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5. Ergebnisse

5.2 Evaluation der Eltern-Kind-Therapiewoche

5.2.3 Patientinnen-Eltern-Paare

5.2.3.2 Welche Patientinnen profitieren mehr?

In dem vorangegangenen Abschnitt wurde nach Hinweisen gesucht, die anzeigen, ob bestimmte Familien stärker von dem Treatment profitieren als andere.

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92 Auf Familienebene konnte hierzu nichts gefunden werden (Kap. 5.2.2.1), dafür aber auf Personenebene. In dem folgenden Abschnitt soll nun genauer betrachtet werden, welche Faktoren zu einer stärkeren Besserung bei den Patientinnen führen (F2.2).

Hierzu wurden die Fragebogen-Skalen, die essstörungstypische Symptome messen, vor dem Treatment (Prä) und unmittelbar danach (Post) mit verschiedenen möglichen Prädiktoren kombiniert (Tabelle 5.16). D.h. es wurden Varianzanalysen mit Messwiederholungen mit jeweils einem Prädiktor gerechnet und die Interaktionen des Zeit(Prä-Post)-Faktors mit diesem Prädiktor angeschaut. Es wurden Prädiktoren gesucht, die anzeigen, wie viel Einfluss die Familie auf die Patientin haben müsste (sieben Prädiktoren) (H2.2.1) und wie sehr das Treatment der Mutter half (fünf Prädiktoren) (H2.2.2). Tabelle 5.16 zeigt nur die abhängigen Variablen, auf die mindestens ein Prädiktor einen solchen moderierenden Effekt hat.

Der Prädiktor „psychische und psychosomatische Belastung in der Familie“

beruht auf Patientenangaben und beinhaltet Essstörungen, Übergewicht, Sucht, seelische Erkrankungen, Suizid(-versuch), Diäten und psychotherapeutische und psychiatrische Behandlungen der Eltern (leibliche, Stief-, Adoptiv- oder Pflegeeltern) und Partner. Die Variable wurde effektkodiert mit „-1 = keine dieser Personen ist belastet“.

Die Interaktion Erhebungszeitpunkt*Belastung-in-der-Familie ist mit p = .024 signifikant und zeigt eine stärkere Besserung der Interozeptiven Wahrnehmung für diejenigen Patientinnen an, deren Angehörige nicht zusätzlich belastet sind (Abbildung 5.4). Die Einschätzung der Familienfunktionalität durch Patientinnen und Eltern aggregiert zeigt eine Korrektur von ursprünglich funktional ins dysfunktionale, die aber für die Patientinnen hilfreich zu sein scheint: je dysfunktionaler die Familie nach der Therapiewoche von allen zusammen eingeschätzt wird, je stärker bessern sich die Patientinnen in Depressivität (Tendenz, p < .071) und den EDI-Skalen Bulimie (Tendenz mit p < .054), Unzufriedenheit mit dem Körper und Schlankheitsstreben (Tabelle 5.16, Abbildung 5.6).

Mehr oder weniger kritische Bemerkungen der Familie über Aussehen oder die Figur der Patientin in der Kindheit oder Jugend (Patientinnenangabe) haben keinen Einfluss auf die Besserung der Beschwerden. Aber die Bedeutung des eigenen Aussehens für die Mutter hat Einfluss auf die Besserung der misstrauischen Haltung gegenüber Beziehungen: Misstrauen der Patientin verringert sich mehr,

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93 wenn für die Mutter das eigene Äußere weniger wichtig ist (Patientinnenangabe, Abbildung 5.4). Wie wichtig die Einstellungen der Mutter für die Patientinnen sind, zeigt auch der stärkere Rückgang der depressiven Symptomatik bei denjenigen Patientinnen, denen die Meinung der Mutter wichtig ist (p = .038). Außerdem nimmt entgegen den Erwartungen die Depressivität tendenziell und die Angst vor dem Erwachsenwerden signifikant stärker ab, wenn die Patientinnen nicht bei den Eltern leben (Tabelle 4.15 und Abbildung 5.4). Allerdings sind die bei den Eltern lebenden Patientinnen auch vor dem Treatment deutlich weniger belastet (Depressivität:

Haupteffekt „Wohnen“ signifikant).

Da die Mutter, ihre Einstellungen und ihr Befinden, eine bedeutsame Rolle für die Patientin einnimmt (s.o.), soll auch geprüft werden, welchen Einfluss eine Besserung bei der Mutter (Angaben der Mütter) auf die Genesung der Tochter hat.

Hierzu wurde zunächst die Zufriedenheit der Mütter mit dem Treatment als Prädiktor der Veränderung bei den Patientinnen untersucht. Da keine der Mütter unzufrieden ist (s. Kap. 5.2.1, Tabelle 5.4), wurde zwischen „zufrieden“ und „sehr zufrieden“

unterschieden. Dies hat aber keinen Effekt auf die Besserung der Patientinnen.

Aus der Literatur (s. Kap. 2.2) ist bekannt, dass Angehörige von essgestörten Patienten/-innen häufig selbst Beschwerden haben, und auch in dieser Stichprobe wurde ein Konsensanteil im GSI und im Familienbogen gefunden (Kap. 5.2.3.1, Tabelle 5.13). Daher soll der Einfluss der Besserung der Beschwerden der Mütter durch das Treatment (in Form der Residuen der aus den Prä-Werten vorhergesagten Post-Werte) auf die Veränderungen bei den Patientinnen untersucht werden. Es zeigen sich hier schwache Tendenzen: je mehr die somatischen Beschwerden der Mütter zurückgehen, desto mehr bessern sich die Patientinnen in der Unzufriedenheit mit dem Körper und im Perfektionismus (Abbildung 5.6). D.h. die Beschwerden der Mütter wirken sich auf bestimmte Symptome der Töchter aus und wenn es der Mutter wieder besser geht, geht es tendenziell auch der Tochter besser vice versa9.

Auch die Einschätzung der mittleren Familienfunktionalität der Eltern und Patientinnen wurde bereits besprochen (Tabelle 5.16). Da gerade die Mutter eine wichtige Rolle für die Patientin zu spielen scheint, wird der Einfluss der

9 Umgekehrt gerechnet (ANCOVA mit AV = Somatische Beschwerden der Mütter) zeigen sich ähnliche Tendenzen (p etwas > .05). Also beeinflussen sich die Besserungen gegenseitig.

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94 Veränderung der Einschätzung der Mutter auf die Patientin gesondert überprüft.

Zwei Ergebnisse resultieren: je dysfunktionaler die Mütter die Familie nach dem Treatment einschätzen, desto stärker bessern sich die Patientinnen in ihrer Zwanghaftigkeit und tendenziell auch in der Interozeptiven Wahrnehmung (Abbildung 5.6). D.h. die Einsicht der Mütter, dass die Familie nicht so funktioniert, wie sie vorher angenommen hatten, hilft den Patientinnen sich, in einen Teil ihrer Symptomatik zu bessern.

Tabelle 5.16: ANOVA bzw. ANCOVA mit Messwiederholungsfaktor Zeit(Prä/Post) und je einem between subject Prädiktor. Nominale Prädiktoren sind effektkodiert, metrische Prädiktoren sind z-transformiert. p: Signifikanzwert der Zeit*Prädiktor-Interaktionen; es sind nur p < .10 aufgeführt. In den „b“-Spalten wird das Vorzeichen des Interaktionsparameters angegeben.

SCL-90-R EDI-2

Pat. noch in Fam. lebend 147/

142 .075 .041

IW: interozeptive Wahrnehmung; UK: Unsicherheit im Sozialkontakt; P: Perfektionismus; M: Misstrauen; AE:

Angst vorm Erwachsenwerden. df: Freiheitsgrade; b: Regressionskoeffizient.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es begünstigend für die Wirkung des Treatments bei den Patientinnen ist, wenn die Familie Einfluss auf die Patientin hat (Meinung der Mutter wichtig, Mutter nicht übermäßig aufs Äußere bedacht, nicht in der Familie lebend, Beziehungseinschätzung Richtung dysfunktional korrigiert, Angehörige gesund), wenn das Treatment der Mutter half (somatische Beschwerden gebessert) und die Mutter die Familie kritischer sieht als zuvor

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95 (Familieneinschätzung dyfunktionaler).

Abbildung 5.4: Graphische Darstellung der signifikanten nominalen Prädiktoren aus Tabelle 5.16. Für die EDI-Skalen sind die Cut-Off-Werte (M + SD der weiblichen gesunden Kontrollgruppe aus dem EDI-2-Manual), berechnet nach Jacobson und Truax (1991), angegeben.

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Abbildung 5.5: Graphische Darstellung der signifikanten metrischen Prädiktoren aus Tabelle 5.16

„Familie hat Einfluss“. Alle Variablen der x-Achse sind z-transformiert. Für EDI-Skalen wird die 50% Perzentile und Cut-Off-Wert (M + SD) aus der weiblichen Referenzgruppe des EDI-2 eingeblendet. Prä (vor dem Treatment); Post (unmittelbar nach dem Treatment).

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Abbildung 5.6: Graphische Darstellung der signifikanten metrischen Prädiktoren aus Tabelle 5.16

„Treatment half der Mutter“. Alle Variablen der x-Achse sind z-transformiert. Für EDI-Skalen wird die 50% Perzentile und Cut-Off-Wert (M + SD) aus der weiblichen Referenzgruppe des EDI-2 eingeblendet. Prä (vor dem Treatment); Post (unmittelbar nach dem Treatment).

Insgesamt erreicht die Eltern-Kind-Therapiewoche eine hohe Zufriedenheit und größtenteils erfüllte Erwartungen bei den Teilnehmern. Eine schwache aber überwiegend signifikante Beschwerde-Verbesserung innerhalb nur dieser einen Woche konnte sowohl bei den Patientinnen als auch bei den Eltern nachgewiesen werden. Die Familien stimmen zwar größtenteils in ihren Einschätzungen überein (stabiler Familienkonsens), aber Hinweise auf eine familienspezifische Veränderung gibt es nicht. D.h. es haben sich nicht bestimmte Familien stärker gebessert als andere. Personenspezifische Verbesserungen aber lassen sich finden: Patientinnen, deren Familien Einfluss auf sie nehmen konnten und deren Mütter sich durch das Treatment besserten, profitierten von diesem Behandlungsangebot stärker. Da es sich um ein familientherapeutisches Angebot handelt, stimmt dieses Ergebnis mit den Erwartungen überein.