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Windelband und die Psychologie in Heidelberg

Im Dokument UND DIE PSYCHOLOGIE (Seite 187-191)

Zeigen wir zunächst, was Windelband in Heidelberg vorfinden konnte.

Diese Universität bot ihm die Möglichkeit, der Psychologie in einer ihm bislang ungeläufigen Gestalt zu begegnen. Es gab ein regelrechtes Psy-chologisches Laboratorium. Dies gehörte allerdings zur Medizinischen Fakultät, genauer zur Psychiatrischen Klinik, die damals noch Irrenkli-nik98 hieß. Der Klinikdirektor Emil Kraepelin99 hatte es nach dem Vorbild des Wundt’schen Leipziger Laboratoriums aufgebaut. Es war allerdings kleiner und wurde, anders als das Leipziger Laboratorium, kaum zur Studentenausbildung genutzt. Kraepelin hatte es auf seine eigenen For-schungsfragen ausgerichtet, und daher waren dort hauptsächlich Appa-rate zur Reaktionszeituntersuchung versammelt. William Stern berich-tete anlässlich eines Besuches in Heidelberg im September 1902:

[…] erst besichtigte ich die Schlossruine, dann das psychologi-sche Laboratorium. Kraepelin war noch nicht da, Gaupp führte mich herum und zeigte mir sehr gründlich die Apparate, die sich ja alle nur auf eine enge Teilsphaere psychol[ogischer] Experi-mentiermöglichkeit beziehen, in dieser aber sehr interessant und leistungsfähig sind. (Stern in Lück & Löwisch 1994, S. 68f.) Es sei festgehalten, dass dieses Laboratorium nach dem Schloss die zweite Heidelberger Sehenswürdigkeit darstellte, jedenfalls für den Ebbinghaus-Schüler Stern. In der Philosophischen Fakultät zu Heidelberg war keine Spur einer solchen Einrichtung festzustellen. Selbst ein Philosophisches Seminar fehlte. Da Windelband in Freiburg und in Straßburg über ein

98 Im Januar 1907 erteilte der Großherzog die Genehmigung für die Änderung der Bezeichnung «Universitäts-Irrenklinik in Heidelberg» in «Psychiatrische Klinik der Uni-versität Heidelberg» (Staats-Anzeiger für das Großherzogthum Baden, Jg. 1907, III, S. 37).

99 Wolgast (2006 S. 543) vertritt irrtümlich die Ansicht, Hans Walther Gruhle habe das psychologische Laboratorium in der Psychiatrie eingerichtet. Jedoch wurde das Labor 1891 gegründet, als Gruhle erst 10 Jahre alt war.

186 — Windelband als Heidelberger Ordinarius der Philosophie

solches hatte verfügen können, veranlasste er umgehend eine entspre-chende Gründung in Heidelberg.

Im Februar 1904 wurde bekannt, dass das Wissenschaftlich-Theolo-gische Seminar aus der Augustinergasse 13, Parterre, in das alte Muse-umsgebäude übersiedeln sollte. Dadurch wurden drei kleine Räume frei, die sich Windelband für das zu gründende Philosophische Seminar wünschte. Das marode Haus Nr. 13 war allerdings so baufällig, dass nur ein Abriss angemessen war. Doch ergab sich eine andere Möglichkeit, als der Neubau der Universitätsbibliothek in der Plöck der Vollendung näher kam. Am 14. Mai 1904 beriet die Fakultät über die Verteilung der frei werdenden Räume in der alten Universitätsbibliothek im Semina-rienhaus, Augustinergasse 15. Das erste der vorgebrachten Ansuchen stammte von Windelband, der für das erhoffte Philosophische Seminar einen großen Raum und ein Direktorzimmer wünschte. 1905 wurde das neue Bibliotheksgebäude eingeweiht. Die Errichtung eines Philosophi-schen Seminars im Seminarienhaus wurde am 15. August 1905 durch das Ministerium genehmigt100.

Auch im Domizil des Psychologischen Laboratoriums ergaben sich Veränderungen. Kraepelin ging zum Wintersemester 1903/04 nach München. Dort gründete er in der Psychiatrischen Klinik ein weiteres Psychologisches Laboratorium, für das er diejenigen Apparate aus dem Heidelberger Labor mitnahm, die sein privater Besitz waren. Kraepe-lins ehemaliger Heidelberger Assistent, Franz Nissl (1860–1919), seit 21.

Januar 1901 nichtetatmäßiger außerordentlicher Professor in Heidelberg, wurde am 1. April 1904 mit der Leitung der Irrenklinik beauftragt und dann zum 1. Oktober 1904 zum Ordinarius der Psychiatrie und Direk-tor101 dieser Anstalt ernannt. Nissl forschte hauptsächlich histologisch und war an dem zurückgelassenen Psychologischen Laboratorium wenig interessiert. Wie zu zeigen sein wird, änderte sich das im Jahr 1913, als sein Assistent Hans Gruhle habilitiert wurde.

Ob Windelband Kontakt zu Kraepelin oder dessen Nachfolger Nissl aufnahm und sich einen persönlichen Eindruck des apparativ in Krae-pelins Zeit überdurchschnittlich gut ausgestatteten Psychologischen Labors verschaffte, ist leider unbekannt. Es ist auch fraglich.

Aus psychiatrischer Richtung wurden in Heidelberg Veranstaltungen zur Psychologie angeboten. Für das Sommersemester 1901 etwa kündigte

100 UAH H-IV-102/136, fol. 91–93; 148; 150; 234. Nach Köhnke (1995, S. 42) am 5. August 1905.

101 GLA 235/2219.

Windelband und die Psychologie in Heidelberg — 187

der außerordentliche Professor der Psychiatrie, Gustav Aschaffenburg, Praktische Einführung in die experimentelle Psychologie an, privatissime, gratis und für Studierende aller Fakultäten. Allerdings verließ er Hei-delberg schon im März 1901, so dass diese Einführung nicht stattfinden konnte. Doch im folgenden Wintersemester kündigte der Ordinarius Kraepelin persönlich eine Einleitung in die experimentelle Psycholo-gie an, mittwochs von 6 bis 7 Uhr und publice. Zum Sommersemester 1903, Windelbands Antrittssemester, war der Privatdozent der Psychia-trie Robert Eugen Gaupp an der Reihe mit dem Thema Einleitung in die experimentelle Psychologie. Dies waren einstündige Veranstaltungen, und sie wurden von Dozenten angeboten, die, da der Medizinischen Fakultät angehörig, nicht als Prüfer im Gymnasiallehrer-Staatsexamen fungieren konnten. Die Einleitungen waren für diese Staatsexamenskandidaten somit lediglich als Ergänzung der in der Regel vierstündigen Hauptvor-lesung Psychologie in der Philosophischen Fakultät von Interesse. Dort wurde dieses unumgängliche Fach nur spärlich gepflegt.

Als Windelband in Heidelberg ankam, hatte zuletzt Paul Hensel im Wintersemester 1901/1902 die entsprechende Vorlesung Psychologie gehalten. So bot Windelband für das Wintersemester 1903/1904 die fäl-lige vierstündige Vorlesung Psychologie an. Das gleiche Thema kündigte er später für die Sommersemester der Jahre 1906, 1910 und 1913 an, beließ es also bei einer eher notdürftigen Pflege dieses Bereichs. Die Vor-lesung des Sommersemesters 1910 ist in einer Mitschrift des Ernst Robert Curtius überliefert. Sie wird im Anhang wiedergegeben.

Damit ergeben sich für Heidelberg vier Windelband’sche Vorlesun-gen zur Psychologie in 15 Semestern. Die kumulierte Leipziger, Zürcher, Freiburger, Straßburger und Heidelberger Gesamtbilanz für die Psycho-logie, undokumentierte Damenvorlesungen nicht mitgezählt, besteht somit aus einundzwanzig Vorlesungen zur Psychologie in 71 Semestern.

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