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VI Die Umsetzung der Vorlagen

eine weitgehende Anpassung der Figuren wie auch des Hinter­ und Vordergrunds. 15 Die in der Technik des Kupferstichs gedruckte Szene Ritter, Tod und Teufel ist detail­

lierter ausgeführt als die Holzschnittfolge und wirkt plastischer. Sie setzte eine andere

« Übersetzungsarbeit » des Malers voraus.

Im Hintergrund der Szene des Abts (13) ergänzte der Maler einen Rundtempel, der mit demjenigen im Kupferstich Vergil im Korb von Georg Pencz 16 aus den 1540er­Jah­

ren übereinstimmt (Taf. VII, Abb. 108). Vögelin beurteilte den gemalten Tempel als qualitativ besser und folgerte, dass Pencz den Kupferstich nach dem Churer Vorbild geschaffen habe. 17 Da der Zyklus im Bischöflichen Schloss nicht öffentlich zugänglich war, scheint mir eine Verwendung des Kupferstichs als Vorlage für das Wandbild nä­

herliegend. Das Kopieren von Vorbildern und das Anlegen eines Vorrats an Motiven stellten in den Werkstätten des 16. Jahrhunderts eine übliche Praxis dar. 18

4 Die seitenverkehrte Wiedergabe einer Szene

Die Szene des Bischofs (11) ist die einzige Darstellung im Churer Zyklus, die der Ma­

ler aus kompositorischen Gründen seitenverkehrt nachgebildet hat (Taf. VI). 19 Durch die seitenverkehrte Wiedergabe wenden sich der kirchliche Würdenträger und der Churfürst (12) einander wie die anderen dem Tode geweihten Personen zu. 20 Der gemalte Bischof hält den Bischofsstab im Unterschied zum Holzschnitt in der ikono­

graphisch wichtigeren rechten Hand. 21

Heinrich Aldegrever 22 fertigte bereits 1541 eine kleinformatige Kupferstichfolge, wel­

che die vier alttestamentlichen Szenen und die Begegnungen des Todes mit dem Papst, Kardinal, Abt und Bischof umfasst. Sie gilt als erste Kopie der 1538 veröffent­

lichten Bilder des Todes nach Holbein. 23 Die Szene des Bischofs gab der Kupferstecher ebenfalls seitenverkehrt wieder (Abb. 109). Das Blatt weist sein Monogramm, die Jahrzahl 1541 und das zugehörige Bibelzitat auf.

108 Georg Pencz, Kupferstich Vergil im Korb, um 1541/1542. Kunstmuseum Basel, Kupferstichkabinett.

109 Heinrich Aldegrever, Kupferstich Der Tod und der Bischof aus der achtteiligen Folge Der Totentanz, 1541. Landesmuseum Hannover.

71 7 Die Veränderung des Vorder- und Hintergrunds

5 Die Veränderung des Formats

Dem Maler stand für das Einzelbild des Königs (8) die ganze Ausfachung über der westlichen Türe zur Verfügung (Abb. 2, Taf. IV). Er bildete die hochrechteckige gra­

phische Vorlage, die sich bezüglich des Formats nicht von den anderen Holzschnitten unterscheidet, querrechteckig nach. Dazu fügte er seitlich mehrere Nebenfiguren ein und erweiterte die Architektur im Hintergrund. 24

Der Maler des Wolgaster Totentanzes kopierte das Königsbild um 1700 ebenfalls als Querformat (Abb. 110). Er ergänzte weitere Nebenfiguren sowie ein als Hofnarr ver­

kleidetes, zweites Gerippe am rechten Rand. 25

6 Die Veränderung der Proportionen

Die Proportionen einer halben Ausfachung der Fachwerkwand stimmen mit denjeni­

gen eines Holzschnitts nicht überein. Eine gemalte Szene ist im Verhältnis schmaler und höher als ihre Vorlage. 26 Der Maler erweiterte deshalb den Vorder­ und Hinter­

grund der Darstellungen. Er verschob die Figuren nach oben oder unten, stauchte oder vergrösserte sie und veränderte ihre Abstände.

Bei den alttestamentlichen Motiven nahm der Künstler weitere Änderungen vor: Er bildete die Schöpfungsszene (1) beinahe quadratisch nach, indem er die am Schöp­

fungsakt Beteiligten vergrösserte und den Hintergrund beschnitt. Die Darstellung des Sündenfalls (2) rückte er in die obere rechte Ecke der Ausfachung, wodurch der Eindruck von Distanz entstand (Taf. I). In der Szene der Austreibung aus dem Para-dies (3) hob der Maler die Trennung in eine obere und untere Zone auf und schob diese ineinander. Der verkleinerte Engel verlor dadurch seine monumentale Wir­

kung (Taf. II).

Die Holzschnittfolge mit den Bildern des Todes nach Holbein weist mehrere Szenen mit angeschnittenen Personen, Gerippen, Tieren oder Objekten auf. Im Churer Zyk­

lus sind diese teilweise zur Mitte verschoben, was der Dynamik der Szenen abträglich sein kann.

7 Die Veränderung von Personen und Skeletten

Bei den Ständevertretern, Begleitfiguren und Gerippen lassen sich zahlreiche Unter­

schiede von Körperhaltungen, Blickrichtungen sowie Gewändern, 27 Kopfbedeckun­

gen und Attributen konstatieren. So wird beispielsweise der Kopf des Domherrn (16) im Wandbild von der Seite gezeigt, im Holzschnitt dagegen von hinten (Taf. VIII, Abb.

79). 28 In der Begegnung des Todes mit dem Abt (13) trägt das Skelett keine Mitra wie in der Vorlage und eine Spitzhacke anstelle eines Abtsstabs (Taf. VII, Abb. 76).

Obwohl dem Maler für die Darstellung eine viel grössere Bildfläche zur Verfügung stand, fällt in einigen Szenen eine Reduktion der Nebenfiguren auf: Er bildete einzel­

ne Personen 29 oder summarisch angedeutete Gruppen nicht nach. 30 In drei Motiven veränderte er das Geschlecht der Gerippe bzw. einer Nebenfigur. 31

8 Die Veränderung des Vorder- und des Hintergrunds

Die starke Vergrösserung der kleinen Vorlagen und die Veränderung der Proportio­

nen boten dem Maler die Möglichkeit, die Vorder­ und Hintergründe zu erweitern.

Sein Interesse galt besonders den landschaftlichen Hintergründen, die er um Felsen, Bäume, Büsche oder Gewässer bereicherte. 32 In der Szene des Krämers (34) gab er bei­

spielsweise einen Baum anstelle eines zweiten Skeletts mit einem Trumscheit wieder

110 Caspar Sigmund Köppe, Totentanz aus der Friedhofskapelle von Wolgast, um 1700.

Tafel mit gemalter Szene des Königs.

und ergänzte steile Felsen (Taf. XVI, Abb. 94). 33 Paul Zinsli stellte 1937 eine « Umdeu­

tung im künstlerischen Ausdruck » fest und charakterisierte diese als « eine auffällige Richtung ins Stimmungshafte, ein Steigern der Formen ins Gebirgig­Wilde, kurz eine offensichtliche Romantisierung der Landschaft ». 34 Mehrere Autoren identifizierten die landschaftlichen Hintergründe als Gebirgslandschaften in der Umgebung von Chur. 35 Paul Zinsli bestimmte die Berge im Hintergrund der Darstellung des Bauern (35) gar als « Signinakette mit den Erhebungen Oberhorn, Piz Feß, Piz Riein und dessen Aus­

läufern ». 36 Aus heutiger Sicht erscheinen uns solche Zuweisungen problematisch. Der Maler verwendete wohl eher alpine Chiffren. Niklaus Manuel gab im Berner Totentanz von 1516 bis 1519 vergleichbare landschaftliche Chiffren wieder (Abb. 111). 37

Bei der Gestaltung von Gebäuden lassen sich zahlreiche Abweichungen feststellen:

Der Künstler ergänzte Strukturen und änderte architektonische Elemente (Bogen­

und Fensterformen, Säulen usw.). Den architektonischen Stil veränderte er jedoch nicht grundlegend. 38 Sowohl in der Holzschnittfolge als auch im gemalten Zyklus kommen gotische Formen nebst solchen der Renaissance vor. 39 Verschiedene Un­

stimmigkeiten führten Rahn und Zinsli zur Einschätzung, dass der Maler ein « gerin­

geres Verständnis » für Architektur zeige als Holbein. 40

Die Vordergründe weichen nur geringfügig von den Vorlagen ab. Der Maler dehnte sie aus oder beschränkte sie, fügte eine Sanduhr hinzu oder liess eine weg und ergänz­

te Grasbüschel.

111 Albrecht Kauw, Aquarell des Berner Totentanzes, 1649. Szenen Der Tod und die Ungläubigen sowie Der Tod und der Maler.

Bernisches Historisches Museum.

1 Einleitung

Das folgende Kapitel zur Ikonographie gliedert sich in einen Teil zu den Darstellun­

gen nach der Holzschnittfolge mit den Bildern des Todes nach Holbein, einen zwei­

ten Teil zur Szene Ritter, Tod und Teufel (29) nach Dürer sowie einen dritten zu den Sockelfeldern. Im Unterkapitel 7.2 zu den Szenen nach Holbein sind die einzelnen Motive zu Gruppen zusammengefasst.

Die Darstellungen werden gedeutet, wobei auch auf die ikonographischen Unterschie­

de zu den Vorlagen eingegangen wird. 1 Eine Schwierigkeit bilden dabei die Namen der Szenen: Die in der Literatur zu den Churer Todesbildern genannten Bezeichnun­

gen gehen mit wenigen Ausnahmen auf die 1878 veröffentlichte Monographie von Friedrich Salomon Vögelin zurück. 2 Er stützte sich teils auf die deutschen Überschrif­

ten der sog. Probedrucke, 3 teils führte er eigene, auf Interpretationen beruhende Na­

men ein. 4 Die ursprünglichen Intentionen des Churer Malers bzw. Hans Holbeins sind nicht überliefert. 5

2 Die Todesbilder nach der Holzschnittfolge mit den Bildern des Todes nach Holbein

2.1 Die alttestamentlichen Szenen

Der Zyklus setzt nach dem verlorenen 1. Gefach mit den vier alttestamentlichen Dar­

stellungen Schöpfung (1), Sündenfall (2), Austreibung aus dem Paradies (3) und Ar-beit der ersten Eltern (4) ein (Taf. I, II). Sie bilden zusammen mit dem Beinhaus (5) die heilsgeschichtliche Rahmenhandlung der Begegnungen der Ständevertreter 6 mit dem Tod. 7

Die Entstehung des Todes wird nach Gn 3,3 und Rm 5,12 als Folge des Sündenfalls und als Strafe Gottes aufgefasst. Holbein veranschaulicht dies, indem er in der Dar­

stellung der Vertreibung aus dem Paradies eine Todesfigur mit einer Fidel einführt,

112 Johann Rudolf Feyerabend, Aquarell des Basler Totentanzes, 1806. Historisches Museum Basel.