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1.3 Z YTOSTATISCHE T UMORTHERAPIE

1.3.2 Platinverbindungen als Zytostatika

1.3.2.2 Wirkmechanismus von Cisplatin

Krebszellen unterscheiden sich von normalen Zellen durch den Verlust genetischer Kontrolle über die Lebensspanne. In Krebszellen ist auch der Rückkopplungsmechanismus in Bezug auf die Existenz benachbarter Zellen gestört, was zu unkontrollierter Ausdehnung führen kann (Wucherung). In normalen Zellen werden diese Vorgänge durch Proto-Onkogene reguliert.

Krebs kann durch eine Veränderung dieser Gene oder ihrer Expression initiiert werden.

Nach Infusion (orale Verabreichung ist wegen Hydrolyse in der sauren Magenflüssigkeit nicht möglich) von Cisplatin in Form einer wässrigen, salzhaltigen Lösung kann Cisplatin entweder von Plasmaproteinen gebunden und durch die Niere ausgeschieden (30-70 %) oder unverän-dert durch das Blut transportiert werden. Nach passivem Transport[35] des noch intakten Cis-platins durch die Zellwände verschiedener Organ- oder Tumorzellen, bzw. aktiver Aufnahme durch die Glykocalix verschiedener Zelltypen,[36] wird es im Inneren von Zellen rasch

hydro-lysiert, was auf die deutlich niedrigere Chlorid-Ionenkonzentration (~ 3 mmol·l-1) im intrazel-lulären Bereich im Vergleich zur Chlorid-Ionenkonzentration im Blutserum (~ 100 mmol·l-1) zurückzuführen ist.[37] Innerhalb der Zellen liegen etwa 40 % des Platins als cis-[Pt(NH3)2Cl(H2O)]+ vor.[38] Diese Hydrolyseprodukte des Cisplatins (Abb. 5) sind kinetisch labil, da H2O in Platin(II)-Komplexen eine bessere Abgangsgruppe ist als Cl-. Es wird daher angenommen, dass diese kationischen Komplexe besonders aktive Formen des Zytostatikums darstellen. Da die DNA selbst ein Polyanion ist, kann sie mit diesen Kationen Bindungen aus-bilden, welche zu zytostatischen Veränderungen führen. Dabei werden hauptsächlich Wech-selwirkungen mit den DNA-Basen ausgebildet. Zu den Phosphat- und Zuckereinheiten zeigen die aktiven Spezies dagegen kaum Affinitäten.

cis-Pt(NH3)2Cl2

cis-Pt(NH3)2Cl(H2O)+

cis-Pt(NH3)2(H2O)22+

cis-Pt(NH3)2(H2O)(OH)+ cis-Pt(NH3)2Cl(OH)

cis-Pt(NH3)2(OH)2

Oligomere

pKs = 6.4

pKs = 7.2 pKs = 5.4

k1 = 6.3·10-5 s-1

k1 = 2.5·10-5 s-1 + Cl- - Cl

-+ H+ - H+

+ Cl- - Cl -+ H+

- H+ + H+

- H+

Abb. 5: Vollständiges Hydrolyseschema von Cisplatin.[39]

Für cis-Pt(NH3)2Cl2 konnte gezeigt werden, dass nach Abspaltung von Cl- koordinative Bin-dungen zu den Stickstoffatomen von Nukleobasen gebildet werden, und zwar zu N7 von Guanin (G), zu N1 und N7 von Adenin (A) und zu N3 von Cytosin (C). Durch die Wasser-stoffbrückenbindungen in der DNA sind N1 von Adenin und N3 von Cytosin abgeschirmt; für verschiedene Nukleotid-Oligomere als DNA-Modelle wurde die höchste Platin-Bindungsaffi-nität zu N7 von Guanin gefunden.[39, 40] Die Koordination erfolgt in zwei Stufen, wobei bei der ersten ein monofunktionelles Addukt ausgebildet wird, das anschließend im zweiten Schritt an eine weitere Nukleobase bindet.[41]

In der doppelsträngigen DNA kann ein in cis-Stellung koordinativ zweifach ungesättigter Me-tallkomplex prinzipiell auf verschiedene Arten gebunden werden.[42] Da Komplexe mit nur einem labilen Liganden wie etwa Chloro(diethylentriamin)platin(II) Pt(dien)Cl+ therapeutisch inaktiv sind, spielt monofunktionell koordiniertes Platin vermutlich nur die Rolle einer

Zwi-schenstufe.[43] Chelatkomplexbildung durch Stickstoff- und Sauerstoffkoordination an einer Base, Verknüpfung zweier Nukleobasen eines DNA-Stranges (intrastrand cross-linking), Quervernetzung zweier verschiedener DNA-Stränge (interstrand cross-linking) und Verknüp-fung der DNA mit einem Protein sind mögliche Alternativen (Abb. 6).[44]

Abb. 6: Verschiedene Bindungsmöglichkeiten von Cisplatin an die DNA.[46]

Experimente haben gezeigt, dass die Chelatkomplexbildung an O6-N7 einer freien Guanin-Base zwar prinzipiell möglich, aber innerhalb der DNA-Doppelhelix nicht günstig ist. Auch

„interstrand cross-linking“ und Protein-DNA-Verknüpfungen tragen offenbar nur in geringem Maße zur gesamten Platin/DNA-Adduktbildung bei. Für Pt(NH3)22+ entfällt der Hauptanteil auf Bindungen zwischen dem Platinzentrum und zwei benachbarten, jeweils N7-koordinierten Guanosin-Nukleotiden auf demselben DNA-Strang (1,2-intrastrand d(GpG) cross-linking, 65 %; d: desoxy; p: phosphat); die zweithäufigste Bindung erfolgt durch 1,2-intrastrand d(ApG)-Verknüpfung (jeweils über N7; 25 %).[25a, 45]

Den hohen Grad an Regiospezifität erklärt man mit der Lage der N7-Atome von Guanin und Adenin in der weiten und damit für Platinkomplexe zugänglichen großen Furche der DNA-Doppelhelix. Auch die hohe Nukleophilie der N7-Position an Purinbasen sowie die Vorliebe von Platin(II) als weiche Lewis-Säure für eine Koordination an weiche Purinstickstoffatome gegenüber den Phosphatsauerstoff-Donatoren scheinen als thermodynamische Faktoren eine Rolle zu spielen.[47] Darüber hinaus wird die Struktur durch die Ausbildung von Wasserstoff-brücken der Amminliganden zur 5’-terminalen Phosphatgruppe von d(GpG) stabilisiert.[40a, 48]

Die Bindung des Platinkomplexfragments an die DNA führt zu Struktur- und Eigenschaftsän-derungen. Detaillierte Informationen wurden mit Hilfe von Röntgenstrukturanalyse und NMR-Spektroskopie von intrastrand crosslinks in DNA-Doppelhelices erhalten.[49] Diese Strukturuntersuchungen zeigten, dass die Komplexierung der DNA mit Cisplatin eine charak-teristische Abwinkelung hervorruft, die am Knickpunkt eine ungewöhnliche Kreuzung zwischen A- und B-Form der DNA-Helix bewirkt (Abb. 7).[50]

Abb. 7: Charakteristische Abwinkelungen der DNA nach Komplexierung mit Cisplatin. A) Große Furche einer normalen B-DNA. B) Cisplatin-Addukt in der großen Furche der B-DNA. C) Kleine Furche einer nor-malen B-DNA. D) Cisplatin-Addukt in der kleinen Furche der B-DNA.

Da sowohl cis- als auch trans-Pt(NH3)22+ die Doppelhelixstruktur und Replikation der DNA stören, bleibt die Frage, warum nur der cis-Komplex zytostatische Aktivität zeigt. Das trans-Isomere wird zwar schneller aufgenommen als Cisplatin, nach sechs Stunden nimmt jedoch die Konzentration des gebundenen trans-Komplexes ab, während weiterhin cis-Isomer akku-muliert wird. Nach 24 Stunden ist nur noch sehr wenig trans-Verbindung an der DNA gebun-den. Diese Ergebnisse lassen darauf schließen, dass die Veränderungen in der Struktur durch das trans-Isomere von den zelleigenen Reparaturmechanismen deutlich anders wahrgenom-men werden als die von der Koordination des Cisplatins herrührenden.[43] Die spezifische Bindung eines chromosomalen HMG1-Proteins[51] (High Mobility Group Protein) und der strukturspezifischen Erkennungsproteine (SSRPs, Structure Specific Recognition Proteins) an cis-Pt(NH3)22+-gestörte DNA lässt auf Beeinträchtigungen des genetischen Informationstrans-fers hinsichtlich veränderter Transkription oder fehlerhafter Erkennung und ausbleibender Reparaturen schließen.[51, 52, 53, 54] Diese Proteine bilden somit gewissermaßen einen Schutz-schild über der Platin-DNA-Bindungsstelle, sodass diese von den körpereigenen Reparatur-mechanismen defekter DNA-Stellen nicht erkannt wird.[55]