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Wenn man von einem Haufen ein Sandkorn entfernt, so bil-den die restlichen Sandkörner immer noch ein Haufen.

Oder andersrum: Ein Sandkorn ist kein Haufen. Ein Haufen entsteht nicht durch Hinzufügen eines Sandkorns.

Was ist ein Haufen?

(Paradoxie des Haufens) Beispiel 3.13. Wir betrachten die folgende rekursiv definierte Folge:

a0 = 1 an+1 = 3an−1

Wie kann man eine explizite Darstellung der Folge finden? Wir berechnen dazu einige Werte:

n 0 1 2 3 4 . . .

an . . .

Damit finden wir folgende Vermutung:

an =

Wie können wir beweisen, dass dies wirklich für alle n∈Nstimmt? Ganz einfach, eine rekur-sive Folge ist eindeutig durch den Anfangswert und die Rekursionsformel definiert; d.h. wenn wir nachweisen, dass die Folge bn := 3n2+1 die Anfangsbedingung und die Rekursionsformel erfüllt, so müssen die beiden Folgen gleich sein.

Anfangswert:

Rekursionsformel: Wenn wir nunbn in die Rekursionsformel einsetzen, erhalten wir

Wir rekapitulieren nochmals, wieso wir die Gleichheit der beiden Darstellungen in Beispiel 3.13 erhalten. Es gilt

a0 =b0

a1 = 3a0−1 = 3b0−1 = b1 a2 = 3a1−1 = 3b1−1 = b2

... Wir verwenden also:

(1) a0 =b0

(2) Ausan =bn folgt an+1 =bn+1. Und damit gilt an=bn für alle n∈N.

Dies lässt sich zu einer Beweismethode verallgemeinern, mit Hilfe derer man viele Aussagen über natürliche Zahlen beweisen kann, die sogenannte vollständige Induktion; diese basiert auf Peano-Axiom (5), welches auch als Induktionsaxiom bezeichnet wird. Die Beweismethode basiert auf der Idee, dass man eine Aussage B(n) für alle n∈N beweisen kann, indem man sie fürn = 0 beweist und ausB(n) die AussageB(n+ 1) folgert. Genau dies haben wir in Beispiel 3.13 für die Aussage B(n) definiert als an=bn gemacht.

Beweisführung: Vollständige Induktion

Um eine Behauptung B(n) für allen ∈Nzu beweisen, gehen wir wie folgt vor:

(1) Induktionsanfang: Die Behauptung stimmt für n = 0; das heißt, B(0) ist wahr.

(2) Wenn B(0) bewiesen ist, zeigen wir

∀n ∈N:B(n)⇒B(n+ 1).

Dazu treffen wir zuerst eine Annahme:

Induktionsannahme: Wir nehmen an, dass für ein beliebiges, aber festes n die Behauptung B(n) richtig ist.

Mit Hilfe dieser Annahme beweisen wirB(n+ 1):

Induktionsschluss: Wir folgern aus B(n), dass auch B(n+ 1) wahr ist.

Daraus folgt, dass die Aussage B(n) für jedes n ∈Ngilt.

Etwas vereinfacht: Man zeigt

B(0) ist wahr (Induktionsanfang),

• WennB(n) wahr ist (Induktionsannahme), so ist auchB(n+1) wahr (Induktionsschluss).

Dann ist B(n) für jedes n∈N wahr. Wieso macht das Sinn?

• Gemäß dem Induktionsanfang ist B(0) wahr.

• Da B(0) wahr ist, ist auch B(0 + 1), also B(1) wahr.

• Da B(1) wahr ist, ist auch B(1 + 1), also B(2) wahr.

• Da B(2) wahr ist, ist auch B(2 + 1), also B(3) wahr.

. . .

Eine gute Analogie dazu sind Dominosteine: Stellt man sich für jede natürliche Zahl einen aufgestellten Dominostein in einer (unendlich) langen Reihe vor, so stößt man mit dem Induk-tionsanfang den Stein 0 um. Wenn Steinn umfällt (Induktionsannahme), so stößt er Steinn+ 1 um (Induktionsschluss). Daher fallen alle Dominosteine um:

Wenn der Stein 0 umfällt, so stößt er gemäß dem Induktionsschluss den Stein 1 um. Dieser wiederum stößt den Stein 2 um, und der Stein 2 stößt den Stein 3 um, usw.

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

Manchmal möchte man eine Aussage nur für alle natürlichen Zahlen ≥ 1 oder ≥ 2 beweisen.

Wie geht das? Ganz einfach, wir ersetzen beim Induktionsanfang 0 durch 1 (oder 2).

Sei n0 eine natürliche Zahl. Um B(n) für alle nn0 zu zeigen, geht man wie folgt vor:

(1) Induktionsanfang B(n0) ist wahr.

(2) Induktionsannahme Wir nehmen an, dassB(n) für ein nn0 wahr ist.

Induktionsschluss Wir folgern, dass dann auch B(n+ 1) wahr ist.

Wenn man sich das anhand der Dominobahn veranschaulicht, so stößt man statt Stein 0 einfach Stein n0 um. Dadurch fallen dann alle Dominosteine ≥n0 um.

n0 n0+ 1 n0+ 2 n0+ 3 n0+ 4 n0+ 5 n0+ 6 n0+ 7 n0+ 8

Wir möchten jetzt die Gauß-Formel aus Beispiel 2.20 per vollständiger Induktion beweisen.

Beispiel 3.14. Wir beweisen die folgende Behauptung mit vollständiger Induktion:

B(n) :

n

X

k=1

k= n·(n+ 1)

2 für n ≥1.

(1) Induktionsanfang:

(2) Induktionsannahme:

(IA)

Wir nehmen an, dass Pnk=1k = n(n+1)2 für ein beliebiges fest gewähltesn ≥1 gilt.

Induktionsschluss: Wir müssen B(n+ 1) zeigen, also die Gleichheit

Es gilt

Aus dem Prinzip der vollständigen Induktion folgt, dass B(n) für alle n ∈N\ {0}wahr ist.

Wir machen ein weiteres Beispiel zur vollständigen Induktion, dieses Mal aus der Analysis. Per Rekursion definieren wir die n-te Ableitung einer Funktionf(x) wie folgt:

f(0)(x) =f(x)

f(n+1)(x) = (f(n))0(x) = lim

h→0

f(n)(x+h)f(n)(x)

h .

In der Analysis ist es oft wichtig, alle Ableitungen f(n) einer unendlich oft stetig differenzier-baren Funktion f : R → R zu bestimmen, beispielsweise zur Berechnung einer Taylorreihe.

Beispiel 3.15. Wie lautet dien-te Ableitung von f(x) = xe−x?

Um eine allgemeine Formel zu entwickeln, rechnen wir die ersten paar Ableitungen aus.

f0(x) = f00(x) = f000(x) = f0000(x) =

Die Vorzeichen der n-ten Ableitung sind also unterschiedlich, je nach dem ob n gerade oder ungerade ist. Die Vermutung für die allgemeine Formel ist also

f(n)(x) =

Man kann sogar beide Fälle zusammenfassen, indem man (x−n)e−x mit (−1)n multipliziert, denn (−1)n ist einfach 1, falls n gerade ist, und −1, falls n ungerade ist. Die Vermutung für die allgemeine Formel ist somit

f(n)(x) =

Wir beweisen die Vermutung mit Hilfe der vollständigen Induktion.

(1) Induktionsanfang: Für n= 0 stimmt die Behauptung, da f(0)(x) =

(2) Induktionsannahme:

(IA)

Wir nehmen an, dass die Behauptung für n gilt, also f(n)(x) = (−1)n(x−n)·e−x.

Induktionsschluss: Wir zeigen, dass die Behauptung auch für n+ 1 gilt, d.h.

wir zeigen Es gilt

Wenn man die Methode der vollständigen Induktion kennen lernt, so lohnt es sich immer erst aufzuschreiben, was man im Induktionsschluss überhaupt zeigen möchte. In Beispiel 3.15 sollte man also zuerst überlegen, dass man

f(n+1)(x) = (−1)n+1(x−(n+ 1))e−x

zeigen muss. Dadurch fällt es leichter, die richtigen Termumformungen zu finden.

Wir betrachten noch ein Beispiel aus der Teilbarkeitslehre:

Beispiel 3.16. Wir zeigen, dass 4n3n für jedes n∈N durch 3 teilbar ist, d.h.

∀n∈N: 3|4n3n.

(1) Induktionsanfang:

(2) Induktionsannahme:

(IA)

Wir nehmen an, dass 3 | 4n3n für ein beliebiges, fest gewähltesn ∈N.

Induktionsschluss: Wir zeigen Es gilt

Zu beachten ist, dass wir implizit folgende Eigenschaft der Teilbarkeitsrelation | für a = 3, b= 4n3n und c= 3(4n2+ 4n+ 1) verwendet haben:

Lemma 3.17. Falls a, b, c∈Z mit a|b und a|c, so gilt aucha |b+c.

Beweis.

Fun Fact: Das BAFÖG-Paradoxon Das BAFÖG-Paradoxon besagt Folgendes:

(1) Ein Studierender, der von monatlich 250 EUR BAFöG lebt, ist ein armer Schlucker.

(2) Wenn man das BAFöG eines armen Schluckers um 1 EUR erhöht, ist er immer noch arm.

(3) Es folgt durch vollständige Induktion: Egal, wie hoch das BAFöG ist, Studierende sind immer arme Schlucker.

Wo liegt der Fehler im Argument? Die Grenze, ab wann Studierende nicht mehr als arm gelten, ist nicht eindeutig definiert. Ist sie definiert, so funktioniert der Induktionsschluss nicht mehr.