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Wichtige Eigenschaften stetiger Funktionen

Wir sehen uns nun einige Eigenschaften stetiger Funktionen an.

Satz 3.18 (Satz vom Maximum und Minimum) Die Funktion f : [a, b] → R sei stetig auf [a, b]. Dann gibt es Punkte x0, x1 ∈[a, b] mit

f(x0)≤f(x)≤f(x1) f¨ur alle x∈[a, b].

Sind x0, x1 solche Punkte, so sagt man, dass f in x0 ein Minimum und in x1 ein Maximumbesitzt. Sp¨ater werden wir Extremwertaufgaben l¨osen, d.h. wir suchen z.B.xso, dassf(x) m¨oglichst groß wird. Satz 3.18 gibt uns Bedingungen daf¨ur an, dass solche Extremwertaufgaben ¨uberhaupt l¨osbar sind. Die Voraussetzung, dass das Intervall in Satz 3.18 abgeschlossen und beschr¨ankt ist, ist dabei wesentlich.

Betrachtet man z.B. die Funktion f(x) = x auf dem Intervall (0,1), so findet man keinen Punkt x0 mit f(x)≤f(x0), d.h. x≤x0, f¨ur alle x∈(0,1).

Eine Funktion f : X → R heißt beschr¨ankt, wenn ihr Wertebereich B(f) be-schr¨ankt ist. Eine Folgerung von Satz 3.18 ist

Jede stetige Funktion f : [a, b]→R ist beschr¨ankt.

Das ist klar, denn nach Satz 3.18 liegt ihr Wertebereich im abgeschlossenen In-tervall [f(x0), f(x1)], und dieses ist beschr¨ankt. Die Funktionen sin und cos sind auf ganz R beschr¨ankt, w¨ahrend die Funktionen tan,cot,exp und ln auf ihren Definitionsbereichen unbeschr¨ankt sind.

Der folgende Satz entspricht der anschaulichen Vorstellung, dass Graphen stetiger Funktionen keine

”L¨ucken“ aufweisen.

Satz 3.19 (Zwischenwertsatz) Die Funktion f : [a, b]→Rsei stetig auf [a, b].

Dann gibt es zu jeder Zahl czwischen dem Minimum und dem Maximum von f, d.h.

xmin[a,b]f(x)≤c≤ max

x[a,b]f(x) ein x0 ∈[a, b] mit f(x0) = c.

Es wird also jeder Wert zwischen dem Minimum und dem Maximum von f an-genommen, oder anders gesagt: der Wertebereich von f ist ein abgeschlossenes Intervall:

B(f) = [ min

x[a,b]f(x), max

x[a,b]f(x)]. Insbesondere gilt:

Ist f : [a, b] →R auf [a, b] stetig und haben f(a) und f(b) unterschiedliche Vor-zeichen (d.h. f(a)f(b)<0), so hat f eine Nullstelle in (a, b).

Aus den Voraussetzungen folgt n¨amlich, dass das Maximum von f positiv und

das Minimum negativ ist. Die Zahl 0 liegt also zwischen Minimum und Maximum von f und wird daher angenommen.

Beispiel Die Funktion exp nimmt positive Werte an (z.B. e0 = exp 0 = 1).

W¨urde sie auch negative Werte annehmen, so h¨atte sie eine Nullstelle. Das ist aber nicht der Fall: wegen exex =e0 = 1 ist stets ex 6= 0. Also nimmt ex keine negativen Werte an:

ex>0 f¨ur alle x∈R.

Hier ist die Beweisidee f¨ur die Folgerung aus dem Zwischenwertsatz. Sei I0 :=

[a, b]. Wir halbieren I0. Ist f(a+b2 ) = 0, so sind wir fertig. Andernfalls hat f¨ur wenigstens eines der Intervalle [a, a+b2 ] und [a+b2 , b] die Funktion f an den End-punkten unterschiedliche Vorzeichen. Sei I1 ein solches Intervall. Wir halbieren nunI1 und gelangen wie beschrieben zu einem Intervall I2. Wir fahren auf diese Weise fort und erhalten eine Folge I0 ⊇ I1 ⊇ I2 ⊇ . . . ineinandergeschachtelter Intervalle, deren L¨angen gegen 0 gehen. Diese Intervalle ziehen sich auf einen Punktx0 zusammen. Dieser ist eine Nullstelle von f.

Dieses Verfahren der Intervallhalbierung kann auch zur n¨aherungsweisen Bestim-mung von Nullstellen benutzt werden.

Im letzten Satz geht es um die Stetigkeit der Umkehrfunktion.

Satz 3.20 Die Funktion f : [a, b] → R sei auf [a, b] streng monoton wachsend.

Dann existiert die Umkehrfunktionf1 :B(f)→[a, b], diese ist stetig und streng monoton wachsend.

Die Existenz vonf1 ist klar, da streng monoton wachsende Funktionen injektiv sind. Man beachte aber, dass diese Umkehrfunktion automatisch stetig ist, ohne dass man von f Stetigkeit verlangt! Dagegen ist es wichtig, dass f auf einem Intervallstreng monoton w¨achst. Das zeigt folgendes Beispiel.

BeispielSei X = [−2,−1)∪[1,2] und

f(x) =

x+ 1 falls x∈[−2,−1) x−1 falls x∈[1,2]

−2 −1 1 2

−1 1

-6

..................................................................................................... .....................................................................................................

r

0

r r

f

Die Funktion f ist streng monoton wachsend, stetig, und sie bildet X bijektiv auf [−1,1] ab. Die zugeh¨orige Umkehrfunktion ist

f(x)1 =

x−1 fallsx∈[−1,0), x+ 1 fallsx∈[0,1].

−1 1

−2

−1 1

2

-6

. ....................................................................................................

.....................................................................................................

r r

r

f1

Diese ist an der Stelle 0 unstetig.

Nat¨urlich gilt Satz 3.20 auch f¨ur streng monoton fallende Funktionen.

Da die Funktionen

(0,∞)→R, x7→xn R→R, x7→ex [−π2, π2]→R, x7→sinx [0, π]→R, x7→cosx (−π2, π2)→R, x7→tanx (0, π)→R, x7→cotx

auf den angegebenen Intervallen streng monoton sind, sind ihre Umkehrfunktio-nen x7→ √n

x, ln,arcsin,arccos,arctan,arccot stetig.

4 Differentialrechnung

Die Differentialrechnung verdankt ihre Existenz im wesentlichen zwei Personen und zwei Problemkreisen.

Tangentenproblem (Leibniz) Gegeben ist eine reellwertige Funktion f, die auf einer Umgebung von x0 ∈ R definiert ist. Gesucht ist der Anstieg der Tangente an den Graphen der Funktion f im Punkt (x0, f(x0)). Der Anstieg der Sekante durch (x0, f(x0)) und (x0+h, f(x0+h)) mit h6= 0 ist leicht zu bestimmen:

f(x0+h)−f(x0)

(x0+h)−x0 = f(x0 +h)−f(x0)

h .

f(x0)

x0 x0+h

Tangente f(x0+h)

Sekante

0

Anschaulich erwartet man, dass sich der Anstieg der Tangente in (x0, f(x0)) er-gibt, wenn man den Grenzwert der Sekantenanstiege f¨urh→0 betrachtet:

hlim0

f(x0+h)−f(x0)

h .

Geschwindigkeitsproblem (Newton) Sei s(t) die bis zur Zeit t zur¨uckgelegte Wegl¨ange eines Massepunktes bei geradliniger Bewegung. Bei gleichf¨ormiger Be-wegung ist der Quotient

v := s(t)−s(t0) t−t0

von den Zeitpunkten t0, t unabh¨angig und gibt die Geschwindigkeit des Mas-sepunktes an. Bei einer beschleunigten Bewegung kann dieser Quotient nur ei-ne Durchschnittsgeschwindigkeit sein. Die Momentangeschwindigkeit zum Zweit-punkt t0 sollte sich als Grenzwert ergeben:

v(t0) = lim

tt0

s(t)−s(t0) t−t0

.

4.1 Definition der Ableitung

Definition 4.1 Sei I ⊆R ein Intervall. Eine Funktion f :I →R heißt differen-zierbar im Punkt x0, wenn der Grenzwert

xlimx0

f(x)−f(x0) x−x0

= lim

h0

f(x0+h)−f(x0)

h (4.1)

existiert. Dieser Grenzwert heißtAbleitung von f an der Stelle x0 und wird mit f(x0) oder dxdf(x0) oder dxdf

x=x0 bezeichnet.

Istx0 ein Endpunkt des Intervalles I, so betrachten wir einseitige Grenzwerte in (4.1). Istf in jedem Punkt vonI differenzierbar, so heißtf differenzierbar aufI, und die Funktion

f :I →R, x7→f(x) heißt Ableitung vonf aufI.

Istf differenzierbar inx0, so wird die Tangente an den Graphen vonf im Punkt x0, f(x0)

durch die Gleichung

y =f(x0) +f(x0)(x−x0) beschrieben.

Beispiel 1Die Funktion f :x7→ x2 ist auf ganz R differenzierbar, und f(x) = 2x. F¨ur jedes x0 ∈R ist n¨amlich

hlim0

f(x0+h)−f(x0)

h = lim

h0

(x0+h)2 −x20

h = lim

h0

x20+ 2x0h+h2 −x20 h

= lim

h0(2x0+h) = 2x0.

Beispiel 2 Die Funktion f :x 7→ |x| ist im Punkt x0 = 0 nicht differenzierbar.

Es ist n¨amlich

hlimց0

|0 +h| − |0|

h = lim

hց0

h h = 1,

hlimր0

|0 +h| − |0|

h = lim

hր0

−h

h =−1. Der Grenzwert limh0 |h|−0

h existiert also nicht, und auch anschaulich ist klar, dass es im Punkt (0,0) keine Tangente an den Graphen vonf gibt.

Dieses Beispiel zeigt, dass eine stetige Funktion nicht unbedingt differenzierbar sein muss. Es gilt aber die Umkehrung.

Satz 4.2 Ist f :I →R differenzierbar in x0 ∈I, so ist f stetig in x0.

Beweis Wir setzenα:=f(x0) und definieren eine Funktionr :I →Rdurch r(x) :=

( f(x)f(x0)

xx0 −f(x0) fallsx6=x0

0 fallsx=x0.

Die Funktionr ist stetig im Punkt x0, und es gilt

f(x) = f(x0) +α(x−x0) +r(x)(x−x0).

F¨ur x → x0 hat die rechte Seite dieser Identit¨at den Grenzwert f(x0). Also ist auch limxx0f(x) =f(x0), d.h.f ist stetig in x0.

Anmerkung: Es gibt sogar Funktionen, die auf ganz Rstetig, jedoch in keinem Punkt differenzierbar sind. Um eine solche Funktion anzugeben, sie zun¨achst g eine 1–periodische Funktion mit g(x) = |x| auf [−1/2,1/2].

-6

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...1/2

2 1 0 1 2

Die Funktiong ist genau an den Stellenk/2 mitk ∈Znicht differenzierbar. Wir

“verdichten” diese Stellen, indem wir f¨urj ∈N definieren gj(x) := 1

2j g(2jx).

Jede Funktion gj(x) ist stetig und an den Stellen k/2j+1 mit k ∈ Z nicht diffe-renzierbar. Schließlich erkl¨aren wir eine Funktionf :R→R durch

f(x) :=

X

j=0

gj(x).

(Die Reihe konvergiert f¨ur jedes x ∈ R nach dem Majorantenkriterium). Die Funktion f ist nun auf ganz R stetig (das beweisen wir sp¨ater), aber in keinem Punkt differenzierbar.