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„WIR HABEN UNS VIEl VORGENOMMEN“

Im Dokument FORUM-5-2014 (Seite 26-29)

viel vorgenommen. Im Arzneimittel- bereich waren wir bereits sehr ak-tiv. Auch der Gesetzesentwurf zur Finanzierung und Qualität in der Gesetzlichen Krankenversicherung ist weit vorangeschritten. Dabei mussten wir als SPD-Vertreter lei-der durchaus die eine olei-der anlei-dere Kröte schlucken, was die anteilige Finanzierung der Krankenkassen-beiträge durch Arbeitgeber und Ver-sicherte angeht. Vor der Sommer-pause steht dann auch noch der Gesetzesentwurf für ein Pflegege-setz an.

Krombholz: Und dem Thema Arzt-termine wollen Sie sich auch noch widmen. Sie wissen: Das ist für uns Ärzte ein rotes Tuch. Aus meiner Sicht wird hier ein in der Praxis gar nicht so relevantes Thema zu einem riesigen Problem hochstilisiert.

Dittmar: Das sehe ich nicht so. Es gibt nun einmal divergierende Ein-schätzungen. So hat die Kassen-ärztliche Bundesvereinigung zwar Umfragen vorgelegt, wonach die Patienten an sich mit den Warte-zeiten keine Probleme hätten. Wir Abgeordnete kriegen aber immer wieder Beschwerden von Men-schen, die viel zu lange auf Termine warten müssen. Es ist absolut richtig, dass der Gesetzgeber sich des Themas annimmt. Wenn die

Selbstverwaltung passende Lösun-gen findet, dann haben die im Ko-alitionsvertrag vorgesehenen KV-Servicestellen doch gar nichts zu tun.

Krombholz: Ich möchte allerdings dringend davor warnen, hier wieder einmal bundeseinheitlich allen Län-dern etwas überzustülpen. Wenn schon aus Sicht des Gesetzgebers so dringender Handlungsbedarf be-steht, dann sollte man die notwen-dige Umsetzung auch regional dif-ferenziert ermöglichen. So haben wir in Bayern in der Vergangenheit schon des Öfteren pragmatische Lösungen gefunden – auch mit den Krankenkassen, die sich auf Bun-desebene eher konfliktiv gegen-über der Ärzteschaft verhalten.

Dittmar: Auf Bundesebene scheint mir die Konfliktlinie allerdings eher innerärztlich zu verlaufen, wenn man sich die langwierigen Streitig-keiten in der KBV um die Berück-sichtigung haus- und fachärztlicher Interessen ansieht. Auch hier muss der Gesetzgeber wohl handeln, wenn die Selbstverwaltung nicht zu tragfähigen Lösungen kommt.

Allerdings sollte man dem neuen Vorstand der KBV auch erst einmal etwas Zeit geben, um im eigenen Haus für Ruhe und Klarheit zu sor-gen.

27 GESUNDHEITSPOlITIK

Krombholz: Ich bin ehrlich gesagt etwas skeptisch, ob man das gan-ze Dilemma jetzt durch den Wech-sel einer handelnden Person wirk-lich in den Griff bekommen kann.

Vielmehr müsste man doch die Struktur insgesamt hinterfragen, die es momentan verhindert, dass sich Hausärzte um ihre Belange und Fachärzte um ihre Angelegen-heiten kümmern können. In Bayern sind wir hier mit unserer klaren Auf-teilung bislang besser gefahren.

Als Hausarzt interessiert mich na-türlich dabei die Frage ganz beson-ders, wie wir endlich wieder Nach-folger für die Kollegen finden kön-nen, die sich derzeit erfolglos dar-um bemühen, ihre Praxen in gute Hände zu übergeben.

Dittmar: Das fängt für mich im Stu- dium an. Es ist ein echtes Trauer-spiel, dass wir in Bayern so wenige Lehrstühle für Allgemeinmedizin haben. Das kann der Bund nicht regeln, da muss schon das jeweili-ge Bundesland Gelder in die Hand nehmen. Auf Drittmittel für For-schungsprojekte kann man in der Allgemeinmedizin auch nicht setzen, weil die Pharmaindustrie in dem Bereich zu wenig zu verdienen hat.

Leider sind wir insgesamt zu stark an den Errungenschaften der Spit-zenmedizin und zu wenig an der Ba-sisversorgung der Patienten orien-tiert, die beispielsweise auch durch Kinderärzte oder Augenärzte ge-währleistet wird.

Krombholz: Da kann ich Ihnen nur zustimmen. Bekanntlich gehört die Frage nach dem Wesen des haus-ärztlichen Versorgungsauftrags ja zu meinen zentralen Anliegen. Noch ist doch unklar, was sich hinter der in jüngster Zeit viel zitierten „Grund-versorgung“ der Bevölkerung wirk-lich ganz konkret verbirgt. Wer leis-tet diese und in welchem Umfang?

Hier gäbe es in der Versorgungs-forschung noch viel zu tun.

Dittmar: Dann könnte man auch gleich mal klären, was eigentlich Überversorgung im hausärztlichen Bereich bedeuten soll. So ist rech-nerisch der Planungsbereich Bad Brückenau wohl überversorgt, in der Realität empfinden das die Men-schen aber ganz anders. Die KV ist doch für die Sicherstellung der ambulanten Versorgung verantwort-lich. Haben Sie durch die neue Be-darfsplanung nicht die Möglichkei-ten bekommen, regional besser auf Lücken in der Versorgung zu re-agieren und diese zu schließen?

Krombholz: Zuerst einmal haben wir natürlich im Flächenland Bay-ern sehr große Unterschiede, was die Versorgung angeht: Großstäd-te wie München oder Nürnberg mit

einer enormen Arztdichte und länd-liche Regionen wie in Unterfranken, wo es in einzelnen Kommunen durch die Schließung von Praxen ohne Nachfolger immer wieder zu Eng-pässen kommen kann. Die neue Bedarfsplanungsrichtlinie ändert an dieser Tatsache erst einmal gar nichts und bringt auch keine neuen Ärzte aufs Land. Die Bedarfspla-nung kleinteiliger zu gestalten, wie es vonseiten der Politik immer wieder gefordert wird, ist absolut

in unserem Sinne. Aber das ist ein enorm mühsamer Prozess, weil die Krankenkassen hier leider oft auf die Bremse treten.

Dittmar: Ich habe aber auch den Eindruck, dass in der Umsetzung der Bedarfsplanung in Bayern zu-viel von München aus vorgegeben wird. Die Entscheidungshoheit ge-hört doch in die Regionen. Nur vor Ort weiß man wirklich, wie der Be-darf effektiv aussieht. Die Kommu-nen könKommu-nen die ärztliche Versor-gung sicher nicht garantieren, aber sie können beispielsweise Praxis-räume zur Verfügung stellen.

Krombholz: Das ist absolut sinn-voll. Ich könnte mir auch vorstellen, dass die KV bei akuten

Versorgungs-engpässen aktiv wird und leer ste-hende Praxen für einen gewissen Zeitraum übernimmt und mit ange-stellten Ärzten besetzt. Ich möch-te betonen, dass es hier allerdings lediglich um Übergangslösungen gehen kann. Mir schwebt nicht vor, dass wir vonseiten der KVB irgend- wann ein flächendeckendes Netz an Praxen betreiben. Die bessere Alternative ist es immer, wenn jun-ge Kolleginnen und Kollejun-gen selbst aktiv werden und solche Praxen in

Mehr lehrstühle für Allgemein-mediziner – so ein gemeinsames Anliegen beider Gesprächspart-ner.

eigener Initiative übernehmen – so wie wir das damals ja auch gemacht haben. Aus meinen Gesprächen mit den heutigen Medizinstuden-ten weiß ich allerdings, dass sie neben dem wirtschaftlichen Risiko vor allem auch die Regressgefahr

von einer Niederlassung abhält.

Hier wäre doch die Politik gefragt, endlich Schluss zu machen mit den Regressen.

Dittmar: In der Sache ist schon einiges passiert. So gelten inzwi-schen kürzere Fristen, sodass man nicht mehr für eine viele Jahre zu-rückliegende Arzneimittelverord-nung haftbar gemacht werden kann.

Zudem ist inzwischen per Gesetz der Leitgedanke „Beratung vor Re-gress“ fixiert worden. Ganz verzich-ten auf Kontrollen der Beachtung einer wirtschaftlichen Verordnungs-weise können wir allerdings nicht.

Schließlich gehen wir als Ärzte hier mit den Geldern der Versicherten um. Und wer da – salopp gespro-chen – Mist macht, der muss auch zur Verantwortung gezogen werden.

98 Prozent unserer ärztlichen Kol-leginnen und Kollegen kommen mit ihren Verordnungen gut zurecht und geraten sowieso nie in die Ge-fahr, eine Rückforderung der Kran-kenkassen zu erhalten.

Krombholz: Das hört man ja sehr oft in Diskussionsveranstaltungen, aber nichtsdestotrotz ist es gera-de gera-den Kassen wichtig, uns Ärzte durch die Drohungen mit Regres-sen an die Kandare zu nehmen.

Diese Knute, unter der wir bei der

Verschreibung von Medikamenten leiden, muss weg. Wir haben in den vergangenen Jahren in Bayern nicht nur ausführlich und gut begründet dargestellt, dass die derzeitige Prüf-systematik nicht sachgerecht ist, sondern auch ein Konzept erarbei-tet, das die Ärzte durch eine diffe-renzierte Betrachtung ihres Ver-ordnungsverhaltens effektiv schüt-zen kann. Dieses ist nur deshalb noch nicht umgesetzt, weil es für die Krankenkassen wohl noch nicht ganz nachvollziehbar ist, dass mit unserer Systematik Qualität und Kosten der Verordnungen zugleich berücksichtigt werden können.

Dittmar: Ich war vor Kurzem bei einer Veranstaltung zu dem Arznei-mittel-Pilotprojekt „ARMIN“, bei dem es für ausgewählte Wirkstoffe keinen Regress gibt. Dort äußerte sich der Vertreter der Ärzteseite sinngemäß so, dass es in seinem Bundesland bislang so wenig ech-te Regresse gegeben habe, dass neue Modellprojekte für das

Ver-ordnen von Medikamenten gar nicht notwendig seien. Bei dem Thema sollte die Ärzteschaft drin-gend mit einer Zunge sprechen.

Sind die Regresse im Praxisalltag nun eine reale Gefahr oder nicht?

Krombholz: Ich betrachte diese durchaus als reale Gefahr, aber viel-mehr noch als permanente Bedro-hung. Auch wenn möglicherweise nach der Einleitung eines Prüfver-fahrens am Ende nur eine Zahlung von einigen hundert Euro heraus-kommt, so ist der betroffene Kolle-ge doch zuvor einer erheblichen nervlichen und zeitlichen Belas-tung ausgesetzt worden. Allein die Dokumentation, dass man alles korrekt und wirtschaftlich verord-net hat, kann Tage dauern – und das parallel zum laufenden Praxis-betrieb. Dabei hat man permanent die Sorge, doch etwas falsch ge-macht zu haben. Diese Sorgen möchte ich den Kollegen nehmen.

Dazu gehört, dass sie in den Praxen Transparenz über ihr Verordnungs-verhalten haben. Deshalb haben wir in den vergangenen Jahren viel Aufwand bei der Frühinformation im Arzneimittelbereich betrieben.

Dittmar: Das kann ich aus meiner Zeit in der Praxis nur bestätigen.

Wir haben stets kontinuierlich In-formationen von der KVB zu unse-rem Verordnungsverhalten erhal-ten. Mit einer solchen Informati-onspolitik kann man den jungen Kollegen sicher auch ein Stück weit die Furcht vor Regressen nehmen.

Krombholz: Das führen wir gerne weiter so fort. Ich setze zudem auf die Einsicht der Krankenkassen, dass man mit dem von uns vorge-legten Konzept einer sachgerech-ten Prüfvereinbarung zu einer wirt-schaftlichen Verordnungsweise kommt und das praktisch ohne das Damoklesschwert Regressgefahr.

Redaktion Sabine Dittmar

und Dr. Wolfgang Krombholz

nah-men die zahlen der neuen

Be-darfsplanung genauer unter die lupe.

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G

emeinsam mit der Bayeri-schen Akademie für Sucht- und Gesundheitsfragen (BAS) veranstalteten die Bayeri-sche Landesärztekammer (BLÄK), die Bayerische Landesapotheker-kammer (BLAK) und die Bayerische Landeskammer der Psychologi-schen Psychotherapeuten und der Kinder- und Jugendlichenpsycho-therapeuten (PTK Bayern) den ein-tägigen Kongress, an dem rund 400 Fachbesucher teilnahmen.

Die nackten Zahlen sind allein schon erschreckend. So schätzte die zur Eröffnung des Suchtforums anwe-sende bayerische Gesundheitsmi-nisterin Melanie Huml aufgrund epidemiologischer Studien, dass im Freistaat rund 270.000 Men-schen von Alkohol und 350.000 von Medikamenten abhängig sind.

Bei den illegalen Drogen, wie bei-spielsweise Cannabis, Kokain oder Amphetaminen betrage die Zahl knapp 50.000. Vom Nikotin abhän-gig seien in Bayern rund 840.000 Personen. Doch was sich hinter der Statistik verbirgt, wird erst klar, wenn man sich verdeutlicht, dass die Suchterkrankung eines Familienmitglieds oftmals gravie-rende Auswirkungen auf die ge-samte Familie hat.

Diesen Aspekt führte Professor Fe-lix Tretter, Chefarzt Kompetenz-zentrum Sucht des Isar-Amper-Kli-nikums in Haar und zweiter Vorsit-zender der BAS, näher aus. Seiner Meinung nach zeigen die Befunde der Suchtforschung, dass die

Fa-Suchtbelastete Familien entwickeln oft ein gestörtes, schädigendes Verhalten

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