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Die Entwicklung des Wahlrechts in Luxemburg von der Französischen Revolution bis zum Ersten Weltkrieg

Verspätete Verbürgerlichung. Politische Partizipation Luxemburger Juden

3. Die Entwicklung des Wahlrechts in Luxemburg von der Französischen Revolution bis zum Ersten Weltkrieg

Auch wenn die Festung Luxemburg bereits 1795 fiel, wurde die französische Ge-setzgebung systematisch erst ab 1797 im neu gegründeten Wälderdepartement an-gewandt – nach dem Friedensschluss zwischen Frankreich und dem Habsburger Reich in Campo Formio. Auch die politische Partizipation, sei es bei der Besetzung des politischen Apparats auf der Ebene des Departements, sei es bei der Auswahl von Repräsentanten des Departements in der Nationalversammlung, setzte ab diesem Zeitpunkt ein.10 Auch wenn aus der Französischen Revolution keine par-lamentarische Demokratie im Sinne des 19. und 20. Jahrhunderts hervorging, bedeutete das Regime des Direktoriums, das die Jakobiner 1795 abgelöst hatte,

die mit Abstand wichtigste Zählung zu Luxemburg-Stadt, in der der allergrößte Teil der jüdischen Bevölkerung ansässig war. Die Volkszählung von 1847 war ebenfalls die erste, bei der auch nach der Nationalität gefragt wurde, siehe: Beschluß, wonach in Vollziehung des Artikels 43 des Wahl-Reglements vom 16. Oktober 1841 eine allgemei-ne Volkszählung am 31. Dezember 1847 vorgenommen werden soll, in: Verordnungs- und Verwaltungsblatt des Großherzogthums Luxemburg 71 (1847), S. 603–609, hier S. 608. Ab 1890 wurden beide Zählungen vereint. Siehe: Beschluß vom 11. Oktober 1890, welcher die Aufnahme einer allgemeinen Volkszählung im Großherzogthum am 1. Dezember 1890 anordnet, in: Memorial des Großherzogthums Luxemburg 53 (1890), S. 525.

10 Siehe etwa Trausch, Gilbert, Histoire du Luxembourg, Paris 1992, S. 62; Trausch, Gil-bert, Les Luxembourgeois devant la Révolution française, in: Les relations franco-luxembourgeoises de Louis XIV à Robert Schuman / Actes du colloque de Luxembourg, 17–19 novembre 1977, Metz 1978, S. 83–117, hier S. 96–98, 110.

den Beginn einer durch einen Wahlakt begründeten politischen Repräsentation in Luxemburg. Allerdings wurde die Zahl der Wähler durch einen hohen Wahl-zensus erheblich eingeschränkt. Dies gilt weit mehr noch für das napoleonische Wahlsystem, das auf dem indirekten Zensuswahlrecht beruhte.11 So konnte das mittels eines hohen Zensus zusammengestellte Wahlkollegium für die Wahlen zum Generalrat eines Departements lediglich für jeden Posten drei Kandida-ten vorschlagen, aus denen die Regierung dann auswählte. Dies hatte zur Folge, dass die Wahlmänner, die für entsprechende Wahlen bestimmt wurden, stets aus der Oberschicht ihrer Gemeinde stammten. Immerhin erlaubte das Wahlsystem Männern ab einem bestimmten Steueraufkommen, sich als Wähler zu beteiligen.

Die Bedeutung dieses Prozesses politischer Partizipation, der unter dem Re-gime des Direktoriums und Napoleons in Gang kam, wird häufig unterschätzt, wie bereits Josiane Bourget-Rouveyre betont hat: „Tout au long de l’Empire, par conséquent, le régime a été conscient de la nécessité pour lui de conserver des formes de représentation le liant étroitement à la nation, formes héritées non seu-lement de la République, mais égaseu-lement de la monarchie constitutionnelle.“12 Das Zensuswahlrecht war bereits in der kurzen konstitutionell-monarchischen Phase der Französischen Revolution eingeführt worden. Seine napoleonische Variante wurde wegweisend für das spätere Zensuswahlrecht in Luxemburg.

Mit der Niederlage Napoleons 1814 und der Übernahme des nun zum Groß-herzogtum erhobenen luxemburgischen Territoriums durch das Haus Oranien-Nassau verbesserte sich die Situation nicht wesentlich. In der politischen Symbolik ist sogar ein Rückschritt in dem Sinne festzustellen, dass unter König-Großherzog Wilhelm I. der Niederlande, mit verbalem Rückbezug auf die vor-revolutionäre Ständevertretung, in Luxemburg und den übrigen 17 niederländischen Provinzen États provinciaux eingeführt wurden. Die États, in denen erneut drei Stände – die Städte, die Landgemeinden und der Adel (der Klerus bildete keinen Stand mehr) –, vertreten waren, befassten sich hauptsächlich mit der Umsetzung nationaler Ge-setze auf der Ebene der Provinz.13 Allerdings bedeutete dies nicht die Abschaffung

11 Siehe: Als, Nicolas / Philippart, Robert, La Chambre des Députés. Histoire et lieux de travail, Luxemburg 1994, S. 182. Das Buch gibt eine genauere Beschreibung der verschiedenen Wahlsysteme und einen guten Überblick über die Entwicklung der politischen Repräsentanz in Luxemburg (Kapitel 3).

12 Bourguet-Rouveyre, Josiane, La survivance d’un système électoral sous le Consulat et l’Empire, in: Annales historiques de la Révolution française 346 (= Les héritages républicains sous le Consulat et l’Empire) (2006), URL: http://ahrf.revues.org/7473, S. 7 [Stand am 9.7.2016].

13 Als / Philippart, La Chambre des Députés (Anm. 11), S. 183–184.

der Rechtsgleichheit und Wiederherstellung von Sonderrechten für die einzelnen Stände. Während die Adligen ihre Vertreter nach dem System des allgemeinen Wahlrechts bestimmten, galt für die beiden anderen Stände ein Zensuswahlsys-tem. In der Versammlung selbst spielte der Stand jedoch keine Rolle mehr.14

Nachdem der größte Teil Luxemburgs sich 1830 der belgischen Revolution angeschlossen hatte und mit Ausnahme der Festung in der belgischen Province du Luxembourg aufging, wurde es 1839 geteilt: Der deutschsprachige Teil, der dem heutigen Gebiet Luxemburgs grosso modo entspricht, fiel als Großherzogtum Lu-xemburg wieder an König-Großherzog Wilhelm I. zurück. Räumlich abgetrennt von den Niederlanden wurde ihm nun zuteil, was Wilhelm unter dem Druck der Ereignisse in Belgien versprochen hatte: eine eigenständige Staatsführung.15

1841 erhielt Luxemburg seine erste Staatsverfassung. Auf der Ebene der politi-schen Repräsentanz änderte sich jedoch zunächst nur wenig. Die Volksvertretung war eine zu dieser Zeit auf dem Gebiet des Deutschen Bundes typische „Landstän-dische Versammlung“, deren Abgeordnete nach dem indirekten Zensuswahlrecht gewählt wurden, bei dem von Wahlberechtigten gewählte Wahlmänner die Abge-ordneten bestimmen. Alle drei Jahre wurde jeweils die Hälfte der AbgeAbge-ordneten ausgewechselt. Eine wichtige Neuerung wurde aber eingeführt: Die Stimmberech-tigten wie die Kandidaten mussten ausdrücklich Luxemburger sein.16

Die Zeit von der Französischen Revolution bis zum Ersten Weltkrieg war auf diese Weise zwar von zahlreichen politischen Wechseln geprägt, die sich jeweils auf die Wahlgesetzgebung niederschlugen, doch blieb die Gegenwart des Zen-sussystems ein Moment der Kontinuität. Wenn auch der Zensus in Form und Höhe variierte, so war er stets Ausdruck einer Gesellschaft, in der Partizipation an

14 Calmes, Albert, Naissance et débuts du Grand-Duché. 1814–1830. Le Grand-Duché de Luxembourg dans le Royaume des Pays-Bas (Histoire Contemporaine du Grand-Duché de Luxembourg, Bd. 1), Luxemburg 1971 (Neudruck der Originalausgabe von 1930), S. 121–144.

15 Calmes, Albert, Le Grand-Duché de Luxembourg dans la Révolution Belge (Histoire Contemporaine du Grand-Duché de Luxembourg, Bd. 2), Brüssel 1939; Ders., La Re-stauration de Guillaume Ier, Roi des Pays-Bas (l’ère Hassenpflug) 1839–1840 (Histoire Contemporaine du Grand-Duché de Luxembourg, Bd. 3), Brüssel / Luxemburg 1947.

16 Calmes, Albert, La création d’un état (1841–1847) (Histoire Contemporaine du Grand-Duché de Luxembourg, Bd. 4), Luxemburg 1954; Franz, Norbert, Beitrag Luxemburg, in: Daum, Werner u. a. (Hg.), Handbuch der europäischen Verfassungsgeschichte im 19. Jahrhundert. Institutionen und Rechtspraxis im gesellschaftlichen Wandel. Bd. 2:

1815–1847, S. 543–573, der Beitrag für die Jahre bis 1871 ist im Druck. Vgl. die Texte der Verfassungen im Mémorial Législatif et Administratif du Grand-Duché de Lu-xembourg, Jg. 1841, 1841, 1848, 1856 und 1868.

Besitz gekoppelt war. Während des gesamten „langen“ 19. Jahrhunderts stimulierte er so den Ehrgeiz der potentiellen Wähler, deren Steuerhöhe öffentlich gemacht wurde und die im Zweifelsfall ihre Einschreibung auf den Wählerlisten durch den Nachweis ihres Wohlstands erstreiten mussten. So trug der Zensus dazu bei, die Besitzbürger gleich welcher Herkunft zusammenzuschweißen und ihr Selbstver-ständnis als Träger des Nationalstaats zu vertiefen.

Im Folgenden soll versucht werden, das Aufkommen derjenigen jüdischen Männer zu analysieren, die wirtschaftlich in der Lage waren, an Legislativwahlen teilzunehmen, und ihr Verhalten angesichts der Möglichkeit politischer Partizi-pation darzustellen und einzuordnen.

4. Der Luxemburger Wahlrechtsprozess als Gestaltungsraum