkeit nicht Sinn im Singu-lar, sondern im Plural herzustellen. Zwei Seiten einer jeden Sache – sich nicht für eine zu entscheiden, sondern beide zu bearbeiten.

Dadurch, dass alles sprachliche Handeln – sei es sprechkünstlerisch oder rheto-risch – einen Sinnüberschuss generiert und vielfältige Bezugsrahmen möglich macht, verbinden sie sich nicht nur im Wahrscheinlichen, sondern auch in jeder aktuellen rhetorischen Situation, in jeder Aufführung. Sinnüberschuss wird immer wieder ganz unterschiedlich hergestellt und kann so bearbeitet werden. Die Plu-ralität an möglichem Gemeintem offen zu lassen, durch die Rezipientinnen selbst einsetzen zu lassen. Auch dann, wenn möglicherweise Widersprüchliches da-stehen kann.

Nun entsteht Sinnüberschuss nicht nur durch sprachliche Zeichen, sondern auch durch die Verbindung von sprachlichem und leiblichem. Diese Verbindung ist für sprechkünstlerisches und rhetorisches Arbeiten zentral. Im Sprechen entsteht Sinn durch zwei Sorten von Zeichen:

durch symbolisches/ sprachliches Han-deln. Ich sage etwas. Was diese etwas ist, ist nie ein-eindeutig, sondern ambig.

Siehe oben. Sinn entsteht auch durch die

Leiblichkeit und vor allem die Stimmlich-keit. Die Stimme ist nach Sybille Krämer und Doris Kolesch (2006) ein Schwellen-phänomen. „denn sie ist immer zweierlei:

sie ist sinnlich und sinnhaft, …sie sagt und zeigt zugleich, in ihr mischen sich sprachliches und Bildliches. …“ (12).

Wenn es eben bei der Sprechkunst ganz kurz um Sinn und Sinnüberschuss ging – ganz kurz, da es eben als sprachliches Handeln auch immer Sinnüberschuss produziert – dann ist ja auch entschei-dend wodurch der erfahrbar wird. Der Sinnüberschuss wird aufgeführt, wird präsent gemacht.

Diese Möglichkeit der Sinnkonstitution kann ich versuchen zu kontrollieren, aber auch sie auszubeuten. Die Aufnahme von Sinnüberschuss ist hier, anders als in Be-zug zur Wahrscheinlichkeit poetischen und rhetorischen Redens, eine Verbin-dung von verschiedenen Medien. Die Komplementierung der rhetorischen Rede durch bewussten Einsatz des Körpers, aber auch durch andere Ausdrucksmittel.

Und hier auch ein ernst nehmen, dass auch leiblicher Ausdruck Bedeutung trägt, aber nicht nur, dass er auch durch seine Präsenz, durch die Tatsache, dass er räumlich wahrnehmbar ist, wirkt.

Fehlt noch die Subjektivität. Die hatte ich anfangs der Sprechkunst zugestanden, der Rhetorik nicht. Auch in der Rhetorik spielt Subjektivität eine zentrale Rolle – die Grundlagen der Rhetorik bei den So-phisten und Vorsokratikern entstehen aus der Notwendigkeit subjektiven Sinn in all-gemein Akzeptiertes zu verwandeln.

Aber, und hier ist der große Unterschied, ist diese Subjektivität der Rhetorik immer vorgeworfen worden, zeigt sie doch nur Meinung, nicht Wahrheit. Zum anderen lässt sich einiges an rhetorischer Praxis beschreiben als das Verschleiern dieser Subjektivität – das Bemühen, etwas un-hintergehbar Subjektives wie Meinung als objektivierbar (oder doch zumindest inter-subjektivierbar) zu behandeln. Doch ich stehe hier nicht nur als Inhaberin einer

sozialen Rolle, die ein akademisches Ri-tual ausfüllt und deren Verhalten und Handeln begrenzt wird durch Erwartun-gen und ErwartungserwartunErwartun-gen, die an jede andere Inhaberin meiner Rolle ganz genauso gelegt würden. Das was ich hier heute so sage, kann ich nur so sagen auf Grund meiner Biographie, meiner Erfah-rungen, meiner Person.

Das ist es schon.

Das ist es eigentlich schon.

Etwas fehlt.

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