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Visuelle Rechercheoperationen, Interaktion und ZustandsänderungenZustandsänderungen

Konzeption anwendungsorientierter Karten

2.1 Situative Einbettung anwendungsorientierter KartenKarten

2.1.1 Visuelle Rechercheoperationen, Interaktion und ZustandsänderungenZustandsänderungen

In Kartenstudien im Rahmen des Projektes „Visuelle Navigation“ wurde unter-sucht, was aus der Analyse historischer und aktueller Karten für die Entwicklung neuer computerimplementierter Karten gelernt werden kann. In ganz unterschied-lichen Beispielen wurde beobachtet, dass viele Kartenlayouts darauf ausgerichtet sind, bestimmte Rechercheoperationen zu unterstützen [BBZ09]. Die begrifflich erfassten Rechercheoperationen werden im Rahmen dieser Arbeit nun um den Be-griff des „Explorierens“ erweitert.

Im Folgenden werden diese klassischen Rechercheoperationen nach Orten und Ortsrelationen auf abstrakter Ebene erfasst. Dadurch werden zunächst nur das

In-teresse an Informationen und der Informationsgehalt in Karten beschrieben. So kann der Informationsbedarf zunächst unabhängig von konkreten Darstellungsfor-men definiert werden. Wie konkret Informationen technisch und graphisch geeig-net repräsentiert werden können, wird in den Kapiteln 3, 4 und 5 beschrieben.

Die Rechercheoperationen können in verschiedenen Kartenlayouts visuell und interaktiv und evtl. auch in der direkt wahrnehmbaren Umgebung visuell und mo-torisch ausgeführt werden. Die im Folgenden aufgeführten visuellen Recherche-operationen werden anschließend am Beispiel einer computerimplementierten in-teraktiven dynamischen Karte der Welt, wie derOpenStreetMap aus Abbildung 2.1, demonstriert.

Situierenist das Identifizieren von bestimmten Orten und Ortsrelati-onstypen.

Explorierenist das Recherchieren nach Orten zu einer Ortsrelation.

Orientieren ist das Recherchieren nach einer Ortsrelation zwischen einem Ort und einem anderen.

Navigationsplanungist die sequenzielle selektive Recherche nach re-lational verknüpften Orten. Als Teil der Planung wird exploriert und orientiert. Navigierenist das Folgen bereits sequenziell selektierter relationaler Verknüpfungen zu bestimmten Orten.

Bei der Wahl einer Karte ist zuallererst dieInteressenssituationzu ermitteln, d. h., welche Orte und Ortsrelationen interessant sind, beispielsweise ein Interesse an den Londoner U-Bahnstationen und ihren Verbindungen. Auch ist zu berücksichti-gen, welche visuellen Rechercheoperationen ausgeführt werden sollen. Schließlich ist eine Karte zu wählen, welche eineDarstellungssituationrepräsentiert, die sich nach Möglichkeit mit derInteressenssituation deckt. Das Layout sollte dann so konzipiert sein, dass es die visuellen Rechercheoperationen geeignet unterstützt.7 Die Implementierung bestimmter Interaktionsfunktionen, wie Zoomen, d. h. Ver-größern oder Verkleinern, und Pannen, d. h. Verschieben, kann die Recherche über den aktuellen Darstellungsbereich hinaus ermöglichen.8

Ist beispielsweise einOpenStreetMap-Kartenausschnitt gewählt, wird man sich durch visuelles Situieren auf der Karte darüber bewusst, welche Orte und Ortsrela-tionen im Kartenausschnitt enthalten sind, im konkreten Fall sind das die geogra-phischen Entfernungen, Richtungen und Straßenverbindungen. Um auch Orte und

7 Siehe Kapitel 4.

8 Siehe Kapitel 5.

Relationen außerhalb des dargestellten Bereichs recherchieren zu können, verfügt eine computerimplementierte Karte wie OpenStreetMap üblicherweise über die Interaktionsmöglichkeiten des geometrischen Pannings und Zoomings.9In Open-StreetMapexploriert man die Orte gemäß den Entfernungen und Richtungen, in-dem man die Nachbarorte eines Ortes mit der Karte sukzessive visuell erschließt.

Man exploriert die Orte im Straßennetz, indem man die entlang einer Straße lie-genden Orte nacheinander recherchiert. Um die Nachbarorte zu einem an der Kar-tenlayoutgrenze befindlichen Ort zu explorieren, muss die Karte in die entspre-chende Richtung durch Panning verschoben werden. InOpenStreetMaporientiert man einen Ort in Bezug auf einen anderen, indem man die geographischen Entfer-nungen, Richtungen bzw. Straßenverbindungen recherchiert. Um einen im Layout enthaltenen Ort, hier einen Ort in Konstanz, mit einem außerhalb des Layouts be-findlichen Ort, z. B. in Berlin, zu orientieren, kann die Karte so verschoben werden, dass beide Orte in das Layout hineinpassen. Ist dies in der aktuellen Auflösung nicht möglich, muss die Auflösung durch Zooming geändert werden. Bei der Na-vigationsplanung mitOpenStreetMapim Straßennetz soll eine Straßenverbindung zwischen zwei entfernt liegenden Orten recherchiert werden. Hierzu werden Orte und Straßenverbindungen sowohl orientiert als auch exploriert, um eine sinnvolle Folge von Orten und Straßen zusammenzustellen. Man navigiert im Straßennetz, indem man einer Sequenz ausgewählter, miteinander verbundener Orte sukzessive folgt, sich also auf den Straßen von Ort zu Ort bewegt. Dabei kann die Navigati-on tatsächlich im Straßennetz erfolgen oder visuell im Kartenlayout nachvollzo-gen werden. Bei der Navigation im Straßennetz mit einer computerimplementier-ten dynamischen Karte, die auf einem ortssensitiven Darstellungsgerät angezeigt wird, d. h. beispielsweise auf einem Navigationsgerät mit GPS-Empfänger, wird die Darstellung oft automatisch so angepasst, dass immer der aktuelle Ort im Dis-playzentrum repräsentiert wird. Wenn die Navigation im Stand auf der Karte nach-vollzogen werden soll, kann sie stattdessen auch interaktiv entsprechend angepasst werden.

In den praktischen Teilen der Arbeit wird behandelt, inwieweit auch komple-xereInteressenssituationenund die entsprechenden Rechercheoperationen durch Rekombination bestimmter graphischer Elemente und ihrer Anordnung unterstützt werden können.10

9 Siehe Kapitel 4.

10 Siehe Kapitel 6, 7 und 8.

2.2 Rahmenbedingungen konkreter Kartenanwendungen

Das Verständnis einer Karte ist die grundlegende Voraussetzung für ihre Nutzung.

Die vorangegangenen Abschnitte stellten situative Kontextaspekte anwendungs-orientierter Karten heraus, die die korrekte Interpretation fördern können.

Das Verständnis ist aber nicht der einzige relevante Aspekt, der bei der Kon-zeption einer Karte berücksichtigt werden sollte. Für die hier zu konzipierenden anwendungsorientierten Karten ergeben sich aus ihrem Gebrauch oftmals spezifi-sche Rahmenbedingungen: Die Karte wird auf einem Darstellungsgerät angezeigt, sie befindet sich an einem bestimmten Ort, wird von einem bestimmten Betrach-ter genutzt, der evtl. von weiBetrach-teren Menschen oder Dingen umgeben und evtl. mit zusätzlichen Aufgaben beschäftigt ist.

Auf einige Umgebungseigenschaften, wie Umgebungslicht, Nebengeräusche o. Ä., kann der Nutzer normalerweise direkt reagieren, indem er die Displayhel-ligkeit oder die Lautstärke entsprechend anpasst. Insbesondere bei der Konzeption von Informationssystemen, die für die Durchführung von Aufgaben dienlich sein sollen, wie der Navigation während der Autofahrt, kann es sinnvoll sein, auch an-dere Aspekte des Gebrauchs zu berücksichtigen. In Bezug auf Navigationssyste-me sind beispielsweise die parallel zu bewältigenden Fahraufgaben zu berücksich-tigen, die durch unvorhersehbare Verkehrssituationen auftreten. Deren explizite Berücksichtigung ist eine Designherausforderung, auf die bspw. das im Rahmen dieser Arbeit entwickelteNaviPIC-System eingeht, siehe Kapitel 7.3.

Bei der Konzeption von Karten für die Anzeige auf einem Computerdisplay ist auch die technische Umgebung zu berücksichtigen. Auf welchen Geräten soll die Kartenanwendung laufen? Wie groß ist das Display? Wie hoch ist die Rechenleis-tung? Was sind die Anforderungen an das Endgerät (Java, Bibliotheken,OpenGL, Internetverbindung)? Wenn Echtzeitfähigkeit bzw. Interaktivität als Anforderung formuliert wird, sind zudem die Leistungseigenschaften der Endgeräte relevant.

Soll die Kartenanwendung für unterschiedliche technische Umgebungen geeignet sein, lassen sich einige Unterschiede direkt adressieren, z. B. die Displaygröße.

Es ist aber auch denkbar, für unterschiedliche technische Umgebungen alternative Kartenlayouts zu konzipieren. In Kapitel 7.4 wird ein alternativer Darstellungsmo-dus für eine Routenanleitung vorgestellt, der auf schlechte technische Umgebungs-bedingungen abgestimmt ist, wie ein niedriger Akkuladestand oder eine Störung des Herunterladens neuer Kartenausschnitte.

Wie in den praktischen Teilen der Arbeit demonstriert wird, können diese – und andere – Rahmenbedingungen bestimmte Anforderungen an das

Kartende-sign stellen. Das Erfüllen dieser Anforderungen gibt den Ausschlag, inwieweit die Karte für die adressierte Anwendung geeignet ist. Neben den technischen Anforde-rungen an die Datenverarbeitung, bspw. die Verwendung effizienter Algorithmen, sind oft auch bestimmte Anforderungen an die Nutzungsprozesse zu stellen, die sich auf die graphische Vermittlung der Inhalte sowie auf deren visuelle und kogni-tive Verarbeitung beziehen. Daher ist zunächst zu klären, welche Anforderungen sich aus dem Anwendungskontext in Bezug auf alle beteiligten Ressourcen wie Arbeitsspeicher, Prozessor und Displaygröße des Darstellungsmediums, aber auch kognitive Belastbarkeit und zur Verfügung stehende Betrachtungszeit ergeben.

Eine auf einen bestimmten Anwendungskontext ausgerichtete Karte ist dann so zu konzipieren, dass die sich aus dem Anwendungskontext ergebenden Anforde-rungen erfüllt sind. In Kombination mit allgemein formulierten Qualitätskriterien, die sich primär auf das Verständnis von Visualisierungen beziehen, vgl. u. a. Schu-mann und Müller [SM00], Bertin [Ber74], lassen sich folgende Anforderungen an die eben erwähnten übrigen beteiligten Ressourcen formulieren:

• Eine Karte istexpressiv, wenn die darzustellenden Informationen möglichst unverfälscht repräsentiert werden und keine nicht in den Daten enthaltenen Informationen dargestellt werden.

• Eine Karte ist in Bezug auf die Anzeige in dem Maßeffektiv, in dem sie die Eigenschaften des Darstellungsgerätes optimal ausnutzt, die Informa-tionen darzustellen. Beispielsweise ist für eine alphabetische Relation eine alphabetisch sortierte linear dargestellte Liste effektiv. Der kognitive Deko-dieraufwand ist entsprechend klein.

• Eine Karte ist in Bezug auf ihre visuelle und kognitive Verarbeitung in dem Maßeffizient, in dem sie optimal schnell verarbeitet werden kann. Beispiels-weise müssen im Fall einer Nutzung parallel zu anderen Aufgaben die In-formationen visuell sehr schnell recherchierbar bzw. aufnehmbar sein, un-abhängig vom anschließenden kognitiven Dekodieraufwand.

• Eine Karte ist in Bezug auf ihre Produktion in dem Maßeffizient, in dem sie optimal schnell generiert werden kann. Beispielsweise müssen im Fall einer animierten Visualisierung mindestens 24 Bilder pro Sekunde generier-bar und darstellgenerier-bar sein.

• Eine Karte ist in dem Maßgebrauchstauglichbzw. geeignet, in dem sie die an sie gestellten qualitativen Anforderungen erfüllt.

Das Kriterium der Expressivität ist grundlegende Voraussetzung für die Gebrauch-stauglichkeit bzw. die geeignete Nutzbarkeit einer Karte. Denn aus einer Karte, die

nicht expressiv ist, könnten fehlerhafte Schlüsse gezogen werden. Das Kriterium der Gebrauchstauglichkeit umfasst aber auch alle anderen Anforderungen. Meist muss ein Kompromiss eingegangen werden, durch den dann einige Anforderungen nur zum Teil erfüllt werden können. Wann immer im weiteren Verlauf der Arbeit von geeignet nutzbaren Karten gesprochen wird, geht es um Kartenkonzepte, die Ergebnis eines solchen Kompromisses sind.

Auch andere Anforderungen wie die intuitive Benutzbarkeit, der ästhetische Eindruck oder der Gebrauchsspaß können gestellt werden. Diese Anforderungen sind allerdings von einer Vielzahl von Parametern abhängig, die sich nahezu nicht oder nur sehr schlecht abschätzen lassen. Doch wie eingangs erwähnt, sind viele Parameter der Kartennutzung unvorhersehbar, wie das Vorwissen und die Erfah-rung der Nutzer oder spezifische Umgebungsbedingungen. Es scheint der Recher-che nach keine wissenschaftliRecher-chen Studien darüber zu geben, wie viele und welRecher-che Parameter treffend vorhergesagt werden müssten, um intuitive Benutzbarkeit oder Gebrauchsspaß zu erreichen. Aber auch andere schwer vorhersehbare Anforde-rungen ergeben sich erst während der tatsächlichen Nutzung, beispielsweise die kognitive Auslastung und Belastbarkeit. Solche schlecht abschätzbaren Parameter können aber dennoch strukturell berücksichtigt werden und in der tatsächlichen Situation des Gebrauchs ergänzt werden. Im Kapitel 7 wird dies am Beispiel ei-ner für verschiedene Verkehrssituationen flexibel gehaltenen Routenanleitung be-schrieben.

In dieser Arbeit steht die Konzeption und computerbasierte Entwicklung von Kar-ten im Vordergrund, die in konkreKar-ten AnwendungskontexKar-ten geeignet genutzt wer-den können. Es geht um die Karten, die genutzt werwer-den, um bestimmte räumliche Operationen, d. h. Zustandsänderungen eines Objektes, zu planen und durchzufüh-ren. Das Objekt kann die Karte selbst sein, beispielsweise wenn Detaillevel oder Skalierungsfaktor angepasst werden. Die Zustandsänderungen können interaktiv an den Objektrepräsentanten auf dem Kartenlayout, auf einem anderen, die glei-chen Objekte repräsentierenden Kartenlayout oder direkt im repräsentierten Raum an den Objekten selbst ausgeführt werden. Dies ist z. B. der Fall, wenn ein Karten-layout für das Fahren im Straßennetz genutzt wird.

Im vorherigen Kapitel wurde der Anwendungskontext einer Karte maßgeblich über Verknüpfungen der Interessenssituation, Gebrauchssituation und Darstel-lungssituationmodelliert. Nach diesen Überlegungen ist eine Karte für eine be-stimmteInteressenssituationgeeignet nutzbar, wenn sich die Darstellungssituati-onund dieInteressenssituationüberschneiden, d. h., wenn die Karte in Bezug auf das Interesse situativ ist. Bei Nutzung der Karte an Orten, die in der Karte reprä-sentiert sind, kann das Verständnis der Karte zusätzlich gefördert werden, die Karte ist dann auch in Bezug auf den Gebrauch der Karte situativ. Diese Überlegungen helfen dabei, eine Karte zu konzipieren, in der nach interessanten Informationen geeignet recherchiert werden kann.

„[. . . ] the power of information visualization stems to a considerable degree from our ability to take raw data, often in the form of numbers, and present it again – that is, represent it – in a different way, with the aim of informing a user“ [Spe07, S. 21, Z. 2 ff.].

Im Fall von computerimplementierten Karten wird ein Kartenlayout auf Grund-lage von Daten erstellt. Der erste Schritt der Konzeption ist daher die Auswahl, Typisierung, Strukturierung, Verarbeitung und Speicherung der Daten. Abhängig vom konkreten Anwendungskontext können für die Verarbeitung der Daten unter-schiedliche Anforderungen gelten.1

1 Mit den in diesem Kapitel besprochenen Anforderungen wird nicht der Anspruch auf Vollständigkeit erhoben.

Die Abschnitte dieses Kapitels erläutern, wie für bestimmte Interessen konkrete Informationen ausgewählt werden können und wie sie sinnvoll strukturiert und als Datenbasis gespeichert werden. In Kapitel 4 wird die graphische Formulierung der Informationen in einem Layout beschrieben. In Kapitel 5 wird schließlich die interaktive bzw. animierte Anpassung eines Layouts auf konkrete Interessenssi-tuationenbeschrieben.