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Seit seiner Verabschiedung im Dezember 2016 ist der Nationale Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) Bestandteil des Menschen­

rechtsberichts. Der NAP legt dar, wie Deutschland seinen menschenrechtlichen Verpflichtungen im Kontext der UN­Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte nachkommen will. Er befindet sich im vierten und letzten Umsetzungsjahr.

Im Berichtszeitraum war die NAP- Umsetzung stark durch die Prüfung geprägt, ob und in welchem Ausmaß Unternehmen ihrer

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menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht nach-kommen. Laut NAP sollte bis 2020 von den in Deutschland ansässigen Unternehmen mit mehr als 500 Arbeitnehmer_innen mindestens die Hälfte Maßnahmen zur menschenrechtlichen Sorgfalts­

pflicht ergriffen haben. Der im Sommer 2020 vorgestellte Monitoringbericht kam allerdings zum Ergebnis, dass gerade einmal jedes fünfte Unternehmen diese Vorgabe erfüllt. Der NAP und auch der Koalitionsvertrag sehen in einem solchen Fall eine entsprechende gesetzliche Regelung, ein sogenanntes Lieferkettengesetz, vor – erste Eck­

punkte dazu wurden vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales und vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick­

lung (BMZ) bereits erarbeitet.

Darüber hinaus gab es im Berichtszeitraum Ent-wicklungen in verschiedenen Branchen: Die Automobilindustrie startete einen Branchendia­

log, um gemeinsam menschenrechtlichen Heraus­

forderungen in der Wertschöpfungs­ und Liefer­

kette zu begegnen; bezüglich der Textil industrie präsentierte das BMZ im September 2019 den Grünen Knopf, das erste staatliche Siegel für nachhaltige Textilien.

Auf politisch­regulativer und auf gesetzlicher Ebene gab es zwei Entwicklungen: Im Januar 2020 hat die Bundesregierung ihre Rohstoff-strategie novelliert. Zu begrüßen ist, dass sie sich auf die UN­Leitprinzipien und den NAP stützt.

Allerdings sind keine Maßnahmen enthalten, um Menschenrechtsverletzungen bei der Rohstoffbe­

schaffung zu verhindern. Darüber hinaus trat im Mai 2020 das Gesetz zur Durchführung der EU-Konfliktmineralienverordnung in Kraft. Ziel der Verordnung ist es, dass Unternehmen, die in der EU ansässig sind, über den Import von be­

stimmten Rohstoffen nicht zur Finanzierung von il­

legalen bewaffneten Gruppen in den Abbauländern beitragen. Allerdings mangelt es dem Gesetz an einem Sanktionsmechanismus für Unternehmen, die nicht mit der nötigen menschenrechtlichen Sorgfalt agieren.

Nicht zuletzt wurden im Berichtszeitraum erste Maßnahmen zum bisher vernachlässigten Thema Beschwerdemöglichkeiten ergriffen – dabei geht es um Personen, die sich durch ein deutsches Unternehmen im Ausland in ihren Rechten verletzt sehen: Das Bundesministe­

rium für Justiz und Verbraucherschutz fördert ein Forschungsvorhaben zu alternativen Streit­

beilegungsmechanismen und veröffentlichte eine Broschüre über den Zugang zu Recht und Gerichten bei Menschenrechtsverletzungen im Verantwortungsbereich von Unternehmen. Es ist zu bedauern, dass die Broschüre nicht über eine Auflistung der Rechtsschutzmöglichkeiten hin­

ausgeht. Der Zugang zu Abhilfe für Betroffene ist weiterhin ein großes nationales, europäisches und internationales Problem und bedauerlicherweise auch eines der „Schlusslichter“ in der deutschen NAP­Umsetzung.

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1 Deutschland im

Menschenrechtsschutzsystem

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In Kürze

– Neben den im Grundgesetz verankerten Grund­ und Menschenrechten hat Deutsch­

land zahlreiche internationale und europäi­

sche Menschenrechtsverträge ratifiziert.

– Im Berichtszeitraum wurden die menschen­

rechtlichen Verpflichtungen Deutschlands im Rahmen von zwei europäischen Überprü­

fungsverfahren geprüft: der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz und der Europäischen Sozialcharta.

– Am 4. November 2020 jährt sich die Verab­

schiedung der Europäischen Menschenrechts­

konvention zum 70. Mal. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschen­

rechte ist ein wichtiges Mittel zur Auslegung der Grundrechte des Grundgesetzes.

1.1 Die menschenrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands

Das Grundgesetz (GG) enthält in Artikel 1 Absatz 2 das Bekenntnis zu „unverletzlichen und unver­

äußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft“. Grund­ und Men­

schenrechte sind dementsprechend im Grundge­

setz garantiert. Zudem hat Deutschland sich mit der Mitgliedschaft im Europarat und den Vereinten Nationen (United Nations, UN) sowie mit der Ratifikation zahlreicher Menschenrechtsverträge in das europäische und das internationale Men­

schenrechtsschutzsystem eingebunden.

Dabei hat sich Deutschland sowohl internationalen Verträgen im Rahmen der Vereinten Nationen – zum Beispiel dem UN­Zivilpakt, dem UN­Sozial­

pakt und der UN­Behindertenrechtskonvention – als auch europäischen Menschenrechtsverträgen – zum Beispiel der Europäischen Menschenrechts­

konvention – unterworfen. Zudem ist Deutschland im Anwendungsbereich des Rechts der Europä­

ischen Union (EU) an die EU­Grundrechtecharta gebunden. Die aus den Menschenrechtsverträgen entstehenden Rechte und Verpflichtungen sind völkerrechtlich verbindlich und Bestandteil der

deutschen Rechtsordnung. Sie bilden die Grund­

lage für individuelle Rechtspositionen aller Men­

schen unter deutscher Hoheitsgewalt.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfas­

sungsgerichts sind die völkervertragsrechtlichen Menschenrechtsgarantien auch als Auslegungs­

hilfe heranzuziehen, um Inhalt und Reichweite der grundgesetzlich garantierten Grundrechte zu bestimmen. Die internationalen Menschenrechts­

standards sind daher auch in den Verfahren vor deutschen Gerichten zu berücksichtigen – unmit­

telbar oder bei der Auslegung von Grundrechten – und finden in den vergangenen Jahren zunehmend Eingang in die Rechtsprechung in Deutschland.

Jenseits individuell einklagbarer Rechtspositionen machen die Menschenrechte auch verbindliche Vorgaben für Regierung, Gesetzgebung und Ver­

waltung in Bund und Ländern. Einerseits müssen politische Prozesse transparent, inklusiv und dis­

kriminierungsfrei ablaufen und andererseits darauf abzielen, alle Menschenrechte weitestgehend zu gewährleisten.

Menschenrechte sind für Staaten nicht nur auf ihrem eigenen Territorium bindend, sondern auch im Rah­

men internationalen staatlichen Handelns. Dies gilt sowohl für Handeln außerhalb des Staats gebietes, beispielsweise im Rahmen von Marineeinsätzen im Mittelmeer oder der Entwicklungszusammenarbeit, als auch für das Handeln in internationalen Organi­

sationen (zum Beispiel bei der Rechtsetzung in der EU oder im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen).

Welche Fortschritte die Staaten bei der Umset­

zung ihrer Verpflichtungen auf diesen unterschied­

lichen Ebenen gemacht haben, ist Gegenstand internationaler Überprüfungsverfahren. Ausschüsse unabhängiger Expert_innen (Fachausschüsse) in den Vereinten Nationen und im Europarat über­

prüfen die Vertragsstaaten regelmäßig und geben Empfehlungen ab. Einen Überblick über die Emp­

fehlungen an Deutschland aus den Überprüfungs­

verfahren im Berichtszeitraum (Juli 2019 – Juni 2020) gibt Kapitel 1.2.

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1.2 Deutschland im Blick internationaler und euro-päischer Menschenrechts-gremien und -institutionen

Mit der Ratifikation von Menschenrechtsverträgen gehen Pflichten für Deutschland einher: Als Ver­

tragsstaat verpflichtet es sich dazu, die festge­

schriebenen Normen einzuhalten und über die Umsetzung der vertraglichen Verpflichtungen regelmäßig Bericht zu erstatten. Dieser Staaten­

bericht bildet – zusammen mit Parallelberichten der Zivilgesellschaft und der Nationalen Men­

schenrechtsinstitution – die Grundlage für Empfehlungen, die die Fachausschüsse zu den einzelnen Menschenrechtsverträgen gegenüber Deutschland nach einer intensiven Befragung aussprechen. Das Berichtsverfahren ist dabei – je nach Menschenrechtsvertrag – zeitlich unter­

schiedlich getaktet. In der Regel muss Deutsch­

land den Fachausschüssen alle vier bis fünf Jahre Bericht über die Umsetzung des jeweiligen Men­

schenrechtsvertrags erstatten.

Darüber hinaus gibt es für einzelne Betroffene teilweise die Möglichkeit, sich bei den Fachaus­

schüssen der UN­Menschenrechtsverträge über Menschenrechtsverletzungen zu beschweren (so­

genannte Individualbeschwerdeverfahren). Im Fall systematischer oder schwerer Menschenrechts­

verletzungen können einige Fachausschüsse auch Untersuchungsverfahren durchführen.1

Eine Sonderstellung nimmt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ein, der die Einhaltung der Europäischen Menschen­

rechtskonvention (EMRK) überwacht. Als ständiger Gerichtshof nimmt er Individual­ sowie Staatenbe­

schwerden entgegen und trifft rechtsverbindliche

1 Da die Untersuchungsverfahren vertraulich sind, gibt es keine öffentlich zugänglichen Informationen über ihre Eröffnung.

2 Aktueller Bericht des Europarats zur Umsetzung der Urteile 2019: https://rm.coe.int/annual­report­2019/16809ec315 (abgerufen am 14.09.2020).

3 EGMR, 5. Sektion: Individualbeschwerde Nr. 68556/13, Urteil vom 20.02.2020.

4 Zu der Rechtsfrage vertrat der Bundesgerichtshof im Jahr 2017 dieselbe Ansicht wie der EGMR: Bundesgerichtshof (BGH): Beschluss vom 10.05.2017 – 2 StR 117/17, Rn. 5. Dies war jedoch ohne Bedeutung für das bereits zuvor abgeschlossene Verfahren, das Gegenstand der Beschwerde an den EGMR war.

5 EGMR, 5. Sektion: Individualbeschwerde Nr. 17895/14, Urteil vom 28.05.2020.

6 Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2019).

7 Sauer (2019).

Entscheidungen. Das Ministerkomitee des Europa­

rates überwacht den Vollzug der Entscheidungen des EGMR.2

Im Berichtszeitraum Juli 2019 bis Juni 2020 stellte der EGMR in zwei von insgesamt acht Urteilen eine Rechtsverletzung durch Deutschland fest.

In beiden Fällen sah der EGMR das Recht des Beschwerdeführers auf ein faires Verfahren im Sinne von Artikel 6 der EMRK verletzt. Im Fall Krebs gegen Deutschland3 bemängelt der Ge­

richtshof, dass das deutsche Gericht bei seiner Entscheidung, die gegen den Beschwerdeführer verhängte Strafe nicht zur Bewährung auszuset­

zen, den Grundsatz der Unschuldsvermutung (Artikel 6 Absatz 2 EMRK) missachtet habe.4 Im Fall Evers gegen Deutschland5 sah der Ge richtshof das Recht auf rechtliches Gehör durch das deut sche

­ Gericht als verletzt an. In beiden Fällen ging es nicht um systemische Fehler, die eine Gesetzes änderung

­ erforderlich gemacht hätten. Vielmehr stellte der EGMR, gestützt auf seine gefestigte Rechtsprechung zu den jeweiligen Rechtsfragen, einzelfallbezogen Fehler bei der Anwendung von Verfahrensvorschriften durch die deutschen Ge­

richte fest.

Die Deutschland betreffenden Verfahren vor dem EGMR werden durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz jährlich in dem Bericht über die Rechtsprechung des EGMR und die Umsetzung seiner Urteile in Verfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland aufgearbeitet.6 In einem zweiten Bericht, dem Bericht über die Rechtsprechung des EGMR in Verfahren gegen andere Staaten als Deutschland, werden ausge­

wählte Verfahren gegen andere Vertragsstaaten und ihre Relevanz für Deutschland diskutiert.7 Ausführliche Informationen zu allen Menschen­

rechtsinstrumenten und Dokumente zu den

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jeweiligen Staatenberichtsverfahren und Individu­

albeschwerden finden sich auf der Website des Deutschen Instituts für Menschenrechte.8 Einen

8 Deutsches Institut für Menschenrechte: http://www.institut­fuer­menschenrechte.de/menschenrechtsinstrumente/

Überblick über die Berichtspflichten Deutschlands geben die nachfolgenden Tabellen.