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Das Konzept menschlicher Entwicklung ist für das Verständnis unserer Welt nach wie vor von großer Aktualität. Im letzten Jahr bekräf-tigte der Bericht über die menschliche Entwick-lung diesen Ansatz, indem er herausstellte, wie die Wahlmöglichkeiten der Menschen durch Teilhabe, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit erweitert werden können. Er zeigte, dass diese Schlüsselaspekte nicht immer zusammen-fallen. Auch machte er die Schwierigkeiten deutlich, die ihrer Verwirklichung entgegen-stehen. Ferner betonte er die Notwendigkeit, Teilhabe, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit so zu fördern, dass sie sich gegenseitig stärken.

Der Bericht dokumentierte auch subs-tanzielle Fortschritte, die in den letzten vier-zig Jahren erreicht wurden. Der Index der menschlichen Entwicklung (HDI) ist seit 1970 drastisch gestiegen – insgesamt um 41 Prozent und in den Ländern mit niedrigem HDI sogar um 61 Prozent. Darin spiegeln sich nachdrückliche Verbesserungen bei Gesund-heit, Bildung und Einkommen. Ein Beispiel ist die Primar- und Sekundarschulbildung von Mädchen, die bedeutende Zugewinne verzeichnete. Wenn dieses Fortschrittstempo anhält, werden bis 2050 mehr als drei Vier-tel der Weltbevölkerung in Ländern leben, deren HDI-Niveau ähnlich hoch ist wie heute in Ländern mit sehr hohem HDI. Auch auf anderen Gebieten gab es Fortschritte: Der Anteil demokratischer Länder, der weniger als ein Drittel betrug, hat sich auf drei Fünf-tel erhöht. Der Arabische Frühling von 2011 stellte einen weiteren Sprung nach vorn dar:

Für rund 100 Millionen Menschen scheinen Jahrzehnte autokratischer Herrschaft zu Ende zu gehen.

Aber wir können nicht einfach davon aus-gehen, dass die bisher im Durchschnitt erziel-ten Fortschritte auch künftig anhalerziel-ten werden.

In verschiedenen Ländern und Zeitperioden

waren die Fortschritte keineswegs einheitlich.

Auch haben sich in zwei Schlüsseldimensionen menschlicher Entwicklung die Bedingungen verschlechtert. Im Bereich der ökologischen Nachhaltigkeit mehren sich die Anzeichen für verheerende Effekte in Gegenwart und Zukunft. Die Ungleichverteilung des Einkom-mens hat sich verstärkt, während gleichzeitig bei Gesundheit und Bildung erhebliche Dispa-ritäten fortbestehen.

Dies sind die Themen des vorliegenden Berichts: die nachteiligen Auswirkungen der Umweltdegradation auf Menschen, vor allem auf die übermäßig stark betroffenen Armen und Benachteiligten, und die Notwendigkeit von Lösungen, die den Aspekt der Verteilungs-gerechtigkeit berücksichtigen. Der Bericht untersucht Muster und Implikationen und ruft mit Nachdruck zum Handeln auf. Dabei weist er Wege, die es ermöglichen sollen, die schädliche Verknüpfung zwischen Umweltde-gradation und Wirtschaftswachstum aufzulö-sen, die zumindest in den letzten fünfzig Jah-ren die Entwicklungsergebnisse stark belastet hat und künftige Fortschritte gefährdet.

Diese Sichtweise stimmt mit den inter-nationalen Erklärungen über nachhaltige Entwicklung überein, namentlich den Erklä-rungen von Stockholm (1972), Rio de Janeiro (1992) und Johannesburg (2002). Sie etab-lierten die drei Säulen der nachhaltigen Ent-wicklung, die ökologische, die wirtschaftliche und die soziale.1 Teil der sozialen Säule ist die Gerechtigkeit innerhalb der jeweiligen Gene-ration (intrageneGene-rationelle Gerechtigkeit).

Unser Aufruf zum behutsamen Umgang mit der Umwelt und den grundlegenden natürli-chen Ressourcen ergibt sich aus der besonde-ren Bedeutung, die wir der Verbesserung der Chancen für die am stärksten benachteilig-ten Gruppen sowie der Berücksichtigung von Katastrophenrisiken beimessen.

Wir machen uns Sorgen über die ökologische Nachhaltigkeit, weil wir es als zutiefst ungerecht empfinden, dass eine Generation auf Kosten anderer Generationen

lebt. Die heute geborenen Menschen sollten die Ressourcen der Erde nicht stärker

beanspruchen als diejenigen, die in hundert oder tausend Jahren geboren werden

Die breiteren Aspekte wirtschaftlicher, finanzieller und politischer Nachhaltig-keit werden weniger ausführlich behandelt, obwohl sie uns einige wichtige Lehren ver-mitteln. Durch die Konzentration auf einen genau definierten Themenkatalog lassen sich wertvollere Erkenntnisse erzielen als durch den Versuch, verwandte Themenfelder mit zu behandeln. Ein weiterer Grund für diese Themenbegrenzung ist die Dringlichkeit der Auseinandersetzung mit den gravierenden Umweltgefahren unserer Tage.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass dieser Bericht die Beziehungen zwischen zwei eng verbundenen Herausforderungen deutlich macht und aufzeigt, wie die menschliche Ent-wicklung sowohl ökologisch nachhaltiger als auch gerechter gestaltet werden kann.

* * *

Zum Auftakt befasst sich dieses Kapitel mit möglichen Grenzen menschlicher Entwick-lung sowie mit zwei unterschiedlichen Para-digmen der Nachhaltigkeit, die grundlegen-den Einfluss darauf haben, wie wir an einige der vordringlichsten Entscheidungen der Menschheit herangehen. Wir beziehen hier eine eher konservative Position, weil wir nicht sicher sein können, immer die richtige techno-logische Abhilfe für Probleme zu finden, die wir selbst verursachen. Von zentraler Bedeu-tung für diesen Ansatz ist die Erkenntnis der Unsicherheit, die der Zukunft innewohnt, sowie die Notwendigkeit, verantwortungs-voll mit Risiken umzugehen, um unseren Verpflichtungen gegenüber den heutigen und künftigen Generationen gerecht zu werden.

gibt es grenzen

menschlicher entwicklung?

Für die meisten Menschen auf der Welt hat sich im Verlauf der letzten 40 Jahre ihre Lebenssi-tuation erheblich verbessert. Unsere Fähigkeit, diese Trends fortzuführen, unterliegt jedoch starken Sachzwängen. Wenn wir diese Her-ausforderungen entschlossen angehen, könn-ten wir uns am Beginn einer Ära befinden, die eine historische Chance für die Erweiterung der Wahlmöglichkeiten und Freiheiten bietet.

Handeln wir jedoch nicht, könnte das frühe 21. Jahrhundert den künftigen Generationen als eine Zeit im Gedächtnis bleiben, in der für einen großen Teil der Weltbevölkerung die Türen zu einer besseren Zukunft verschlossen wurden.

Wir machen uns Sorgen über die ökolo-gische Nachhaltigkeit, weil wir es als zutiefst ungerecht empfinden, dass eine Generation auf Kosten anderer Generationen lebt. Die heute geborenen Menschen sollten die Res-sourcen der Erde nicht stärker beanspruchen als diejenigen, die in hundert oder tausend Jah-ren geboJah-ren werden. Wir können – und sollten – viel dafür tun, dass unsere Nutzung der Res-sourcen dieser Welt die künftigen Möglichkei-ten und Chancen nicht beeinträchtigt.

Amartya Sen stellt fest, dass „eine beschä-digte Umwelt, in der künftigen Generationen das Vorhandensein frischer Luft verweigert wird … selbst dann beschädigt bleiben wird, wenn die künftigen Generationen außer-ordentlich reich sind.“2 Die fundamentale Ungewissheit darüber, was die Menschen in der Zukunft wertschätzen werden, bedeutet, dass wir gleiche Wahlfreiheit für alle gewähr-leisten müssen – der Dreh- und Angelpunkt des Konzepts der Verwirklichungschancen.

Dies muss unter anderem durch den Schutz der Verfügbarkeit und Vielfalt der natürli-chen Ressourcen geschehen.3 Solche Ressour-cen sind unverzichtbar, weil sie uns erlauben, ein Leben zu führen, das wir mit gutem Grund wertschätzen.4

Schon die frühen Berichte über die mensch-liche Entwicklung erkannten die zentrale Bedeutung der Umwelt an. Der erste Bericht aus dem Jahr 1990 warnte vor der immer stär-keren Gefährdung der Umwelt, einschließlich entsprechender Gesundheitsrisiken, durch Erderwärmung, Abbau der Ozonschicht, industrielle Verschmutzung und ökologische Katastrophen.5 Der Bericht von 1994 unter-strich: „Es besteht keine Spannung zwischen menschlicher Entwicklung und nachhaltiger Entwicklung. Beide beruhen auf der Univer-salität der Lebensansprüche.“6

Der Bericht über die menschliche Ent-wicklung 2010 ging noch weiter. Er bekräf-tigte erneut das Konzept menschlicher

1987 lieferte der Bericht

„Unsere gemeinsame Zukunft“ die Definition

für Nachhaltigkeit als Entwicklung, die

die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können Entwicklung unter besonderer Hervorhebung

der Nachhaltigkeit:7

Menschliche Entwicklung ist die Erwei-terung der Freiheiten der Menschen, ein langes, gesundes und kreatives Leben zu führen, weitere Ziele voranzubringen, die sie zu Recht wertschätzen, und sich aktiv dafür zu engagieren, gerechte und nach-haltige Entwicklungsprozesse auf unserem gemeinsamen Planeten zu gestalten. Die Menschen sind Nutznießer und Antriebs-kräfte der menschlichen Entwicklung, als Einzelpersonen und auch in Gruppen.

Weltweite Beachtung fand das Konzept der nachhaltigen Entwicklung 1987 mit der Publikation „Unsere gemeinsame Zukunft“

(Our Common Future), dem Bericht der UN-Kommission für Umwelt und Entwicklung unter dem Vorsitz der früheren norwegischen Premierministerin Gro Harlem Brundtland.

Der Bericht lieferte die heutige Standarddefi-nition für nachhaltige Entwicklung als „Ent-wicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können.“8 Aber die Arbeit der Kommission ist noch in weiterer Hinsicht relevant. Sie unterschied sich von zahlreichen späteren Arbeiten zum Thema Nachhaltigkeit durch ihre Betonung der Gerechtigkeit:

Zahlreiche Probleme der Ressourcener-schöpfung und Umweltbelastung resul-tieren aus Ungleichheiten wirtschaftli-cher und politiswirtschaftli-cher Macht. So kann eine Industrie sich unannehmbare Luft- und Wasserverschmutzung leisten, weil die Menschen, die die Hauptlast tragen, arm sind und unfähig, sich wirkungsvoll zu wehren. Ein Wald kann zerstört werden durch übermäßige Rodung, weil die Men-schen, die dort leben, keine Alternative haben oder weil die Holzhändler zumeist mehr Einfluss haben als die Waldbewoh-ner. Global gesehen sind wohlhabendere Staaten finanziell und technologisch bes-ser in der Lage, mit den Folgen möglicher Klimaänderungen fertigzuwerden. Unsere

Unfähigkeit, das gemeinsame Interesse an dauerhafter Entwicklung voranzutreiben, ist also oft eine Folge davon, dass wirtschaft-liche und soziale Gerechtigkeit innerhalb und zwischen den Nationen vernachlässigt sind.

Außerdem äußerte die Kommission die Sorge, dass das Wachstum der weltweiten Wirtschaftstätigkeit an natürliche Grenzen stoßen würde. 1972 veröffentlichte eine vom Club of Rome beauftragte Gruppe von Wis-senschaftlern den Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ (The Limits to Growth), in dem sie vorhersagten, dass bei einem Andauern des damaligen Konsumwachstums viele natür-liche Ressourcen im nächsten Jahrhundert erschöpft sein würden. Manche Ökonomen kritisierten diese These, weil sie Preisanpas-sungen und technologische Veränderungen, die die steigende Nachfrage nach Ressourcen eindämmen würden, unbeachtet ließe.9 Aber die Fakten schienen einige der Vorhersagen zu bestätigen – inflationsbereinigt stiegen die Ölpreise zwischen 1970 und 1985 um das Fünffache.10

Während der folgenden zwei Dekaden ver-änderte sich die Wahrnehmung von Knapp-heit. Die meisten Rohstoffpreise erreichten Mitte der 1980er Jahre ihren Höchststand.

Bis 1990 waren die Preise wieder erheblich gefallen: für Erdöl um 57 Prozent, für Kohle um 45 Prozent und für Kupfer um 19 Prozent.

Vor diesem Hintergrund verlor die These, wir würden uns einer weltweiten Verknappung der Ressourcen nähern, an Glaubwürdigkeit – wenn die Ressourcen tatsächlich knapp würden, müssten die Preise eigentlich stei-gen und nicht fallen. 1997 bezeichnete sogar der Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen den Bericht des Club of Rome als

„dogmatisch“, „unzuverlässig“ und „politisch kontraproduktiv“.11

Inzwischen ist das Pendel wieder zurück-geschwungen. Die aktuellen Sorgen unter-scheiden sich in mancher Hinsicht von denen, die vor vierzig Jahren geäußert wurden. Heute gibt es eher Probleme mit der Bewahrung erneuerbarer natürlicher Ressourcen, von Wäldern und Fischbeständen bis zu der Luft,

die wir atmen. Aber die Botschaft ist klar:

Unser Entwicklungsmodell stößt an konkrete Grenzen.

Konkurrierende Paradigmen

Der Gedanke, dass Ressourcenknappheit das Entwicklungspotenzial der Welt einschränkt, hat eine lange Geschichte. Im späten 18. Jahr-hundert vertrat Malthus die Auffassung, die Begrenztheit der Anbauflächen führe zu einer absoluten Beschränkung des Nahrungsmittel-konsums und damit der Zahl der Menschen, die die Erde bevölkern könnten. Dennoch leben 200 Jahre später siebenmal mehr Men-schen auf der Welt als zu der Zeit, in der Mal-thus seine Schriften verfasste.

Tatsächlich haben technologische Ver-besserungen und Überfluss statt Knappheit an Ressourcen während der letzten zwei Jahr-hunderte einen stetigen Anstieg des Lebens-standards ermöglicht. Der inflationsberei-nigte Preis für Nahrungsmittel ist heute sehr viel niedriger als vor 200 und sogar noch vor 50 Jahren. Die bekannten Vorkommen zahl-reicher mineralischer Rohstoffe sind heute erheblich umfangreicher als 1950.12 Aufgrund verbesserter Anbaumethoden hat die welt-weite Nahrungsmittelproduktion das Bevöl-kerungswachstum überholt. Zwischen den 1960er und 1990er Jahren bewirkte die Grüne Revolution in Asien durch die Einführung von Hochleistungssorten, bessere Bewässerung und den Einsatz von Dünger und Pestiziden eine Verdoppelung der Reis- und Weizener-träge.13 Diese Ertragssteigerungen wurden jedoch durch Mittel erreicht, die nicht immer nachhaltig waren. Unsere Sorge um zukunfts-fähigere Produktionsweisen in der Landwirt-schaft geht einher mit dem Bewusstsein, dass rund eine Milliarde Menschen unterernährt ist und unter gravierender Nahrungsmittel-unsicherheit leidet.14

Aufgrund dieser Beobachtungen ver-treten manche die Position, dass mit zuneh-mendem Verbrauch der nicht erneuerbaren Ressourcen Verknappungen, die die künf-tige Entwicklung hemmen könnten, durch technologische Neuerungen und Preissignale abgewendet werden. Bei knapperen Ressour-cen bedeutet ein Anstieg der relativen Preise

höhere potenzielle Gewinne für Innovatoren und die Eigentümer von Gütern, die an die Stelle der geringer werdenden knappen Res-sourcen treten können. Diese Kräfte können selbst bei steigendem Verbrauch den Ressour-ceneinsatz erheblich reduzieren. Das World-watch Institute schätzt, dass die Herstellung einer Produktionseinheit in den Vereinigten Staaten im Jahr 2000 weniger als ein Fünftel der Energiemenge erforderte, die im Jahr 1800 dafür aufgewandt werden musste.15 Dies führt zu einer These, die als schwache Nachhaltigkeit bezeichnet wird. Sie legt den Schwerpunkt vor allem auf den Gesamtbestand aller Kapitalar-ten, weniger auf die Erschöpfung natürlicher Ressourcen.

Die Gegenthese ist die der starken Nach-haltigkeit, deren Vertreter der Auffassung sind, dass es für bestimmte grundlegende Naturgü-ter keine wirklichen Substitute gibt und dass sie daher erhalten werden müssen.16 Diese Naturgüter sind nicht nur für unsere Fähig-keit, Waren und Dienstleistungen zu erzeugen, von grundlegender Bedeutung, sondern für das menschliche Leben insgesamt. Die Gesell-schaften sollten bestrebt sein, einen stetigen Fluss der Leistungen des Naturkapitals für alle Zeit aufrechtzuerhalten, weil die Akkumulie-rung von Realkapital oder anderen Kapitalfor-men die Erderwärmung, den Abbau der Ozon-schicht oder den hohen Artenschwund nicht ausgleichen kann.

Die Verfechter der starken Nachhaltig-keit lassen zwar die zunehmende Effizienz der Ressourcennutzung nicht außer Acht, aber sie argumentieren, dass die Geschichte nicht zwangsläufig ein guter Leitfaden für die Zukunft ist. In der Vergangenheit waren man-che Zwänge, denen das Naturkapital ausge-setzt war, vielleicht nicht unausweichlich, aber heute sind bestimmte Arten von Naturkapital unersetzbar. Kein Beispiel illustriert dies bes-ser als die Erderwärmung. Es gibt erdrückende Beweise dafür, dass unsere natürlichen und technischen Kapazitäten, weiterhin Treibhaus-gase ohne schwerwiegende Konsequenzen zu emittieren, an ihre Grenzen stoßen. Einer der Befürworter der starken Nachhaltigkeit legt dar, dass wir von einer Ökonomie der „leeren Welt“, in der das menschengemachte Kapital Die These der schwachen

Nachhaltigkeit legt den Schwerpunkt vor allem auf den Gesamtbestand aller Kapitalarten, weniger

auf die Erschöpfung natürlicher Ressourcen;

die These der starken Nachhaltigkeit vertritt

die Auffassung, dass es für bestimmte

grundlegende Naturgüter keine wirklichen Substitute

gibt und sie daher erhalten werden müssen

der limitierende Faktor und das Naturkapital im Überfluss vorhanden war, zu einer Ökono-mie der „vollen Welt“ übergegangen sind, in der das Gegenteil der Fall ist.17

Neuere Denkmodelle gehen über diese Debatten hinaus und betonen die potenzielle Kongruenz von Wachstum und ökologischer Nachhaltigkeit im Rahmen des umfassende-ren Paradigmas einer grünen Wirtschaft.18 Sie weichen damit vom traditionellen Diskurs über Nachhaltigkeit ab und legen den Fokus auf die Entwicklung wirtschaftspolitischer Handlungskonzepte, die nachhaltige Produk-tions- und Konsummuster hervorbringen, mit inklusiven, armutsorientierten Lösungen, die Umweltbelange in die alltäglichen wirtschaft-lichen Entscheidungsprozesse integrieren.19 Unser Ansatz ergänzt und bereichert den Diskurs über eine grüne Wirtschaft, indem er die Menschen, die zahlreichen Aspekte ihres Wohlergehens sowie die Frage der Chancen- und Verteilungsgerechtigkeit in den Vorder-grund stellt. Unser Anliegen ist nicht Wachs-tum allein, sondern geht darüber hinaus.

Die wichtige Rolle der Unsicherheit Die Unterschiede zwischen den beiden Kon-zepten starker und schwacher Nachhaltigkeit gehen über die Frage hinaus, ob finanzielle Einsparungen als Substitut für die Erschöp-fung natürlicher Ressourcen dienen können.

Ein ganz entscheidender Unterschied liegt in der Rolle der Unsicherheit.

Wie können wir sicher sein, dass wir Wege finden werden, um künftige, durch Produk-tion und Konsum verursachte Schäden abzu-wenden? Die Antwort lautet, dass wir eben nicht sicher sein können. Die Einsicht, dass es diese inhärente Unsicherheit gibt, stützt die These der starken Nachhaltigkeit.

Betrachten wir die Biodiversität. Ihre ins-trumentellen Nutzeffekte für den Menschen sind bekannt: Eine stärkere biologische Vielfalt verbessert die Chancen, Heilmittel für Krank-heiten zu finden, Hochleistungs-Anbausorten zu entwickeln und die Güter und Dienstleis-tungen des Ökosystems wie etwa Wasserqua-lität zu erhalten. Wir wissen, dass Ökosysteme belastbar sind – bis zu einem gewissen Punkt.

Aber die Definition der Schwelle, ab der

Ökosysteme zusammenbrechen, ist schwie-rig. Ein Ökosystem könnte vereinzelte Schä-digungen für eine gewisse Zeit aushalten, bis eine unbekannte Schwelle überschritten wird und es zusammenbricht.20 Diese Risiken und unbekannten Schwellen haben zu der realen Sorge geführt, dass wir dabei sind, unseren Planeten zu verspielen (Kasten 1.1).

KASTEN 1.1

Ökologisches Risikomanagement – wir setzen unseren Planeten aufs Spiel

Wir verhalten uns, als wäre unser Planet der Einsatz in einem Glücksspiel, bei dem Einzelne die Gewinne einstreichen, während die Gesellschaft die Verluste trägt. Ein System, das sol-che Ergebnisse gestattet, ist von vorneherein zum Risiko-Missmanagement verurteilt. Joseph Stiglitz, Träger des Wirtschaftsnobelpreises, stellte vor Kurzem fest: „Die Banker, die unsere Wirtschaft in Gefahr bringen, und die Eigentümer von Energieunternehmen, die unseren Pla-neten in Gefahr bringen, können mit einem Riesengewinn nach Hause gehen, aber wir als Gesellschaft werden im Durchschnitt und mit ziemlicher Gewissheit die Verlierer dieses Spiels sein.“

Perverse Anreize verschaffen Investmentbanken und Energieunternehmen versteckte Subventionen wie niedrige Haftungshöchstgrenzen, die Möglichkeit von Rettungsschirmen und die Gewissheit, dass die Steuerzahler die Kosten übernehmen werden. Die Firmen kön-nen exzessive Risiken eingehen, weil sie nicht die vollen Kosten daraus resultierender Krisen tragen müssen. Nehmen wir beispielsweise die Ölverschmutzung, die 2010 in den Vereinigten Staaten durch die BP-Bohrplattform Deep Water Horizon im Golf von Mexiko verursacht wurde und deren Kosten die Haftungsobergrenze von 75 Millionen Dollar bei Weitem überstiegen.

Aber selbst bei unbegrenzter Haftung existieren Schlupflöcher. In Japan zum Beispiel schließt das Gesetz über Entschädigung bei Nuklearschäden Fälle aus, in denen „der Schaden durch eine gravierende Naturkatastrophe außergewöhnlicher Art verursacht wird“.

Seltene Ereignisse mit gewaltigen Folgen sind natürlich schwer vorherzusagen. Aber trotz solcher Unsicherheiten können wir es uns nicht länger leisten, die Augen zu verschließen. Sol-che Ereignisse treten immer häufiger ein. Und da die meisten Treibhausgase noch jahrhunderte-lang in der Atmosphäre verbleiben werden, können wir nicht warten, bis alle Ungewissheiten ausgeräumt sind. Je schneller wir handeln, desto besser.

Welches Risikoniveau wird die Menschen von der Notwendigkeit überzeugen, ihr Verhalten zu ändern? Forschungsarbeiten im Bereich der Verhaltenspsychologie und der experimentellen Ökonomik liefern ernüchternde Erkenntnisse. In Simulationsübungen wurden die Teilnehmer-gruppen zu kollektiven Investitionen in die Verhinderung des Klimawandels aufgefordert. Ihre Reaktionen zeigten, dass zu viele Mitspieler Trittbrettfahrer waren, d.h. sich auf den Altruismus der anderen verließen. In Szenarien, in denen die Wahrscheinlichkeit eines verheerenden Kli-mawandels sehr gering war, wurden fast überhaupt keine Mittel für entsprechende Investi-tionen zugesagt. Selbst bei einer Wahrscheinlichkeit von 90 Prozent wollte nur etwa die Hälfte von 30 untersuchten Gruppen ausreichende Mittel investieren.

Die hochgerechneten Kosten für die Abwendung des Klimawandels verblassen gegenüber denjenigen eines ungebremsten Voranschreitens dieser Veränderungen. Aber gerade weil selbst in den Szenarien hoher Wahrscheinlichkeit die Mitarbeit der Bevölkerung nicht gewährleistet

Die hochgerechneten Kosten für die Abwendung des Klimawandels verblassen gegenüber denjenigen eines ungebremsten Voranschreitens dieser Veränderungen. Aber gerade weil selbst in den Szenarien hoher Wahrscheinlichkeit die Mitarbeit der Bevölkerung nicht gewährleistet