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Wege zu einer migrationssensiblen psychosozialen Versorgung

im Zuge der eigenen Sensibilisierung mit Nachdruck angenommen hat.

Dennoch soll eine Spontanreaktion nicht verschwiegen werden, die ein Gefühl der Mitarbeiter ausdrückte, immer neue Hausaufgaben und Themen aufgedrückt zu bekommen: „Nach den Geistig-Behinderten jetzt auch noch Alte und Ausländer“.

Wie also damit beginnen, die Aufmerksamkeit der Mitarbeiter auch auf interkulturelle Aspekte auszuweiten?

Als erstes fiel uns natürlich ein, was alles nicht geht! Wenn wir nun mal nicht türkisch, polnisch und serbokroatisch sprechen, wie können wir dann an die Zielgruppe herantreten?

Wir haben uns damit beholfen, erstmal zu erfassen, welche Sprachen an unserem Standort im Festteam und bei den ca. 30 vernetzten Mitarbeitern gesprochen werden – aber auch, über welche Sprachressourcen der BKD berlinweit verfügt. Seither hängt die entsprechende Liste in jedem Standort aus – und wir können im Bedarfsfall immer klären, wann und wo ein Mitarbeiter z.B. Krisenintervention auf Spanisch oder Russisch machen kann, allerdings in der Regel mit Termin Motto: „Nicht immer und überall – aber wir wissen, wann und wo“

Am Standort Südwest ist Beratung in folgenden Sprachen verfügbar:

Englisch,

Französisch,

Italienisch,

Spanisch,

Russisch,

Serbisch,

Kroatisch,

Bosnisch.

Unter Berücksichtigung auch der anderen Standorte des Berliner Krisendienstes kommen folgende Sprachen hinzu:

Türkisch,

Griechisch,

Ungarisch,

Hebräisch,

Niederländisch,

Dänisch,

Schwedisch,

Afghanisch,

Armenisch,

Persisch.

Darüber hinaus knüpften wir Kontakte zum Gemeindedolmetschdienst und zu Einrichtungen im Bezirk, die unter ihren psychosozialen Fachkräften über einen großen Sprachenpool verfügen: Das ist z.B. die Navitas gGmbH, auf deren Sprachkompetenz wir im Bedarfsfall zurückgreifen können.

Jenseits der verbesserten Sprachvermittlung für die Ratsuchenden hatte diese Maßnahme auch eine Wirkung nach innen. Wir selbst wurden uns der Bedeutung der Sprachen bewusst, welche Bereicherung eine französische Muttersprachlerin darstellt oder welches Potential an Sprachkenntnis sowie an eigener Migrationserfahrung ein Mitarbeiter mitbringt, der aufgrund eines ukrainischen Vaters und einer serbischen Mutter diverse Sprach- und Kulturkompetenzen vereinigt.

Selbstverständlich ist die Sprachbarriere nur eine von vielen, die es den Mitarbeitern erschwert, Krisenintervention für Menschen mit Migrationshintergrund zu machen.

Eine nicht unerhebliche Rolle spielte auch die eigene Unsicherheit im Kontakt mit anderen Kulturen, gerade wenn man sich im ersten Schritt einer Sensibilisierung zunächst der Fremdheit bewusst geworden war. Wir mussten der Tendenz begegnen, Migranten nur auf Grund ihres Migrationshintergrundes an scheinbar spezialisierte Einrichtungen für Migranten zu verweisen, wenn sie sich doch womöglich bewusst an den Krisendienst gewandt hatten oder gar dorthin – aufgrund unserer Krisenkompetenz – verwiesen worden waren.

Dem konnten wir erfolgreich begegnen, indem wir wiederholt Fortbildungen organisierten, in denen wir die vorhandenen Ansätze der interkulturellen Beratungskompetenz kennen lernten.

In dem Maß, in dem wir unsere eigene kulturelle Prägung als eine unter vielen möglichen begreifen, verlieren Selbstverständlichkeiten eben ihre scheinbare Selbstverständlichkeit, und wir nehmen Unterschiede bewusster wahr. Gleichzeitig entwickelten wir ein Verständnis davon, wie auch die Betonung der Unterschiedlichkeit immer die Gefahr birgt, in eine

„Kulturalisierung“ der Probleme zu verfallen, wo ein vergleichbarer „psychosozialer Zugang“

wie bei der „deutschen“ Klientel angemessen wäre.

Die interkulturelle Öffnung stieß allerdings auch auf Grenzen, die bisher am Standort Südwest des Berliner Krisendienstes nicht zu überwinden waren. Mangels zu besetzender Stelle ließ sich die naheliegenden Idee, einen Mitarbeiter mit Migrationshintergrund ins Festteam zu holen, bisher nicht verwirklichen.

An Stelle dessen beantragten wir ABM-Stellen für die weitere Öffnung des Krisendienstes für Migranten, die es uns ermöglichen, Maßnahmen der Vernetzung und Knüpfung von Kooperationsbeziehungen zu entwickeln, die die Arbeitskapazität der festangestellten Mitarbeiter überschreiten. Diese zusätzlichen Ressourcen trugen dazu bei, den Arbeitskreis Migration innerhalb der PSAG zu etablieren und übernahmen die Organisation des Fachtags

„Psychosoziale Hilfen für Menschen mit Migrationshintergrund in Steglitz-Zehlendorf“, der am 26.1.07 stattfand.

2. Eine Mitarbeiterbefragung im Berliner Krisendienst Region Südwest

Mit Hilfe der ABM-Kräfte wurde ein Fragebogen für die Mitarbeiter des Krisendienstes entwickelt, um mehr über die eigenen Ideen sowie Schwierigkeiten mit der kulturellen Öffnung zu erfahren. Diese Mitarbeiterbefragung brachte spannende Ergebnisse. Genauso wichtig, wie die konkreten Antworten waren aber die Gespräche die wir begleitend mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern führten.

1. Möchtest Du gerne für Deine Arbeit beim BKD mehr über kulturelle, politische, wirtschaftliche, soziale, religiöse oder familiäre Hintergründe bestimmter Kulturen wissen?

2. Gibt es ein Thema, das Dich besonders interessiert und wo Du Dir Fortbildung wünschen würdest?

3. Könntest Du Dir vorstellen, ein Beratungsgespräch in einer Fremdsprache zu führen?

Wenn ja in welcher?

4. Könntest Du Dir vorstellen, zu einem Beratungsgespräch einen Dolmetscher bzw dolmetschenden Verwandten/Bekannten des/der KlientIn hinzuzuziehen?

5. Wenn wir annehmen, dass die „Unternutzung“ psychosozialer Einrichtungen durch Migranten auch an bestimmten Zugangsbarrieren liegt, welche könnten das beim Berliner Krisendienst sein?

6. Was siehst Du als größte Schwierigkeit „deutscher“ Professioneller im Umgang mit Menschen mit Migrationshintergrund?

7. Hast Du Ideen/Vorschläge für eine migrationssensiblere Arbeit des BKD?

8. Gibt es Menschen, mit denen Du nicht oder nur ungern Beratung machen würdest?

9. Ist das Thema „Migration“ eines, das Dich eher interessiert oder eines, dessen Du schon überdrüssig bist?

3. Migrationssensible Krisenintervention „auf Wiedervorlage“

Für eine dauerhafte Veränderung der Beratungspraxis unserer Mitarbeiter erwies es sich als sinnvoll, alle einzeln aufgeführten Maßnahmen in einen Gesamtrahmen zu stellen und kontinuierlich zu thematisieren. Die Entwicklung des Fragebogens unter Einbeziehung der Ideen der Mitarbeiter, die Durchführung der Befragung mit begleitenden Gesprächen, die Auswertung und schließlich die Präsentation derselben auf Mitarbeiterversammlungen dienten dem Ziel der Schärfung des eigenen Problembewusstseins.

Zusätzlich führten wir eine veränderte Dokumentationspraxis ein: Die Kategorie

„Ausländerproblematik“ in der Problemerfassung der „Bado“ war kurzfristig nicht zu ändern, jedoch sollte jeder Mitarbeiter den Button im Sinn einer Umcodierung nutzen, um den

„Migrationshintergrund“ in einem Beratungsgespräch jenseits der Nationalität zu erfassen.

Somit haben alle eine (wenn auch noch so kleine) Aufgabe, auf die zu achten ist.

Nachdem uns deutlich geworden war, wie lückenhaft unsere Erfassung des Migrationshintergrundes durch die alleinige Dokumentation der Nationalität war, durchforstete eine ABM-Mitarbeiterin alle Gesprächsprotokolle eines Jahres, inwiefern wir aus dem Dokumentationstext der Krisenberater zusätzliche Hinweise auf einen Migrationshintergrund erfahren könnten. Hierbei bemerkten wir deutliche Unterschiede in der Inanspruchnahme, die uns vorher noch nicht aufgefallen waren. Während generell ¾ der Ratsuchenden uns anrufen und nur ¼ den Krisendienst zum persönlichen Gespräch aufsucht, weist die Auswertung der Protokolle darauf hin, dass Menschen mit Migrationshintergrund fast zur Hälfte persönlich bei uns vorbeikommen, um das Gespräch von Angesicht zu Angesicht zu suchen. Dies mag der leichteren Überwindung von Sprachbarrieren geschuldet sein, wenn man nicht nur den akustischen „Kanal“ des Telefongesprächs zur Verfügung hat. Es mag aber auch auf eine unterschiedliche Gesprächskultur hindeuten, welche Themen im deutschen Kulturkreis eher anonym am Telefon verhandelt werden und welche vielleicht auch differenten Krisenthemen auf einem anderen kulturellen Hintergrund lieber mit einem persönlichen Gegenüber besprochen werden.

Allerdings lässt das Ergebnis der abweichenden Häufigkeitsverteilung in der Art der Inanspruchnahme (telefonisch oder persönlich) auch eine andere Schlussfolgerung zu: Nur im persönlichen Gespräch bemerken wir den Migrationshintergrund, während wir am Telefon, sobald der Anrufer akzentfreies Deutsch spricht, von uns aus gar nicht auf die Idee kommen, er könnte einen Migrationshintergrund haben.

Ein weiteres Ergebnis der qualitativen Auswertung war die Häufigkeit der Kontakte von deutschen Ratsuchenden, die sich aufgrund von Problemen mit ihren Partnern mit Migrationshintergrund an den BKD wenden.

4. Zusammenfassung

Erfreulich hinsichtlich der Nachhaltigkeit unserer Bemühungen um die Kultursensibilsierung war es zu bemerken, dass die Protokolle der Mitarbeiter über den Gesprächsverlauf und die bearbeiteten Probleme seit Beginn der Bemühungen um kulturelle Öffnung zunehmend differenzierter werden, wenn ein Migrationshintergrund wahrgenommen wird. Wir können daher davon ausgehen, dass sowohl unsere Mitarbeiter eine höhere Arbeitszufriedenheit in Gesprächen mit Menschen mit Migrationshintergrund erlangen, indem sie eine größere Sicherheit hinsichtlich der eigenen Beratungskompetenz erlangt haben, als auch, dass die ratsuchenden Migranten davon profitieren in ihren Krisen besser geholfen zu werden.

Erfahrungen in der Beratung einer polnischen Mutter und ihrer Tochter