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Unter der Vielsprachigkeit der Belegschaften der Hüttenwerke wird aber die Möglichkeit, die Massen zu organisieren,

Italienische Arbeitsmigranten in Düdelingen und die Anfänge der luxemburgischen

2. Unter der Vielsprachigkeit der Belegschaften der Hüttenwerke wird aber die Möglichkeit, die Massen zu organisieren,

sehr erschwert. Arbeiterbewegung und Immigration in Düdelingen

Die frühen luxemburgischen Gewerkschaften orientierten sich strukturell wie programmatisch eng am deutschen Vorbild. Entsprechend war das Großher-zogtum vor dem Ersten Weltkrieg gewerkschaftsorganisatorisch Teil des freige-werkschaftlichen Deutschen Metallarbeiterverbandes (DMV), zu dessen achtem Agitationsbezirk mit Sitz in Frankfurt am Main es zählte.13 Der DMV schickte seine Vertreter über die Grenze, um für seine Sache zu werben oder um in ein-schlägigen Publikationsorganen über die Lage in dem gewerkschaftlich erst spät erschlossenen Nachbarland Bericht zu erstatten. So beurteilte David Fuhrmann in der Metallarbeiterzeitung, dem Publikationsorgan des DMV, die Lage im Mi-nettebassin noch kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, am 11. Juli 1914, wie folgt: Unter der Vielsprachigkeit der Belegschaften der Hüttenwerke wird aber die Möglichkeit, die Massen zu organisieren, sehr erschwert, wozu noch kommt, daß die Unternehmer die für sie günstige Lage mit allen Kräften ausnutzen, indem sie durch Schürung des Nationalitätenhasses fortgesetzt Gegensätze zu schaffen suchen.

Der Italiener wird gegen den Luxemburger, der Luxemburger gegen den ‚Preuß‘

12 Vgl. dazu allgemein Hilger, Susanne, Sozialpolitik und Organisation. Formen betrieb-licher Sozialpolitik in der rheinisch-westfälischen Eisen- und Stahlindustrie seit der Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1933 (Zeitschrift für Unternehmensgeschichte, Beiheft 94), Stuttgart 1996. Zu Luxemburg und zur ARBED vgl. Schmitz, Nadine, Le Paterna-lisme social d’Emile Mayrisch, Paris 1989 (unveröffentlichte Examensarbeit); besonders die Wohnraumpolitik analysiert Lorang, Antoinette, L’image sociale de l’ARBED à travers les collections du Fonds du logement, Luxemburg 2009.

13 Zum Wirken deutscher Gewerkschaften im Großherzogtum und zur organisatori-schen Anbindung an den DMV vgl. Steil, Raymond, Einer für Alle, Alle für Einen! Der Deutsche Metallarbeiter-Verband in Luxemburg (1904–1918), in: 75 Joër fräi Gewerk-schaften. Contributions à l’histoire du mouvement syndical luxembourgeois. Beiträge zur Geschichte der luxemburgischen Gewerkschaftsbewegung, Esch-sur-Alzette 1992, S. 103–139.

aufgehetzt, und dadurch leider bei den unaufgeklärten Arbeitern erreicht, daß sie sich mit scheelen Augen ansehen und für die Organisation nicht zu haben sind.14 Die diagnostizierte fehlende Identitätsbildung auf sozioökonomischer Grund-lage und damit einhergehend die Erschwerung politischer Partizipation für die rasch anwachsende luxemburgische Industriearbeiterschaft wird hier klar auf die dezidiert nationale Segmentierung der Arbeiterpopulationen zurückgeführt.

Sprachlich und kulturell erlebte Alterität und Heterogenität lässt in Fuhrmanns Erwägungen eine Inklusion in die eigenen Organisationsstrukturen als nicht rea-listisch erscheinen. Es mag nicht verwundern, dass ein Gewerkschafter die Grün-de für die weitgehenGrün-de Erfolglosigkeit Grün-der eigenen Organisation ausschließlich bei den Unternehmern suchte, die wohl tatsächlich in gewisser Hinsicht von der nationalen und soziokulturellen Heterogenität ihrer Belegschaften profitierten.

Es wäre jedoch zu einfach, einseitig die Arbeitgeber für nationale Verwerfungen verantwortlich zu machen.

Wohl bemühten sich die frühen Arbeiteraktivisten in Düdelingen wie andern-orts, die zahlenstarke italienische Zuwandererschaft für sich zu gewinnen. Am 14. Januar 1906 etwa lud der DMV zu einer Versammlung in einer örtlichen Schankwirtschaft ein. Neben dem luxemburgischen Redner Jacques Thilmany waren der Italiener Anselmo Ungari und der Deutsche Hans Böckler, nach 1945 Präsident des Deutschen Gewerkschaftsbundes, anwesend. Der Erfolg dieser wie ähnlicher noch folgenden Veranstaltungen ließ allerdings zu wünschen übrig, hieß es doch in dem entsprechenden Polizeiprotokoll, unter den 120 Zuhörern sei-en nur wsei-enige Italisei-ener und Deutsche anwessei-end gewessei-en. Anselmo Ungari musste enttäuscht feststellen: Es ist unnötig, dass ich viele Worte verliere, denn zu meinem Bedauern muss ich sehen, dass diejenigen die meine Sprache verstehen, hier nur in einzelnen Personen vertreten sind.15 Bei weiteren Versammlungen dieser Art kristallisierte sich die gleiche Problemstellung heraus.

Es gab neben Versammlungen und Vortragsabenden noch weitere Bemühungen zur Überbrückung der nationalen und soziokulturellen Gegensätze und damit zur Stiftung einer nationenübergreifenden Arbeiteridentität sowie zur Inklusion der Zuwanderer in die lokalen politischen Organisationsformen, etwa, indem Plakate und Flugschriften zweisprachig gedruckt oder in einschlägigen Organen der so-zialistischen Arbeiterbewegung italienischsprachige Seiten eingerichtet wurden.

Genannt sei etwa das linkssozialistische Satireorgan „Der Arme Teufel“, in welchem

14 Steil, Einer für Alle (Anm. 13), S. 103.

15 AnLux, J 76/76, S. 17.

eine Rubrik unter der Überschrift La pagina dei fratelli italiani16 erschien. All dies fruchtete letztlich wenig, und es ist bezeichnend, dass die luxemburgische Industrie-gewerkschaft just in einem Moment aus der Taufe gehoben wurde, als die italieni-sche Präsenz vergleichsweise niedrig war, nämlich kurz nach dem Ersten Weltkrieg.

Die Wurzeln der luxemburgischen Industriegewerkschaften reichen zwar bis ins 19. Jahrhundert zurück, ihr endgültiges Zustandekommen ist jedoch nur vor dem Hintergrund von Krieg und Nachkriegskrise zu verstehen. Die geradezu existenziellen Krisenphänomene ließen die Legitimation der alten Ordnung vo-rübergehend ins Wanken geraten, während gerade für viele Arbeiter die bis dato schwachen und zum Teil verfemten Gewerkschaften zu Hoffnungsträgern avan-cierten.17 Ben Fayot bemerkte recht drastisch, „der Haß der Luxemburger auf die lohndrückenden Italiener“ habe dazu beigetragen, „daß der Verband vor 1916 nicht zur festen Massenorganisation wurde“.18 Unter Gewerkschaftern selbst hät-ten Ressentiments und nationale Stereotype vorgeherrscht, wonach die Italiener gegenüber den Arbeitgebern willfährig und unterwürfig seien. Außerdem hätten sie demnach einen effizienten Arbeitskampf verhindert, indem sie eine stets ver-fügbare industrielle Reservearmee und Manövriermasse stellten.

Die schwierige Quellenlage erlaubt es nur zum Teil, derartige Stereotype en détail nachzuzeichnen. Allerdings liefert die Politik der erstarkten Industriege-werkschaft nach dem Ersten Weltkrieg ein klares Indiz: Angesichts der umfassen-den sozialen Krise und des Beschäftigungsnotstandes forderte man eine strenge Quotenregelung für ausländische Beschäftigte. Nicht weniger als 95 Prozent der Industriebelegschaften sollten luxemburgischer Abstammung sein.19 Die

16 Vgl. Fayot, Ben, Les forces politiques et sociales face à l’immigration (1880–1940), in:

Pauly, Michel (Hg.), Lëtzebuerg de Lëtzebuerger? Le Luxembourg face à l’immigration, Luxemburg 1985, S. 49–61, hier S. 55.

17 Zur Bedeutung des Ersten Weltkriegs für die luxemburgische Arbeiterbewegung sei auf die entsprechenden Kapitel in Denis Scutos umfangreicher Studie zur Streikbewegung 1921 im Minettebassin hingewiesen: Scuto, Denis, Sous le signe de la grande grève de mars 1921. Les années sans pareille du mouvement luxembourgeois 1918–1923, Luxemburg 1990. Für die große Bedeutung der Nachkriegsjahre spricht allein der vielsagende Untertitel des Buches. Scutos Arbeit fußt teilweise auf der älteren Grund-lagenstudie von Gilbert Trausch, Contributions à l’histoire sociale de la question du Luxembourg 1914–1922, in: Hémecht 26 (1974), S. 7–117.

18 Fayot, Ben, Sozialismus in Luxemburg. Bd. 1: Von den Anfängen bis 1940, Luxemburg 1979, S. 140.

19 Zu diesem gescheiterten Gesetzesprojekt vgl. Hoffmann, Serge, L’immigration au Grand-Duché de Luxembourg. De l’époque industrielle à aujourd’hui, in: Luxembourg:

histoires croisées des migrations, Paris 2002, S. 60–69, hier S. 65.

Solidar- und Identitätsgemeinschaft wurde aus der Sicht luxemburgischer Ge-werkschafter in dieser Phase keineswegs sozioökonomisch, sondern streng national definiert. Sollten vor 1914 überhaupt irgendwelche solidarische Quer-beziehungen zwischen Gewerkschaften und Einwandererschaft existiert haben, so wurden sie im Zuge der Nachkriegskrise regelrecht pulverisiert. Auf Kos-ten der ImmigranKos-ten, in diesem Falle besonders der Italiener, sollKos-ten die sozi-alen Probleme überwunden werden: Die Italiener sollten, wie luxemburgische Mi grationshistoriker in diesem Zusammenhang immer wieder treffend schrei-ben, als „soupape de sûreté“, als Sicherheitsventil in Krisenzeiten fungieren.20 Nur dank der Intervention der Arbeitgeber, welche die mittelfristige Abhängigkeit des kleinen Landes von der Arbeitsimmigration erkannten, wurden derartige Quotenpläne vereitelt.

Es lässt sich also festhalten, dass die Beziehungen zwischen luxemburgischen Gewerkschaften und ausländischer Arbeiterbevölkerung von einer geradezu dialektischen Spannung gekennzeichnet waren. Internationalistischen Ambiti-onen standen immer wieder nationale Stereotype und Beurteilungskategorien gegenüber. Eine gemeinsame Arbeiteridentität auf sozioökonomischer Grundlage entfaltete sich bestenfalls in schwachen Ansätzen. Im dritten und letzten Teil des Beitrags sollen nun noch zwei miteinander zusammenhängende Problemstel-lungen diskutiert werden: Zunächst wird der Frage nachgegangen, ob es sich bei den italienischen Einwanderern tatsächlich um eine willfährige Manövriermasse in den Händen der Stahlbarone handelte, wie oft, wenigstens implizit, behauptet wurde; im Anschluss wird aufgezeigt, welche Auswirkungen die latent vorhan-denen Exklusionstendenzen mit Blick auf das Innenleben der italienischen Com-munity in Düdelingen zeitigten.

3. Die italienische Gemeinschaft in Düdelingen zwischen