• Keine Ergebnisse gefunden

D ie westslavische Legende von Pan, Tschech, Ljach und Russ trägt Züge eines hohen Alters; das bedeutet, daß die Russen seit ältester Zeit als

Im Dokument Aus der Geisteswelt der Slaven (Seite 117-122)

den Slaven verwandt und für einen Zweig derselben angesehen wurden.

Unserer Meinung nach waren unter dem N a m e n ״ (gr.) R o s“ schon längst die russischen Slaven auf der historischen Bühne erschienen — die Slaven allein oder zusammen mit den Warägern, die sich fast auf der gleichen Entwicklungsstufe befanden und ähnliche gesellschaftlich-politische Aufgaben hatten.

Konstantin-Kyrill konnte die rossischen T exte auch deshalb leicht lesen, weil sie, wie es scheint, mit einer der griechischen ähnlichen Schrift geschrieben waren. Ich glaube, der Prozeß der Entstehung der sog. ״Kyrii- lica“ hatte bereits begonnen.

D i e g r o ß m ä h r i s c h e L i t e r a t u r s c h u l e

In der Zeit 863— 885 entwickelt sich in Großmähren ein reiches slavi-sches literarislavi-sches Leben, das auf dem von Kyrill und Method geschaffenen Schrifttum erwächst.

D ie Tätigkeit Kyrills im Gebiet des Flusses Bregalnica ist nur ein Präludium zu dieser Tätigkeit. D ie These, daß Kyrill und Method ihr missionarisches und kulturelles Wirken unter den bulgarischen Slaven be- gönnen haben, bedeutet keineswegs, daß sie sich für die mährische Mission nicht noch besonders vorbereiteten.

Über die Schaffung eines neuen Schrifttums durch Kyrill im Zusammen- hang mit der mährischen Mission berichten die pannonischen Viten:

״abije (d. h. ״gleich“, als er mit der mährischen Mission beauftragt worden war) sblozi pismena i nacetb besëdu pisati jevaggelbsku“

(Vita Cyrilli); ״abie ustroivb pismena i besëdu sostavlb, puti sç jarb moravbskago“ (Vita M ethodii).“

N ur wenn wir annehmen, daß Kyrill schon vorher an einer slavischen Schrift gearbeitet hat, werden wir verstehen, w ie es möglich gewesen ist,

״gleich“, nachdem er mit der mährischen Mission beauftragt worden war, eine neue Sdirift zu schaffen.

D ie neue Schrift, mit welcher sich Kyrill zu einer Tätigkeit großen Maßstabs zu den Slaven begibt, ist die glagolitische. D as ist für jeden klar, der die Tatsachen kennt. Die glagolitische Tradition in Mähren-Böhmen,

00047602

Pannonien-Kroatien und Bulgarien-Mazedonien, die nach der Tätigkeit Kyrills und Methods und ihrer nächsten Schüler in diesen Ländern führend ist, offenbart in unbestreitbarer Weise den glagolitischen Charakter des kyrillomethodianischen Schrifttums. Für einen solchen Charakter sprechen auch die Reste der Glagolica in den Denkmälern, die die kyrillomethodia- nische Schule schuf, die zahlreichen Moravismcn in den glagolitischen Denk- mälern, manche geschichtlichen Zeugnisse usw.

Nachdem Kyrill sein neues Alphabet geschaffen hatte — die sog. Gla- golica — unternahm er es, die Übersetzung der wichtigsten christlichen Bücher darin nicderzuschreiben. Bei dieser Arbeit unterstützte ihn Method.

Wenn früher Versuche zur Übersetzung dieser Bücher gemacht worden waren, so hatten diese Versuche nur lokale Bedeutung. Sie fanden keine größere Verbreitung und — was noch wichtiger war — sie wurden von der offiziellen Kirche nicht angenommen. Die ältesten gottesdienstlichen Bücher in slavischer, genauer gesagt, in altbulgarischer Spradie, die auf uns ge- kommen sind, sind mit dem glagolitischen Schrifttum eng verbunden, d. h.

die ältesten altbulgarischeil Übersetzungsdenkmäler sind die Übersetzungen Kyrills und Methods sowie der Schreiber der mährisdien Literaturschule.

Der U m fan g des mährischen Literaturschaffens war bedeutend. Wenn Kyrill, bevor er sidi nach Mähren begab, auch nur ausgewählte Teile des Evangeliums, die wichtigsten Gebete und einige Psalmen übersetzte, so hatten die beiden Brüder später in Mähren die Möglichkeit, das gesamte Evangelium, den ganzen Psalter, die Apostelgeschichte und ausgewählte liturgische Texte zu übersetzen. Später unternahm Method die Übersetzung der ganzen Bibel.

Kyrill und M ethod sahen ein, daß die neugeschaffene slavische Kultur und Literatur auch einer originellen literarischen Tätigkeit bedürfe, um einen würdigen Platz neben der Kultur und Literatur in griechischer und lateinischer Sprache einnehmen zu können. Das Übersetzungswerk allein befriedigte seine Schöpfer nidit und so fügten sie ihm noch das originelle Buch hinzu, das ״ das sdiriftliche W ort“, wie sidi Kyrill im Proglas zum Evangelium ausdrückt, in den Dienst der Sehnsüchte und Aufgaben der Slavcn stellte.

Die originelle literarische Tätigkeit Kyrills und Methods offenbart sich uns immer vollständiger, seit wir uns von ihrer Existenz und Bedeutung überzeugt haben. D ie Werke der Begründer der mährischen Literatur- schule — der Proglas zum Evangelium, das Alphabetische Gebet, Kyrills Verteidigung des slavischen Schrifttums, die Sdirift vom wahren Glauben, der Kanon des Demetrios von Thessalonikc, die H om ilie im Clozianus — sind bemerkenswerte Beiträge zur mittelalterlichen europäischen Literatur.

Man spürt darin das Pathos der Epoche, in welcher die slavischen Völker ihren Willen bekunden, ein neues kulturelles Leben zu beginnen.

D ie großmälirische literarische Tätigkeit bedeutet einen Kampf auf einer breiten Front. Das ist ein Kam pf nidit nur gegen eine vorhergehende

Phase der kulturellen Entwicklung, es ist ein gesellschaftlich-politischer und ideologischer K am pf, ein Klassen- und Volkstumskampf, ein K a m p f gegen die europäische Reaktion, für den Fortschritt der neuen Völker, die in die historische Entwicklung Europas eingetreten sind.

D ie Begründung der großmährischen Litcraturschule bedeutete für die neuen Völker Europas den Aufruf zur Aneignung des Kulturerbes der Menschheit und einen Sieg über jene Mächte, die sich der Ausbreitung der literarischen Kultur in den breitesten Schichten widersetzten. Diese Schule festigte die Positionen nicht nur des slavischen Feudalismus, sondern des Slaventums überhaupt.

D ie slavische literarische Tätigkeit der Slavenapostel und ihrer Schüler in Großmähren w ar aber auch ein Schritt zu einem wirklich dauerhaften literarischen Leben bei den Slaven. Aus verschiedenen Gründen mußte die mährische Literaturschule zugrunde gehen. Ein slavisches literarisches Leben von wirklicher D auer entstand erst in Bulgarien. Bulgarien war eigentlich das Land, w o dieses Leben aufblühen sollte.

D i e L i t e r a t u r s c h u l e n v o n P r e s l a v u n d O c h r i d

Als ein Gebiet mit einer großen kulturellen Tradition, die ihren Anfang in der ältesten Zeit der europäischen Kultur nahm, als ein Gebiet, in dem das Slaventum in engster Nachbarschaft mit der großen Kultur von Byzanz lebte, mußte Bulgarien eine wirkliche Wiege der slavischcn schriftlidicn Kultur werden. Wie bekannt, schuf Bulgarien bereits im 9. Jahrhundert eine reiche und vielseitige slavische Kultur.

Im mittelalterlichen Bulgarien wurden zwei Literaturschulen geschaffen:

eine in Preslav und eine zw eite in Ochrid. Sie bauten in der Hauptsache auf der Grundlage des Werkes von Kyrill und Method auf, setzten aber auch die lokale sdiriftliche Tradition fort.

Wie bekannt, entstand die sog. Kyrillica als Resultat eines historischen Prozesses aus dem griechischen Alphabet. Ihre Entstehung ist mit größter Wahrscheinlichkeit in Bulgarien zu suchen. Bulgarien lag in nächster Nach- barschaft von B yzanz und seine slavischen Volksmassen bildeten in ver- schiedenen Zeitabsdinitten einen Teil der Bevölkerung von Byzanz. Das Schrifttum in Bulgarien entwickelte sidi besonders mit der fortschreitenden Verwurzelung des Christentums in der slavischen Bevölkerung des Landes.

D ie Christianisierung der Slaven war ein längerer historischer Prozeß, der nicht möglich gewesen wäre, wenn sidi nicht gleichzeitig eine für die An- eignung des Christentums notw endige höhere Kultur entwickelt hätte.

D ie sogenannten Protobulgaren haben auch ein schriftlidie Tradition geschaffen. Für die Slavisicrung des Staates mußte aber auch sie in die slavisdie Tradition münden.

D as staatliche Leben im 9. Jahrhundert, besonders nach der Christiani- sierung des Staates, erforderte eine neue Organisation sowohl des

kirchlidi-00047602

religiösen wie auch des ganzen kulturellen und literarischen Lebens im Lande. D ie Fürsten Boris und Symeon sahen ein, daß zusammen mit der Feudalisierung, Christianisierung und Slavisierung auch der Aufbau einer slavischen Kultur auf der Grundlage eines eigenen Schrifttums zur Festi- gung ihres Staates führen werde. Für die Schaffung einer slavischen Kultur brauchten sie Zentren, von welchen aus sie die Entwicklung lenken konn- ten. So entstanden die Literaturschulen in Preslav und Ochrid.

Gewöhnlich nimmt man an, daß die beiden bulgarischen Literatur- schulen, die in Preslav und die in Ochrid, von den vertriebenen Schülern Methods nach Methods Tod gegründet wurden. Das ist aber nidit ganz richtig. Wie idi hier gezeigt habe, ist die Übertragung der großmährisdien kyrillomethodianischen Tradition nach Bulgarien schon vor dem Tode Methods erfolgt. Wir verdanken Method, dem großen Organisator des slavischen Kirchen- und Litcraturlebens, ein solches nicht nur in Groß- mähren, sondern auch in Bulgarien. D as geschah in den letzten Jahren seines Lebens, als er, wie seine Lebensgeschichte berichtet, nach Konstan-tinopel reiste, wo er zwei seiner Schüler ,mit Büchern‘ zurückließ. Diese Schüler hatten die Aufgabe, sich nach Bulgarien zu begeben und dort die slavische Kirche und das slavische Literaturleben zu organisieren. Sie eilten nach Preslav, zu Boris, der mit großem Eifer nadi soldien Mitarbeitern suchte. In der Residenz des bulgarisdien Herrsdiers gründeten sie die erste bulgarische Literaturschule — die Literaturschule von Preslav.

Einige Jahre später, als Method gestorben war, wurden seine Schüler aus Großmähren vertrieben. Nun kamen K lim ent und N au m , die berühm- ten Sdiüler Kyrills und Methods, nach Bulgarien.

Bei der Erwägung der Möglidikeiten, die sidi ihm mit der A nkunft der beiden aufgeklärten Männer boten, kam Boris — sofort oder allmählich — auf den Gedanken, in seinem Staat zwei Kulturzentren zu schaffen: eines in Preslav, d. h. in Nordostbulgarien, und das andere in Ochrid, d. 11. in Süd westbulgarien.

Er madite N aum zum Leiter der Preslaver Schule; Kliment, der in das Land seiner Jugend zurückkehren wollte, gab er den Auftrag, ein neues Kulturzentrum in Odirid, dem entferntesten Winkel seines Staates, auf- zubauen.

Vergebens versudien heute Historiker und Philologen sich selbst oder andere davon zu überzeugen, daß die Literaturschule von Odirid ein eigenes Leben, unabhängig von dem in Preslav und auch unabhängig von dem damaligen Bulgarien, geführt habe.

O hne die gesellschaftlich-historisdien Voraussetzungen und vor allem ohne ein staatliches Leben der slavischen Bevölkerung auf der Balkan- halbinsel, wie es zu jener Zeit nur Bulgarien entwickelt hatte, ist die Literaturschule in Ochrid undenkbar. Sie konnte nicht in einem Vakuum entstehen. Diese Schule ist das Ergebnis politischer Weisheit. Sie wurde

durch den Fürsten Boris gegründet und blühte unter der Pflege seines Nach- folgers Symeon auf.

D ie Bemühungen des Fürsten Boris um ihre Gründung und ihr Gedeihen werden durdi die Freigebigkeit, die er Kliment zuteil werden ließ, be- wiesen. Als er ihn zum Lehrer jenes Gebiets ernannte, befahl er der Bevöl- kcrung, ihm alles für sein Wirken Erforderliche zu geben. Er selbst schenkte Kliment drei Häuser und ״Ruhestätten“ in Ochrid, D ev o l und Glavinica. Er gab ihm auch die Mittel für den Bau eines Klosters, das die gleichen Aufgaben hatte w ie das Kloster, in dem N au m geblieben war.

Kliments Kloster in Ochrid erhielt wie das Prcslaver Kloster den N am en des hl. Pantelejmon. Der Zusammenhang zwischen der Tätigkeit in Preslav und der Tätigkeit in Ochrid ist dadurch klar erwiesen.

In Ochrid führte Kliment die Pläne von Boris und Symeon durch. Er schuf eine bulgarisch-slavische Schule, eine bulgarisch-slavische Kirche und eine bulgarisch-slavische Literatur, d. h. er widmete seine Bemühungen dem Gedeihen und der Festigung des bulgarischen Staates. Mit seinem Wirken zufrieden, ernannte ihn Symeon zum ersten bulgarischen Bischof, oder, wie der Verfasser seiner Vita sagt, ״zum ersten Bischof der bulgarisdien Sprache“.

D ie so geschaffenen beiden Kulturzentren — in Preslav und in Ochrid

— haben, wie bereits gesagt, die kyrillomethodianische Tradition weiter entwickelt. Von der machtvollen Entwicklung und Ausbreitung sowie von dem Einfluß der kyrillomethodianischen Tradition in Bulgarien zeugen die ältesten ihrer Denkmäler, die in den bulgarisdien Gebieten entstanden sind:

der Codex Zographensis, der Codex Marianus, das Evangelium Assemania- num usw. Zahlreiche Schriftsteller — Kliment von Ochrid, Konstantin von Preslav, Joan Exarch, Ćemorizec Chrabr, Zar Symeon usw. bereicherten mit neuen Werken die von Kyrill und Method geschaffene literarische Tradition.

D ie in den bulgarischen Ländern entfaltete literarische und kulturelle Tätigkeit setzte die kyrillomethodianische Tradition nicht nur fort, sondern erhob sie auf eine höhere Stufe.

Das slavische Schrifttum hatte in Bulgarien schon tiefe Wurzeln ge- schlagen. Es hatte zwar auch Feinde, aber sie waren nicht imstande, es zu vernichten. Als erstes unter den jungen europäischen Völkern schuf das bulgarische Volk ein reiches Schrifttum in volkstümlicher Sprache, bildete Literaturschulen und eine Literatur aus, die ihren Platz neben den am hoch- sten entwickelten Literaturen des Mittelalters — der byzantinischen und der lateinischen, die ihre Tradition aus den! klassischen Altertum her- leiteten — einnehmen konnte. Bulgarien wurde ein klassisches Land des mittelalterlichen literarischen Lebens; es spielte nicht nur im Leben slavi- scher Völker eine außerordentliche Rolle, sondern leistete auch einen wert- vollen Beitrag zur allgemeinmenschlichen Kultur und Entwicklung.

00047602

F R A N C E P R E Š E R E N

Im Dokument Aus der Geisteswelt der Slaven (Seite 117-122)