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Konzeption anwendungsorientierter Karten

5.1 Kopplung mit dem Layout

5.1.2 Semantische Kopplung

Im Gegensatz zur geometrischen Kopplung müssen bei einer semantischen Kopp-lung die interaktiven Eingaben zunächst interpretiert und auf dieLayousituation angewendet werden und können erst dann wieder auf die Layoutgeometrie zu-rückübertragen werden. Das im vorherigen Abschnitt beschriebene geometrische Zooming und geometrische Panning bezog sich auf die Skalierung und Zentrie-rung der Layoutfläche und nicht auf eine direkte Manipulation der Darstellungs-situation.6Jedes Layout kann somit in Bezug auf die geometrischen Relationen der Layoutfläche recherchiert werden, d. h. das kartesische Koordinatensystem der Layoutfläche. Somit lässt sich auch die Layoutfläche der London Tube Map geo-metrisch pannen und zoomen.

Genau wie die Kartenlayouts selbst können auch Interaktionsformen auf seman-tischen Relationen beruhen und beliebig komplex sein. Solche Interaktionstechno-logien zähle ich zu den semantischen Zoom-TechnoInteraktionstechno-logien.

„With a conventional geometric zoom all objects change only their size; with semantic zoom they can additionally change shape, details (not merely size of existing details) or, indeed, their very presence

6 Geographische Karten stellen hier eine Ausnahme dar. Da die geometrischen Relationen der Lay-outfläche die geographischen Relationen maßstabsgetreu abbilden, beziehen sich die interaktiven Rechercheoperationen gleichzeitig auf Layoutfläche undDarstellungssituation.

Abbildung 5.1: Mögliche Umsetzung einer semantischen Panning-Technik in einem Ver-kehrsnetz, hier am Beispiel des U-Bahnnetzes von Boston. Durch Anklicken der Verbin-dungslinien verschiebt sich das Verkehrsnetz im Display automatisch so, dass die nächst-verbundene Station zentriert wird.

in the display, with objects appearing/disappearing according to the context of the map at hand“ [Bou03].

Repräsentiert ein Kartenlayout semantische Relationen, bspw. Verbindungsrela-tionen in einem Verkehrsnetz, wie die London Tube Map, siehe Abbildung 2.2, könnten auch Interaktionstechnologien entworfen werden, die explizit auf die se-mantischen Relationen eingehen.

Als ein Beispiel könnte eine Interaktionstechnik für die Exploration der Ver-bindungsrelationen in dem Verkehrsnetz folgendermaßen konzipiert werden: Ab-bildung 5.1 zeigt einen Entwurf, in dem durch Anklicken einer Verbindungslinie zwischen zwei Stationen die jeweilig verbundene Station ins Layoutzentrum ge-rückt wird. Die Übergänge bestehen aus fest definierten Animationssequenzen.

Dies könnte semantisches Panning genannt werden. Semantisches Zooming könn-te so realisiert werden, dass der semantische transitive Verbindungsentfernungs-grad um eine fokussierte Station skaliert wird – im Gegensatz zur geometrischen Skalierung der Layoutachsen beim geometrischen Zoom. Relational benachbarte Stationen, die in dem eingegebenen transitiven relationalen Abstand zur fokus-sierten Station liegen, werden dann anders dargestellt als die semantisch weiter entfernten Stationen. Transitiv weit entfernt liegende Stationen können beispiels-weise geclustert und graphisch in Form von Kreisen zusammengefasst werden.

Abbildung 5.2 zeigt einen Entwurf, in dem verbundene Stationen bis zu einer tran-sitiven Entfernung von zwei Verbindungen detailliert angezeigt und Stationen mit größerem Abstand geclustert dargestellt werden.

Abbildung 5.2: Mögliche Umsetzung einer semantischen Zooming-Technik in einem Ver-kehrsnetz, hier am Beispiel des U-Bahnnetzes von Boston. Ein Skalierungswert bestimmt, ausgehend von der fokussierten Station, bis zu welcher transitiven Entfernung Stationen detailliert, d. h. einzeln, dargestellt werden. Weiter entfernte Stationen werden zusammen-gefasst durch einen größeren Kreis repräsentiert, der mit den Endhaltestellen der zusam-mengefassten U-Bahnlinien beschriftet wird. Der hier eingestellte Wert für die transitive Entfernung ist 2.

Graphische Benutzungsschnittstellen

Besteht die graphische Rückmeldung aus einem animierten Übergang zu einem anderen Layout, können die operativen Möglichkeiten der neuen Darstellungs-situationin Bezug auf den bereits verarbeiteten Kontext der bisherigen Darstel-lungssituationbesser verstanden und erlernt werden.

Rechercheoperationen können aber auch explizit visualisiert werden. Abbildung 5.3 zeigt die relative Positionierung und perspektivische Darstellung von Bilder-rahmen [WDR10]. Die Rahmen weisen auf Fotos hin, die die abgebildete Sze-ne aus alternativen Perspektiven zeigen. Fotos beschreiben eiSze-ne (perspektivische) geometrische Situation von Objekten und lassen sich in dieser Eigenschaft ana-log zu Karten behandeln. Die perspektivisch dargestellten Bilderrahmen beschrei-ben die Übergänge zwischen den fotografischen Darstellungssituationen. Auch

Abbildung 5.3: Fotos der Externsteine aus verschiedenen Perspektiven, erstellt mit dem Tool Microsoft Photosynth. Mit freundlicher Genehmigung des Westdeutschen Rundfunks WDR [WDR10]. Durch Anklicken der verzerrten Fotorahmen kann durch die Perspektiven navigiert werden.

die Kopplung verschiedener Eingabewerte ist möglich. So kann beispielsweise die Panning-Geschwindigkeit auf einer Karte Einfluss auf den Skalierungsfaktor der Karte nehmen [IH00]. In Kapitel 6 wird eine neue Form der Layoutparameter-kopplung vorgestellt.

Karten als Eingabeschnittstelle Interaktionstechniken müssen sich nicht zwin-gend nur auf ein einzelnes Layout auswirken. Beispielsweise kann das Feedback für eine Interaktion mit einem semantische Relationen abbildenden Kartenlayout auch auf einer geometrische Relationen abbildenden Karte angezeigt werden – oder umgekehrt.

Überträgt man die Idee der darstellungssituationsübergreifenden interaktiven Verknüpfung unterschiedlicher Kartenlayouts, kann ein Objekt über die Ordnung des einen Layouts gesucht und in der Situation eines anderen Layouts ausgelesen werden. Beispielsweise können hot maps oder heat maps, vgl. Abbildung 4.7, ver-wendet werden, um Dichteverteilungen zu visualisieren. Hierdurch entsteht wie-derum eine neueDarstellungssituation, die die statistischen Attribute von Gebie-ten visualisiert. Verwendet man ein solches KarGebie-tenlayout als Übersichtskarte, lie-ßen sich bestimmte Orte in Bezug auf ihren Dichtewert suchen und deren Kontext aus dem eigentlichen Referenzlayout auslesen.

Punktfokussierte Kartenlayouts Geographische Karten haben den Vorteil, dass sie eine Ordnung repräsentieren, die auf alle Punkte des Layouts angewendet wer-den kann. Dadurch kann die geographische Entfernung zwischen zwei beliebig ge-wählten Punkten aus ihrer geometrischen Entfernung im Layout mithilfe des Maß-stabs umgerechnet werden. Punktfokussierte Layouts brechen mit diesem Prinzip einer für alle Punkte des Layouts definierten Ordnung. Sie konzentrieren sich auf die Repräsentation von Informationen in Bezug auf einen fokussierten Ort. Dies bedeutet eine extreme Spezialisierung, die in vielen entsprechenden Kartenbei-spielen mithilfe von Interaktions- und Animationstechniken aufgelöst wird. Ein Beispiel sind so genannte Entfernungszeitkarten, die die Reisezeit zwischen einem fokussierten Objekt und anderen in die Karte eingeschriebenen Objekten über die Bildposition repräsentieren. Normalerweise kann die Reise zwischen zwei Orten in einem Verkehrsnetz oder Straßennetz eine beliebig lange Zeitspanne dauern, abhängig davon, welche Verbindungen oder Wege man im Netz wählt. So exis-tieren eigentlich verschiedene Reisezeitentfernungen zwischen zwei Orten. Eine Lösung ist die Fokussierung eines Ortes und die Wahl nur einer Reisezeitverbin-dung (z. B. die kürzeste) zwischen dem fokussierten Ort und den anderen Orten.

Beispielsweise bildet Goedvolk mit seiner Reisezeitkarte nur die kürzesten Rei-sezeitentfernungen zwischen Zwolle und anderen ausgewählten niederländischen Städten ab, vgl. Abbildung 4.6.

Abbildung 5.4 zeigt ein von Tom Carden erstelltes Layout des Londoner U-Bahnnetzes, das die Reisezeiten zwischen U-Bahnstationen abbildet.7In der

On-7 Tom Carden gibt auf seiner Webseite an, dabei von vorangegangenen Layoutentwürfen der Autoren

Abbildung 5.4: Entfernungszeitbasierte Londoner U-Bahnnetzkarte von Tom Carden, je-weils fokussiert auf eine andere U-Bahnstation [Car10].

lineversion ist das Layout mit einer Interaktionsmethode verknüpft. Durch Ankli-cken einer U-Bahnstation wird diese Station fokussiert und alle anderen Stationen werden gemäß ihrer kürzesten Reisezeit zu dieser Station im Layout platziert.

Weitere Beispiele für punktfokussierte Kartenlayouts sind im Bereich der so genannten computerimplementierten Fischaugen-Darstellungen zu finden. Diese Darstellungen sind auf die detaillierte Anzeige bestimmter Gebiete ausgerichtet.

Oskar Karlin und Rod McLaren beeinflusst gewesen zu sein [Car10].

Abbildung 5.5: HALOs. Visualisierung von Entfernung und Richtung zu Orten, die außer-halb des Displays liegen [BR03] © 2003 Association for Computing Machinery, Inc. Nach-gedruckt mit freundlicher Genehmigung.

Dabei werden in dem fokussierten Gebiet und den peripheren Gebieten des Lay-outs meist unterschiedlicheDarstellungssituationenrepräsentiert. Abbildung 4.11 zeigt eine Variable-Scale-Map der Autoren Harrie, Sarjakoski und Lehto [HSL02].

In dieser Karte ist ein Ort im Zentrum des Displays fokussiert. Nur innerhalb eines festen Radius um diesen Ort wird die volle Detailfülle und maßstabstreue Ska-lierung gewährleistet. Die SkaSka-lierung der Karten und die Detailfülle nimmt au-ßerhalb des Radius ab. Durch diese Verdichtung im äußeren Bereich können im Display mehr Orte und Ortsrelationen dargestellt werden. Durch die unterschied-lichenDarstellungssituationenwerden in den unterschiedlichen Layoutbereichen auch unterschiedliche Interessen unterstützt. Während sich das Layout im inneren Bereich sowohl für die Recherche nach geographischen Richtungsrelationen als auch nach Entfernungsrelationen eignet, ist es im äußeren Bereich nur für Recher-cheoperationen in Bezug auf Richtungsrelationen geeignet.

Andere Darstellungen kombinieren sogar stark unterschiedliche Darstellungs-situation, beispielsweise die in Kapitel 6 besprochenen Spider Maps, siehe Abbil-dung 6.1, die Stadtplanausschnitte in einen schematischen U-Bahnnetzplan inte-grieren. Aufgrund der damit einhergehenden Spezialisierung sind für diese Dar-stellungen ebenfalls oft Interaktionsmethoden realisiert, um den fokussierten Aus-schnitt variieren zu können.

Eine andere Kombination eines Layouts mit zusätzlichen Informationen stellen die HALOs von Baudisch und Rosenholtz dar [BR03], siehe Abbildung 5.5. Sie visua-lisieren Entfernung und Richtung zu Orten, die außerhalb des Displays liegen. Sie eignen sich besonders für die kleinen Displays mobiler Endgeräte, auf denen oft nicht alle interessanten Informationen angezeigt werden können. Ein HALO ist ein Kreis um einen interessierenden Ort außerhalb des Displays. Der Kreisradi-us wird dynamisch immer so bestimmt, dass ein Teil des Kreises einen inneren Rahmen des Display berührt, der in einem bestimmten Abstand zum Displayrand liegt. Durch Verschieben des Kartenausschnittes verschieben und vergrößern bzw.

verkleinern sich die HALO-Kreise. Die HALO-Kreise sind daher sowohl als se-mantische als auch als geometrische Interaktionstechnik zu verstehen. Sie bilden interaktive Eingaben zwar auf geometrische Parameter der Kreise ab, diese stehen allerdings in Abhängigkeit zu den individuellen Gerätedisplayeigenschaften.