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D. Sonstige Verfahrensgarantien,

I. Verfahrensgarantien

5. Recht auf ein faires Verfahren

Gemäß Art 6 EMRK hat jedermann Anspruch darauf, dass seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist gehört wird, und zwar von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht, das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder über die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen

317 Obwexer, Die Rechtsstellung Einzelner in der Union nach Inkrafttreten des Ver-trags von Lissabon, ÖJZ 2010, 101 ( 105 ).

318 Vgl Hummer, EU unterwirft sich externer Grundrechtskontrolle, Die Presse 10. 05. 2010, 8.

strafrechtlichen Anklage zu entscheiden hat. Das Urteil muss öffentlich verkündet werden, jedoch kann aus speziellen Gründen die Öffentlich-keit teilweise oder gänzlich von der Verhandlung ausgeschlossen wer-den. Art 6 EMRK enthält weiters bestimmte Rechte für Angeklagte, auf welche jedoch nicht näher eingegangen wird, da diese nicht Gegen-stand vorliegender Arbeit sind.

Entsprechend dem Gesetzeswortlaut erstreckt sich der Anwen-dungsbereich von Art 6 EMRK auf zivilrechtliche Ansprüche und Ver-pflichtungen ( civil rights and obligations ) oder auf eine strafrechtliche Anklage bzw Verfolgung. Mangels näherer gesetzlicher Definition, was unter zivilrechtlichen Ansprüchen und Verpflichtungen verstanden wird, oblag die Auslegung dieses Begriffes dem EGMR. Eine abstrakte Definition des Zivilrechtsbegriffes vermeidet der EGMR allerdings und legt diesen von Fall zu Fall aus. Den zivilrechtlichen Charakter bejaht der EGMR jedenfalls bei vermögenswerten Ansprüchen.319

Während der EGMR eine äußerst extensive Interpretation dieses Terminus vornahm, vertritt der VfGH eine differenzierte Sichtweise, je nachdem ob ein civil right in seinem Kernbereich oder bloß am Rande betroffen ist. Im Sinne dieser unterschiedlichen Auslegung zählt der EGMR 320 zahlreiche Angelegenheiten zu den civil rights, welche nach dem traditionellen kontinental-europäischen Verständnis dem Verwal-tungsrecht angehören. Diese Unterscheidung ist insofern von Bedeu-tung, als nur in Verfahren, in denen über zivile Rechte und Pflichten oder strafrechtliche Anklagen abgesprochen wird, die Verfahrensga-rantien des Art 6 EMRK ihre Wirkung entfalten.

Das heißt aber nicht, dass ein als civil right qualifiziertes Recht zu deren Durchsetzung zwangsläufig den Gerichten zugewiesen wird, son-dern es besteht in Österreich auch die Möglichkeit, über zivilrechtliche Ansprüche außerhalb ihres Kernbereiches in einem Verwaltungsver-fahren abzusprechen. In diesem Fall sind die durch Art 6 EMRK garan-tierten Verfahrensrechte auch auf Verwaltungsverfahren anzuwenden.

Sichergestellt werden muss nur die in Art 94 B-VG verankerte Trennung von Justiz und Verwaltung.321

319 Vgl Grabenwarter, EMRK5 384 Rz 4; Peukert in Frowein / Peukert, EMRK³, Art 6 Rz 6, 15.

320 Vgl Grabenwarter, EMRK5 386 Rz 7; Peukert in Frowein / Peukert, EMRK³, Art 6 Rz 16.

321 Vgl Marx in Heißl, Handbuch Menschenrechte ( 2009 ) 462 Rz 26 / 2; Mayer, B-VG4, Art 6 MRK Tz I.; Öhlinger, Verfassungsrecht8, Rz 960; Walter / Mayer / Kucsko-Stadl-mayer, Bundesverfassungsrecht10, Rz 1524 f.

Die vom EGMR abweichende, differenzierte Sichtweise des VfGH, abhängig davon, ob ein gesetzlicher Anspruch zum Kernbereich des Zivilrechts zählt oder nicht, korreliert mit § 1 JN, wonach die Gerichts-barkeit in bürgerlichen Rechtssachen, soweit dieselben nicht durch besondere Gesetze vor andere Behörden oder Organe verwiesen sind, durch ( ordentliche ) Gerichte ausgeübt wird.322

Zu berücksichtigen gilt es auch, dass Art 6 EMRK nur angewendet werden kann, wenn bereits nach innerstaatlichem Recht ein materiel-ler Rechtsanspruch besteht. Art 6 EMRK schafft nämlich keinen eige-nen Anspruch auf ein civil right.323Der Anspruch kann also nicht aus Art 6 EMRK selbst abgeleitet werden. Weiters kommt es, im Vergleich zu Art 13 EMRK, nicht darauf an, ob der Anspruch durch die Konven-tion geschützt ist. Erforderlich ist auch nicht, dass der in Frage stehende Anspruch begründet ist. Vielmehr genügt es, wenn die Anspruchsgrund-lagen in schlüssiger, vertretbarer Weise ( arguable ) vorgetragen werden.324

Der wesentliche Schutzzweck von Art 6 EMRK liegt darin, in den vor-hin genannten Bereichen den Parteien bzw dem Angeklagten eine Ent-scheidung durch ein unabhängiges und unparteiisches Gericht ( tri-bunal ) zu garantieren.325 Der Begriff tribunal in Art 6 Abs 1 EMRK ist allerdings nicht mit dem Gerichtsbegriff des B-VG gleichzusetzen.326 Auch verlangt die Forderung nach einem tribunal keinen ( wie in Öster-reich üblichen ) dreigliedrigen Instanzenzug. Eine Instanz, welche die qualitativen Anforderungen eines Tribunals erfüllt, genügt bereits.327 Entscheidend für die Tribunalqualität sind Unabhängigkeit und Unpar-teilichkeit des rechtsprechenden Organs. So haben nach der Judikatur des EGMR die UVS sowie die Kollegialbehörden mit richterlichem Ein-schlag Tribunalqualität.328 Dem VwGH kommt laut EGMR nicht immer Tribunalqualität zu, abhängig davon, ob der VwGH in seinen Erkennt-nissen volle Kognitionsbefugnis in Anspruch nimmt oder nicht.329

322 Siehe Kapitel » Privatwirtschaftsverwaltung «.

323 Vgl Grabenwarter, EMRK5 384 Rz 5; Marx in Heißl, Handbuch Menschenrechte 463 Rz 26 / 3.

324 Peukert in Frowein / Peukert, EMRK³, Art 6 Rz 6 f.

325 Vgl Grabenwarter, EMRK5 399 Rz 27; Peukert in Frowein / Peukert, EMRK³, Art 6 Rz 200.

326 Walter / Mayer / Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht10, Rz 1534 f; Öhlinger, Verfassungsrecht8, Rz 961.

327 Mayer, B-VG4, Art 6 MRK Tz II.5.

328 Vgl Grabenwarter, EMRK5 399 Rz 28; Peukert in Frowein / Peukert, EMRK³, Art 6 Rz 204;

Walter / Mayer / Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht10, Rz 1535, 1540.

329 Mayer, B-VG4, Art 6 MRK Tz II.4.

Weiters gewährleistet Art 6 EMRK das Recht auf Zugang zu einem Gericht ( effektiver Rechtsschutz 330 ) sowie das Recht auf ein faires Ver-fahren ( fair trail ), wobei das Recht auf Zugang zu einem unabhängigen, unparteiischen und auf Gesetz beruhenden Gericht im Mittelpunkt der Verfahrensgarantien des Art 6 EMRK steht.331 Zentrales Element des Rechtes auf ein faires Verfahren sind das rechtliche Gehör, das Recht auf Akteneinsicht, der Grundsatz der Waffengleichheit, der Grundsatz der Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Verhandlung sowie eine ange-messene Verfahrensdauer. Die größte Problematik liegt derzeit in der europaweit langen Verfahrensdauer.332

Hat ein letztinstanzliches Gericht Zweifel an der Auslegung oder Anwendung von Unionsrecht, ist es verpflichtet, jene klärungsbedürf-tige Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen. Wird durch das Gericht ein Vorabentscheidungsverfahren dennoch nicht einge-leitet, führt dies zu einer Verletzung von Art 6 EMRK. Gleiches gilt für den Fall, dass von einer Partei die Vorlage einer auslegungsbedürftigen Frage an den EuGH angeregt, darauf seitens des Gerichtes aber nicht näher eingegangen wurde.333

Das Recht auf ein faires Verfahren wird weiters verletzt, wenn der Anregung auf Einleitung eines Normprüfungsverfahrens durch das Gericht ohne nähere Begründung nicht gefolgt wird. Dem Gebot effek-tiven Rechtsschutzes wird dadurch nicht entsprochen.334

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Art 6 EMRK weit reichende Verfahrensgarantien sowohl in zivil- als auch in strafrechtlichen Verfah-ren für die Beteiligten bietet. Aufgrund des Umstandes, dass die EMRK in Österreich im Verfassungsrang steht, können die durch die Konven-tion festgelegten Rechte und Freiheiten im Rahmen einer Bescheidbe-schwerde gemäß Art 144 B-VG geltend gemacht werden.

330 Siehe Kapitel » Recht auf eine wirksame Beschwerde « und Kapitel » Rechtsstaatli-ches Prinzip «.

331 Vgl Grabenwarter, EMRK5 413 Rz 48.

332 Mayer, B-VG4, Art 6 MRK Tz II.3; vgl Peukert in Frowein / Peukert, EMRK³, Art 6 Rz 45 f;

Walter / Mayer / Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht10, Rz 1523.

333 Siehe Kapitel » Vorabentscheidungsverfahren «.

334 Siehe Kapitel » Anregung eines Normprüfungsverfahrens «.