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Sehr deutlich hat sich der bayerische Ministerpräsi- Ministerpräsi-dent Horst Seehofer in seiner traditionellen

Im Dokument FORUM-5-2014 (Seite 36-40)

Ascher-mittwochsrede über den Drang der EU-Kommission beklagt, „alles zu regeln, alles in Richtlinien, alles in Paragrafen, jeden Winkel Deutschlands und Bayerns zu reglementieren“. Treffend beschrieben oder über-trieben? Der folgende Artikel geht der Frage nach, welchen Einfluss das Europarecht tatsächlich auf das deutsche Gesundheitswesen hat.

EUROPARECHT

RECHT INTERESSANT

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Mitgliedstaat. Sie setzen regelmä-ßig eine Frist, innerhalb derer sie in innerstaatliches Recht umge-setzt werden müssen. Mit der Um-setzung wird der Richtlinieninhalt Teil der nationalen Rechtsordnung und gilt somit für alle, die vom Um-setzungsakt (zum Beispiel Gesetz) betroffen sind.

Beispiele:

„ Gleichbehandlungsrahmen-richtlinie 2000/78/EG vom 27. November 2000

Die Richtlinie legt den allgemei-nen Rahmen für die Verwirkli-chung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf fest.

Sie enthält eine Definition für die Begriffe „unmittelbare Dis- kriminierung“ und „mittelbare Diskriminierung“.

Vorgesehene konkrete Maßnahmen:

„ Verbesserung des Rechts-schutzes durch verstärkte Geltendmachung der Ansprü- che auf dem Rechtsweg oder durch Schlichtungsverfahren

„ Beweislastumkehr in Verfah-

ren, in denen der Kläger glaubhaft machen kann, dass er unmittelbar oder mittel- bar diskriminiert wurde.

„ Schutz der Opfer vor Repres- salien, insbesondere vor Ent- lassung

„ Berufsanerkennungsrichtlinie 2005/36/EG vom 7. Septem-ber 2005, geändert durch die Richtlinie 2013/55/EU vom 28. Dezember 2013

Ziel ist die Förderung der Frei-zügigkeit für Berufstätige, Aner-kennung der Berufsqualifikatio-nen speziell von Ärzten in den Artikeln 24 bis 30 der Richtli-nie.

Änderungen für den Arztberuf betreffen im Wesentlichen die folgenden Bereiche:

„ Ärztliche Grundausbildung

„ Fachärztliche Weiterbildung beziehungsweise gemeinsa-mer Ausbildungsrahmen

„ „Teilzugang“

„ Vorwarnmechanismus

„ Berufsausweis

„ „Patientenmobilitätsrichtlinie“

2011/24/EU vom 9. März 2011 Sie regelt Patientenrechte (un-ter anderem Informationsrech-te) in der grenzüberschreiten-den Gesundheitsversorgung.

Darüber hinaus bestimmt sie Regeln zur Kostenerstattung für geplante Behandlungen im EU-Ausland (außer Organtrans-plantationen).

Die Mitgliedstaaten haben nati-onale Kontaktstellen eingerich-tet, die Patienten, Ärzte und Psychotherapeuten Informatio-nen über die grenzüberschrei-tende Gesundheitsversorgung anbieten (in Deutschland ist dies die Verbindungsstelle Krankenversicherung Ausland – DVKA – in Bonn).

Beschluss

(vormals: Entscheidung) Der Beschluss bildet eine dritte Kategorie von EU-Rechtsetzungs-akten. In den Fällen, in denen die Organe der EU selbst für die Aus-führung des Unionsrechts zustän-dig sind, können sie durch einen

Das europäische Gemeinschafts-recht tangiert immer mehr auch das deut-sche Gesund-heitswesen. In Verordnungen, Richtlinien und Beschlüssen werden schon jetzt wichtige Entscheidungen getroffen.

solchen Beschluss von einem Mit-gliedstaat oder einem Unionsbür-ger ein Handeln oder Unterlassen fordern, mithin einen konkreten Einzelfall verbindlich regeln. Die Beschlüsse sind vergleichbar mit Verwaltungsakten nach den natio-nalen Rechtsordnungen.

Beispiel:

Entscheidungen der Kommission 2007/116/EG und 2009/884/EG Mit der Entscheidung 2007/116/

EG werden die mit „116“ beginnen-den nationalen Nummernbereiche für harmonisierte Dienste von so-zialem Wert reserviert. Durch die ergänzende Entscheidung 2009/

884/EG wird auch der Bereit-schaftsdienst für ärztliche Hilfe in nicht lebensbedrohlichen Situatio-nen als Dienst von sozialem Wert eingestuft, für den die Rufnummer 116 117 europaweit reserviert ist.

Empfehlungen und Stellung-nahmen

Sie ermöglichen es den Unionsor-ganen, sich gegenüber den Mit-gliedstaaten und in einigen Fällen auch gegenüber den Unionsbür-gern unverbindlich zu äußern, das heißt, ohne damit für den Adressa-ten rechtliche Verpflichtungen zu begründen.

Stellungnahmen werden von den Unionsorganen abgegeben, wenn es um die Beurteilung einer ge-genwärtigen Lage oder bestimm-ter Vorgänge in der Union oder in den Mitgliedstaaten geht. Zum Teil dienen sie aber auch der Vorberei-tung späterer verbindlicher Rechts- akte oder sind Voraussetzung ei-nes Prozesses vor dem Europäi-schen Gerichtshof (EuGH).

Normung – Einflussnahme durch die Hintertür?

Ziel der Europäischen Kommission ist es, europäische Qualitätsstan-dards im Gesundheitsbereich zu

setzen, um die Patientensicherheit zu erhöhen. Es sollen bestehende Unterschiede der Qualität zwischen den Mitgliedstaaten durch Normen ausgeglichen werden. Mangels Ver-ständnisses für die unterschiedli-chen Gesundheitssysteme wird es – wie für jeden anderen Bereich – als praktikabel erachtet, Dienst-leistungen für den Gesundheitsbe-reich zu standardisieren beziehungs- weise zu industrialisieren (typische Beispiele für Normung: Papierfor-mat DIN A 4 nach technischer Norm EN ISO 216, Verfahrensnorm EN ISO 9000 für Qualitätsmanage-mentsysteme).

Der Versuch, Qualitätsstandards im Rahmen von Richtlinien zu set-zen (Dienstleistungsrichtlinie, Pa-tientenrechterichtlinie) ist am Wi-derstand der Mitgliedstaaten ge-scheitert. Dies soll nun über Nor-mungsprozesse erfolgen (zum Bei- spiel für ästhetische Chirurgie, ho-möopathische Leistungen).

Normen haben zwar keine unmit-telbare Geltung in einem Mitglied- staat, sie können aber über natio-nale Gesetze oder durch Einbezie-hung in Verträge verbindlich ge-macht werden. Nicht abschätzbar ist allerdings das Risiko, wie natio-nale Gerichte bestehende europäi-sche Normen, die im Mitgliedstaat nicht verbindlich einbezogen wur-den, in ihren Entscheidungen trotz- dem berücksichtigen werden (all-gemeiner Standard?).

Rechtsprechung

Nicht nur die Rechtsakte der EU, sondern insbesondere auch die Rechtsprechung des EuGH beein-flussen das nationale Gesundheits- wesen ungemein. Einige markante Entscheidungen seien hier stell-vertretend genannt.

Zu Gesundheitsdienstleistungen:

„ EuGH, Urteil vom 13. Mai 2003 – C-385/99 (Müller-Fauré und Van Riet) u. a.

Jegliche ambulante Versorgung, zu der der Bürger in seinem Mitgliedstaat berechtigt ist, kann er auch ohne vorherige Genehmigung in einem ande-ren Mitgliedstaat in Anspruch nehmen. Die Kosten dieser Ver-sorgung müssen bis zu der Hö-he erstattet werden, die auch für die Versorgung im eigenen Land erstattet würde.

„ EuGH, Urteil vom 25. Juni 2009 – C-356/08

Der EuGH stellt fest, dass Ös-terreich gegen die Dienstleis-tungsfreiheit des Artikel 49 EG verstoßen hat, indem es jeden Arzt, der sich in Oberösterreich niederlässt, dazu verpflichtet, ein Bankkonto bei der Österrei-chischen Landesbank in Linz zu eröffnen, auf das die im Rah-men der Ausübung seiner be-ruflichen Tätigkeit von den Kran- kenkassen gezahlten Sachleis-tungshonorare zu überweisen sind.

„ EuGH, Urteil vom 12. Septem-ber 2013 – C-475/11 (Konstan-tinides)

Berufsgesetzliche Vorschriften für Ärzte zu Werbung und Ge-bühren fallen nicht in den An-wendungsbereich von Artikel 5 Abs. 3 der Richtlinie 2005/36/

EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen (erfasst nur solche berufsständischen Regeln, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Aus-übung des ärztlichen Berufs selbst stehen und deren Nicht-beachtung den Schutz des Pa-tienten beeinträchtigt). Recht-fertigung von Werbung und Ge-bühren (hier §§ 12 Abs. 1, 27 Abs. 3 BayBO) ist am Maßstab der Dienstleistungsfreiheit nach

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Artikel 56 AEUV zu messen.

Zur Altersgrenze:

„ EuGH, Urteil vom 12. Januar 2010 – C-341/08 (Petersen) Artikel 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festle-gung eines allgemeinen Rah-mens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäfti-gung und Beruf ist dahin auszu-legen, dass diese Bestimmung einer Altersgrenze für Vertrags-zahnärzte nicht entgegensteht, wenn diese die Verteilung der Berufschancen zwischen den Generationen innerhalb der Be-rufsgruppe der Vertragszahn-ärzte zum Ziel hat und wenn sie unter Berücksichtigung der Si-tuation auf dem betreffenden Arbeitsmarkt zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich ist.

Zum Vergaberecht:

„ EuGH, Urteil vom 11. Juni 2009 – C-300/07 (Oymanns) Krankenkassen sind an die ver-gaberechtliche Ausschreibungs-pflicht gebunden. Gesetzliche Krankenkassen sind öffentliche Auftraggeber im Sinne des Kar-tellvergaberechts und Verträge, die Krankenkassen mit Leis-tungserbringern schließen, kön-nen als öffentliche Aufträge im Sinne des Vergaberechts ein-gestuft werden.

„ EuGH, Urteil vom 12. Septem-ber 2013 – C-526/11 Mangels überwiegend staatli-cher Finanzierung fallen Ärzte-kammern nicht unter den Be-griff des öffentlichen Auftragge-bers im Sinne des Kartellverga-berechts. Das streng formalisti- sche Kartellvergaberecht ist auf Auftragsvergaben der Ärzte-kammern damit nicht anwend-bar.

Ausblick – was wird künftig an Regelungen der EU erwartet?

EU-Datenschutz-Grundverord-nung

Mit ihr sollen die Regeln für die Verarbeitung von personenbezo-genen Daten durch private Unter-nehmen EU-weit mit dem Ziel ver-einheitlicht werden, zum einen den Schutz von personenbezogenen Daten innerhalb der EU sicherzu-stellen und zum anderen den frei-en Datfrei-enverkehr innerhalb des Eu-ropäischen Binnenmarktes zu ge-währleisten.

Richtlinienvorschlag über Maß-nahmen zur Gewährleistung ei-ner hohen gemeinsamen Netz- und Informationssicherheit in der Union – COM (2013) 48 Sie dient der Bekämpfung der Cyber-Kriminalität mittels Maß-nahmen zur Gewährleistung einer hohen gemeinsamen Netz- und In-formationssicherheit, unter ande-rem mittels Sicherheitsvorschrif- ten für Marktteilnehmer und öffent- liche Verwaltungen. Kostspielige Sicherheitsaudits – wie geplant – sollten für die vertragsärztlichen Praxen vermieden werden.

Überprüfung nationaler Regle-mentierungen des Berufszu-gangs durch EU-Kommission (EU Drs. COM/2013/0676 final) Der Berufszugang aller reglemen-tierten Berufe in der EU soll auf den Prüfstand gestellt werden.

Ziel ist wohl die vollständige Liralisierung des Berufszugangs be-ziehungsweise der Berufsbezeich-nungen und des Umfangs der vor-behaltenen Tätigkeiten, insbeson-dere durch einen flexibleren und transparenten rechtlichen Rah-men in den Mitgliedstaaten.

Überprüfung der Besteuerung ärztlicher Heilbehandlungen durch EU-Kommission

Die Vorschriften aus den 1970er

Jahren sollen überprüft werden, ob sie noch angemessen sind, da die zunehmende Privatisierung so-wie die Öffnung beziehungsweise Deregulierung von Tätigkeiten, die ausschließlich dem öffentlichen Sektor vorbehalten waren, aus Sicht der Kommission zu Verzer-rungen des Wettbewerbs zwi-schen öffentlichen und privaten Akteuren geführt haben.

Normung homöopathischer Leistungen

Derzeit gibt es für homöopathi-sche Leistungen keine einheitli-chen Standards im Bereich der Aus-bildung und Berufsausübung in Eu-ropa. Eine europäische Norm soll dazu dienen, die Patientensicher-heit zu erhöhen, indem bestimmte Sicherheits- und Qualitätsanforde-rungen an Leistungen der Homöo-pathie festgelegt werden. Die Norm soll nur für Ärzte mit der Zusatz-qualifikation Homöopathie gelten;

Heilpraktiker sind davon nicht be-troffen. Insgesamt heißt es für alle Beteiligten im Gesundheitswesen wachsam zu sein und rechtzeitig über Kassenärztliche Vereinigun-gen, Kammern und Verbände zum Wohle der Ärzte und Psychothera-peuten und ihrer Patienten in die-sen Verfahren ihren Einfluss gel-tend zu machen! Dies umso mehr, als das System der Selbstverwal-tung im deutschen Gesundheits-wesen in Europa singulär ist. Aus diesem Grund verwundert es nicht, dass seine Besonderheiten in den europäischen Gremien nicht be-kannt, von Vertretern Deutsch-lands nur schwer vermittelbar sind und demzufolge der notwendige Sensus für das deutsche Gesund-heitssystem auf dem europäischen Parkett weitestgehend fehlt. Dies zu ändern, bleibt eine stetige Her-ausforderung!

Helga Trieb, (Rechtsabteilung der KVB)

VERBAND FREIER

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