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II. Rechtsschutzeinrichtungen

2. Verwaltungsgerichtshof

Die Wurzeln des VwGH reichen bis in das 19. Jahrhundert zurück, zu welcher Zeit allmählich Forderungen nach einer unabhängigen Justiz aufkamen. Dem absolutistischen Staat des 17. und 18. Jahrhunderts war die Unterscheidung zwischen unabhängigen Gerichten und weisungs-gebundenen Verwaltungsbehörden nämlich fremd. Auch die habsbur-gische Administrativjustiz war kaum gesetzlich geregelt, sodass die Ver-waltung hier weitreichende Kompetenzen besaß und nach ihrem freien Ermessen entscheiden konnte. Erst an der Wende zum 19. Jahrhundert, unter dem Eindruck der Französischen Revolution, konnte sich die Idee einer unabhängigen Gerichtsbarkeit durchsetzen und der Wunsch vieler Liberaler auf Einrichtung eines eigenständigen, von der Verwal-tung gänzlich getrennten, VerwalVerwal-tungsgerichtes erfüllt werden.41

Somit ist die Verwaltungsgerichtsbarkeit ein Produkt des Liberalis-mus und der Rechtsstaatsbemühungen in der zweiten Hälfte des 19.

Jahrhunderts.42 In diesem Sinne sah Art 15 des Staatsgrundgesetzes über die richterliche Gewalt 43 die Einrichtung eines Verwaltungsge-richtshofes vor, wobei das ebendort proklamierte » besondere Gesetz «, das die Details der Verwaltungsgerichtsbarkeit regeln sollte, allerdings erst knapp zehn Jahre später erging.44 Seit der Gründung des VwGH im Jahre 1876 entwickelte dieser eine rege Rechtsprechungstätigkeit, wel-che bis heute unangebrowel-chen ist.45

Die zentralen Rechtsgrundlagen des VwGH finden sich im » Sieben-ten « Hauptstück – Garantien der Verfassung und Verwaltung – in den Art 130 bis 136 des B-VG. Die Organisation des VwGH sowie das Verfah-

40 Vgl Muzak / Rohrböck, Der Asylgerichtshof 96.

41 Olechowski, Der österreichische Verwaltungsgerichtshof ( 2001 ) 15 ff.

42 Hauer, Gerichtsbarkeit des öffentlichen Rechts 2; vgl Walter / Mayer / Kucsko-Stadl-mayer, Bundesverfassungsrecht10, Rz 932.

43 RGBl 1867 / 144.

44 Gesetz vom 22. Oktober 1875, betreffend die Errichtung des Verwaltungsgerichts-hofes, RGBl 1876 / 36.

45 Hauer, Gerichtsbarkeit des öffentlichen Rechts 3; siehe auch Merli, Rechtsschutz neu: Die Verwaltungsgerichte ( 2004 ) 174 ff.

ren vor ebendiesem sind im VwGG geregelt. Weitere Bestimmungen enthält die Geschäftsordnung des VwGH nach Maßgabe des VwGG.46

Der VwGH besteht aus einem Präsidenten, einem Vizepräsidenten und der erforderlichen Zahl von sonstigen Mitgliedern ( Senatspräsi-denten und Räten ). Die beiden PräsiSenatspräsi-denten und die übrigen Mitglieder des VwGH werden vom Bundespräsidenten auf Vorschlag der Bundes-regierung ernannt, wobei die BundesBundes-regierung im Rahmen ihres Vor-schlagsrechtes mit Ausnahme der Ernennung des Präsidenten und des Vizepräsidenten ihrerseits an Dreiervorschläge der Vollversammlung des VwGH gebunden ist.47

Gemäß Art 135 B-VG erkennt der VwGH in Senaten, überlässt die nähere Ausgestaltung allerdings der Geschäftsordnung des VwGH. In der Regel besteht ein Senat aus fünf Mitgliedern. Demgegenüber wird die Entscheidung in Verwaltungsstrafsachen oder in Rechtssachen, in denen eine Beschwerde zurückgewiesen oder das Verfahren eingestellt wird, sowie in Rechtssachen, in denen die Rechtsfrage besonders ein-fach oder durch die bisherige Rechtsprechung bereits genügend klar-gestellt ist, durch Dreiersenate gefällt. Ein sog verstärkter Senat ( Neu-nersenat ) entscheidet in Fällen, in welchen beabsichtigt wird, von der bisherigen Rechtsprechung des VwGH abzugehen oder die zu lösende Rechtsfrage in der Rechtsprechung des VwGH nicht einheitlich beant-wortet wird.48

Im Gegensatz zum VfGH sind die Richter des VwGH Berufsrichter. In Ausübung ihres richterlichen Amtes sind sie unabhängig, unabsetzbar und unversetzbar. Sie dürfen nur in den gesetzlich vorgeschriebenen Fällen ihres Amtes enthoben oder gegen ihren Willen an eine andere Stelle oder in den Ruhestand versetzt werden.49 Die Geschäfte sind durch die Vollversammlung auf die Dauer eines Jahres im Voraus zu verteilen ( Prinzip der festen Geschäftsverteilung ) und dürfen einem Mitglied nur dann abgenommen werden, wenn es verhindert oder überlastet ist.50 Somit erfüllt der VwGH sämtliche Erfordernisse eines Gerichtes gleich der ordentlichen Gerichtsbarkeit.

46 Vgl Holzinger / Oberndorfer / Raschauer, Österreichische Verwaltungslehre² ( 2006 ) 409; Walter / Mayer / Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht10, Rz 928.

47 Art 134 Abs 1 und 2 B-VG.

48 Vgl Holzinger / Oberndorfer / Raschauer, Österreichische Verwaltungslehre² 409 f;

Walter / Mayer / Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht10, Rz 939 f.

49 Walter / Mayer / Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht10, Rz 933.

50 Hauer, Gerichtsbarkeit des öffentlichen Rechts 7.

So wie jede Rechtsschutzinstitution kann auch die richtsbarkeit unterschiedlich ausgestaltet sein. Die Verwaltungsge-richtsbarkeit in Österreich ist eine der wenigen Institutionen des Verfas-sungsstaates, die nicht vom anglo-amerikanischen Recht geprägt wurde, sondern ihre Wurzeln im kontinentalen Staatsrecht hat und aus der Idee vom Rechtsstaat ganz eigenständig entwickelt wurde.51 Im Folgen-den werFolgen-den daher einige Besonderheiten dieser ganz speziell für Öster-reich eigentümlichen Sonderverwaltungsgerichtsbarkeit aufgezeigt:

Die Verwaltungsgerichtsbarkeit ist grundsätzlich mit Ausnahme der Kompetenz des VfGH nach Art 144 B-VG beim VwGH in Wien konzent-riert, demzufolge auch keine ( echten ) Verwaltungsgerichte in den Bun-desländern existieren.52

Die Verwaltungsgerichtsbarkeit wird durch ein spezialisiertes, auf die Verwaltungsrechtspflege ausgerichtetes Sondergericht ausgeübt, sodass es keine Berührungspunkte mit der ordentlichen Gerichtsbarkeit gibt.

Die Verwaltungsgerichtsbarkeit ist einstufig, da der VwGH in erster und letzter Instanz auf der Grundlage des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes entscheidet.

Bei der Verwaltungsgerichtsbarkeit handelt es sich um eine » echte « Gerichtsbarkeit, da sie durch Richter ausgeübt wird, während die Mit-glieder der UVS oder der » Art 133 Z 4-Behörden « ( Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag ) nur weisungsfrei gestellt sind.

Die Verwaltungsgerichtsbarkeit ist kassatorisch, da der VwGH die Entscheidungen der Unterinstanzen bloß auf ihre rechtliche Richtig-keit hin überprüft, jedoch nicht in der Sache selbst ( reformatorisch ) entscheidet.

Die Verwaltungsgerichtsbarkeit ist auf die ( rechtliche ) Überprüfung bestimmter Kategorien von Verwaltungsakten beschränkt, wobei die Bescheidprüfung die bedeutendste Rolle spielt. Darüber hinaus ist der VwGH aber auch für Säumnisbeschwerden und für die Bekämpfung von schulrechtlichen Weisungen zuständig.53

51 Pernthaler, Österreichisches Bundesstaatsrecht 273.

52 Zwar wurde das Rechtsschutzsystem im öffentlichen Recht im Jahre 1988 um die Unabhängigen Verwaltungssenate ( UVS ) in den Ländern erweitert, was sich jedoch in der Definition der Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht widerspiegelt, da gemäß der Konzeption des B-VG Verwaltungsgerichtsbarkeit und VwGH nach wie vor im klassischen Sinne gleichgesetzt werden. Siehe dazu Pabel, Verwaltungsgerichts-barkeit – Wesen und Wandel, ZÖR 2012, 61 ( 63 ).

53 Vgl Hauer, Gerichtsbarkeit des öffentlichen Rechts 9 f; Walter / Mayer / Kucsko-Stadl-mayer, Bundesverfassungsrecht10, Rz 930 f.

Gemäß Art 129 B-VG ist der VwGH zur Sicherung der Gesetzmäßig-keit der gesamten öffentlichen Verwaltung berufen. Diese allgemeine Formulierung ist programmatisch zu verstehen und werden die Kom-petenzen des VwGH durch die folgenden Artikel des B-VG konkretisiert.

Danach prüft der VwGH die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung in Form von Bescheidbeschwerden ( Art 131 B-VG ), weiters ist er mit Säumnisbe-schwerden ( Art 132 B-VG ) befasst, ausnahmsweise kommt die Prüfung von Weisungsbeschwerden in Schulsachen ( Art 81 a Abs 4 B-VG ) hinzu und neuerdings ist der VwGH auch zuständig, über Grundsatzentschei-dungen des AsylGH zu erkennen ( Art 132 a B-VG ).54

Dem VwGH kommt somit als spezialisierten Sondergericht eine breite Palette an Aufgabengebieten zu, wobei die rechtliche Überprü-fung von Bescheiden mit Abstand die größte Anzahl der vom VwGH zu bearbeitenden Fälle darstellt.

Art 133 B-VG zählt die Angelegenheiten auf, welche von der Zustän-digkeit des VwGH ausgeschlossen sind. Gemäß dieser Bestimmung ist die Zuständigkeit des VwGH in Angelegenheiten, die zur Zuständig-keit des VfGH gehören, in Angelegenheiten des Patentwesens sowie in Angelegenheiten, über die in oberster Instanz die Entscheidung einer Kollegialbehörde zusteht, ausgeschlossen.

Auf Verfassungsebene sind somit die Zuständigkeiten des VwGH positiv als auch negativ geregelt. Hinsichtlich der Bescheidprüfung kommt beiden Gerichtshöfen eine Zuständigkeit zu, wobei der VwGH eine Bescheidkontrolle in Bezug auf einfachgesetzliche Vorschriften und der VfGH eine Bescheidkontrolle in Bezug auf verfassungsgesetz-lich gewährleistete Rechte vornimmt.55 Ausgewählte Abgrenzungsfra-gen über die Zuständigkeit zwischen beiden Höchstgerichten haben die Autoren Ringhofer 56und Spielbüchler 57behandelt. Der Vollständigkeit halber wird darauf hingewiesen, dass auch eine Parallelbeschwerde an

54 Vgl Hauer, Gerichtsbarkeit des öffentlichen Rechts 11; Holzinger / Oberndor-fer / Raschauer, Österreichische Verwaltungslehre² 410; vgl Walter / Mayer / Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht10, Rz 945.

55 Siehe auch Azizi, Das Verhältnis der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit des Verwaltungsgerichtshofes zur Sonderverwaltungsgerichtsbarkeit des Verfassungs-gerichtshofes, in FS Antoniolli ( 1979 ) 567.

56 Vgl dazu Ringhofer, Über verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte und die Kompetenzgrenze zwischen Verfassungsgerichtshof und Verwaltungsgerichtshof, in FS Melichar ( 1983 ) 161 ff.

57 Vgl dazu Spielbüchler, Verfassungsgerichtshof und Ersatzbescheid, Zur Abgren-zung von Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit, in FS Melichar 221 ff.

beide Gerichtshöfe möglich ist, wobei die Bescheidbeschwerde an den VfGH sinnvollerweise mit einem eventualiter gestellten Abtretungsan-trag an den VwGH kombiniert wird.58