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Von der deskriptiven Analyse zum Experiment

Die Entwicklung eines multizellulären Organismus, ausgehend von einer einzelnen be-fruchteten Eizelle bis hin zu einem multizellulären Organismus ist ein brillianter Triumpf der Evolution. Aus einer zunächst omnipotenten Stammzelle entwickeln sich während der Embryogenese viele Millionen von Zellen, die sich so zu unterschiedlichen und komplex-en Organkomplex-en wie Herz, Gehirn, Auge und Extremitätkomplex-en differkomplex-enzierkomplex-en.

Einer der ersten Wissenschaftler, die sich neben Platon (im Dialog Timaios) mit der Ent-stehung der Welt und der Entwicklung von Organismen befassten, war Hippocrates im 5.

Jahrhundert BC. Er sah in der Entwicklung eine Neuarrangierung der vier Grundelemente Feuer, Wasser, Erde und Luft. Ein Jahrhundert später sollte Aristoteles (384 - 322 AC) in seiner Schrift „de generatione animalium“ eine Frage aufwerfen, die bis Ende des 19.

Jahrhunderts die Gedankengebilde der Entwicklungsbiologen stark beeinflusste. Er be-trachtete die Embryonalentwicklung als einen Wachstumsprozess, bei dem sukzessive neue Strukturen und Funktionen entstehen. Diesen Prozess bezeichnete er als Epigenese und verglich ihn metaphorisch mit dem Knüpfen eines Netzes (Gohlke, 1959). Im Gegen-satz dazu stand die Präformationslehre, nach der bereits im Ei der gesamte Organismus vorgebildet sei und nur noch wachsen und reifen müsse, ohne neuen Strukturen bilden zu müssen. Man glaubte, daß alle Embryonen seit Anbeginn der Welt existierten und daß der erste Embryo einer neuen Spezies alle zukünftigen Embryonen in sich trage. Einige Bio-logen im 17. und 18. Jahrhundert, darunter Malpighi und Melbranche waren der Ansicht, in menschlichen Spermien einen bereits perfekt ausgebildeten Menschen einen sog.

Ho-munculus zu sehen. Erst mit Hilfe des Nachweises durch den deutschen Botaniker Mathi-as Schleiden (1839), der den Beweis erbrachte, daß alle Lebewesen aus sich teilenden Zellen aufgebaut sind, kam die Präformationstheorie ins Wanken. Der entscheidende Schritt hin zur allgemeinen Akzeptanz der Epigenese als entwicklungsbiologisches Prin-zip war die Feststellung durch August Weismann, daß die Keimzellen eines Organismus unabhängig von den somatischen Zellen sind und allein sie die Erbinformation an die nächste Generation weitergeben.

Erkenntnisse über Konzepte und Mechanismen der Embryonalentwicklung wurden stets durch vergleichende Studien an Modellorganismen gewonnen. Sie mußten zum einen in großer Zahl verfügbar und ihre Embryonen sollten robust und leicht manipulierbar sein.

Als ältestes Modellsystem der Entwicklungsbiologie ist das Huhn zu nennen, an dem be-reits William Harvey (1651) in seiner Schrift “Ex ovo omnia“ die ersten Schlußfolgerun-gen über die OntoSchlußfolgerun-genese der Wirbeltiere zog.

Wilhelm Roux (1880) erkannte als erster, daß die Entwicklungsprozesse nur mit experi-mentellen Zugriffen und nicht allein mit Beobachtungen und Spekulationen aufgeklärt werden können. Deswegen gab er seiner neuen Forschungsrichtung den Namen Entwick-lungsmechanik. Damit wollte er zum Ausdruck bringen, daß hinter diesen komplexen Prozessen der Entwicklung des Tierkörpers kausale Beziehungen zwischen der Erbinfor-mation und der zellulären Maschinerie bestehen müssen, die mit geschickten Experimen-ten aufgeklärt werden können. Dies soll im folgenden an einigen ausgewählExperimen-ten Beispielen exemplarisch erläutert werden.

Wilhelm Roux (1980) konnte u.a. zeigen, daß nach Tötung einer der beiden Zellen eines zweizelligen Froschembryos sich ein weitgehend wohlgeformter halber Embryo entwik-kelt. Dieses Ergebnis unterstützte die Mosaiktheorie der Keimentwicklung von Weis-mann (1880), nach der Charakter und Schicksal jeder Zelle durch asymmetrische Zell-teilungen festgelegt wird.

Durch Experimente von Hans Driesch an Seeigelembryonen wurde jedoch nachgewiesen, daß der Embryo sehr wohl in der Lage ist, in seine Entwicklung regulativ einzugreifen.

Driesch wiederholte das Experiment von Roux an einem zweizelligen Seeigelkeim. Er er-hielt jedoch keine halbe Pluteus-Larve sondern vielmehr einen vollständigen Keim, je-doch von geringer Größe. Der sich entwickelnde Zellverband ist imstande, Zell- und damit Informationsverluste zu kompensieren und eine normale Entwicklung aufrecht zu erhalten. Eine regulative Entwicklung setzt dabei voraus, daß die einzelnen Zellen

wäh-rend der Entwicklung miteinander interagieren.

Dies konnte eindrucksvoll durch das Induktionsexperiment von Ilse Mangold und Hans Spemann (1924) gezeigt werden. Unter Induktion versteht man dabei die Interaktion von signalgebenden und signalempfangenden Zellen, bei derk sich die reagierenden Zellen in ihrem Entwicklungsverlauf verändern (Gurdon, 1987). Hans Spemann transplantierte die dorsale Blastoporuslippe der frühen Amphibiengastrula einer pigmentierten Spezies auf die ventrale Seite einer unpigmentierten Spezies. Bei Verpflanzung dieser Struktur ent-stand ein zweiter Embryo mit eigenem Nervengewebe und axialen Strukturen, die sich nicht aus dem transplantierten Gewebe, sondern vielmehr aus dem ventralen Ektoderm bildeten, einem Gewebetyp, der sich normalerweise zur Epidermis entwickeln würde. Die transplantierte Urmundlippe selbst hingegen differenzierte sich zu axialem Mesoderm und der Bodenplatte des Neuralrohrs und war in der Lage, umgebende mesodermale Zel-len zu paraxialem Mesoderm umzuprogrammieren (*).

Neue Erkenntnisse und moderne Techniken erlaubten immer differenziertere Eingriffe.

So untersuchten z.B. Lee et al. durch gezielte Ablatierung der Dachplatte des Neuralroh-res durch ExpNeuralroh-ression des Diphterie Toxins den Einfluß des dorsalen NeuralrohNeuralroh-res auf die Musterbildung des Oberflächen-Ektoderms (Lee et al., 2000). Unter Musterbildung ver-steht man dabei die Umsetzung des genetischen Bauplans eines Organismus in einen mor-phologischen Anlagenplan durch Differenzierungsvorgänge in den Zellen, wie z.B.

Zellbewegungen, kontrolliertes Zellwachstum und Apoptose. Mit Hilfe dieser Technik läßt sich gezielt der induktive und musterbildende Einfluß einzelner Keimblätter oder Or-ganstrukturen untersuchen. Um jedoch auf zellulärem Level die induktive Wirkung ein-zelner Zellen oder ganzer Zellverbände zu untersuchen, muß man in der Lage sein, das intrinsische Potential einer Zelle durch Mißexpression einzelner Gene zu verändern und zu beeinflussen. Einige Möglichkeiten, diesen Gentransfer zu erreichen, sollen im folgen-den beschrieben werfolgen-den.

(*) Soweit nicht gesondert zitiert sind die dargestellten historischen Daten und Zusammenhänge aus Developmental Biology (Gilbert, 2000) und aus Principles of Development (Wolpert, 1998) entnommen worden.